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Darf man Bilder machen?

Die Frage bezieht sich nicht auf die Rechtslage der Bildproduktion, obwohl das „Recht am eigenen Bild“ durchaus gewisse theologische Implikationen hat. Hier geht es um eine Ausstellung und den Begleitband dazu; dort werden figürliche Darstellungen in islamischen und christlichen Kulturen analysiert. Ein scheinbar sehr spezielles kunstgeschichtlich-theologisches Thema – und doch mit spannenden Aspekten für alle, die Bilder machen. Doc Baumann stellt Ihnen das Buch vor.

Darf man Bilder machen?
Malerische Darstellung des Schweißtuchs der Veronika mit dem Abdruck des Gesichts Jesu. Foto: Doc Baumann

Man weiß es ja: Im Judentum sind Bilder verboten, im Islam ebenfalls, Christen dagegen haben mit solchen Werken keine Probleme. Ein Großteil der abendländischen Kunstwerke hat religiöse Bezüge, vor der Renaissance gab es wenig anderes.

In gewisser Weise ist diese Bilderfreundlichkeit verwunderlich, denn angesichts der vorgeblich ewigen Gültigkeit der Zehn Gebote ist die Sachlage eigentlich klar. Gleich im zweiten heißt es ja eindeutig:

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott …“ Wirklich verständlich wird diese Forderung aber erst, schaut man sich das vorausgehende erste Gebot an: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Das ergibt ja nur Sinn, wenn es andere Götter gibt – gäbe es sie nicht, wäre die Aufforderung überflüssig.

Und so bezieht sich das zweite Gebot auch nicht auf Bildproduktion überhaupt, sondern auf die Anfertigung von Götterbildern, die angebeten werden könnten. (Die seltsame Bibel-Passage aus dem Buch Exodus, in der die Israeliten bei Moses’ Abwesenheit auf dem Berg Sinai ein „goldenes Kalb“ herstellen und anbeten und dafür schrecklich bestraft werden, wird besser verständlich, wenn man weiß, dass im alten Israel Gott Jahwe – einer von vielen – zunächst in Gestalt von Stier-Figuren verehrt wurde.)

Im Tempel von Jerusalem gab es neben den beiden Cherubim auf der Bundeslade keine Darstellungen von Menschen oder Tieren, von Pflanzen hingegen schon. Das erklärt den von Josephus beschriebenen Aufruhr, als zur Zeit von Pilatus ein goldener Adler (mit Bezug auf Rom) am Tempel angebracht werden sollte.

Das Christentum, sonst eifrig in der Befolgung der Gebote (zumindest auf dem Papier) ignorierte das zweite schon sehr früh. Erst wurde Jesus dargestellt, seine Mutter und die Apostel ohnehin, später auch der heilige Geist in Gestalt einer Taube, und schließlich Gott selbst als alter, weißbärtiger Mann.

Und das, obwohl Jesus doch, nach Beschluss etlicher Konzilien, mit Gott wesensgleich war. Selbst wenn die Darstellung von Menschen und Tieren für den Alltagsgebrauch gestattet war – wie konnte in ausdrücklichem Widerspruch zum Gebot der Gottmensch Jesus gemalt werden?

Nun, Jesus war als der Christus bereits selbst eine Art Bild, Bild Gottes, und durch seine Inkarnation (ins menschliche Fleisch geboren werden) hatte er nach Ansicht der Kirche eine menschliche (wenngleich von der göttlichen Natur nicht trennbare) Wesenheit. Seine Menschwerdung erlaubte also seine Wiedergabe im Bild. Großer Wert wurde aber immer darauf gelegt, dass nicht dieses als solches angebetet wurde, sondern dass es nur als Mittler und Andachtsanreger diente.

Und es gab noch eine zweite Rechtfertigung: Jesus selbst hatte ja auf dem Weg nach Golgatha den Abdruck seines Gesichts der Legende nach im Schweißtuch der Veronica hinterlassen (Veronica = vera icon = wahres Abbild) und damit das „nicht von Menschenhand gemachte“ (Acheiropoieton) Urbild selbst geliefert.

Allerdings war diese Sichtweise zwar die vorherrschende, aber nicht die einzige. In der byzantinischen Ostkirche gab es im frühen Mittelalter lange Auseinandersetzungen über die Legitimität der Bilder, Bilderfeinde oder -stürmer (Ikonoklasten) kämpften gegen Bilderfreunde (Ikonodulen), und in der frühen Neuzeit schwelte der Konflikt erneut in der Refomrationszeit, als strenge Protestanten ihren Unmut über den katholischen „Götzendienst“ in neuen Bilderstürmen zum Ausdruck brachten, denen viele mittelalterliche Kunstwerke zum Opfer fielen. Die Katholiken reagierten mit der Gegenreformation; im Barock wurde der Bilderschmuck der Kirchen üppiger denn je.

Während also das Christentum, von Ausnahmen abgesehen, Bilder auch im religiösen Zusammenhang problemlos zulässt, ist das im Islam ganz anders. Da gibt es gar keine Bilder. Die ganze künstlerische Kreativität kommt dort in der ausgefeilten Kalligraphie zum Ausdruck. So jedenfalls die herkömmliche Meinung. Dabei sagt der Koran zu diesem Thema gar nichts, und selbst spätere Auslegungen sind keineswegs eindeutig. Bilderfreundlich sind wenige, aber ein absolutes Verbot trifft man nicht an.

Die verschiedenen Aufsätze und die Abbildungen in diesem dicken Begleitband der (Ende Mai beendeten) Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich machen mit vielen kaum bekannten Aspekten der Bilderproduktion in Islam und Christentum vertraut und zeigen, dass weder „der Islam“ generell so bilderfeindlich ist wie meist angenommen, noch „das Christentum“ nie größere Probleme mit Bildern hatte. Eine anspruchsvolle, aber lohnende Lektüre. Bedauerlich ist nur, dass die jüdische Praxis, die den beiden anderen abrahamitischen Religionen ja zugrundeliegt, nicht gleichberechtigt vorgestellt wird.

Auf der Webseite des Museums heißt es dazu:

„Der Islam, so die landläufige Meinung, kenne ein absolutes Bilderverbot und sei figürlichen Darstellungen gegenüber feindlich eingestellt; ganz im Gegensatz zum Christentum. ‒ Aber stimmt die Behauptung überhaupt? Verbietet der Islam Bilder kategorisch? Und im Christentum: Besagt das Zweite Gebot Mose nicht, dass man sich kein Bildnis machen solle? Wie kommt es einerseits aber dazu, dass es so viele «islamische» Miniaturen, Keramikschalen und Textilien mit Menschendarstellungen gibt? Wie erklärt sich andererseits, dass in katholischen Kirchen Statuen verehrt werden dürfen? Kurz: Was hat es mit dem Bilderverbot in den islamischen und christlichen Kulturen eigentlich auf sich? Wie gingen sie mit der figürlichen Darstellung, also dem Abbilden von Menschen und besonders des Propheten Muhammad und Christus, um?

Die Ausstellung widmet sich zum ersten Mal diesen Fragen in einer kulturvergleichenden Schau. Sie zeichnet nach, welche Strategien Islam und Christentum im Verlauf der Jahrhunderte entwickelten, um mit dem Bilderverbot umzugehen. Im Zentrum steht dabei das Mittelalter, die Epoche zwischen dem 6. und 16. Jahrhundert. In dieser Zeit wurde die Bilderfrage ausführlich von Theologen erörtert. Die 136 Werke der Ausstellung decken einen geografischen Raum ab, der vom lateinischen Westeuropa (Königreich Frankreich und Heiliges Römisches Reich) über den östlichen Mittelmeerraum (byzantinisches Reich und später Osmanisches Reich) und Westasien (Persien) bis nach Südasien (indisches Mogulreich) reicht.

