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Der Fotograf der Zukunft als Creative Director – Wenn KI die Kamera führt

Der Fotograf der Zukunft wird vom Handwerker zum visuellen Strategen – ein Creative Director, der KI-Systeme orchestriert statt Objektive zu wechseln.

Die Transformation der Fotografie durch künstliche Intelligenz vollzieht sich rasanter als erwartet. Während wir noch über die Grenzen von Diffusionsmodellen diskutieren, zeichnet sich bereits ab: Der Fotograf von morgen wird nicht verschwinden, sondern eine fundamentale Metamorphose durchlaufen. Er wird zum Supervisor komplexer Bildproduktions-Workflows, in denen KI-Systeme die technische Umsetzung übernehmen.

Das Szenario (spätestens ab 2030): KI-assistierte Bildproduktion als Standard

Stellen wir uns vor: Ein Fotograf plant ein Modeshooting für eine internationale Kampagne. Statt Location-Scouting, Equipment-Transport und mehrtägige Produktionen koordiniert er eine hochentwickelte KI-Pipeline. Das System generiert zunächst Dutzende Konzeptvarianten basierend auf Briefing-Parametern, simuliert verschiedene Lichtsituationen und Locations virtuell und produziert photorealistische Bilder, die von traditioneller Fotografie nicht mehr zu unterscheiden sind.

Der menschliche Creative Director definiert dabei die ästhetische Vision, als den Rahmen. Er wählt aus KI-generierten Optionen aus, verfeinert Details durch Natural Language Processing und überwacht die finale Bildkomposition. Die Technologie übernimmt Belichtungsberechnungen, Farbkorrekturen, Retusche-Workflows und sogar komplexe Compositing-Aufgaben teil- oder vollautomatisiert.

Diese Entwicklung ist keine Dystopie, sondern bereits in Ansätzen erkennbar. Adobe integriert KI-Features in Photoshop und Lightroom, die manuelle Arbeitsschritte obsolet machen. Midjourney, ChatGPT und Flux produzieren Bilder, die professionelle Standards erreichen. Der nächste logische Schritt führt zur vollständigen Integration dieser Technologien in praxistaugliche Workflows.

Neue Kernkompetenzen: Vom Techniker zum visuellen Kommunikator

Der KI-supervisierende neue Fotograf benötigt ein völlig andersartiges Kompetenzprofil. Prompt Engineering und Prompt Development werden zu zentralen Fertigkeiten – die Fähigkeit, komplexe visuelle Konzepte in präzise Anweisungen für KI-Systeme zu übersetzen und im Lauf der Entwicklung an veränderte Bedingungen anzupassen. Diese Disziplin erfordert sowohl technisches Verständnis für die Funktionsweise von Machine Learning-Modellen als auch außergewöhnliche sprachliche Präzision und dabei ein tiefes Verständnis für Bildkommunikation.

Gleichzeitig gewinnt die Rolle als Creative Director massiv an Bedeutung. Der neue Fotograf muss Teams aus menschlichen Mitarbeitern und KI-Systemen führen und komplexe Produktions-Pipelines koordinieren. Konzeptionelle Stärke wird wichtiger als handwerkliches Können. Es geht um die Fähigkeit, überzeugende visuelle Narratives zu entwickeln diese effektiv zu kommunizieren und anschließend die Ergebnisse mit Sachverstand zu kuratieren.

Datenmanagement und Qualitätskontrolle werden ebenfalls zentrale Aufgaben. Der Supervisor muss riesige Mengen KI-generierter Inhalte bewerten, auswählen und optimieren können. Das erfordert ein geschärftes Auge für subtile Qualitätsunterschiede und ein tiefes Verständnis für Zielgruppen-spezifische Bildwirkung.

Traditionelle Wissensbereiche in KI-Hand

Viele klassische fotografische Fertigkeiten werden zunehmend von intelligenten Systemen übernommen. Technische Kamera-Expertise – von Belichtungszeiten über Blenden-Einstellungen bis hin zu ISO-Werten – verliert an Relevanz, wenn KI-Systeme diese Parameter automatisch optimieren oder virtuelle Kameras simulieren.

Auch die Bildbearbeitung mit Werkzeugen wie Photoshop transformiert sich grundlegend. Während heute noch präzise Handhabungs-Kenntnisse erforderlich sind, übernehmen KI-Algorithmen bereits komplexe Retusche-Aufgaben, automatisierte Farbkorrekturen und sogar stilistische Anpassungen. Der menschliche Input beschränkt sich zunehmend auf kreative Entscheidungen und Qualitätskontrolle.

