Terry Richardsons Rückkehr: Modefotografie zwischen Amnesie und Alibi-Ethik

Die Nachricht schlug in der Modewelt ein wie einer seiner berüchtigten Blitze: Terry Richardson, der ebenso stilprägende wie skandalumwitterte Modefotograf, ist zurück auf den Titelseiten. Nach Jahren der Verbannung infolge massiver Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens, die im Zuge der #MeToo-Bewegung an die Oberfläche gespült wurden, signalisiert seine erneute Präsenz eine Zäsur – oder vielleicht doch nur die ernüchternde Erkenntnis, dass die vielbeschworenen ethischen Revolutionen in der Kreativbranche bisweilen mehr Fassade als Fundament sind. Was sagt es über die Mechanismen des Marktes aus, wenn ein derart kontroverser Akteur wieder salonfähig wird?
Der unverkennbare Richardson-Stil: Ein kurzer fotografischer Rückblick
Man muss Terry Richardsons Bildsprache nicht mögen, aber ihre Wirkung lässt sich kaum leugnen. Hartes, direktes Blitzlicht, das Models und Objekte gleichermaßen scharf konturiert und einen prägnanten, oft eng anliegenden Schlagschatten wirft – das war und ist sein Markenzeichen. Technisch oft realisiert durch ein entfesseltes Speedlite, nah am Objektiv positioniert, verleiht diese Methode seinen Aufnahmen eine rohe, unmittelbare Ästhetik, die eine ganze Generation von Fotografen beeinflusste. Seine Fähigkeit, eine spezielle, oft als grenzwertig beschriebene Verbindung zu seinen Modellen aufzubauen, ermöglichte ihm Bilder von scheinbarer Spontaneität, die nicht selten explizit mit sexuellen Anspielungen spielten. Diese oft als „Porno Chic“ oder „Hipster-Quasi-Pornografie“ bezeichnete Ästhetik definierte über Jahre einen signifikanten Teil der Modefotografie.
Der Schatten der Vergangenheit: Die konkreten Vorwürfe
Erste Berichte über sein unangemessenes Verhalten und Übergriffe kursierten bereits seit 2001. Die Vorwürfe, die ihm von zahlreichen Models gemacht wurden, sind gravierend und zeichnen ein beunruhigendes Bild seiner Arbeitsmethoden. Im Kern ging es immer wieder um sexuelle Nötigung und Machtmissbrauch. Das dänische Model Rie Rasmussen war eine der ersten, die 2010 öffentlich Anklage erhob. Sie warf Richardson vor, junge, unerfahrene Models zu manipulieren, bis diese sich auszogen und er Fotos von ihnen machte, für die sie sich später schämten. Die Mädchen, so Rasmussen laut der Bild-Zeitung, hätten oft Angst gehabt, Nein zu sagen, da sie von ihren Agenturen für die Jobs gebucht worden waren.
Andere Models berichteten, ebenfalls oft anonym aus Angst vor beruflichen Nachteilen, von ähnlichen Erfahrungen. Ein junges Model schilderte dem New York Magazine, wie Richardson sie zum Oralsex überredet und diese Handlungen dann fotografiert habe. Charlotte Waters, die als 19-jährige Kunststudentin für Richardson modelte, berichtete Jahre später, der Fotograf habe ihren nackten Hintern abgeleckt und sexuelle Handlungen vor ihr vollzogen.
Ein besonders aufsehenerregender Vorfall war die Veröffentlichung eines Screenshots einer angeblichen Facebook-Nachricht von Terry Richardson an das Model Emma Appleton im Jahr 2014. Darin soll gestanden haben: „Wenn ich dich ficken kann, buche ich dich in New York für ein Shooting der Vogue“. Richardson bestritt die Echtheit dieser Nachricht. Es wurde auch berichtet, dass er am Set oft selbst nackt gewesen sei, angeblich um die Stimmung aufzulockern, und dass er nach der Arbeit Sex mit Models gehabt habe – was er stets als einvernehmlich darstellte.
Richardson selbst wies die Vorwürfe wiederholt zurück, bezeichnete sie als „emotional aufgeladene Hexenjagd“ und betonte, Sexualität sei schon immer Teil seiner Arbeit gewesen und er habe die Menschen, die er fotografierte, stets respektvoll behandelt..
Trotz seiner Dementis und der Tatsache, dass er nie gerichtlich angeklagt wurde, führte die Wucht und die Vielzahl der Anschuldigungen, insbesondere nach einem Bericht der Sunday Times 2017, der ihn als den „Harvey Weinstein der Modebranche“ bezeichnete, zu seinem vorläufigen Ausschluss aus den großen Publikationen und von namhaften Marken.
