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Lernt erst mal fotografieren!

So wie die ersten Schokoladenweihnachtsmänner schon Monate vor Weihnachten in den Geschäften auftauchen, scheint auch die 1.-April-Saison immer früher im Jahr zu beginnen. Deshalb können wir den Aprilscherz der Spaßvögel von New Camera News jetzt schon lesen – und ihn ernster nehmen, als er vielleicht gedacht ist.

Neue Kameras und Objektive wecken Begehrlichkeiten, bringen einen als Fotograf aber selten weiter. (Bild: Nikon)
Neue Kameras und Objektive wecken Begehrlichkeiten, bringen einen als Fotograf aber selten weiter. (Bild: Nikon)

Die Meldung mit Datum vom 1. April wird schockieren: Canon und Nikon stellen die Kameraentwicklung ein! Jedenfalls vorerst. Kameras werden weiter produziert und verkauft, aber es wird keine neuen Modelle mehr geben. Der Grund, so Canon auf einer gemeinsamen Pressekonferenz: „Unser aktuelles Lineup ist gut genug. Interne Untersuchungen haben gezeigt, dass unsere Kameras besser und leistungsfähiger als 99 Prozent ihrer Besitzer sind. Da ist es nur logisch, wenn wir die Weiterentwicklung unserer Kameras einstellen, bis ihre Besitzer bessere Fotografen geworden sind.“ Und Nikon fügte hinzu: „Das ist nur allzu wahr. Jahrelang haben wir den Leuten eingeredet, dass ihnen zum professionellen Fotografen nur die neueste und beste Ausrüstung fehlt. Aber im Grunde wussten wir immer, dass Ihr damit immer noch dieselben lausigen Fotografen wie eh und je sein werdet, nur mit mehr Megapixeln.“ Darauf Canon: „Wir sind glücklich, dass wir jetzt sagen können: Ihr Besitzer von Canon- oder Nikon-Kameras seid höchstwahrscheinlich lausige Fotografen, und daher warten wir, bis Ihr endlich mal einen richtigen Fotokurs belegt und etwas lernt, bevor wir unsere Produkte weiter verbessern. Sonst wäre das nämlich bloß Zeitverschwendung.“

Ich finde die Vorstellung eines Streiks der Kameraentwickler witzig. Vielleicht sollte ich das besser nicht tun, würde ein solches Szenario doch mein Geschäftsmodell beschädigen – ich lebe schließlich unter anderem davon, dass ich neue Technologien verständlich erkläre. Aber vermutlich bliebe trotzdem genug für mich zu tun. Und solche Ideen liegen in der Luft, hat sich doch mein Kollege Olaf Giermann hier jüngst ganz ähnlich geäußert.

Natürlich lässt sich immer noch hier und da etwas verbessern, lassen sich die Leistungsgrenzen der Kameras immer weiter hinausschieben. Aber niemand könnte ernsthaft behaupten, seine Bilder würden nichts taugen, nur weil die Kamera nicht gut genug ist. Oft scheitern wir ja schon daran, unsere Kameras überhaupt zu beherrschen. So mancher Kamerabesitzer stellt irgendwann fest, dass ein vermisstes Feature tatsächlich schon immer vorhanden war; er hatte es nur nicht gefunden. Zugegeben: Die Handbücher der Hersteller sind hier nicht immer hilfreich, werden aber oft nicht einmal gelesen. Manche Funktionen werden zwar erklärt, aber nicht so, dass man sich deren konkreten Nutzen vorstellen könnte. Wer weiß, dass es so schnell nichts Neues gibt, hätte die Muße, seine vorhandene Kamera wirklich vollständig kennenzulernen und dann auch kompetent zu nutzen. Und ja, man sollte ernsthaft (was nicht heißt: ohne Spaß an der Sache) fotografieren lernen. Etwa indem man sich ein Projekt wählt und daran regelmäßig immer wieder arbeitet, bis einem die Resultate gefallen. Davon profitiert die eigene Bildproduktion mehr als von einer neuen Kamera mit mehr Megapixeln, höheren ISO-Werten oder einem noch rasanteren Serienbildmodus.

Dazu muss man sich nicht erst durch einen Entwicklungsstreik von Canon und Nikon zwingen lassen. Es ist ja nicht so, als ob die Entwicklungszyklen der Kamerahersteller die Kaufzyklen der Fotografen diktieren würden. Nicht einmal die Kamerahersteller selbst gehen ernsthaft davon aus. Ein Unternehmen muss regelmäßig etwas Neues bringen, um im Gespräch zu bleiben, um das Vertrauen in die Marke aufrechtzuerhalten und um die eigene Innovationskraft unter Beweis zu stellen. Der Kunde sollte aber erst dann einen Neukauf erwägen, wenn ein neues Modell einen qualitativen Sprung und die vorhandene Kamera keinerlei Überraschungen mehr verspricht. Beim heutigen Leistungsstand der Kameratechnologie können darüber etliche Jahre ins Land gehen. Wer dagegen Dauergast beim Fotohändler ist oder gar immer wieder von System zu System hüpft, hat sicherlich ein Problem – aber keines, dass sich mit einem großzügigen Einsatz der Kreditkarte lösen ließe.

Michael J. Hußmann
Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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3 Kommentare

  1. In Anbetracht des Foto-Traschs der auf 500px (vermehrt, seit sich die Plattform als Profi-Plattform herumgesprochen hat), Flickr, in Foto-Communities, Facebook-Fotogruppen geteilt wird, sollten Kamerahersteller eigentlich seit Jahren im Dauerstreik sein. Ganze „Heerscharen“ von „Profi-Fotografen“ mit einem Logo der Marke „Extra-Big“ überfluten alles mit Test-Geknipse ganz nach dem Motto „Schaut ma her! Ich habe den Auslöser gefunden, und ihn gleich 100mal getestet.“ Man wird aufgefordert sich die spannende Fotoreihe der Langzeitbelichtung in der Nacht, unter dem Titel „Sie sehen 30Sec der Dunkelheit in einem Foto komprimiert“ anzuschauen. Oder Oma Lieses Blumenbeet wird mit dem neuen Handy fotografiert, und munter in die Foto-Gruppe „Anspruchsvolle Landscape-Fotografie“ eingestellt. Jede Hecke an der die ersten Knospen blühen wird fotografiert. Immer drauf halten ist das Motto. Egal was es ist, immer nur drauf halten und munter posten. Die eigenen Haustiere werden in jeder nur erdenklichen Situation fotografiert und überfluten Foto-Foren. Gut, die sind dabei noch niedlicher als die Fotos der ein wenig steif daher schauenden Vicki, wie sie sich in krankhafter Pose im Gleisbett rekelt und darauf wartet, bis ein herannahender Zug ihre Krokodilshaut wieder etwas glatt bügelt. Ehrlich, 80% der Leute, welche sich am meisten aufregen, sobald ein Funken Kritik an ihren „Kunstwerken“ geübt wird, sollten wirklich erst einmal lernen zu fotografieren. Ich finde die Vorstellung, eines Waffenscheins für Kameras ganz gut. Denn ein Kamera-Hersteller kann ja nichts für die Verbrechen, welche mit seinen Kameras begangen werden. Sicherlich ist mein Beitrag mit einem Augenzwinkern zu betrachten, aber ich finde, dass solche April-Meldungen nicht ohne Grund geschrieben werden.

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