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Warum die KI-Kompetenz der Generation Z ein Trugschluss ist und was die Kreativwirtschaft jetzt tun muss

Man hegt ja den Verdacht, die Generation Z habe längst einen geheimen Pakt mit den Maschinen geschlossen. Ihre Daumen huschen mit einer traumwandlerischen Sicherheit über gläserne Oberflächen, die an Hexerei grenzt. Doch der Glaube, diese digitale Gewandtheit übersetze sich nahtlos in professionelle Meisterschaft im Umgang mit künstlicher Intelligenz, erweist sich bei näherer Betrachtung als gefährlicher Trugschluss. In der Kreativwirtschaft klafft eine Kompetenzlücke, die so tief ist wie der Graben zwischen dem flüchtigen Instagram-Filter und einer meisterhaft ausgeleuchteten Fotografie. Wir stehen an einer Schwelle, die darüber entscheidet, wer die Werkzeuge der Zukunft nur bedient und wer sie wirklich beherrscht.

Der Mythos vom allwissenden Digitalgeborenen

Es ist eine bequeme Legende, die wir schon aus dem Umgang mit sozialen Medien kennen: Wer mit dem Smartphone aufwächst, jongliert mit KI-Modellen wie ein Zirkusartist mit brennenden Fackeln. Die Realität ist ernüchternder. Aktuelle Erhebungen zeichnen ein klares Bild: Ein beträchtlicher Teil der jungen Arbeitnehmer setzt generative KI im beruflichen Alltag gar nicht oder nur oberflächlich ein. Die eigentliche Kluft tut sich nicht zwischen analog und digital auf, sondern zwischen spielerischer Anwendung und strategischer Tiefe. Die Fähigkeit, einen viralen Clip zu produzieren, bedeutet eben nicht, einen KI-gestützten Arbeitsablauf für ein komplexes Kundenprojekt konzipieren zu können. Diese Diskrepanz zwischen digitaler Affinität und anwendungsbereiter Professionalität ist die zentrale, oft übersehene Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit kreativer Berufe.

Vom Prompt zur Problemlösung: Was wirklich zählt

Die eigentliche Kunst liegt nicht darin, einer KI ein paar schillernde Bildideen zu entlocken. Wer in der Kreativwirtschaft bestehen will, muss KI als strategisches Instrument begreifen, das Prozesse optimiert, die Recherche beschleunigt und vor allem neue, ungeahnte Lösungswege eröffnet. Das erfordert ein solides Fundament: ein tiefes Verständnis für die Funktionsweise, die Möglichkeiten und vor allem die Grenzen dieser Systeme. Es geht darum, den Mehrwert nachzuweisen, indem man dokumentiert, wie durch den gezielten Einsatz von KI Zeit gespart, die Qualität verbessert oder eine Idee überhaupt erst realisierbar wird. Wer KI nur als digitalen Zauberstab betrachtet, wird schnell feststellen, dass Magie allein noch keine Rechnungen bezahlt. Die Fähigkeit, die Ergebnisse kritisch zu bewerten und zu verfeinern, bleibt eine zutiefst menschliche Domäne.

Mentoring statt Misstrauen: Die Renaissance der Erfahrung

Die Reaktion der Führungsetagen auf diese Erkenntnis ist bemerkenswert und auf den ersten Blick paradox. So überrascht es kaum, dass laut Umfragen eine überwältigende Mehrheit der Führungskräfte die Rückkehr ins Büro forciert, um das Lernen von erfahrenen Kollegen zu fördern. Dies ist kein Rückschritt in eine analoge Vergangenheit, sondern die Chance für eine neue, fruchtbare Symbiose. Die erfahrenen Profis, deren Wissen nicht in Datenbanken zu finden ist, werden zu unverzichtbaren Mentoren. Ihre Aufgabe ist es, den Kontext zu vermitteln, in dem KI-Werkzeuge sinnvoll eingesetzt werden. Sie verbinden die technologische Neugier der Jungen mit der strategischen Weitsicht und dem Branchenwissen, das sich über Jahre angesammelt hat. Dieser „X-Change“ – der Austausch zwischen den Generationen – ist der Schlüssel, um das volle Potenzial der neuen Technologien zu erschließen, anstatt nur an ihrer Oberfläche zu kratzen.

Eine gemeinsame Aufgabe mit offenem Ausgang

Die KI-Kompetenzlücke ist keine unüberwindbare Hürde, sondern eine Aufforderung zum Handeln – für alle Generationen. Während die jungen Talente ihre digitalen Fähigkeiten professionalisieren und über die reine Bedienung hinauswachsen müssen, sind die erfahrenen Kräfte gefordert, als Brückenbauer und kritische Mentoren zu agieren. Unternehmen, die diesen wechselseitigen Lernprozess fördern, investieren direkt in ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit. Sie belohnen nicht nur die Aneignung neuer Fertigkeiten, sondern vor allem die Fähigkeit, diese mit bewährtem Wissen zu einer schlagkräftigen Einheit zu verbinden.

Letztlich geht es um die Frage, ob wir die Kontrolle behalten oder sie an den Algorithmus abgeben. Die Geschichte der Technologie-Revolutionen lehrt uns, dass die größte Gefahr nie von der neuen Technik ausging, sondern vom Stillstand jener, die sich weigerten, sie zu verstehen und für ihre Zwecke zu formen. Die Zukunft gehört nicht den besten Programmierern oder den schnellsten „Promptern“, sondern jenen, die es schaffen, menschliche Intuition und maschinelle Intelligenz auf die überzeugendste Weise zu vereinen.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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