Im christlichen Okzident war es die Kirche, die über das Bild bestimmte. Aus einer anfänglichen Ablehnung des Bildes entwickelte sie eine Bildtheologie, in deren Mitte das verehrte Kultbild (eine Ikone oder Statue) steht. Dennoch blieb der Widerstand nicht aus: Zweimal kam es zu einem Bilderstreit, einmal im 8./9. Jahrhundert und einmal während der Reformation kurz nach 1500, in deren Verlauf Bilder zerstört und Statuen zertrümmert wurden.

Im islamischen Orient verlief die Entwicklung ruhiger. Hier waren es die einzelnen Rechtsschulen, die bestimmten, ob ein Bild «verboten» oder nur «tadelnswert» sei. Kein Zweifel bestand darüber, dass das Bild weder in der Moschee noch bei religiöse Handlungen einen Platz hat. In allen anderen Bereichen waren es die einzelnen Akteure und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die die Bilderfrage immer wieder von Neuem aushandelten. So entstand an den Höfen in Persien, dem Osmanischen Reich und in Mogulindien eine reiche Bildkultur, während man in den Gebieten Nordafrikas Bildern äusserst zurückhaltend gegenübertrat.

Hat die mittelalterliche Debatte um das Bild eine Bedeutung für uns heute? ‒ Ja. Aus zwei Gründen: Zum einen räumt die Ausstellung ‒ wie zu Beginn angesprochen ‒ mit einem hartnäckigen Vorurteil auf. Zum anderen leben wir in einer Epoche, die wie nie zuvor von Bildern bestimmt wird. Bilder sind allgegenwärtig und jederzeit verfügbar. Wir wissen zwar um die manipulative Macht von Bildern, und dennoch vertrauen wir ihnen häufig unkritisch.“

Axel Langer (Hrsg.)
Im Namen des Bildes. Die figürliche Darstellung in islamischen und christlichen Kulturen
Hajte Cantz, 2022
468 Seiten, Broschur
58,00 €

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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26 Kommentare

  1. Die Argumentation, dass der Satz „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ nur Sinn ergebe, wenn es auch andere Götter gebe, erscheint mir nicht ganz stringent. Zumal die Annahme, dass es einen Gott gibt schon, sagen wir mal vorsichtig, arg spekulativ ist. Wenn man postuliert, dass es da etwas gebe, das es aber nicht wirklich gibt (zumindest nicht nachweislich), kann man natürlich ebenso gut postulieren, dass es noch mehr davon gibt oder eben dass es das aber gefälligst nicht zu geben habe. Mit solch einfacher Dialektik sollte man immer vorsichtig sein. Sie führte u.a. schon mal zu einer sehr langwierigen, vergeblichen Suche nach der Terra Australis, nur weil man meinte, es müsse auf der Südhalbkugel ein Gegengewicht zu den Kontinenten der nördlichen Hemisphäre geben.
    Ansonsten pflichte ich der Grundtendenz des Artikels aber weitgehend bei. Ein prägendes Merkmal von Religionen und ihnen verwandten Geisteshaltungen ist die konsequente Inkonsequenz. So verhält es sich eben auch mit dem reich illustrierten Bilderverbot. Übrigens stimme ich zwar zu, dass es im Islam etwas konsequenter gehandhabt wird, was aber auch nicht verhindern konnte und kann, dass sich wohl die meisten Muslime allzu irdische Bilder von Gott und dem Himmelreich in ihren Köpfen zurechtgezimmert haben. Ich persönlich denke, dass man bei der Frage „Glaubst Du an Gott?“ immer erst mal klären muss was das eigentlich sein soll: Gott. Denn das Bilderverbot scheint mir doch ein starkes Indiz dafür zu sein, dass bereits die Urheber der Gottesidee dabei nicht wirklich eine Gott-Person, sondern ein Prinzip im Sinn hatten. Nun liegt es allerdings in der Natur der Menschen, dass sie zwar, wie vermutlich kein zweites Lebewesen, zumindest auf unserem Planeten, zum abstrakten Denken fähig sind, davon aber oft nur sehr widerwillig oder auch gar keinen Gebrauch machen. Und so gerät eben auch das pure Abstraktum „Gott“, geradezu zwanghaft, immer wieder zur übermächtigen Marvel-Figur.
    So absurd es auch für viele klingen mag, ich denke, dass im mythischen Denken, zu dem ich auch die Weltreligionen rechne, sowohl die Wurzel der Aufklärung als auch der Gegenaufklärung liegen. Wie sich aus der Alchemie, quasi durch den alchemistischen Prozess der Destillation, die seriöse Physik und Chemie extrahiert hat, so aus der Astrologie die Astronomie, und eben auch aus der Religion die Philosophie. Für diesen Prozess gibt es in der Bibel übrigens ein schönes Bild: Das Naschen von der Frucht vom Baum der Erkenntnis, das bekanntlich zur Vertreibung aus dem Paradies (der heimeligen Unwissenheit) führte. Und weil diese Unwissenheit so heimelig ist gibt es auch heute noch starke Bewegungen der Gegenaufklärung, von den hartnäckigen, altbekannten Religionen bis hin zu Globuli, Flat Earth, Chemtrails und Impfungen, die unser aller Untergang sind.
    Damals, in grauer Vorzeit, mögen Religionen und Mythen durchaus ihre gesellschaftsbildenden, -sichernden und vielleicht sogar teils befriedenden Wirkungen gehabt haben. Heute stehen sie in krassem Gegensatz zu nahezu allem was unser Leben ausmacht (Aufklärung, Demokratie, Freiheit, Ökologie, Recht…). Es macht mich eigentlich schon fassungslos, dass Menschen aus der Kirche austreten müssen ohne jemals (zumindest im geschäftsfähigen Alter) in sie eingetreten zu sein. Und dafür auch noch eine Gebühr entrichten müssen. Wie kann das mit unserem heutigen Recht vereinbar sein?
    Immerhin, wenn man die Ursprünge der Religionen mit dem vergleicht was im Laufe der Jahrtausende daraus geworden ist (von vorgeschichtlischen Mythen zu Mythologien, zu Judentum, dann Christentum, Islam, Kalvinismus etc., auch natürlich von Hinduismus zu Bhuddismus usw.) kommt man nicht umhin festzustellen, dass auch Religion der Evolution unterliegt. Und das hat hier und da auch etwas Tröstliches.

    1. Theologisch bleibt es unklar, was mit „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ gemeint ist – will Jahwe sagen, dass es keine anderen Götter gibt und die Israeliten das endlich einsehen sollen, oder erkennt er die Existenz anderer Götter an und will bloß verhindern, dass diese angebetet werden?

      Historisch ist die Sache dagegen klar: Die jüdische Religion war lange Zeit polytheistisch; es gab sehr wohl Götter neben Jahwe, Jahwe selbst hatte eine Frau und so weiter. Die „Söhne Gottes“ werden ja in der Genesis und im Buch Hiob erwähnt, und im Buch Exodus wird Schlangenverehrung (ausdrücklich positiv) beschrieben. Auch den in der gesamten Levante verbreiteten Baal-Kult gab es in Israel. Weiterhin übernahmen die Juden Gottesvorstellungen anderer Völker wie der Assyrer; so wird Ishtar im Buch Jeremia als „Himmelskönigin“ erwähnt. Die religiösen Texte des Judentums, wie wir sie aus dem Alten Testament kennen, erzählen allerdings eine um die meisten polytheistischen Elemente bereinigte Geschichte, nachdem zumindest die gesellschaftliche Elite zu einem Monotheismus übergegangen war – was vielleicht erst im babylonischen Exil passiert war, also nach dem Untergang von Israel und Juda.

      Da die religiösen Texte einen späten Zustand der jüdischen Religion in eine weit entfernte Vorzeit versetzen, ist es klar, dass sich die ersten beiden Gebote auf die tatsächlich noch lange Zeit neben Jahwe verehrten Götter bezogen. Nur so ergibt die Geschichte ja überhaupt einen Sinn: Nähme man die Bücher Mose zum Nennwert, hätte Jahwe allein die Welt und die Menschen erschaffen, und sich den Menschen danach auch immer wieder offenbart; wie hätten sie da überhaupt auf die Idee kommen können, es gäbe noch andere Götter neben ihm?

