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KI in der Designpraxis nutzen – eine Buchbesprechung

Jenny Habermehl: Künstliche Intelligenz für Grafik und Design nutzen

Der Ausruf: Das hat uns gerade noch gefehlt! bedeutet meist, dass etwas ziemlich überflüssig und eher lästig ist. In Bezug auf das Buch von Jenny Habermehl „KI für Kreative“ allerdings meint Doc Baumann diesen Satz wörtlich und völlig ernst. Eine solche Zusammenstellung, die auf die verschiedensten Aspekte der KI-Anwendung eingeht, hat bisher tatsächlich gefehlt und ist daher hochwillkommen.

Jenny Habermehl mit Midjourney: »a scene from a film Matrix directed by Die Wachowskis, showing a scene from the future of a graphic designer working with futuristic tools and artificial intelligence, photorealistic, high detail –ar 3:2«

„KI für Kreative“ ist keines dieser Bücher, die Prompt an Prompt reihen und stolz die dabei herausgekommenen Bilder präsentieren – selbst dann, wenn diese mit der Prompt-Vorgabe recht wenig zu tun haben. Mit etwas Einweisung würde das auch ein Erstklässler schaffen, und wir könnten uns darauf verlassen, dass die KI ein paar Schreibfehler großzügig korrigieren und ansehnliche Ergebnisse ausspucken würde, denen man nicht ansieht, ob sie ein Sechs- oder ein Sechzigjähriger geschaffen hat. Was auch immer „geschaffen“ in diesem Zusammenhang bedeuten mag.

Das Buch von Jenny Habermehl dagegen ist im besten Sinne ein Lehrbuch. Sie setzt KI zwar zur Illustration ihrer Texte ein, verzichtet aber (meistens) dankenswerterweise darauf, diese als Alibi zu verwenden, um tolle Bilder vorführen zu können. Dazu kennt sie KI zu gut und weiß, dass es wahrlich keine Kunst ist, auf diesem Weg irgendwelche beeindruckenden Ergebnisse zu erzielen. Denn die eigentliche Kunst besteht darin, das am Ende herauszubekommen, was man anfangs im Kopf hatte. Mit Prompts zu jonglieren, ist dabei die sicherlich wichtigste, aber bei weitem nicht einzige Anforderung.

Jenny Habermehl mit DALL-E·3: »Ein alter Bibliotheksraum, in dem eine Frau europäischer Abstammung ein Buch liest, während sich die Welt um sie herum in schnellem Tempo verändert«

Statt nun mühsam nachzuerzählen, welche Aspekte sie behandelt, gebe ich hier der Einfachheit halber erst einmal die wichtigsten Überschriften des Inhaltsverzeichnisses wieder:

Kapitel 1: Künstliche Intelligenz – eine Einführung
KI – ein neues Werkzeug
Künstliche Intelligenz verstehen
Einschränkungen und Probleme von KI-Systemen
Formen und Schnittstellen von KI
Relevanz von KI im Designbereich

Kapitel 2: Künstliche Intelligenz und Kreativität
Ist KI kreativ?
Auswirkungen von KI auf die eigene Kreativität
KI als Ideenmaschine

Kapitel 3: KI im Designworkflow einsetzen
Ansätze zur Integration von KI
KI-Tools mit System auswählen

Kapitel 4: Prompting für generative KI
Einführung in das Prompting
Prompting für Fortgeschrittene

Kapitel 5: KI-Programme im Kreativalltag
Midjourney
ChatGPT 4.0
Adobe Firefly (Webanwendung)
Adobe Photoshop (Firefly)
Adobe Illustrator (Firefly)
DreamStudio by stability.ai
Runway

Kapitel 6: Recht und Ethik
Rechtliches in Verbindung mit KI
Ethik und Umwelt

Kapitel 7: KI als zukünftige Designassistenz
Das digitale Dilemma
Mögliche Entwicklungen in der Zukunft
Ein erstes Fazit

Jenny Habermehl mit Midjourney: »a scene from the cartoon movie Alice in Wonderland directed by Walt Disney,showing a scene from the future of a female graphic designer working with futiurtistic tools and artificial intelligence, photorealistic, high detail –ar 16:9«

