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Kodachrome-Blues: Der lange Abschied vom Foto-Olymp

Es gibt Namen, die sind mehr als nur Marken. Sie sind Epochen. Kodak ist so ein Name. Die Nachricht, dass der gelbe Riese aus Rochester mal wieder finanziell ins Straucheln gerät, fühlt sich daher weniger wie eine Wirtschaftsmeldung an, sondern eher wie der letzte, melancholische Akkord in einem langen Blues-Song. Es ist die Geschichte eines Giganten, der die Welt das fotografische Sehen lehrte und dann vergaß, die eigenen Augen offenzuhalten. Ein Lehrstück, das in keiner Managementschule fehlen darf und doch so viel mehr ist: eine Parabel über den schmalen Grat zwischen unantastbarem Ruhm und tragischem Scheitern.

Als die Welt noch gelb war

Erinnern Sie sich? Dieser kleine, gelbe Karton war ein Versprechen. Das Versprechen, Momente für die Ewigkeit zu bannen. George Eastmans Geniestreich von 1888, „Sie drücken den Knopf, wir machen den Rest“, war nicht weniger als die Demokratisierung der Erinnerung. Plötzlich war Fotografie keine alchemistische Geheimwissenschaft mehr für bärtige Herren in dunklen Kammern, sondern ein Vergnügen für jedermann. Kodak verkaufte keine Kameras und Filme; Kodak verkaufte „Kodak-Momente“ – ein geflügeltes Wort, das sich tief in den allgemeinen Sprachgebrauch fraß.

In seinen goldenen Jahren war Kodak der unangefochtene Imperator der Fotowelt. Mit Marktanteilen, die heute selbst Tech-Giganten vor Neid erblassen ließen, diktierte das Unternehmen aus dem Bundesstaat New York die Regeln. Der Kodak-Park war eine eigene Stadt in der Stadt, ein industrielles Wunderland, das den Rohstoff für die Träume von Milliarden Menschen fertigte. Auf den Photokinen hatte der Kodak-Stand oft die Größe einer eigene Halle. Wer damals „Fotografie“ sagte, meinte Kodak. Es war das Betriebssystem unserer visuellen Kultur, lange bevor es Betriebssysteme gab, die in eine Hosentasche passten.

Der digitale Selbstschuss

Die größte Ironie in dieser Wirtschafts-Tragödie ist so bitter, dass sie fast schon wieder komisch ist: Kodak hatte den eigenen Totengräber nicht nur im Haus, sondern züchtete ihn im firmeneigenen Labor. 1975 war es, als der junge Ingenieur Steven Sasson seinen Vorgesetzten eine seltsame Apparatur präsentierte: die erste Digitalkamera der Welt. Ein klobiges Ungetüm, das 23 Sekunden brauchte, um ein 0,01-Megapixel-Bild auf eine Kassette zu speichern. Die Reaktion der Chefetage ist legendär und symptomatisch: Man fand die Erfindung „niedlich“, bat Sasson aber höflich, das Ding bloß niemandem zu zeigen.

Warum? Weil die Manager vor der eigenen Innovation zitterten wie das Kaninchen vor der Schlange. Das digitale Bild bedrohte das goldene Kalb, das milliardenschwere Filmgeschäft. Man fürchtete die Kannibalisierung des eigenen Erfolgsmodells und entschied sich, den Kopf in den Sand zu stecken – einen Sand, der aus purem Silberhalogenid zu bestehen schien. Während Kodak also damit beschäftigt war, die eigene Zukunft zu ignorieren, rüstete die Konkurrenz auf. Fujifilm, Sony, Canon – sie alle sahen die digitale Schrift an der Wand und handelten. Kodak hingegen polierte weiter das Messing am sinkenden Schiff. Der Rest ist Geschichte: die Insolvenz 2012, gefolgt von verzweifelten Versuchen, sich neu zu erfinden. Es wirkte oft wie der Versuch eines gefallenen Rockstars, mit einem Blockflöten-Solo ein Comeback zu starten.

