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Die Sony a7 V: Warum eine 3.000-Euro-Kamera immer noch keine 300-Euro-Smartphone-Features bietet

Es gibt im Leben eines Fotografen wiederkehrende Rituale. Eines davon ist die Präsentation einer neuen Kamerageneration, die mit einer fast schon zeremoniellen Vorhersehbarkeit abläuft. Man studiert Datenblätter, nickt anerkennend bei den gesteigerten Empfindlichkeiten, staunt über die abermals erhöhte Serienbildgeschwindigkeit und nimmt den obligatorischen Preisanstieg als gottgegebene Konstante hin. Die neue Sony a7 V ist ein Paradebeispiel für dieses Ritual. Sie kommt, sie ist teuer, aber sie wirft auch eine Frage auf, die in der Branche niemand laut zu stellen wagt: Ist das alles, was Euch noch einfällt?

Die Arithmetik des Fortschritts

Lassen wir zunächst die Zahlen sprechen, denn sie sind nüchtern und auf dem Papier durchaus beeindruckend. Die a7 V soll dank eines teilgestapelten Sensors nun 30 Bilder 33 Megapixel Raws pro Sekunde verlustfrei komprimiert auf die Karte schreiben. Hinsichtlich der Schreibgeschwindigkeit eine Verdopplung gegenüber der a7 IV. Ein technischer Triumph! Aber nur für eine winzige Nische von Sport- und Tierfotografen relevant. Für den Rest der Zunft aber vor allem eines bedeutet: die Option auf eine exponentiell wachsende Flut an Daten, die gesichtet, sortiert und archiviert werden will. Es ist die Lösung für ein Problem, das die meisten von uns nicht haben.

Noch verlockender klingt das Versprechen einer zusätzlichen Blendenstufe an Dynamikumfang. Ein Wert, der, sollte er sich in der Praxis bewahrheiten, tatsächlich einen spürbaren Vorteil böte. Doch die Erfahrung mahnt zur Skepsis: Schon die a7 IV wurde mit 15 Blenden beworben, von denen in unabhängigen Messungen selten mehr als 11,5 übrigblieben. Der versprochene Fortschritt droht einmal mehr im Rauschen der Messtoleranzen und Marketing-Superlative unterzugehen. Der neue KI-Prozessor für eine nochmals verfeinerte Motiverkennung? Es ist die Perfektionierung des Bekannten, nicht der Aufbruch zu neuen Ufern.

Die konzeptionelle Leerstelle

Die eigentliche Enttäuschung liegt nicht in dem, was die a7 V kann, sondern in dem, was sie konsequent ignoriert. Während Sony die Stellschrauben der klassischen Fotografie mit bewundernswerter Akribie nachzieht, hat sich das Epizentrum der fotografischen Innovation längst verlagert: in unsere Hosentaschen. Smartphones definieren seit Jahren neu, was eine Kamera leisten kann, indem sie den Fokus von der reinen Optik auf die computergestützte Bildentstehung verlagern.

Dort sind Funktionen wie ein „Live Mode“ eine Selbstverständlichkeit. Dabei werden aus der Hand geschossene Bildfolgen in Sekunden zu hochauflösenden Raw-Panoramen verrechnet, für die eine Systemkamera ein Stativ, Geduld und einen potenten Rechner zur Nachbearbeitung verlangt. Die vielleicht größte Leistung der Smartphone-Fotografie liegt jedoch in der radikalen Software-Korrektur der Objektive. Winzige Linsen mit enormen optischen Kompromissen mutieren durch intelligente Algorithmen zu leistungsfähigen Abbildungsinstrumenten, die physikalisch unmöglich schienen.

Warum also gibt es keine kleinen, leichten und maximal lichtstarken Festbrennweiten für das E-Bajonett, deren unvermeidliche Abbildungsfehler nicht als Makel, sondern als Variable betrachtet werden, die die Kamera-Software in Echtzeit eliminiert? Die Technologie dafür ist vorhanden. Der Wille, sie zu implementieren, fehlt offenbar.

Die Psychologie des Stillstands

Diese hartnäckige Verweigerungshaltung gegenüber den Paradigmen der computergestützten Fotografie hat tiefe Wurzeln. Sie speist sich aus dem Selbstverständnis einer Industrie, die ihren Ruf in letzten Jahrhundert auf dem Fundament optischer und mechanischer Perfektion errichtet hat. Das Ethos der „reinen“ Fotografie, bei der das Bild im Moment der Aufnahme entsteht und nicht im Prozessor, wirkt wie ein Dogma. Jede Form von tiefgreifender Software-Intervention scheint als Verrat an diesem Erbe, als Eingeständnis, dass die teure Optik allein nicht mehr genügt.

Hinzu kommt eine ökonomische Berührungsangst. Würde man Kameras befähigen, die Schwächen einfacherer Objektive brillant auszugleichen, könnte man damit das eigene Geschäft mit hochpreisigen G-Master-Optiken kannibalisieren. So verharrt die Branche in einem Dilemma: Sie schützt ihr traditionelles Geschäftsmodell und riskiert dabei, den Anschluss an die Erwartungshaltung einer ganzen Generation von Bildgestaltern zu verlieren, für die das Ergebnis zählt, nicht der puristische Weg dorthin.

Fazit

Die Sony a7 V ist ohne Zweifel ein Meisterwerk der inkrementellen Optimierung. Sie ist schneller, präziser und in ihren Kerndisziplinen leistungsfähiger als ihr Vorgänger. Doch sie fühlt sich an wie ein perfekt restaurierter Oldtimer auf einer Autobahn, auf der längst teilautomatisierte Elektrofahrzeuge die Regeln bestimmen. Der verlangte Aufpreis von rund 400 Euro gegenüber dem Vorgängermodell kauft uns mehr Geschwindigkeit und ein vages Versprechen von mehr Dynamik, aber keine einzige neue Idee.

Am Ende bleibt die Frage, was die großen Kamerahersteller eigentlich bauen wollen: eine uneinnehmbare Festung zur Verteidigung ihrer glorreichen Vergangenheit oder ein offenes Labor für die Zukunft der Fotografie? Die a7 V, so brillant sie in ihrem engen Korsett auch sein mag, liefert eine ebenso klare wie ernüchternde Antwort.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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