      In der Geschichte des Islam war die Situation ähnlich: Zur Lebenszeit Mohammeds wurden in Mekka neben Allah viele weitere Götter verehrt, und dieser Polytheismus sollte bekämpft werden. Das Christentum wiederum entstand im römischen Reich, in dem es zwar eine Vielzahl staatlich geförderter oder zumindest tolerierter (oft nur lokaler) Kulte gab, in dem die Verehrung Jahwes aber nur in der jüdischen Bevölkerung Roms eine Rolle spielte; die Figur des Jesus Christus war weitgehend unbekannt und musste erst popularisiert werden. Im frühen römischen Christentum entwickelte sich die heute vertraute christliche Ikonographie nur langsam; Christus wurde beispielsweise als Schafhirte dargestellt; den Christus am Kreuz findet man erst in späterer Zeit.

      Man kann sich leicht vorstellen, dass ein (auf Götterbilder bezogenes) Bilderverbot immer dann besonders rabiat vertreten wird, wenn sich eine Religion im Kampf mit konkurrierenden Religionen und Glaubensvorstellungen befindet, in der Geschichte des Christentums also beispielsweise in der Zeit von Reformation und Gegenreformation, sich dieser Furor aber abschwächt, sobald eine religiöse Lehre allgemein etabliert ist.

      1. @Michael J. Hußmann
        Interessant! Ja, letztlich bleibt es natürlich spekulativ warum genau dieses Gebot ausgesprochen wurde. Ich denke, und das ist natürlich meine persönliche These, dass die Religion damals eine starke gesellschaftliche Ordnungsfunktion hatte, die zu jener Zeit vielleicht sogar irgendwie nötig oder gar konstruktiv war (was man aus heutiger Sicht leicht dahin sagen kann, wo man ja selbst nicht mehr betroffen ist), nach der es aber wohl jedenfalls ein starkes Bedürfnis gab, und der Monotheismus darauf abzielte die Menschen mehr auf eine einheitliche Linie zu bringen, anstatt dass sie sich ihre Lieblingsgötter aussuchen konnten, die am besten zu ihren persönlichen Vorlieben und Obsessionen passten. Im Grunde, und das meinte ich ja auch damit, dass auch die Religionen der Evolution unterliegen und Wurzel der Aufklärung waren, lag im Monotheismus so etwas wie ein Fortschritt insofern als darin der Keim der Erkenntnis lag, dass das Universum einheitlichen Naturgesetzen folgt und nicht dem Chaos der Beliebigkeit, wie es etwa die wilde griechische Mythologie suggeriert. Auch die Erhebung des christlichen Glaubens zur Staatsreligion durch Kaiser Konstantin zielte wohl unzweifelhaft mehr auf die Aufrechterhaltung des vom Siechtum bedrohten römischen Reichs ab, als auf echte Frömmigkeit oder religiöse Erleuchtung. Gewissermaßen eine feindliche Übernahme.
        Möglicherweise kam die Inspiration zum Monotheismus aus Ägypten (Echnaton), vielleicht teilweise sogar aus Indien (Buddhismus, der zwar im strengen Sinne keine theistische Religion ist, in deren Zentrum aber Siddhartha Gautama steht). Auch hierauf gibt es möglicherweise Andeutungen in der Bibel, nämlich bei den drei Weisen aus dem Morgenland. Wie ich einmal gelesen habe sollen es in anderen Versionen auch mal vier gewesen sein – wohl auf die vier Himmelsrichtungen abgestimmt. In der geläufigen Version der drei Weisen wurde die Zahl dann wohl auf die der „heiligen Dreifaltigkeit“ angepasst. Die Kanonisierung dieses wie anderer Texte für die offizielle Bibelversion gibt eigentlich auch einen relativ eindeutigen Hinweis darauf, dass die Texte nicht buchstäblich zu verstehen sind. Insofern ist die Bebilderung natürlich streng genommen kontraproduktiv und die Bilderstürmerei ein beinahe verständlicher Vorgang. Auf der anderen Seite wohnt diesem Missionierungswahn allerdings natürlich ohnehin etwas sehr faschistoides inne, was durch brandschatzende Bilderstürmer sicher nicht besser wird/wurde. Zumal der Religionsstifter ja Toleranz gepredigt haben soll.

        1. In der Bibel ist die Zahl der Weisen nicht genannt; die Vermutungen reichten bis zu 12. Allerdings brachten sie drei verschiedene Geschenke (Gold, Myrrhe und Weihrauch), und man konnte sich vorstellen, dass je ein Weiser ein Geschenk trug. Spätestens nachdem Rainald von Dassel die Reliquien der Weisen aus Mailand geraubt und nach Köln gebracht hatte, wo sie für einen großen Strom an Pilgern (und damit verbundene Einnahmen) sorgten, stand die Zahl 3 fest, denn es handelte sich ja um drei Skelette. In Umberto Ecos „Baudolino“ ist diese Geschichte sehr schön beschrieben. Ursprünglich sah man die drei Weisen meist als Vertreter der drei Lebensalter (der Jüngling, der Mann in den besten Jahren und der Greis), später dann als Vertreter der verschiedenen Weltgegenden – erst seit dieser Zeit ist einer der drei dunkelhäutig.

          1. An dieses Detail aus „Baudolino“ erinnere ich mich gar nicht. Ist aber auch schon sehr lange her, dass ich das gelesen habe. Ja, dass die Zahl der Weisen in den unterschiedlichen Darstellungen sehr schwankt, habe ich auch schon verschiedentlich gelesen und gehört. Ob es überhaupt eine tatsächliche Zahl gibt bzw. gab erscheint mir fragwürdig, da ich diese Geschichte für nicht wirklich historisch halte. Dieser ominöse Stern, dem die gefolgt sein sollen, konnte ja auch nie nachgewiesen werden. Zahlen haben aber in den biblischen Erzählungen offenkundig eine große symbolische Bedeutung. Ich habe mir mal vor Jahren spaßeshalber eine Software-Version der Bibel mit Suchfunktion installiert und gezielt nach bestimmten Zahlen gesucht. Das war ganz interessant. Ich erinnere mich nicht mehr an Einzelheiten, aber es drängten sich verschiedene Muster auf. Bestimmte Zahlen spielten in bestimmten Zusammenhängen ganz offensichtlich eine besonders große Rolle, weil es da auffällige Häufungen gab. Andere nicht. Aber man muss beim Interpretieren selbstverständlich auch immer aufpassen, denn natürlich bewegt man sich dabei hart am Rande der Esoterik.

            Bemerkenswert übrigens, dass von „Weisen aus dem Morgenland“ die Rede ist, denn aus unserer europäischen Perspektive wäre Palästina ja eigentlich auch schon Morgenland. Von dort aus gesehen müsste es sich also mindestens um Länder wie Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Indien usw. , wenn nicht gar China, kaum aber Afrika handeln. Und relativ dunkelhäutig dürften sie alle gewesen sein, sofern sie nicht aus Fernost kamen. Aber vermutlich darf man auch das nicht zu buchstäblich nehmen, denn es scheint mir im Kern doch eher darum zu gehen die geistigen Einflüsse aufzuzeigen, die dem christlichen Weltbild zugrunde liegen. In diesem Zusammenhang würde ich auch die Geschenke (Gold, Weihrauch und Myrrhe) eher symbolisch sehen.

            Reliquien sind ja auch so ein vielsagendes Thema – das Eco in „Baudolino“, soweit ich mich erinnere, auch ganz schön anhand der unzähligen Vorhäute Christi illustriert hat, die in der Christenheit umherschwirren und zu Recht für Verwunderung sorgen. Offenbar ein nachwachsender Rohstoff.

