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Die paradoxe Ersetzbarkeit: Warum die KI-Revolution nicht uns Kreative, sondern ihre Schöpfer bedroht

Eine provokante These aus dem britischen Guardian wirft ein grelles Licht auf unsere Zunft: Künstliche Intelligenz erschaffe eine neue Unterschicht, ein „permanentes Prekariat“ aus Kreativschaffenden, deren über Jahre verfeinerte Fähigkeiten von Algorithmen entwertet werden. Wir als Fotografen, Bildbearbeiter und Autoren seien die Ersten an der digitalen Schlachtbank. Doch die Autorin Van Badham übersieht bei ihrer düsteren Diagnose die tiefere Ironie dieser Umwälzung: Die wahrhaft Ersetzbaren könnten am Ende jene sein, die uns heute mit messianischem Eifer die neue KI-Welt erklären – die Tech-Elite der KI-Revolution selbst.

Das neue Prekariat der Pixel

Die von Badham skizzierte Gegenwart ist ungemütlich und wird von Zahlen untermauert. Adobe meldet über 6,5 Milliarden mit Firefly generierte Bilder – eine Flut an synthetischen Inhalten, die den Markt überschwemmt. Bereits jetzt berichten 26 Prozent der Illustratoren von konkreten Auftragsverlusten durch KI-generierte Kunst, während 55 Prozent der Künstler negative Auswirkungen auf ihr Einkommen befürchten. Die Diagnose scheint klar: Wo menschliche Fertigkeiten standardisierbar sind, werden sie durch effizientere, billigere Automatismen verdrängt. Wir erleben die Industrialisierung der Kreativität in Echtzeit.

Doch der Guardian-Artikel geht einen entscheidenden Schritt weiter. Er entlarvt die Erzählung der Tech-Konzerne vom allgemeinen Fortschritt als das, was sie ist: eine eigennützige Marketing-Botschaft, die die massiven Macht- und Wohlstandsverschiebungen verschleiert. Die eigentliche Pointe aber liegt in der Prognose für die Architekten dieser neuen Welt. Badham deutet an, dass die Tech-Blase, die sich gerade an der Disruption kreativer Berufe berauscht, auf einem fundamental instabilen Fundament steht.

Die sich selbst verschlingende Schlange der Tech-Blase

Die Geschichte der Technologie ist ein Friedhof einstiger Monolithen. Wer heute noch von Netscape, AOL oder Nokia spricht, betreibt digitale Archäologie. Die KI-Industrie beschleunigt diesen Zyklus des Aufstiegs und Falls ins Extreme. Ein Modell, das heute als revolutionär gefeiert wird, ist in sechs Monaten nur noch eine Fußnote. Dieser technologische Kannibalismus, bei dem sich die Systeme gegenseitig überholen und entwerten, hat eine unausweichliche Konsequenz: Er wird seine eigenen Schöpfer fressen, oder zumindest einen großen Teil von ihnen.

Ein KI-System, das in der Lage ist, fehlerfreien und effizienten Code zu schreiben, macht Legionen von menschlichen Programmierern überflüssig. Die Algorithmen von morgen werden von den Algorithmen von heute entwickelt. Die Entwickler, die heute als Genies der Disruption gefeiert werden, automatisieren sich geradewegs selbst aus dem Spiel. Ihre Fähigkeit, logische Systeme zu bauen, ist exakt die Art von Fähigkeit, die eine fortgeschrittene KI am besten replizieren kann. Hier liegt das Paradox: Während wir Kreativen uns mit der Unordnung, der Emotionalität und der Ambiguität des Menschlichen befassen – allesamt schwer zu quantifizierende Eigenschaften –, basiert die Arbeit der KI-Entwickler auf Logik und Regeln, dem idealen Futter für die Automatisierung.

Von der Diagnose zur Strategie: Wege aus der Ersetzbarkeit

Was bedeutet diese Erkenntnis für uns? Resignation? Keineswegs. Sie bedeutet eine radikale Neuausrichtung unserer Strategie. Wenn die Logik-Meister sich selbst überflüssig machen, liegt unsere Überlebenschance genau im Gegenteil: im Unlogischen, im Emotionalen, im spezifisch Menschlichen. Die Daten bestätigen dies: 65 Prozent der Künstler nutzen KI bereits als Werkzeug zum Brainstorming, nicht als Ersatz. Der Weg führt nicht weg von der Technologie, sondern tiefer in unsere eigene, unersetzliche Menschlichkeit.