Portra, Ektar und die Sehnsucht nach dem Korn

Und doch ist die Geschichte nicht ganz zu Ende. Denn während das Unternehmen Kodak ums Überleben kämpft, erlebt sein größtes Vermächtnis eine wundersame Wiederkehr. In einer Welt der klinisch perfekten, rauschfreien 8K-Bilder und der unendlichen Bilderflut auf Instagram wächst bei einer neuen Generation von Fotografen die Sehnsucht nach dem Echten, dem Haptischen, dem Unvollkommenen. Die analoge Fotografie feiert ein Comeback, und mit ihr die legendären Emulsionen aus dem Hause Kodak.

Namen wie Kodachrome, Portra 400, Ektar 100 oder der mythische Tri-X klingen in den Ohren von Kennern wie die Namen alter Heiliger. Sie sind der Goldstandard, der Look, den unzählige digitale Filter und Presets vergeblich zu imitieren versuchen. Der sanfte, schmeichelhafte Hautton eines Portra-Films, die knallige, fast surreale Farbsättigung eines Ektar, das zeitlose, körnige Schwarzweiß eines Tri-X – das ist die analoge Seele, die sich nicht in Nullen und Einsen pressen lässt.

Diese Renaissance ist mehr als nur Hipster-Nostalgie. Sie ist ein bewusster Gegenentwurf zur digitalen Hektik. Wer einen Film einlegt, der nur 36 Aufnahmen erlaubt, überlegt sich jeden Druck auf den Auslöser. Man entschleunigt. Man komponiert. Man wartet voller Spannung auf die entwickelten Negative. Es ist die Rückkehr zur Magie des Handwerks in der Zeit der automatisierten Beliebigkeit. Kodak mag als Konzern gescheitert sein, aber die Seele seiner Produkte lebt in den Kameras einer neuen, alten Avantgarde weiter.

Was vom Tage übrig blieb

Der Fall von Kodak ist und bleibt ein Mahnmal. Er zeigt, dass Dominanz vergänglich und Erfolg ein schlechter Ratgeber ist. Er lehrt uns, dass man sich vor nichts mehr fürchten sollte als vor der eigenen Angst vor Veränderung. Für uns Bildschaffende ist es aber auch eine Erinnerung daran, dass Technologie nur ein Werkzeug ist. Die Seele eines Bildes entsteht nicht im Sensor, sondern im Auge und im Herzen des Fotografen.

Vielleicht ist das der letzte, der wahre „Kodak-Moment“: die Erkenntnis, dass die besten Bilder nicht die technisch perfektesten sind, sondern jene, die eine Geschichte erzählen und ein Gefühl bewahren. Ob auf einer körnigen Tri-X-Emulsion oder einem 100-Megapixel-Sensor, ist am Ende vielleicht gar nicht so entscheidend. Der gelbe Karton mag aus den Regalen verschwunden sein, aber die Idee dahinter ist unsterblich.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

8 Kommentare

  1. Allerdings muss auch erinnert werden, dass Kodak IMO relativ leistbare Vollformat-Sensoren in Kameras von Canon und Nikon eingebaut hat. CANON hatte damals die EOS 1D mit kleinerem Sensor und über 4 Megapixel, Nikon die D1 mit einem noch kleineren Sensor weit unter 3 Megapixel. Die Kodak hatte einen 24×36 mm-Sensor mit beinahe 14 Megapixel!.
    Ich hatte damals die Gelegenheit mit einer Kodak-Variante, der Kodak DCS Pro 14n, ein paar Stunden lang durch die Stadt zu gehen und konnte mich an der guten Bildqualität bei ausreichend gutem Licht erfreuen. Immerhin war es ein CMOS-Sensor, während CANON und Nikon in ihren Gehäusen noch CCD-Sensoren verwendeten.
    Anscheinend hat Kodak keine Weiterentwicklung mit einem eigenen Gehäuse oder eine Kooperation mit einem anderen Hersteller vorgenommen.
    Immerhin hat CANON Ende 2005 die EOS 5D zu einem recht attrakriven Preis angeboten, die weitere Entwicklung von Kodak-DSLRs kennen Sie sicherlich besser als ich.

    1. Canon war tatsächlich als erster DSLR-Hersteller auf CMOS-Sensoren umgestiegen; das erste Modell dieser Art war die EOS D30 aus dem Jahre 2000. Während dieses Modell noch einen APS-C-Sensor mit 3 Megapixeln hatte, waren sie zwei Jahre später mit der EOS-1Ds beim Kleinbildformat mit 11 Megapixeln angelangt, und auch das war ein CMOS-Sensor. Kodak wiederum stellte fast ausschließlich CCDs her; CMOS war nie deren Stärke gewesen. Die CMOS-Sensoren in der DCS Pro 14n und DCS Pro SLR/n hatte Kodak zugekauft; sie stammten vom belgischen Hersteller FillFactory.