          2. Die Geschichte von den Heiligen drei Königen steht in Kapitel 10: „Baudolino findet die Könige aus dem Morgenland und lässt Karl den Großen heiligsprechen“. (Gute Kenntnisse der Werke Umberto Ecos sind bei DOCMA quasi Einstellungsvoraussetzung …)

            Da findet man auch verschiedene Namen der Könige/Magier nach der Auskunft diverser mittelalterlicher Autoritäten:
            Hormidz, Jazdegard und Peroz
            Hor, Basander und Karundas
            Gaspar, Melkon und Baldassarre
            Melco, Caspare und Fadizzarda
            Magalath, Galgalath und Saracin
            Appelius, Amerus und Damascus
            Bithisarea, Melichiorre und Gataspha

            Aber falls es nicht drei, sondern zwölf gewesen wären, hätten ihre Namen vielleicht Zhrwndd, Hwrmzd, Awstsp, Arsk, Zrwnd, Aryhw, Arthsyst, Astnbwzn, Mhrwq, Ahsrs, Nsrdyh und Mrwdk gelautet.

            Für die drei Mumien im Kölner Dom hat man sich jedenfalls auf Kaspar, Melchior und Balthasar geeinigt, und dabei ist es geblieben.

            Sicher ist die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland nicht historisch; es ist eine Erfindung, die beglaubigen soll, dass Jesus von Nazareth der Messias, also der von Gott erwählte neue König Israels ist, und sie findet sich auch nur in einem der vier Evangelien. Die Sache mit dem Stern, dem die Weisen gefolgt wären, wird meist falsch (also abweichend vom biblischen Text) dargestellt: Sie sind ja Astrologen, die aus einer beobachteten Sternkonstellation erschließen, dass ein neuer König der Juden geboren sei. Um eine Richtungsangabe geht es da gar nicht, sondern allein um die Tatsache dieser Geburt. Die Weisen brechen nach Jerusalem auf, denn wo sonst sollte man einen König der Juden finden, wenn nicht in der jüdischen Hauptstadt? Sie lassen sich also keineswegs von einem Stern leiten, sondern folgen dem Wegweiser nach Jerusalem oder schließen sich der nächsten Karawane dorthin an. Dort angekommen gehen sie zu Herodes, dem bisherigen König (wenn auch nur von römischen Gnaden), der aber von nichts weiß und erst einmal seine eigenen Weisen befragen muss. Die wissen zwar auch nichts Genaues, erzählen aber, dass nach den messianischen Prophezeiungen der neue König in Bethlehem zu erwarten sei, der Stadt Davids. Dorthin brechen daraufhin die Weisen aus dem Morgenland auf, wobei Bethlehem nicht weit entfernt ist – es ist quasi ein Vorort Jerusalems. Auf dieser kurzen Strecke entdecken die Weisen nun erstmals wieder ihren Stern, der gerade über der Straße nach Bethlehem zu stehen scheint, und als sie zu dem Haus kommen, in dem Jesus’ Familie lebt, steht er direkt über ihnen im Zenit. (Dass man in Richtung eines Sterns geht und nach wenigen Kilometern direkt unter ihm steht, ist natürlich eine astronomische Unmöglichkeit.)

  2. Meine Interpretation des ersten Gebots hat wenig mit Stringenz und Dialektik zu tun, eigentlich nur mit Religionsgeschichte. Das Gebot behauptet nicht, es gäbe keine anderen Götter, sondern fordert, dass der gläubige Jude sie nicht verehren solle. Es wäre auch unsinnig gewesen, ihre Existenz zu leugnen, da die umliegenden Völker ja unübersehbar andere Götter hatten und anbeteten. (Das Konzept, dass das alles die gleichen Götter seien, unter welchen Namen – Zeus, Jupiter … – auch immer, kam erst später in hellenistisch-römischer Zeit auf. JHWH gehörte nicht dazu.)
    Wie die Bibel-Archäologie zeigt, verehrten die frühen Juden durchaus auch andere Götter, etwa den jebusitischen Stadtgott von Jerusalem. Die verschiedenen Namen Gottes deuten auf ursprünglich unterschiedliche, später vereinheitlichte Gottheiten hin. Zudem ist der Name „Elohim“ eine hebräische Pluralform. Wie archäologische Funde und Quellen zeigen, wurde zudem im Tempel von Jerusalem zunächst neben JHWH auch seine „Gefährtin Aschera“ verehrt.
    Natürlich sagt das alles nichts darüber aus, ob es (einen) Gott überhaupt gibt (als Atheist gehe ich vom Gegenteil aus). Selbst die Evangelien und frühen Christen leugneten übrigens die Existenz anderer Götter nicht – sie gaben ihnen nur einen anderen Namen: Dämonen. Von ihrer (unheilvollen) Wirkmächtigkeit waren sie weiterhin überzeugt.
    Allerdings lässt sich das erste Gebot durchaus auch rein logisch analysieren, mit dem Ergebnis, dass die Forderung nur sinnvoll ist, wenn es andere Götter „tatsächlich“ gibt. Denn jede Aussage/Forderung, die beinhaltet, man solle keine Exemplare der logischen Klasse X in einer bestimmten Weise behandeln, impliziert, dass es diese Klasse gibt und dass Y dieser Klasse angehört. Wenn ich fordern würde: „Du sollst keine anderen Zeitschriften lesen als DOCMA“, setzt das voraus, dass es andere Zeitschriften gibt. Auch wenn die Klasse X nur ein einziges Element Y enthält („Du sollst keine andere Frau lieben als mich!“), impliziert das trotzdem, dass Y dieses Alleinstellungsmerkmal als Element von X fordert, was nicht einschließt, dass der so Angesprochene nicht auch seinen Bruder oder seine Katze, die anderen Klassen angehören, lieben dürfte.

    1. @Doc Baumann
      Dass vor dem Monotheismus der Polytheismus war und auch spätere Monotheisten mal an viele Götter geglaubt haben, zweifle ich nicht an. Mir ging es in diesem Punkt tatsächlich um den logischen Aspekt. Selbst wenn es nur DOCMA gäbe, könntest Du dennoch der Idee verfallen zu diktieren man dürfe nur DOCMA und nichts anderes lesen, denn es könnten ja durchaus Nachahmer oder sonstige Konkurrenten kommen. Hätte Adobe seinerzeit diktiert „Ihr sollt keine anderen Bildbearbeitungsprogramme neben mir haben“, hätte das zwangsläufig wohl erst mal von selbst funktioniert, weil es schlicht nichts anderes gab. Aber auch Adobe konnte sich sicher vorstellen, dass sie nicht allein bleiben würden und wäre daher zu so einer (in diesem Fall präventiven) Aussage wohl prinzipiell durchaus fähig gewesen – auch wenn es keine Götter neben ihnen gab. Tatsächlich hat Adobe ja auch heute noch viele sehr fromme Jünger, die Photoshop für alternativlos halten. Teils wahrscheinlich auch zu Recht. Jedenfalls spielt hier auch die Zeitebene eine Rolle. Aber das ist natürlich eine Petitesse.
      Zum Thema der Bilderstürmer hat sich meines Wissens Umberto Eco mal dergestalt geäußert, dass es zwar inhaltlich Sinn mache, dass es uns aber eines gewaltigen Schatzes an wunderbaren Kulturgütern berauben würde. Das denke ich im Grunde auch. Obwohl es natürlich auch wiederum schade ist, dass sich Generationen brillanter Künstler mit der Produktion religiösen Kitsches über Wasser halten mussten um überleben und kreativ sein zu können.