Das alles wird ausführlich und in der gebotenen Tiefe gut nachvollziehbar dargestellt. Man kapiert es auch dann, wenn man mit den Werkzeugen noch nicht vertraut ist – aber natürlich weit besser, wenn man bereits eigene Erfahrungen damit gesammelt hat. Und man lernt natürlich, je nach Ausgangskenntnis, immer noch dazu. So wusste ich zwar, dass Bild-KI langsam und zaghaft lernt, lesbare Texte darzustellen – aber nicht, dass es bereits Systeme gibt, die sogar typographische Experimente erlauben. (Ich habe mich kürzlich mit Friedrich Forssman getroffen, derzeit der wohl bedeutendste deutsche Buchgestalter, und ihm die entsprechenden Seiten aus Habermehls Buch gezeigt; selbst er war recht beeindruckt von den Ergebnissen.)

Getreu dem Titel „KI für Kreative“ klagt Habermehl nicht darüber, dass KI uns alle arbeitslos machen wird, sondern gibt praxisnahe Ratschläge an die Hand, wie KI als hochentwickeltes Werkzeug den kreativen Prozess von Menschen anregen, erweitern und strukturieren kann. Akteure bleiben also immer Menschen mit Absichten (eigenen oder beauftragten), und KI kann dabei helfen, zu besseren Problemlösungen zu gelangen. Dabei unterstützt KI etwa in Form von ChatGPT nicht allein auf dem Weg dorthin, sondern sie macht im weiteren Fortgang auch konkrete Vorschläge für die Umsetzung und Visualisierung. Die kann man zurückweisen, weiterentwickeln, übernehmen oder modifizieren. Im Unterschied zu (aber auch im Kooperation mit) vielen „Kreativitätstechniken“ fallen die Inspirationen hier nicht vom Himmel, sondern sind plan- und durchschaubar.

Positiv zu würdigen ist auch der stetig enge Praxisbezug, der sich nicht allein darin ausdrückt, dass es zu jedem Kapitel ausdrückliche Praxisabschnitte gibt.

Also ein rundum gelungenes und empfehlenswertes Buch. Und … gar keine Einschränkungen?

Drei Aspekte sollen hier genannt werden: Zum einen wird, wie bereits im Untertitel des Buches klar signalisiert, die Hauptzielgruppe in den Bereichen Grafik und Design angesprochen. Aber es kann auch Lesern, die bevorzugt simulierte Fotos oder Gemälde generieren wollen, nicht schaden, sich für die eigene Tätigkeit mit den strengeren und stärker strukturierten Arbeitsabläufen vertraut zu machen, die im Designbereich üblich sind.

Zum anderen: Ach ja, die Leser, dieses verflixte generische Maskulinum. Zum einen verzichtet die Autorin erfreulicherweise (meistens) auf unlesbare Gendersprache mit ihren diversen Formen von Sternchen, Unterstrichen, Doppelpunkten usw. Statt platzraubender und keine zusätzlichen Informationen transportierender  Doppelformen wie „Leserinnen und Leser“ hat sie sich überwiegend für eine Variante entschieden, die ich vorübergehend auch mal benutzt habe, bis mir klar wurde, dass sie unsinnig ist und nur Anlass für vermeidbare Missverständnisse liefert. Ein Beispiel: „Dank Midjourney werden nicht alle plötzlich zu Fotografen oder Designerinnen.“ Heißt das, dass aber alle zu Fotografinnen und Designern werden? Auch wenn der Schluss zulässig wäre, ist es so natürlich nicht gemeint, also wäre es kommunkationsfördernder, es gleich so zu schreiben, wie es gemeint ist. (Am Rande: Auch das „dank“ ist hier etwas missverständlich und sollte besser „Allein wegen …“ heißen.) Zum Ende des Buches hin tauchen Genderformen mit * allerdings vermehrt auf. Mich stört das beim Lesen erheblich – andere mögen es schätzen (laut Statistik etwa 17%).

Drittens schließlich geht die Autorin kaum auf Einschränkungen der KI ein, die nicht technisch bedingt sind, sondern gezielt als Umsetzungen überbordender politischer Korrektheit implementiert werden. Oder genauer gesagt: Sie bewertet sie im Unterschied zu mir eher positiv. Das betrifft beispielsweise Nacktheit oder Gewalt, aber auch etwa die Notwendigkeit, bei der Darstellung eines mittelalterlichen Papstes explizit prompten zu müssen, dass dieser weder weiblich noch schwarz ist. Sie betrachtet das unter einer anderen Perspektive und legt größeren Wert auf die Vermeidung von möglicher Diskriminierung. Ich möchte ein Werkzeug hingegen nach meinen eigenen Maßstäben und Bedürfnissen einsetzen und nicht nach denen seiner Hersteller. Ein Hammer, mit dem man garantiert niemanden verletzen kann, wird sich auch für das Einschlagen eines Nagels schlecht eignen.

