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Der programmierte Blick: Wenn KI die Kamera führt

Mein Freund Thomas, Werbefotograf der alten Schule, seufzte neulich theatralisch ins Weinglas. „Ich gebe auf“, sagte er und schob mir seinen Tablet-Computer über den Tisch. Darauf zu sehen: ein makelloses Produktfoto für eine Uhrenkampagne. „Dreißig Jahre habe ich gelernt, mit Licht und Schatten zu zu gestalten, und jetzt kommt ein Praktikant mit einem KI-Werkzeug und zaubert mir in zehn Minuten dasselbe Ergebnis hin.“ Ich betrachtete das Bild. Die Reflexionen auf dem Zifferblatt waren perfekter, als die Realität es je sein könnte. „Nicht dasselbe“, korrigierte ich ihn, „ein besseres.“ Thomas nickte resigniert. „Genau das ist das Problem.“

Thomas ist mit seinem digitalen Dilemma nicht allein. Er ist die neue Regel. Eine aktuelle Umfrage des Druckdienstleisters Saal Digital unter 724 europäischen Profi- und Hobbyfotografen bestätigt, was wir im Stillen längst wussten: Die Maschinen haben übernommen. Drei von vier Lichtbildnern haben künstliche Intelligenz bereits fest in ihren Arbeitsablauf integriert. Die Zahlen sind unmissverständlich: 77 Prozent nutzen KI für Retusche und Bildbearbeitung, 31 Prozent für die Generierung von Bildelementen oder ganzen Szenen und 21 Prozent lassen die digitalen Helfer ihre Arbeitsabläufe organisieren. Nur noch eine kleine Schar von 14 Prozent leistet Widerstand und verzichtet gänzlich auf KI-Unterstützung – eine aussterbende Spezies im digitalen Ökosystem.

Die Diktatur der Effizienz

Die Fotografie durchlebt damit ihre dritte große Revolution. Nach der Demokratisierung durch Kodak und der Digitalisierung um die Jahrtausendwende erleben wir nun die Verschmelzung von Fotografie und Berechnung. Die entscheidende Frage ist nicht mehr, ob wir KI nutzen, sondern warum. Die Umfrage liefert eine ernüchternde Antwort: Für 60 Prozent der Befragten sind Zeitersparnis und Kosteneffizienz der Hauptgrund. Die kreative Erweiterung der eigenen Möglichkeiten folgt mit 45 Prozent erst an zweiter Stelle.

Hier offenbart sich der Kern des Wandels: Der moderne Fotograf opfert bereitwillig einen Teil seiner handwerklichen Kunst auf dem Altar der Produktivität. Es ist die logische Konsequenz einer Gesellschaft, in der auch das letzte Quäntchen Kreativität dem Diktat der Effizienz unterworfen wird. Die KI wird nicht primär als Pinsel für neue Welten begriffen, sondern als Schraubenschlüssel zur Optimierung des Getriebes. Ziel ist nicht unbedingt das bessere Bild, sondern der schnellere Weg dorthin. Dieser Pragmatismus hat jedoch einen hohen Preis: die schleichende Erosion des individuellen Stils. Denn Werkzeuge, die darauf trainiert sind, aus Millionen von Bildern die „perfekte“ Lösung zu errechnen, tendieren unweigerlich zur ästhetischen Mitte – zu einer globalisierten, hochglanzpolierten visuellen Sprache ohne Dialekt.

Die Ästhetik der berechneten Perfektion

Was bedeutet es für unsere visuelle Kultur, wenn die Grenze zwischen dem fotografierten und dem generierten Bild nicht nur verschwimmt, sondern verdampft? Die Entwicklung beginnt im Kleinen, bei Funktionen, die wir längst als selbstverständlich hinnehmen. Moderne Kameras nutzen KI, um Augen, Gesichter und Tiere automatisch zu fokussieren. Smartphones analysieren Szenen in Echtzeit und optimieren jedes Pixel, noch bevor der Finger den Auslöser berührt. In der (auch Kamera-internen) Postproduktion setzen sich diese Prozesse fort: Programme optimieren Farben und Kontraste, entfernen auf Knopfdruck störende Objekte, tauschen ganze Himmel aus oder glätten Hauttöne mit einer Präzision, für die früher Stunden mühsamer Handarbeit nötig waren.