      1. Tut mir leid, aber da muss ich gleich mehrfach widersprechen.
        Erstens schreiben Sie. „Mir ging es in diesem Punkt tatsächlich um den logischen Aspekt.“ Das hatte ich ja zuvor schon erläutert:
        Wenn es eine logische Klasse X gibt, die nur ein einziges Element Y enthält, ist die Forderung, andere Elemente von X nicht in einer bestimmten Weise zu behandeln, völlig sinn- und buchstäblich gegenstandslos. „Man soll keinem anderen Nobelpreisträger namens Albert Einstein als ebendiesem die Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie zuschreiben“ ist ein sinnloser Satz. Dagegen wäre die fiktive Forderung von Stephen Hawking „Du sollst keinem anderen Physiker als mir wichtige Überlegungen zur Theorie der Schwarzen Löcher zuschreiben“ unangemessen gewesen, da es durchaus viele andere Physiker gibt, die dazu beigetragen haben und das dem Fordernden offenkundig klar war.
        zweitens kann man logisch nicht mit Argumenten über Sachverhalte umgehen, die in einer ungewissen Zukunft eintreten könnten. Die Aussage „Wir brauchen Impfungen und Schutzmaßnahmen gegen Covid-19, weil es kein wirksames Medikament gegen das Virus gibt“ ist (aktuell) wahr und kann nicht dadurch ausgehebelt werden, dieses Medikament könnte ja irgendwann gefunden werden.

        Hinzu kommt, dass jeder wusste, dass Gott JHWH sich ausdrücklich als Gott Israels bezeichnete (bzw. die Priester und Schreiber, die „seine“ Worte aufschrieben). Er war nicht der Gott Ägyptens oder Assurs, die hatten andere, an deren Existenz auch die Juden nicht zweifelten, nur mit denen hatten sie keinen „Vertrag“.
        Selbst die frühen Christen leugneten nicht die Existenz und Wirkmächtigkeit der antiken Götter der hellenistisch-römischen Welt, sondern gaben ihnen nur andere Namen: Dämonen.

        Drittens schreiben Sie: „Hätte Adobe seinerzeit diktiert “Ihr sollt keine anderen Bildbearbeitungsprogramme neben mir haben”, hätte das zwangsläufig wohl erst mal von selbst funktioniert, weil es schlicht nichts anderes gab.“ Es gab vor und parallel zu Photoshop ColorStudio, das anfangs weit besser war als Photoshop (ich gab damals Photoshop keine Chance und schrieb meiner Redakteurin, als ich es vorstellen sollte: „Wie kann man einem Programm nur so einen bescheuerten Namen geben, der nach billiger Entwicklerklitsche an der Ecke klingt?“).
        Da es also ColorStudio gab, ist Ihr Argument ungültig und wir brauchen keinen vagen Zukunftsbezug. „Hätte Adobe seinerzeit diktiert “Ihr sollt keine anderen Bildbearbeitungsprogramme neben mir haben …“ hätte man das (theoretisch) durchaus machen können. Adobe hätte mitteilen können: Es ist Bestandteil unseres Installationsprogramms, dass es nicht ausgeführt werden kann, wenn auf dem gleichen Computer auch Colorstudio installiert ist. Wollen Sie Photoshop nutzen, müssen Sie ColorStudio zuvor endgültig löschen. Als Gegenleistung erhalten Sie von uns folgende Vorteile …
        Das wäre die Analogie zu der Forderung „Du sollst nicht A neben B haben …“ Es ergibt also keinen Sinn, aus der Forderung zu schließen, es habe gar kein anderes Bildbearbeitungsprogramm gegeben, denn das war ja tatsächlich der Fall.

        1. Das mit ColorStudio ist sehr interessant. Das wusste ich tatsächlich nicht. Ich war bislang überzeugt, dass Adobe die digitale Bildbearbeitung erfunden hätte, wie ich es auch immer wieder höre. Das ist gut zu wissen. Vielen Dank dafür! Über den Namen „Photoshop“ habe ich mich übrigens auch immer ein bisschen gewundert. Zumal dieser eigentlich ein bisschen billig tönende Name heute vielen, selbst blutigsten Amateuren als der Gipfel von sophisticated zu gelten scheint und sie sich damit schmücken zu müssen glauben, selbst wenn sie für ihre Zwecke mit GIMP eigentlich schon weit mehr als gut bedient wären.

          Was unser eigentliches Thema anbelangt, so sollten wir darüber nicht in Streit geraten. So wichtig ist es auch wieder nicht. Aber ich glaube wir verzetteln uns da ein bisschen in Beispielen. Um zu diesem monotheistischen Diktat zurück zu kommen: Es ist doch ohne weiteres möglich zu sagen „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“, auch wenn es keine anderen Götter gibt. Nicht nur weil es ja mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch diesen einen nicht gibt. Dieses Postulat ist ja zunächst mal nur sprachlich. Und sagen kann man so manches, ohne dass es tatsächlich möglich oder real sein muss. Wenn wir uns dann noch vergegenwärtigen, dass wir es bei Gott mit einem, unabhängig von seiner tatsächlichen Existenz, unbeweisbaren Gegenstand zu tun haben, wird doch ohnehin klar, dass es geradezu unlogisch ist ein solches Postulat in logische Maßstäbe zu zwängen. Denn wer diesen einen Gott für möglich halten kann, kann natürlich auch massenhaft andere Götter für möglich halten, oder eben, auf Teufel komm raus, nicht. Oder um es anders auszudrücken: Es ist im Grunde völlig unerheblich für eine solche Aussage ob es auch andere Götter gibt oder geben kann. Ausschlaggebend ist, dass es Menschen gibt die sie sich irgendwie denken und an sie glauben können. Zudem glaube ich ohnehin nicht, dass „wahre Gläubige“ durch mathematische Logik zu beeindrucken sind. Eher werden sie Mathematik für Teufelszeug halten.

          Wie man aus meinen bisherigen Äußerungen wohl ersehen kann, bin ich christlich erzogen worden, habe aber irgendwann aufgehört zu glauben. Ich habe das aber nie als einen Verlust meines Glaubens empfunden, wie es Gläubige immer gern zu sehen geneigt sind, sondern im Gegenteil, es war eher wie Erleuchtung und Erleichterung. Ziemlich genau während meiner Konfirmanten-Zeit übrigens. Gerade damals habe ich begonnen mich intensiv mit der Bibel und sogar apokryphen Texten zu beschäftigen und sie mit anderen mythologischen Systemen zu vergleichen, was ganz interessant und aufschlussreich ist. Mittlerweile ist aber auch das schon sehr lange her, und ich habe vieles wieder vergessen. Heute sind Sie vermutlich bibelfester als ich. Der für mich wirklich interessante und relevante Aspekt von Religion ist heute, dass es eine Entwicklungsstufe in der Menschheitsgeschichte war, die für die Gesellschaftsbildung und die Entwicklung von Welterkenntnis von Bedeutung war. Damals natürlich noch mehr durch ein intuitives Erfassen und sehr einfache Beobachtungen und Interpretationen der Umwelt. Insofern also eine Art Zündfunke der Aufklärung als es wenigstens schon mal ein Streben danach gab zu verstehen und erklären wie die Welt funktioniert und das im Laufe der Zeit auch in eine Art von System zu fassen. Was natürlich vielfach in sehr abenteuerliche Richtungen führte und Jahrtausende der Entschlackung durch Philosophen und empirische Wissenschaften bedurfte. Und sich trotzdem immer wieder als erstaunlich resistent erweist. Sei es in den Weltreligionen, esoterischen Strömungen wie der Anthroposophie oder banalem, alltäglichem Aberglauben.

          1. Lieber Imaginator,
            ich habe gar keine Probleme damit, über so einen Sachverhalt „in Streit zu geraten“, solange er so fruchtbar und sachlich bleibt wie dieser. Wir greifen uns ja nicht persönlich an oder beleidigen uns gar, sondern suchen gute Argumente für unsere Positionen. Und können uns offensichtlich nicht gegenseitig überzeugen.
            Natürlich gibt es Wichtigeres, gerade für Atheisten (auch ich bin christlich erzogen, war sogar Kindergottesdiensthelfer … und vor ein paar Jahren mit einer katholischen Pilgergruppe in Jerusalem, allerdings, um für meinen Roman zu recherchieren und christl. Argumente fair kennenzulernen und einzubauen). Aber religionsgeschichtlich ist die Frage durchaus relevant, weil wir eben davon ausgehen müssen, was die Menschen damals für gegeben hielten.