Habermehls Perspektive kommt gut in dem Abschnitt zum Ausdruck: „Die Gefahr ist, dass durch unrealistische Abbildungen beispielsweise von Gesichtern und Körpern in den sozialen Medien auch überall sonst, z.B. in der Werbung, unerfüllte Erwartungen geweckt werden. Diese Verzerrung der Wirklichkeit, nicht nur im politischen Sinne, kann das Selbstbild erheblich schädigen und unerfüllbare Erwartungen in Aussehen und Lebensstandard wecken.“ Das ist nicht falsch – aber auch nicht neu. Ich bin in diesem Zusammenhang und anderen schon mehrfach auf die Geschichte des antiken Malers Zeuxis und seinem Bildnis der Helena eingegangen; falls Sie es nicht mehr im Kopf haben, suchen Sie auf der DOCMA-Website oder im Web nach dem Stichwort „Kroton“. Idealisierung ist seit Bestehen von so etwas wie Kunst eine zentrale Zielsetzung; es gibt wenig Gründe, sich die visuelle Verdoppelung des alltäglich Langweiligen auch noch auf Bildern anzutun. Das Problem besteht – aber es scheint mir eher auf der Seite derer zu liegen, die die Bilder anschauen und nun plötzlich mit neuen Erwartungen aufladen.

Aber das sind wirklich eher Kleinigkeiten. Positiv zu würdigen ist übrigens auch, dass Jenny Habermehl kurz darauf eingeht, dass die Arbeit mit generativer KI – beim Training wie bei der Anwendung – eine sehr umweltbelastende Technik ist, die nicht nur gewaltige Mengen Strom verbraucht, sondern zur Kühlung auch Unmengen von Wasser. Seltsam, dass diese Abwärme bisher wohl nicht genutzt wird, um sie in Fernwärmenetze einzuspeisen. Aber vielleicht liefert eine clevere KI demnächst ja eine Idee, wie das Ganze etwas umweltfreundlicher und ressourcenschonender gehandhabt werden kann.  Die angekündigten, angeblich rund 10.000 mal schnelleren Neuro-Chips wären wahrscheinlich ein solcher Schritt.

Zum Abschluss noch drei Zitate aus dem Buch: „Nun kann jemand eventuell ohne oder nur mit geringen Photoshop-Kenntnissen von der KI profitieren. Doch die Person braucht trotzdem das Wissen über die Möglichkeiten und Grenzen des Programms sowie überhaupt die Idee für solch ein Bild – und nicht zu vergessen: die Fähigkeit, die Idee zu einem Prompt zu formulieren, das beste Ergebnis zu kuratieren und das Ergebnis – falls notwendig – nachzubessern. Wenn wir Menschen also ausgebootet werden, dann eventuell durch andere Menschen, die KI für sich zu nutzen gelernt haben und damit schneller und effizienter sind. Zusammen mit tiefen fachlichen Kenntnissen bringt KI manch einen zu großartigen Ergebnissen innerhalb von kurzer Zeit. Wer KI bereits erfolgreich eingesetzt hat, weiß, was ich damit meine.“

„KI macht uns nicht zu besseren Gestalter*innen. Sie ermöglicht es, Aufgaben manchmal besser und schneller zu erledigen. Sie kann uns aber auch aufhalten, Zeit und Geld kosten und unsere Kreativität sogar mindern.“

„Vergessen Sie nicht, dass wir Menschen sind und für Menschen etwas schreiben, gestalten, kreieren – nicht für den Algorithmus. Vor lauter Optimierung gehen der Spaß und auch die Authentizität verloren. Nur weil wir nun Inhalte am laufenden Band erstellen können, müssen wir das nicht allen zumuten und diese ungefiltert veröffentlichen, wie es andere bereits tun.“

Jenny Habermehl
KI für Kreative. Künstliche Intelligenz für Grafik und Design nutzen
Rheinwerk Verlag, 2024
317 Seiten, Broschur, Farbabbildungen, € 39,90

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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