Verstärkt KI den digitalen Jugendwahn für Frauen?

Die Beobachtung ist so eindeutig wie erschreckend: Während Männer im Netz altern dürfen, werden Frauen systematisch jünger dargestellt. Eine aktuelle Studie der Universität Berkeley Haas zeigt, dass künstliche Intelligenz diesen Trend nicht nur übernimmt, sondern noch verstärkt – mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen, die direkt in unseren kreativen Alltag hineinwirken.
Seit das Digitale mit unerbittlicher Geschwindigkeit in jeden Lebensbereich vordringt, sollten wir uns gelegentlich daran erinnern, dass unsere Bilderwelten keine neutralen Abbilder der Wirklichkeit sind. Das trifft in besonderem Maße auf die Darstellung von Geschlechtern zu – und wie eine umfassende Studie nun belegt, besonders auf deren Altersdarstellung. Die Zahlen sind beeindruckend: Forscher analysierten fast 1,4 Millionen Bilder und Videos von Plattformen wie Google, Wikipedia, IMDb, Flickr und YouTube. Das Ergebnis? Frauen werden konsequent und statistisch signifikant jünger dargestellt als Männer, und das über 3.495 Berufs- und Sozialkategorien hinweg. Während wir uns bisher einbilden konnten, dass unsere smarten KI-Bildgeneratoren diesen menschlichen Makel überwinden würden, passiert genau das Gegenteil: Die künstliche Intelligenz verstärkt diese Ungleichheit noch.
Die unsichtbare Verzerrung in hochrangigen Berufen
Besonders augenfällig wird diese Schieflage dort, wo Status und Macht auf dem Spiel stehen: bei hochrangigen Berufen wie Führungskräften, Ärzten oder in der Finanzwelt. In der realen Welt existiert laut US-Zensusdaten kein wesentlicher Altersunterschied zwischen Männern und Frauen in diesen Positionen. Im digitalen Raum hingegen wird der ergraute Mann zum Sinnbild von Erfahrung und Autorität, während ältere Frauen scheinbar aus dem Bildarchiv der Menschheit verschwinden – oder durch jüngere Versionen ersetzt werden.
Es hat etwas tragisch Ironisches: Ausgerechnet bei den Bildern, die wir als unmittelbare Abbilder der Wirklichkeit verstehen, schleicht sich diese systematische Verzerrung ein. Während wir in den letzten Jahren zunehmend sensibel für Bildmanipulationen durch Photoshop wurden, ist uns der viel subtilere Effekt der Bildauswahl entgangen. Welche Gesichter wir mit welchem Alter zu sehen bekommen, das hat weitaus mehr Einfluss auf unsere Wahrnehmung als ein paar wegretuschierte Falten.
Die KI als unbewusste Komplizin
An dieser Stelle könnte man hoffen, dass die neue Generation von KI-Bildgeneratoren uns aus dieser Falle befreit. Immerhin wurden sie oft mit dem Versprechen entwickelt, unsere Vorurteile zu überwinden und neue, vielfältigere Bildwelten hervorzubringen. Doch die Hoffnung trügt: Statt die Verzerrung zu korrigieren, verstärkt die künstliche Intelligenz sie noch. In einem aufschlussreichen Experiment ließen die Forscher ChatGPT etwa 40.000 Lebensläufe generieren. Das Ergebnis? Die KI nahm an, dass Frauen jünger seien und weniger Erfahrung hätten. Bei der Generierung von Lebensläufen für Frauen ging ChatGPT von einem um durchschnittlich 1,6 Jahre jüngeren Alter aus. Noch beunruhigender: Bei der Bewertung von Lebensläufen stufte die KI ältere männliche Bewerber als qualifizierter ein als weibliche für dieselben Positionen. Diese Voreingenommenheit ist tief im System verankert, und der Mechanismus dahinter ist erschreckend banal: KI-Systeme lernen aus den Bildern und Texten, die wir ihnen verfüttern. Wenn diese bereits eine Schieflage aufweisen, wird die KI nicht zum neutralen Korrektor, sondern zeigt diese Ungleichheit. Das hat nichts mit bösen Absichten zu tun, sondern mit der Funktionsweise maschinellen Lernens: Es reproduziert Muster, die es erkennt – seien sie nun fair oder unfair.

Was das für uns Bildschaffende bedeutet
Die Macht der Bilder ist unbestritten. Doch was oft unterschätzt wird, ist ihre formende Kraft auf unser eigenes Denken und Handeln. Ein faszinierender Teil der Berkeley-Studie zeigt: Wenn Menschen Bilder von Frauen in bestimmten Berufen sehen, schätzen sie das Durchschnittsalter für diese Berufe um mehr als fünf Jahre niedriger ein, als wenn sie Bilder von Männern in denselben Positionen betrachten. Dieser Effekt verstärkte sich sogar noch bei KI-generierten Bildern.
Wir sind also nicht nur passive Konsumenten dieser verzerrten Bilderwelt, sondern übernehmen unbewusst deren Muster. Die jungen Frauen und älteren Männer in den Bildern werden zu einem Schema in unseren Köpfen, das möglicherweise reale Entscheidungen beeinflusst – etwa bei der Einstellung neuer Mitarbeiter oder bei der Frage, wen wir als kompetent wahrnehmen.
Der Fotograf von heute steht damit vor einem Dilemma: Bildet er die Welt ab, wie sie sein sollte, oder wie sie ist? Und in welchem Verhältnis stehen kommerzielle Anforderungen zur gesellschaftlichen Verantwortung? Die Bildredakteurin, die für einen Geschäftsbericht den 60-jährigen Vorstand neben der 35-jährigen Vorstandskollegin platziert – trifft sie eine bewusste oder unbewusste Wahl? Die Studie legt nahe, dass diese Wahl oft unbewusst von den Mustern beeinflusst wird, die wir täglich online sehen.
Gegensteuerung ist gefragt
Als visuelle Profis tragen wir eine besondere Verantwortung. Wir können diesen Kreislauf durchbrechen – oder verstärken. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist keine akademische Fingerübung, sondern eine Herausforderung für jeden, der professionell mit Bildern arbeitet.
Die Berkeley-Studie versteht sich als Weckruf. Sie will zeigen, dass unsere digitale Bilderwelt keine neutrale Zone ist, sondern durchzogen von subtilen und nicht so subtilen Verzerrungen. Die Frage, welche Bilder wir auswählen, wie wir sie bearbeiten und welches Prompt-Engineering wir bei KI-Systemen betreiben, ist eine zutiefst gestalterische und gesellschaftliche Entscheidung. Vielleicht liegt darin aber auch eine Chance. Wenn wir verstehen, wie diese Verzerrungen funktionieren, können wir aktiv gegensteuern und eine neue visuelle Kultur schaffen, die nicht nur ästhetisch ansprechend ist, sondern auch fairer und ausgewogener in ihrer Darstellung von Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters.






Die Frage ist ja nicht nur, was wir fotografieren, sondern auch was unsere Kunden haben wollen. Also machen Sie mich mal gerne fünf Jahre jünger oder fotografieren sie lieber so jüngere Kollegin. Es hängt viel mit unserem Selbstverständnis zusammen.