            Kurz zur Vorgeschichte von Photoshop. Nein, Adobe und die Knolls haben die Bildbearbeitung wirklich nicht erfunden. 1984 habe ich mit MacPaint angefangen, mit schwarzen und weißen Pixeln. Irgendwann kam der erste Scanner (ebenfalls nur schwarz und weiß), die Ergebnisse konnte man in MacPaint „bearbeiten“. Dann kamen verschiedene Graustufen-Bitmapraster und irgendwann mit ImageStudio echte Graustufen und sogar Monitore, die die darstellen konnten. Dann kamen Programme mit 32 Farben (natürlich auch mit Bitmaprasterung), und nach vielen Schritten dann ColorStudio, das vieles konnte, was Phosotop dann auch anbot (sogar einiges mehr, was nicht mal heute implementiert ist). Auch nach Photoshop und vor Affinity gab es eine ganze Reihe alternativer Programme, sogar mit Ebenen, bevor Photoshop die einführte.
            Noch ein letztes Wort zur erwähnten Anthroposophie: Ich habe vor Jahren mal einen Vortrag von denen besucht, ein großer Saal voller Menschen, die ganz normal aussahen. Der Vortrag wurde immer verrückter, bis die Referentin irgendwann in vollem Ernst davon berichtete, wie sich die Geistkörper von Rudolf Steiner und Descartes (bei dem bin ich nicht mehr ganz sicher) kürzlich auf dem Mars getroffen und über irgendwas diskutiert hätten. Niemand im Saal hat auch nur einen zweifelnden Pieps dazu gesagt – ich bin dann mit Rücksicht auf meinen Blutdruck lieber gegangen.

  3. @ Doc Baumann
    Dann haben Sie die Evolution der Computer-Grafik ja wirklich quasi vom Urknall an miterlebt. Das ist wirklich interessant. Ich selbst bin erst bei Photoshop 5 eingestiegen, im Rahmen meiner Ausbildung zum Mediengestalter. Vorher hatte ich auf der Kunsthochschule auch schon einen ganz kurzen Einstieg in Photoshop, Quark XPress und PageMaker gehabt, wovon aber nicht viel haften blieb, weil wir da oft zu zweit oder gar dritt an einem Rechner sitzen mussten. Wenn es stimmt was mir mal jemand erzählt hat, wurden die Ebenen kurz vor PS 5 eingeführt. Ohne die kann ich mir Bildbearbeitung fast gar nicht vorstellen. Ich habe das nur bei PhotoFiltre erlebt, das ich mal ausprobiert habe (weil ich eine Zeit lang alles ausprobiert habe), mit dem ich aber nichts anfangen konnte. Heute hat das sicher auch Ebenen, sofern es noch existiert.

    Zum Thema „Anthroposophie“. Ich habe mal vor langer Zeit, als ich noch in der Musikszene einigermaßen aktiv war, einen Schlagzeuger kennengelernt, der auf der Walldorfschule gewesen war. Sehr guter Mann. Der war davon begeistert und hat mir tolle Sachen erzählt, weshalb ich dem eigentlich aufgeschlossen gegenüber stand. Es passte auch sehr gut zu meiner pazifistischen und ökologischen Gesinnung, fand ich. Ich war dann etwas später Jahre lang bei einem anthroposophischen Arzt in Behandlung, was ich zunächst cool fand, weil der sich irre viel Zeit für mich genommen hat. Was mich bloß schon früh stutzig machte war, dass er mir das Stadium in dem sich mein vermeintlicher Genesungszustand befand immer anhand eines kunterbunten Hexagramms „erklärt“ hat. Das konnte ich von Anfang an nicht ernst nehmen. Und er weigerte sich hartnäckig mich zu impfen. Später erfuhr ich aus der Presse, dass sich Alternativmediziner deshalb so viel Zeit für ihre Patienten nehmen, weil das von den Kassen großzügig entlohnt wird. Geld das dann im Gesundheitssystem bei der seriösen Medizin fehlt. Als ich dann auch noch erfuhr was Globuli wirklich sind, nämlich im Grunde viel Nichts mit etwas Zucker, und er mir schon zum dritten Mal Akupunktur verordnen wollte, obwohl das bei Neurodermitis nun wirklich mehr schadet als nützt und sehr unangenehm ist, und mir klar geworden war, dass sein Behandlungskonzept eigentlich nur darauf hinauslief, dass ich meine Krankheit akzeptieren und mich damit abfinden sollte, habe ich mich mit ihm in die Wolle gekriegt und den Arzt gewechselt. Zu der Zeit gab es auch schon Pressemeldungen, dass in Waldorfschulen teilweise gelehrt würde, dass die Urahnen der weißen Menschen der westlichen Welt die Bewohner von Atlantis gewesen seien und anderer rassistischer Spökenkram mehr. Soweit ich weiß hat die Anthroposophie ihre Wurzeln ja auch in der Theosophie, in der man der Wurzelrassenlehre frönt. Hanebüchenes Zeug, an dem nebenbei bemerkt u.a. H. P. Lovecraft seinen Cthulhu-Mythos aufgehängt hat, was ganz interessant ist. Aber ich will nicht zu weit vom Thema abgleiten. Jedenfalls halte ich zwar immer noch sehr viel von Toleranz gegenüber Religionen und Andersdenkenden, selbst wenn es einem bisweilen das Hirn zerreißt, und auch meine ökologische und pazifistische Haltung sind ungebrochen. Nur darf auch das nie dazu führen, dass man sich fanatisch hinein steigert, über das Ziel hinaus schießt und die Realitäten nicht mehr wahrnimmt und verleugnet. Denn natürlich gibt es Grenzen des Tolerierbaren. Und die liegen da wo echter Schaden angerichtet wird.

  4. Mir kam gerade ein Gedanke, den ich hier mal kurz als Anregung anbringen möchte. Sie haben ja hier bereits einen groben Eindruck von den Anfängen der digitalen Bildbearbeitung gegeben, ein Thema, das ich wirklich interessant finde, zumal ich zu Beginn meiner Karriere, in einem Praktikum in einer Druckerei, noch einen wenigstens vagen Eindruck aus der analogen Zeit davor erhaschen konnte (mit Bleisatz, analoger Bildretusche – wobei ich wenigstens mal zugucken durfte – und Repro-Kamera und so). Wie wäre es mit einem Artikel über die Entstehung der digitalen Bildbearbeitung bzw. Computergrafik/DTP und deren Entwicklungsgeschichte. Würde mich zumindest sehr interessieren und übrigens auch ein bisschen zum Thema des obigen Artikels passen „Darf man Bilder machen?“. Denn tatsächlich trifft man ja immer wieder auf Kommentare von Leuten, die meinen, dass Bildbearbeitung nur dazu dienen würde zu betrügen, die Wahrheit zu verfälschen und dass die wahre Kunst der Fotografie ohne Bildbearbeitung auskäme. Insofern könnte so ein Artikel auch Antworten auf die Frage geben: „Bildbearbeitung? Warum überhaupt“. Wie gesagt, nur als Anregung. Ich möchte hier nicht schon wieder ein Fass aufmachen. Vielleicht gibt es so einen Artikel ja auch bereits und ich habe ihn nur noch nicht gefunden.

    1. Ich arbeite gerade an einem Buch, in dem auch das Thema behandelt wird.
      Wenn Sie die Geschichte der digitalen Bildbearbeitung interessiert: z.B. bei Amazon gibt’s antiquarisch für ein paar Euro noch mein „Lexikon Macintosh Grafik. Malerische und grafische Techniken von A-Z“ von 1992. Artikel dazu gab’s auch im Heft – aber nach mehr als 20 Jahren weiß ich auch nicht mehr, wann.