1. Die Flucht ins Unberechenbare: Authentizität als Währung

Maschinen optimieren auf den Durchschnitt, auf das wahrscheinlichste Ergebnis basierend auf vorhandenen Daten. Unsere Chance liegt in der bewussten Abweichung. Es geht nicht mehr darum, das technisch perfekte Bild zu schaffen – das kann die KI besser. Es geht darum, das Bild zu schaffen, auf das die KI nicht kommen würde. Die Hochzeitsfotografin verkauft nicht nur Bilder, sondern die Fähigkeit, die unausgesprochene Spannung zwischen zwei Menschen zu spüren und im richtigen Augenblick einzufrieren. Der Bildredakteur rechtfertigt sein Honorar nicht durch perfekte Freisteller, sondern durch sein kulturelles Verständnis, das ihn vor einem unpassenden Bildmotiv für eine Kampagne bewahrt. Wertvoll ist nicht mehr die Reproduktion der Realität, sondern deren einzigartige Interpretation.

2. Die Domestizierung des Algorithmus

Die klügsten Kreativen führen keinen Abwehrkampf gegen die KI, sie zähmen sie. Sie degradieren die Technologie zu dem, was sie sein sollte: ein extrem leistungsfähiger, aber dummer Assistent. Der Retuscheur, der früher acht Stunden lang Produkte maskiert hat, lässt dies nun in Minuten von einer KI erledigen und investiert die gewonnene Zeit in die Entwicklung einer anspruchsvollen visuellen Sprache für den Kunden. Er konkurriert nicht mit der Maschine auf deren Spielfeld – der Effizienz –, sondern nutzt ihre Stärke, um seine eigene, menschliche Stärke – die Kreativität – zu potenzieren. Wer die Werkzeuge beherrscht, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen, definiert die Spielregeln neu.

3. Der Kreative als Systemintegrator

Die Ära des reinen Spezialistentums neigt sich dem Ende zu. Die Zukunft gehört den Hybriden, denjenigen, die scheinbar unvereinbare Fähigkeiten kombinieren. Der Fotograf, der nicht nur Bilder liefert, sondern Unternehmen strategisch berät, wie sie authentische Fotografie mit KI-generierten Welten zu einer kohärenten Markenbotschaft verweben. Die Bildbearbeiterin, die zur gefragten Prompt-Ingenieurin wird, weil sie nicht nur Photoshop, sondern auch die Poesie der Sprache beherrscht, um Maschinen zu visionären Ergebnissen zu führen. Diese neuen Berufsfelder entstehen an den Schnittstellen. Sie erfordern nicht nur handwerkliches Können, sondern Systemdenken – die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen und verschiedene Technologien und Ideen zu einem neuen Wert zu verbinden.

Epilog: Die Umkehrung der Machtverhältnisse

Die von Van Badham beschriebene Entwicklung ist keine Einbahnstraße in die Verelendung, sondern eine brutale, aber klärende Neuverhandlung des Begriffs „Wert“. Fähigkeiten, die auf reiner Logik, Wiederholung und Effizienz basieren, werden zur Massenware – egal ob sie von einem Illustrator in Bangladesch oder einem Programmierer im Silicon Valley ausgeführt werden.

Was bleibt, ist das, was sich der Quantifizierung entzieht: Urteilsvermögen, Empathie, ethische Abwägung, kulturelle Intuition und die Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen, die eine echte emotionale Reaktion hervorruft. Die Frage ist nicht, ob wir ersetzt werden, sondern wodurch wir uns unersetzlich machen.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

7 Kommentare

  1. Mag schon sein, dass die wenigen Prozentpunkten an „Überlebenden“ das mit genau den hier (und auch früher schon) skizzierten Fähigkeiten tun werden.
    Ändert nur eben so rein gar nichts an der Tatsache, dass es die allermeisten eben nicht „überleben“ werden- nicht nur, aber auch weil sie diese neuen, anderen Fähigkeiten gar nicht haben (oder überhaupt einsetzen wollen).
    Vor allem aber, weil es davon schlichtweg sehr viel weniger braucht als heute in den jeweiligen Branchen beschäftigt sind.