Das Comeback: Arena Homme+ als Türöffner?
Nachdem große Verlagshäuser wie Condé Nast ihn 2017 auf die schwarze Liste gesetzt hatten, schien Richardsons Karriere (160.000 Dollar Tagesgage) beendet. Doch Anfang 2025 tauchten seine Arbeiten wieder auf: Das britische Magazin Arena Homme+ widmete ihm eine Fotostrecke, zwei Bilder davon sogar als Cover. Die Bilder tragen unverkennbar seine Handschrift und scheuen auch vor provokanten Motiven nicht zurück – darunter ein Pappaufsteller von Donald Trumps Gesicht und eine Toilettenkabine mit dem Graffiti „Punkrock ruined my life“.
Ashley Heath, Chefredakteur von Arena Homme+, deklarierte die Veröffentlichung als persönliche Hommage an den verstorbenen Regisseur David Lynch und explizit nicht als Versuch, Terry Richardsons Ruf als Modefotograf wiederherzustellen. Eine Unterscheidung, die wie eine fadenscheinige Rechtfertigung klingt. Es gibt zudem Berichte, dass Richardson auch von anderen großen Modemagazinen wieder Aufträge erhalten haben soll, was auf eine breitere, wenn auch vielleicht leisere Akzeptanz hindeutet. Die Reaktionen aus der Model- und Modebranche fielen erwartungsgemäß gespalten aus, wobei viele kritisierten, dass Richardson eine Plattform geboten wird, ohne dass er sich öffentlich zu den detaillierten Vorwürfen positioniert oder gar glaubhaft Reue gezeigt hätte.
Die Industrie auf dem Prüfstand: Echte Reform oder ethische Fassade?
Die #MeToo-Bewegung hat zweifellos zu einer erhöhten Sensibilität und zu sichtbaren Veränderungen in der Fotobranche geführt. Es gab eine Welle von Bekundungen für mehr Respekt, Sicherheit und ethisches Verhalten am Set. Zahlreiche Organisationen und Unternehmen implementierten strengere Richtlinien, Verhaltenskodizes und boten Schulungen an, um sexuelle Belästigung zu verhindern und Gleichberechtigung zu fördern. Man sprach von einer neuen Ära des Konsenses und des Respekts, in der die Würde der Subjekte gewahrt und explizite Zustimmung eingeholt werden müsse.
Doch wie tiefgreifend sind diese Veränderungen wirklich, wenn ein derart umstrittener Akteur scheinbar wieder Anschluss findet? Richardsons Rückkehr wirft ein grelles Schlaglicht auf die Diskrepanz zwischen proklamierten Werten und gelebter Praxis. Sind die neuen Richtlinien und die oft gehörte „Null-Toleranz“-Rhetorik mehr als nur Lippenbekenntnisse, die der Beruhigung des öffentlichen Gewissens dienen, während hinter den Kulissen die alten Mechanismen weitergreifen? Die Tatsache, dass einflussreiche Publikationen bereit sind, das Risiko einzugehen und mit Richardson zu arbeiten, könnte darauf hindeuten, dass kommerzieller Erfolg, Provokation oder vermeintliche künstlerische Genialität letztlich doch schwerer wiegen als ethische Bedenken. Es nährt den Verdacht, dass die vielzitierten ethischen Standards in der Realität oft flexibel gehandhabt werden, besonders wenn es um etablierte Namen geht, deren Netzwerk und Einfluss weiterhin wirksam sind. Die Frage, die sich Bildprofis stellen müssen, ist, ob die Branche tatsächlich eine Kultur der Verantwortlichkeit entwickelt hat oder ob es sich eher um eine oberflächliche Anpassung an den Zeitgeist handelt.
Richardsons Erbe und die unbequeme Wahrheit
Unbestritten ist Richardsons Einfluss auf die Ästhetik der Modefotografie. Sein Stil hat Spuren hinterlassen. Doch sein Comeback ist mehr als nur die Rückkehr eines Fotografen – es ist ein Testfall für die Glaubwürdigkeit einer ganzen Branche. Für Fotografen und Bildbearbeiter, die sich intensiv mit den ethischen Dimensionen ihrer Arbeit auseinandersetzen, bietet dieser Fall Anlass zur Reflexion über die eigenen Maßstäbe und die kollektive Verantwortung. Die Hoffnung bleibt, dass die Diskussionen, die Richardsons Rückkehr auslöst, nicht im Sande verlaufen, sondern zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme führen – jenseits von Sonntagsreden und hypermoralischen Bekundungen, die an der komplexen Realität des Marktes oft zerschellen.