Das Resultat ist häufig eine Ästhetik der berechneten Perfektion, die sich selbst genügt und keinen Referenzpunkt in der Wirklichkeit mehr benötigt. Walter Benjamin sah im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit die „Aura“ des Kunstwerks schwinden. Heute löst sich in der KI-gestützten Bildwelt selbst die Aura des authentischen Moments vollends auf. Paradoxerweise führt dieser Drang zur Makellosigkeit zu einer neuen Sehnsucht nach dem Fehler. Analogkameras erleben eine Renaissance, und die unperfekte Polaroid-Ästhetik wird digital nachgeahmt – ausgerechnet mit Hilfe jener KI, die eigentlich für lupenreine Bilder sorgen soll. Wir stellen das perfekte Bild her, nur um es anschließend künstlich zu verderben, damit es wieder authentisch wirkt. Ein absurdes Theater.

Handwerker oder Maschinenflüsterer?

Wenn Bilder technisch zu perfekt aussehen, wird die bewusste, menschliche Unvollkommenheit zum entscheidenden Unterscheidungsmerkmal. Die Zukunft der professionellen Fotografie wird sich daher in zwei Lager spalten. Auf der einen Seite „Maschinenflüsterer“, die als virtuoser Bediener von Algorithmen agiert. Sie kuratieren, dirigieren und montieren. Ihre Studios sind eine Kommandozentrale, ihre Kameras nur noch ein Datensammler für den nachgelagerten generativen Prozess. Ihre Leistung bemisst sich an der Effizienz und der technischen Brillanz des Ergebnisses.

Auf der anderen Seite steht der Fotograf als „Sehender“, der die Technik als Werkzeug, aber nicht als Visionär begreift. Er sucht nicht die Perfektion, sondern die Resonanz. Er weiß, dass ein Bild nicht durch die Abwesenheit von Fehlern, sondern durch die Anwesenheit von Gefühl überzeugt. Seine Währung ist nicht die technische Makellosigkeit, sondern die emotionale Wahrheit. Je perfekter die KI-generierte Fotografie wird, desto wertvoller werden jene Bilder, die ihre menschliche Handschrift nicht verbergen, sondern zelebrieren.

Die entscheidende Frage für jeden Fotografen wird sein, auf welcher Seite er stehen will.

Als ich mich von Thomas verabschiedete, fiel mein Blick auf ein altes Schwarzweißfoto an seiner Wand – ein Porträt seiner Großmutter aus den Fünfzigern. Technisch unvollkommen, mit leichter Unschärfe und grobem Korn. Und doch strahlte es eine Lebendigkeit aus, die kein Algorithmus je errechnen könnte.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. KI ist nur ein Werkzeug. Die hyper perfekte Welt und die Standardisierung von Menschen sind das eigentliche Problem, so faszinierend es auch sein mag, es ist anstrengend, verwirrend. Mein erster Eindruck ist immer: „Ist das echt?“ Und dann suche ich die Fehler der Perfektion, die Natur, die Wirklichkeit ist nicht perfekt. Jeder gute Fotograf hat das gelernt, egal wie man sich anstrengt, es bleibt unperfekt, irgendwas fehlt immer. Gerade wenn man zum Vergleich analoge Fotografie heranzieht, kann man genau sehen, wie gerade in der Unperfektheit, die Kunst liegt, zu fotografieren und Licht und Schatten einzusetzen, es ist menschlich, natürlich, nicht synthetisch , sterile.

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