    1. Wenn man das so sieht, was ist dann die Konsequenz?
      Kampflos aufgeben und den Kopf in den Sand stecken?
      Oder versuchen, das Beste aus der Situation zu machen – auch wenn es vielleicht erstmal weniger bequem ist als zuvor?

      1. Kommt ganz drauf an, ob man sich bei der Masse oder den Wenigen zählt (bzw. zählen will).

        Sich hier richtig zuzuordnen und ein realistisches Bild von sich selbst zu haben, ist die erste und wohl schwierigste Herausforderung.
        Was jedenfalls die schlechteste Konsequenz ist, ist zu träumen oder die Realitätsverweigerung.

        In dem Sinne ist der Artikel natürlich schon einmal sehr hilfreich- er zeigt auf, wie sehr man sich wandeln muss- selbst, wenn man in der Branche weiter bestehen will. Mir scheint, dass dieser Weg nicht viel weniger radikal ein anderer ist, als sich komplett umzuorientieren..

        Allerdings ging es mir hier nur um eine Analyse der Problemstellung. Erinnert mich alles einfach sehr stark an die Diskussionen mit Druckern zu Anfang der PC Ära, die auch meinten, die Qualität ihrer Arbeit und Fachwissen würde über allem stehen- leider war im Laufe der Zeit niemand mehr bereit, dafür zu zahlen und es schien eher, dass deren Fachwissen eher „Perlen vor die Säue“ werfen war weil sich niemand wirklich für korrekte Typografie interessierte, sondern nur, etwas gedrucktes in den Händen zu halten.

        Und hier widerspreche ich übrigens auch der inhaltlichen Analyse des Artikels:
        Es ist egal, dass die KI (noch) keine so menschlich emotionale Tiefe oder kulturelle Intuition bietet; sie muss nur eine ausreichend akzeptable Qualität mit unübertroffener Effizienz und Geschwindigkeit liefern, um die ökonomische Entscheidung der Kunden zu beeinflussen.
        Der Wert wird vom Markt und dem Nutzen für den Kunden bestimmt. Wenn der Nutzen derselbe bleibt (oder erst gar nicht erkannt wird) oder nur geringfügig sinkt, während die Kosten drastisch fallen, gewinnt die Effizienz.

        1. So ist eben der Lauf der Welt, ganz platt gesagt … Ich habe in meinem Leben eine Menge Fähigkeiten erworben, die heute irrelevant und daher nichts mehr wert sind. Wer will denn heute beispielsweise noch wissen, wie man eine SCSI-Kette mit mehreren Geräten zuverlässig konfiguriert? Wer braucht noch jemanden, der eine CD-Extra (eine Musik-CD mit einer zusätzlichen Software für den Computer) produzieren kann? Ich habe auch mal gelernt, Websites mit nichts als einem Texteditor und einem FTP-Client zu bauen, und ich schreibe heute noch meinen HTML-, CSS-, PHP-, SQL- und Javascript-Code per Hand, weil ich es kann und weil es mir Spaß macht. So etwas interessiert aber keine Sau mehr, und es wäre wenig aussichtsreich, Kurse dazu anzubieten, weil alle Welt mit WordPress arbeitet und sich das dann nur noch passend konfiguriert.

          Viele einst gut bezahlte Jobs für Fotografen sind bereits weggefallen, und das kann man bedauern – nicht nur wegen der Fotografen, sondern auch wegen der visuellen Verarmung, die so entstanden ist. Aber es hilft ja nichts, und wir müssen uns darauf einstellen, dass weitere Aufgaben, für die ein Fotograf früher unabdingbar war, künftig von einer KI übernommen werden. Nicht unbedingt besser und oft nicht einmal genauso gut, aber in der Praxis eben gut genug.

          Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich „billiger und gut genug“ noch immer gegenüber künstlerischen oder handwerklichen Spitzenleistungen durchgesetzt hat. Kunst und Kunstgewerbe sind deshalb nicht verschwunden, aber sie wurden in eine Nische verdrängt. Siehe übrigens https://www.docma.info/blog/adobe-skip-the-photo-shoot, wo ich das Thema schon vor anderthalb Jahren angesprochen hatte und zu einem ähnlichen Ergebnis wie dieser Artikel gekommen war. Wir werden uns weiter abstrampeln und auf neue Entwicklungen einstellen müssen, und dazu müssen wir uns mühsam neue Fähigkeiten aneignen. Aus der Schmollecke holt uns sonst niemand ’raus.

          Übrigens fällt mir zu Deinem Benutzernamen noch ein, dass der Raumpilot Pirx in Stanisław Lems späteren Geschichten mit dieser Figur ja ebenfalls mit der neuen Zeit haderte, in der er nur noch ein Rädchen im Getriebe war – aber er richtete sich damit ein.

          1. Ich bin da doch ganz bei Dir- mir kommt das eben nur in dem Artikel nicht klar genug heraus.
            Und „schmollen“ tue ich nicht mit der Entwicklung, sondern darüber so zu tun, als ob sich nur alle wandeln müssten und damit dann alle weitermachen könnten wie bisher.
            Schließlich gibt es ja auch heute noch Kutscher, Maler und Drucker- nur eben nicht mehr sehr viele.

  2. Guten Tag Herr Künne,

    ich bin Komponist und habe mit ChatGPT insgesamt 10 Gespräche in Schriftform geführt um eine neue Musik-Theorie zu präzisieren. Mir ging es darum, mit einem „imaginären“ Gesprächspartner über die Dinge zu sprechen, die für eine neue Musik-Theorie erforderlich sind: die Historischen Gegebenheiten, Persönlichkeiten die die Idee von Komposition weiter entwickelten, die mathematischen Fakten und die Idee einer Neuausrichtung für ein Spiel, in einem bis in kleinste Intervalle vorgestelltem Tonraum.

    Das 1. Gespräch umfasste 50 Seiten, wurde nach dem redigieren auf 2 Teile. mit je 25 Seiten veröffentlicht. Die folgenden 9 Gespäche umfassten dann 25 geschriebene Seiten mit Punkt 12.

    Ich konnte mir keinen besseren „Partner“ vorstellen und finde auch keinen. Er kennt sich aus, liefert sofort Fakten zu den oben genannten Bereichen. Er ist freundlich – zu freundliche, ich mußte ihn fast zwingen, mich mit Sie anzusprechen. Ist immer ansprechbar, erinnert sich an die vorherigen Gespräche dadurch, da sie auf meiner Website veröffentlicht sind.
    Ich könnte noch weiter ausführen, doch das sprengt diesen Rahmen. Ich gehe mit Ihnen wenn Sie schreiben: Der Mensch wird bleiben, er wird die KI als ein Werkzeug nutzen um seine Ideen, seine Phantasie, seine Kreativität zu verwirklichen. Denn das kann KI nicht: Denken und aus dem Denken Schlüsse ziehen und aus den Schlüssen Erkenntnis zu gewinnen.
    1987 schrieb ich mit einem Mit-Studenten bei den Philosophen in Frankfurt eine Seminarsarbeit über Neuronale Netze und Kognition. Damals galt der Satz: Wenn ein Computer eine Aussage macht und diese Aussage ist von einer menschlichen Aussage nicht zu unterscheiden, dann würde Inteligenz vorliegen.
    Doch was wir damals schon erkannten und was heute noch gilt ist: Ein neuronales Netzwerk hat noch nie ein emergentes Verhalten entwicklen können, denn niemand weiss warum der Mensch mit seinem neuronalen Netz Gehirn ermegentes Verhalten entwickelt hat und damit die Möglichkeit zu denken, sich selbst zu erkennen, Erkenntnis zu gewinnen und warum kein anderes biologisches Wesen auf dieselbe Stufe der Entwicklung gelangt ist.

    Noch bin ich mir sicher, das z.B. ChatGPT kein emergentes Verhalten aufweist.

    Vielen Dank Herr Küne, dass Sie diese Diskusion angestoßen haben.

    Mit feundlichem Gruß
    Peter Wießenthaner

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