  5. @Michael J. Hußmann
    Donnerwetter, ich stelle fest, dass Sie bei DOCMA mit Fotografie und Bildbearbeitung offenbar nicht ganz ausgelastet sind. Hut ab! Was Eco anbelangt, habe ich zumindest seine belletristischen Werke alle gelesen. Erinnere aber wohl nicht alles gut genug um mich bei Ihnen erfolgreich bewerben zu können. Meine Favoriten sind „Das Foucaultsche Pendel“, „Der Name der Rose“ und „Die Insel des vorigen Tages“ (dessen Ende ich wirklich einzigartig finde).

    Die Sache mit dem Stern als Navi ist in der Tat vollkommen unsinnig und wie so vieles zumindest aus heutiger Sicht ein eindeutiges Indiz dafür, dass man die biblischen Texte nicht zu wörtlich nehmen sollte. Es ist ein Dilemma für mich: einerseits halte ich vieles in der Bibel für Unsinn, teilweise sogar gefährlichen Blödsinn, und es insofern für Zeitverschwendung sich damit zu befassen, zumal man dabei auch immer wieder unweigerlich ins Spekulieren gerät und geraten muss, weil eben vieles, aber nicht alles, nur symbolisch zu verstehen ist. Andererseits ist aber vieles in der Weltgeschichte und auch in den Künsten und der Literatur ohne Bibelkenntnisse nicht zu verstehen, denn sie hatte nun mal großen Einfluss auf viele und vieles. Ich hatte z.B. vor ein paar Jahren mal eine letztlich unfruchtbare Diskussion mit einem Internet-Freund über Melvilles „Moby Dick“. Unfruchtbar deshalb, weil ich versuchte ihm zu erklären, dass das Buch vor Verweisen auf die Bibel geradezu strotzt und ohne wenigstens grundlegende Bibelkenntnisse gar nicht wirklich analysiert und verstanden werden kann. Das konnte aber durch seine massive Ablehnungshaltung gegenüber der Bibel nicht durchdringen. Sie ist halt ein Thema das extrem spaltet. Und sich mit ihr wirklich erschöpfend zu befassen kann leicht zur Lebensaufgabe werden, weil sie sehr komplex ist und ihre Texte sogar verschiedenen literarischen Gattungen zuzurechnen und diese nicht mal halbwegs klar voneinander getrennt sind (Historie, Allegorie, Gleichnis, Parabel und andere mehr). Obendrein gibt es auch noch verschiedene Bibel-Versionen (katholische und evangelische, vermutlich auch orthodoxe, nehme ich an), die zudem im Laufe der Zeit immer wieder überarbeitet, neu kanonisiert und der Zeit angepasst wurden. Und es gibt ja auch noch andere Bücher, die zum Teil ähnlich komplex und ebenfalls lesenswert sind. Und letztlich, wenn man mit Gläubigen diskutiert nützen einem meist auch und gerade Fakten nichts. Das kann man gerade heutzutage, nicht nur im Zusammenhang mit der Bibel, besonders plastisch erleben.

    1. Ah ja, Eco … sein „Pendel“ ist auch mein absoluter Lieblingsroman – habe es, glaube ich, 14 x gelesen. (Und ohne dieses Buch hätte ich wahrscheinlich vor 31 Jahten nicht begonnen, für meinen eigenen Ronan zu recherchieren an dem ich immer noch arbeite).
      Eco habe ich 1986 mal kurz kennengelernt, als ich für mein Filmbuch zu „Der Name der Rose“ recherchierte. Wenn es Sie interessiert, hir mehr dazu:
      https://www.docma.info/blog/das-ecosche-pendel

      1. Sehr schöner kleiner Nachruf. Ja, ein bemerkenswerter Mann, der mich, denke ich, in gewisser Weise auch sehr geprägt hat. Als ich seinerzeit, gewissermaßen als Einstiegsdroge, „Das … Pendel“ las war ich gerade erstmals auf Verschwörungsmythen und verschiedene esoterische Weltbilder gestoßen. Heute frage ich mich manchmal ob ich vielleicht gefährdet war darauf hereinzufallen. „Das … Pendel“ hat mich jedenfalls nachhaltig davon geheilt. Ein anderes Buch, das an meiner mutmaßlichen Heilung ebenfalls Anteil hatte, war von einem Autor, der sich „Van Helsing“ nannte, angeblich weil er von dunklen Mächten verfolgt wurde. Das heilte mich freilich auf ganz andere Art und ich musste auch nur einen verhältnismäßig kleinen Teil davon lesen. Unerträglicher Mist. Ähnlich stringent wie „Mein Kampf“ und mit der gleichen Stoßrichtung. Zwei Freunde von mir waren da weniger glücklich dran. Bei dem einen konnte ich förmlich zusehen wie seine junge Familie (Frau, zwei kleine Kinder) an diesem paranoiden Quatsch zerbrach, bei dem anderen ist der Ausgang derzeit noch offen. Der hat mir kürzlich gerade noch erzählt, beim CERN würde daran gearbeitet ein Tor zur Hölle zu öffnen.

        Nach dem „…Pendel“ habe ich mir jedenfalls alle Romane von Eco gekauft, und auch seine humorigen „Streichholzbriefchen“.

        Die Verfilmung von „Der Name der Rose“ mag ich auch sehr – trotz der Freiheiten. Und mit Sean Connery als William bin ich auch sehr zufrieden – im Gegensatz zu einigen Freunden und Bekannten, die ihn immer noch nur mit James Bond identifizieren können. Jean Rochefort wäre aber bestimmt auch eine gute Wahl gewesen.

        1. Sean Connery konnte definitiv mehr als nur James Bond, obwohl er bis heute mein Lieblings-Bond ist. Auch als alternder Robin Hood in Richard Lesters „Robin und Marian“ mit Audrey Hepburn als Marian hatte er mich überzeugt. In „Zardoz“ war er eher eine Witzfigur, aber dieser Fantasy-Film hat auch etwas. Jean Rochefort wäre mir in der Rolle als William of Baskerville zu französisch gewesen; Alec Guinness hätte gepasst, aber damals war er schon zu alt (der Alec Guinness als George Smiley in „Dame, König, As, Spion“ und „Smileys Leute“ ging in die richtige Richtung).

          1. Absolut, Connery ist/war (?) ein ausgezeichneter Schauspieler. Ich mache mir auch gar nichts aus James-Bond-Filmen, ehrlich gesagt, und identifiziere ihn vielleicht daher nicht so stark damit wie es andere tun. Klasse war Connery auch z.B. in Hitchcocks „Marnie“, De Palmas „The Untouchables“ und Lumets „Mord im Orientexpress“. Hat aber auch ziemlich viel Mist gedreht. Jean Rochefort wäre international sicher nicht annähernd so zugkräftig gewesen. Alex Guiness hätte ich mir aber auch gut vorstellen können. Alles in allem kann man aber Connery schon als eine glückliche, wenn auch sicher unerwartete Wahl bezeichnen. Man stelle sich vor es wäre jemand wie Peter Cushing besetzt worden, also ein klassischer Sherlock-Holmes-Darsteller. Das wäre eine allzu konventionelle Wahl gewesen. Obwohl der natürlich auch gut (aber auch schon zu alt) war.

            Interessant am James-Bond-Phänomen finde ich persönlich übrigens, dass es zwei sehr verschiedene Kategorien von Bond-Darstellern gibt. Auf der einen Seite Connery und Craigh, also die eher ein bisschen kernigen Typen, auf der anderen Moore, Lazenbie und Brosnan, die steifen klassischen Engländer. Fleming soll wohl David Niven im Kopf gehabt haben als er die Figur schuf, also eher die Moore/Brosnan-Liga. Für mich war das früher auch immer die Schiene auf der ich Bond sah. Brosnan war für mich sogar schon prädestiniert für die Rolle, lange bevor er sie überhaupt bekam. Heute sehe ich das nicht mehr so und finde Connery und Craigh interessanter. Aber länger als eine halbe Stunde halte ich Bond-Filme, wegen ihrer „Handlung“, in der Regel nicht durch.