      Kodak hatte seine DSLRs zunächst auf Basis entkernter analoger Canon- und Nikon-Modelle entwickelt, aber in den folgenden Jahren begann auch bei Nikon das Interesse zu schwinden, andere Hersteller an ihrem SLR-System partizipieren zu lassen. Nikon hatte jahrelang technologisch hinter Canon zurückgelegen und ermunterte daher Kodak und Fuji, auf Nikon-SLR-Basis eigene DSLR-Modelle zu entwickeln, die Nikons eigenen Kameras überlegen waren. Das stärkte immerhin die Glaubwürdigkeit von Nikons System, auch wenn sie deshalb weniger Kameras verkauften. Spätestens mit der D200 konnte Nikon aber wieder auf Augenhöhe konkurrieren und verlor das Interesse an Kooperationspartnern. Fuji hatte ihnen noch eine eigene Variante der D200 (die S5 Pro) abringen können, aber Kodak war schon nach der DCS Pro SLR n (2004) ’raus und Fuji nach der S5 Pro ebenfalls. (Die zum Canon-EOS-System kompatible DCS Pro SLR/c, das Schwestermodell zur Nikon-kompatiblen DCS pro SLR/n, entstammte keiner Kooperation mit Canon; vielmehr verwendete Kodak ein Gehäuse eines anderen Herstellers, mutmaßlich Sigma.)

      Kodak hätte ein eigenes DSLR-System auflegen müssen, um weiter in diesem Markt präsent zu sein, aber davor hatten sie aus guten Gründen zurückgeschreckt.

      Davon abgesehen: Die Entwicklung von Kodak im Zeitalter der Digitalfotografie kann man in der Tat auch anders sehen: https://digicam-experts.de/wissen/56

    1. Egal: Der Pionier beim Einsatz von CMOS-Sensoren für qualitativ höherwertige Aufgaben – CMOS-Sensoren wurden bis dahin nur in Billigprodukten genutzt – war Canon. Sie haben ihre Sensoren selbst entwickelt und hergestellt und dabei die Probleme mit dem starken Fixed-Pattern-Noise gelöst, das den breiteren Einsatz der CMOS-Technologie lange verhindert hatte. Canon baute daraufhin in allen ihren DSLRs CMOS-Sensoren ein, Jahre vor der ersten Kodak-DSLR mit CMOS-Sensor.

      Die DCS Pro 14n, die Kodak gleichzeitig mit Canons erstem Vollformatmodell eingeführt hatte, verwendete einen Sensor, den sie nicht selbst hergestellt hatten und der qualitativ nicht mit Canons Vollformatsensor vergleichbar war – die drei Megapixel mehr rissen es nicht ’raus. Das größte Problem war, wie zu erwarten, das Rauschen: Bei ISO 400 war Schluss, und schon dieser Wert war nur marginal nutzbar; auch Langzeitbelichtungen waren stark verrauscht.

      Kodaks Nachfolgemodell konnte das ISO-Spektrum immerhin auf ISO 800 steigern und verringerte das Rauschen in Langzeitbelichtungen, indem mehrere kürzere Belichtungen miteinander verrechnet wurden. Dazu musste man mit dem ISO-Wert aber auf ISO 6 heruntergehen, um 60 Sekunden belichten zu können. Wie ich damals in meinem Test schrieb: „Der Nutzen der längeren Belichtungszeiten bleibt also zweifelhaft, da die Empfindlichkeitsreduktion den Effekt der höheren Lichtausbeute weitgehend zunichte macht.“

      Eine Zeitlang produzierte Kodak auch eigene CMOS-Sensoren in kleineren Formaten, gaben das dann aber zugunsten der CCDs wieder auf. Eigene Kleinbild- oder APS-C-Sensoren in CMOS-Technologie haben sie nie gebaut. Wie gesagt: Wenn es um CMOS-Sensoren ging, war Kodak nirgendwo vorne dabei, weder im Kleinbildformat noch in irgendeinem anderen. Dagegen sind ihre CCDs bis heute zum Beispiel in diversen Raumsonden der NASA aktiv. Der Hersteller, der Jahre vor allen anderen auf CMOS-Sensoren in DSLRs gesetzt hatte, war nicht Kodak, sondern Canon. (Worüber damals übrigens die ganze Fachwelt den Kopf geschüttelt hatte, da man CMOS eher mit Spielzeugkameras assoziierte, aber bei Canon war man sich seiner Sache sicher und behielt am Ende recht. Canon blieb dann einige Jahre technologisch führend, bis ihnen Sony bei CMOS-Sensoren den Rang ablief.)