Auch Equipment-Expertise wird weniger wichtig. Wenn Bilder primär digital generiert werden, sind Kenntnisse über Objektiv-Charakteristika, Sensor-Eigenschaften oder Beleuchtungstechnik nur noch für spezielle Anwendungen relevant. Stattdessen müssen Fotografen der Zukunft verstehen, wie verschiedene KI-Modelle arbeiten, welche Stärken und Schwächen sie haben und wie sich verschiedene Tools optimal kombinieren lassen.

Die Kunst der visuellen Kommunikation bleibt menschlich

Trotz aller technologischen Disruption bleiben zentrale Aspekte fotografischer Arbeit unersetzbar menschlich. Die Fähigkeit, emotionale Verbindungen zwischen Bild und Betrachter herzustellen, kulturelle Codes zu verstehen und gesellschaftliche Trends zu antizipieren, kann KI nicht replizieren.

Der Fotograf der Zukunft wird zum Kurator und Geschichtenerzähler, der die unbegrenzten Möglichkeiten der KI in visuelle Kommunikation transformiert. Diese Rolle erfordert eine Kombination aus technischem Verständnis, künstlerischer Vision und strategischem Denken, die weit über traditionelle Fotografie hinausgeht.

Die Branche steht vor einem Paradigmenwechsel, der vergleichbar ist mit dem Übergang vom Malen zur Fotografie. Wer diese Transformation aktiv mitgestaltet und die neuen Tools beherrscht, wird auch künftig erfolgreich sein. Der Supervisor der Bildproduktion ist nicht das Ende der Fotografie, sondern eine weitere, wenn auch gravierende, neue Evolutionsstufe.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

6 Kommentare

  1. So schlüssig ihr Kommentar ist so wirft er bei mir doch Fragen auf. Wer produziert in Zukunft das Material um die KI zu trainieren? Geht diese Entwicklung einher mit einer Visuellen Stagnationen? Wird es den Beruf des Trainingsmaterial Hersteller geben? Bedeutet diese Entwicklung eine Einkommens Umverteilung von den Kreativen hin zu den Tech Firmen und das auf mehreren Ebenen. Passiert hier gerade einer der größten Raubzüge der Geschichte? Ich bin bei weitem kein Feind der sogenannten KI gerade deshalb würde ich mir einen breiten Gesellschaftlichen Diskurs wünschen der über masslose Bewunderung oder einer kompromisslosen Ablehnung hinausgeht. Zur Zeit läuft es leider auf eine Konzentration bei einigen wenigen hinaus und das führt mit ziemlicher Sicherheit zu einer Katastrophe.

    1. Die Weiterentwicklung der KI-Systeme benötigt Trainingsmaterial – mittlerweile mehr, als Fotografen und bildende Künstler überhaupt produzieren könnten. Gleichzeitig gefährdet sie deren Geschäftsmodell, während der Beitrag der zum Training verwendeten Bilder nur selten honoriert wird. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ein Training mit KI-generierten Bildern führt dagegen zu einer Konvergenz zu einem recht einförmigen Bildstil und im schlechtesten Fall zu seltsamen Artefakten bis hin zur völligen Auflösung der generierten Bilder.

    2. Sehr spannende Fragen! Ich will versuchen sie zu beantworten:

      Der Trainingsmaterial-Produzent
      Große Stockagenturen wie Shutterstock, Adobe Stock und Wirestock positionieren sich im Grunde bereits als zentrale Knotenpunkte für lizenziertes Trainingsmaterial. Sie zahlen für Inhalte, die speziell für KI-Training optimiert sind – allerdings zu deutlich niedrigeren Vergütungen als bei traditionellen Lizenzierungen. Parallel entwickelt sich der „Training Data Creator“ als eigenständiger Beruf. Diese Spezialisten produzieren gezielt visuelle Inhalte nach den Anforderungen von Machine-Learning-Systemen: hochauflösend, klar kategorisiert, rechtlich unbedenklich und stilistisch vielfältig. Plattformen wie Wirestock werben bereits mit „ethischen KI-Initiativen“ und strukturierten Kompensationsmodellen für ihre Beiträger.