          2. Eine kurze Anekdote zu Connery: Während der Dreharbeiten zu „Der Name der Rose“ wurde die Szene im Pferdestall aufgenommen, in der Salvatore sich an das Mädchen heranmacht, eine Kerze umfällt und der Stall zu brennen beginnt. Wegen der Flammen (aus Gasbrennern) gerieten die im Stall angebundenen Pferde in Panik und einer ihrer Pfleger schlug mit einem Stock auf das Hinterteil eines der Tiere. Da dröhnte eine Stimme wie JHWH vom Berge Sinai: „Don’t hit the horse!“ (Hier könnte man ausnahmesweise mehrere Ausrufungszeichen setzen.) Alle am Set schrumpften um zehn Zentimeter angesichts dieser Donnerstimme. Das war Connery gewesen. Auch ich war tief beeindruckt. Und er war ein durchaus netter Typ. Eines morgens am Set, als ich Fotos vom noch leeren „Kloster“ aufnahm, begrüßte er mich freundlich: ich hatte ihn gar nicht gesehen und war nur auf mein Bildmotiv konzentriert gewesen.

    2. Wenn man neben Ecos Romanen auch seine semiotischen Fachbücher liest, entdeckt man darin viele Parallelen zu seiner Belletristik. Eco hat die Themen, mit denen er sich wissenschaftlich auseinander gesetzt hat, auch schriftstellerisch verarbeitet – und vielleicht auch umgekehrt. Deshalb war mir, als ich zuerst vom Titel seines vorletzten Romans, „Der Friedhof in Prag“, las, auch sofort klar, dass es um die berüchtigten „Protokolle der Weisen von Zion“ gehen musste, denn darüber hatte er schon in einem Kapitel von „Im Wald der Fiktionen“ (1994) geschrieben. (Im „Foucaultschen Pendel“ möglicherweise noch früher, das müsste ich noch einmal nachlesen.) „Im Wald der Fiktionen“ ist jedenfalls empfehlenswert.

      Bei der „Insel des vorigen Tages“ hatte mich der Plot nicht überzeugt; ich fand, dass er den Roman nicht trägt, so reizvoll dieser auch in seinen Details ist. Aber der erste Teil, in dem es um die Belagerung einer Stadt geht, ist wirklich großartig. Daraus habe ich gelernt, was „unterminieren“ eigentlich bedeutet …

      Und „Moby Dick“ mit seinen vielfachen Referenzen ist natürlich unbedingt lesenswert – ein postmodernistischer Roman aus einer Zeit, bevor der Postmodernismus überhaupt erfunden war. Weshalb Melvilles zeitgenössische Leser auch wenig damit anfangen konnten.

      1. Ja, das ist es was einen großen Reiz ausmacht bei Eco: seine Romane fußen auf einem sehr breiten wissenschaftlichen Fundament, trotzdem aber alles andere als trocken, weil er auch ein glänzender Fabulierer ist. Man könnte ihn da vielleicht entfernt mit Tolkien vergleichen, der ja auch eigentlich Wissenschaftler war, womit seine Erzählungen förmlich durchtränkt sind.

        Die „Insel des vorigen Tages“ war vielleicht etwas sehr weitschweifig, was tendenziell bei Eco ja mehr oder weniger immer der Fall ist. Für mich ist es aber sein wohl humorigster Roman, der die Irrungen der keimenden Aufklärung auf wunderbar liebevolle Weise einfängt. Die Szene z.B. als der alte gelehrte Schiffbrüchige mit seiner Taucherglocke im Meer verschwindet und nie wieder auftaucht – wunderbar. Die Sache mit dem sympathischen (?) Pulver. Und ganz besonders der Schluss, den ich hier nicht spoilern möchte: göttlich! All das ist natürlich umso faszinierender wenn man in Zeiten lebt in denen weite Teile der Bevölkerung diesen ganzen Weg der Aufklärung voller Inbrunst im Turbogang rückwärts gehen und z.B. die Erde wieder flach machen wollen, mit den abenteuerlichsten Konstruktionen darüber wie es sich in dem Falle dann wohl mit der Sonne und den Planeten verhält. Die nämlich, habe ich kürzlich aus einem Youtube-Video gelernt, sind an einer Mechanik aufgehängt, die dem Tonabnehmer eines Schallplattenspielers ähnelt. Purer Steampunk also. Es ist natürlich ungleich charmanter wenn man solche Sachen von Eco geschildert bekommt, weil die Erkenntniskurve dabei deutlich in eine andere Richtung weist und man sich nicht ständig die Hand vor den Kopf klatschen muss.

        Den „Friedhof von Prag“ fand ich auch sehr gut. Verblüfft hat mich aber etwas, rein formal, dass er da sehr lang einen Twist vorzubereiten scheint, den er dann ziemlich unspektakulär im Sande verlaufen lässt. Was natürlich unkonventionell und insofern originell ist, mich aber trotzdem etwas irritiert hat.

  6. Eine kleine Anmerkung:

    Der Name Veronika kommt von Griechisch Berenike und bedeutet Siegträgerin. Mit wahrem Bild hat das erst mal nichts zu tun.
    Die Umdeutung als wahres Bild – nicht besonders elegant, da verus latein und eicon griechisch ist – ist historisch nicht korrekt und kommt aus späterer Zeit. Auch wird der Name Berenike/Veronika in den Evangelien nicht erwähnt, sondern nur in den apokryphen Schriften.

    1. Es geht nicht um den Ursprung des Namens „Veronika“. Das Thema ist das sogenannte „Schweißtuch der Veronika“: Nach einer mittelalterlichen Legende (die Bibel kennt diese Geschichte in der Tat nicht) hätte eine Frau dieses Namens Jesus auf dem Weg nach Golgatha ein Tuch gereicht, um sich den Schweiß abzuwischen, und auf diesem Tuch wäre daraufhin ein Abbild seines Gesichts erschienen; dieses Tuch sei später aufgetaucht und in Rom wird eine solche Reliquie bis heute im Petersdom aufbewahrt. Der Name der Frau hat nun den Hintergrund, dass in apokryphen Texten der Bibel eine von Jesus geheilte Berenike erwähnt wird, deren griechischer Name „Veronika“ wäre, und weil dieser Name an „vera ikon“, also „wahres Abbild“ erinnert, bekam die Schweißtuchspenderin der mittelalterlichen Legende ihren Namen.

      1. Dass das „Schweißtuch der Veronika“ bis heute im Vatikan aufbewahrt werde, ist nicht so ganz gesichert. Ich wollte 2009 zusammen mit Paul Badde, dem Herausgeber des Vatikan-Magazins und Autor verschiedener Reliquien-Bände ein Buch über das „Volto Santo“ von Manoppello und das Grabtuch von Turin machen (er aus christlicher Sicht, ich aus atheistischer – trotz anfangs guter Zusammenarbeit hat es dann aber doch zu sehr geknirscht zwischen uns). Jedenfalls behauptet Badde, der das Tuch im Vatikan gesehen hat, dass darauf nur ein paar verwaschene Flecken zu sehen seien (was man nicht erkennt, wenn es den Gläubigen von dem Balkon hoch im Veronika-Pfeiler von St. Peter gezeigt wird) und dass das „echte“ Tuch vor Jahrhunderten von Rom nach Manoppello gebracht worden sei. Vielleicht erscheint in der (über)nächsten DOCMA mein Artikel dazu über die Makroaufnahmen, die ich damals von diesem Muschelseidentuch aufgenommen habe.

  7. Aha, das zum Thema wer hat mehr Zeit für was. Bringen kann es ja eh nichts als Zeit Totschreiben, die Legenden leben, sind schon lange Tod oder bleiben in den Köpfen der Menschen die es wollen. Es zeigt aber mal wieder wie wenig man sich an Ge-Ver-Bote hält oder gehalten hat. Wenigstens kann man mit dem Schreiben noch Aufmerksamkeit und Geld eintragen.

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