  2. Ach, eigentlich ist es gar nicht entscheidend, mit welcher Technik ein Bild festgehalten wird, wenn es zuvor im Kopf entstanden ist.
    Natürlich ging man damals sparsam um mit dem Vorrat an 36 Bildern (manchmal nur 20, mit der Mamiya M645 sogar noch weniger, je nachdem ob man 120er oder 220er Rollfilm einlegte).
    Trotzdem: Schöne Erinnerungen kommen hoch, an Kodachrome und Ektachrome (der 400er war verdammt teuer).
    Darum habe ich immer noch meine allererste SLR, die Canon AE-1, gekauft 1978 von meiner Abfindung nach dem Grundwehrdienst, in der Vitrine. Sie funktioniert enwandfrei!
    „Irgendwann“ kaufe ich einen Film und ziehe los, nur mit dem 1,8/50 er drauf 😉
    Aber ehrlich: Eine Belichtungsreihe hätte ich mir damals gar nicht leisten können! Heute kein Problem.
    Nachdem ich also in einer Fachzeitschrift gelesen hatte, dass ein gut belichtetes, hochwertiges Diapositiv etwa 15 Megapixeln entspricht, stieg ich freudig und etwas naiv um auf digital, kaum dass ich mir eine entsprechende Kamera leisten konnte.
    Der Gang der Welt!
    Das wundervolle goller-goller-goller- Geräusch eines dicken V8 bei sanfter Beschleunigung wird es wohl auch nicht ewig geben…

  3. Auch heute noch montiere ich in meine Bronica EC-TL einen 120er Ektachrome. Vom senkrechten Sucher auf den Horizontalen zu wechseln, braucht Zeit. Aber immerhin bin ich noch schneller als mit meiner Sony Mavica, die zum Speichern auf 3,5 Zoll-Diskette pro Bild 30 Sekunden braucht. Die maximal zwei Bilder pro Minute übertrifft die Bronica mit dem Filmtransport locker und das eine Megapixel der Sony bei weitem. Nur das Warten auf die 12 Bilder pro Film dauert dann eben Tage. Zeit ist nicht alles, sondern nur, “ was die Zeiger der Uhr zeigen“ (Zitat eines Schweizer Physikers) 😉

  4. Auch interessant – wenn in viel kleinerem Rahmen: Sony Deutschland, das nach Akio Moritas Tod vom Merktführer für braune Ware mit 2,6 Milliarden Umsatz, in kurzer Zeit in die Insolvenz führte. Man entliess die älteren Spezialisten, um als jung und peppig zu gelten. Damit begann der Abstieg und heute ist Sony Deutschland eine niederländische Firma ohne Rechtsnachfolger…

    1. Sony Deutschland, die deutsche Niederlassung von Sony Europe, war nie insolvent. Sie waren zwar mal in Schieflage geraten, woraus sie der japanische Mutterkonzern dann aber befreit hat. Dass Sony Europe BV und dessen deutscher Ableger Sony Deutschland BV (weiterhin in Berlin) Gesellschaften nach niederländischem Recht sind, ist eine Konsequenz des Brexit: Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU hat Sony seinen europäischen Verwaltungssitz von London in die Niederlande und damit wieder in die EU verlagert. So oder so wird die Geschäfts- und Produktpolitik Sonys nicht in Deutschland oder überhaupt in Europa bestimmt, sondern am Konzernsitz in Japan. Für DOCMA-Leser dürfte vor allem relevant sein, dass Sony im Kameramarkt seit Jahren auf Platz 3 und manchmal 2 liegt. Bei den Bildsensoren ist Sony seit Jahren unangefochtener Marktführer; wer nicht auf Canon-Produkte schwört, fotografiert wahrscheinlich mit einem Sony-Sensor.

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