      Visuelle Stagnation als systemisches Risiko
      Die Konzentration auf bereits existierende Bildwelten birgt eine unterschätzte Gefahr: visuelle Stagnation. Wenn KI-Systeme primär auf bestehende Fotografien und Illustrationen trainiert werden, droht eine Art „kreative Inzucht“. Die Algorithmen lernen, was bereits da ist, statt neue visuelle Sprachen zu entwickeln. Allerdings sollte man auch bedenken, dass sich die vorhandenen Trainingsdaten durch bessere Verschlagwortung möglicherweise optimieren ließen
      und/oder dass in Zukunft bessere Machine-Learning Verfahren viel mehr aus den vielen Billionen an vorhandenen Bilder herauslesen könnten.

      Die größte Umverteilung der Kreativgeschichte
      Diese Umverteilung erfolgt auf mehreren Ebenen: Erstens verlieren Kreative direktes Einkommen durch wegfallende Aufträge. Zweitens erhalten sie keine Kompensation für die Nutzung ihrer Werke in KI-Trainingsdatensätzen. Drittens sinken die Preise für visuelle Dienstleistungen durch das Überangebot KI-generierter Inhalte.
      Die rechtliche Landschaft bewegt sich allerdings. Ein Bundesgericht in Delaware entschied kürzlich gegen einen KI-Entwickler, der urheberrechtlich geschützte Werke ohne Genehmigung für das Training verwendete. Dies war das erste größere Urteil dieser Art und könnte Präzedenzcharakter haben. Über 25 Copyright-Klagen gegen KI-Unternehmen sind derzeit vor US-Gerichten anhängig, mit weiteren Verfahren weltweit. Es besteht also – noch – Hoffnung.

  2. Fotografen arbeiten nur zu einem kleinen Teil für die Werbung bzw. als Stockfotograf. Diese beiden Bereiche werden sich vermutlich so verändern, wie beschrieben. Warum? Weil Werbung grundsätzlich eine Fantasiewelt ist. Selbst die Produkte werden geschönt und gezielt so visuell aufgearbeitet, dass sie den Werbezweck erfüllen. Es gibt nur einen marginalen Realitätsbezug. Alles ist möglich, wenn es gefällt.
    Was aber in den journalistischen Bereich fällt oder z.B. Events, Portraits und Businessfotografie betrifft, ist davon in dieser Art nicht betroffen. Also dort, wo tatsächliche Welten mit tatsächlichen Menschen gezeigt werden sollen, nützt mir generative KI gar nicht. Dafür muss ich mein fotografisches Handwerk nach wie vor beherrschen. Ja, vielleicht sogar noch mehr als früher, denn ich konkurriere mit den makellosen KI-Bildern. KI kommt erst im Nachhinein ins Spiel und insbesondere bei der Retusche, der Entrauschung und der Vergrößerung. Schon heute interessieren mich hohe ISO-Zahlen gar nicht mehr. Mit DxO werden sie komplett weggerechnet.
    Fazit für mich: Lernen, flexibel bleiben, neue Tools beherrschen – und mein fotografisches Können konsequent weiterentwickeln und umsetzen.

    1. Nur so eine Idee zum Thema Portraits und Businessfotografie: Natürlich wollen sich die meisten möglichst erkennbar darin sehen, aber gerne auch etwas „larger than life“. Mit Eitelkeit und Selbstdarstellungswünschen kommt dann doch wieder die KI-Welt zum tragen – zumindest bei einem Teil der Klientel 🙂 Ein paar Kilo schlanker, etwas besser angezogen, im würdigen Kontext, ohne dass man etwas Neues kaufen oder gar das Haus verlassen muss…
      voll real :-)

    2. Also gerade im Bereich der Businessfotografie könnte ich mir große Veränderungen vorstellen. 10 Bilder mit dem Handy vom Führungspersonal gemacht den Rest erledigt die KI. Anders ist es bei der Events. Ich kann mich noch erinnern als 20 jähriger Fotograf wollte ich sicher kein Event oder Schulfotograf werden. Heute weise ich bei Gesprächen darauf hin dass das ein Bereich ist der relativ wenig von der KI berührt wird. Ein Kollege von mir verdient damit noch immer ganz gut. Trotz des immer am Ball bleiben und den vielen Stunden Weiterbildung sehe ich so wie im Artikel beschrieben ein Ende des Berufsfotografen wie wir im heute noch kennen. Nicht nur die Technik sondern auch die Art wie heute Bilder konsumiert werden hat sich grundlegend geändert.

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