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Alles so schön bunt hier

Die Ordnungen der Farben

Der Umgang mit Farben ist ja nun wirklich kein Problem. Benötigt man eine ganz bestimmte, greift man zur digitalen Pipette, klickt an die gewünschte Stelle eines Bildes und kann sofort damit weiterarbeiten. Notfalls öffnet man einen Farbwähler und klickt an die passende Position, und schon hat man eine von 16,7 Millionen Farben parat, bei 16 Bit gar 281 Billionen. Doc Baumann stellt Ihnen ein zweibändiges Werk über die Geschichte der Farbkonzepte vor, das zeigt, wie dies alles einmal anfing.

Bild eines Farbkastens mit Wasserfarbnäpfchen, generiert mit Adobe Firefly | Doc Baumann

 

Der Umgang mit den praktisch zahllosen Farben, die uns am Monitor zur Verfügung stehen, hat den Blick darauf verdunkelt, wie man früher mit ihnen umgegangen ist. Mit den „realen“ Farben, denen in Töpfen, sieht es kaum anders aus: Benötigen Sie einen bestimmten Farbton, suchen Sie den nächsten Baumarkt auf, halten eine mitgebrachte Farbprobe neben die aushängende Farbtabelle, und in ein paar Minuten mixt man Ihnen einen Fünflitereimer im gewünschten Ton zusammen. Diese Farben haben dann überwiegend Nummern, die bei ihrer Zuordnung helfen, manchmal auch Eigennamen.

Aber denken Sie mal an Ihre Schulzeit zurück. Da hatten Sie wahrscheinlich einen Wasserfarbkasten mit zwölf Farbnäpfchen und einer Tube Deckweiß. Aus diesem Dutzend mussten Sie dann in den Vertiefungen des Deckels alle anderen Farben mischen. In der doppelstöckigen Luxusausführung waren es zwei Dutzend, damit standen mehr Grundfarben nur Verfügung und das Mischen wurde einfacher.

Die Farben in diesen Kästen waren nicht willkürlich nebeneinandergereiht; es begann – und beginnt noch immer – mit Gelb, dann kamen Orange, Zinnober- und Karminrot, Violett, zwei Blau- und zwei Grüntöne, Ocker, Braun und Schwarz. Bei den Feldern der Farbtabellen im Baumarkt ist es ähnlich; auch sie sind nach bestimmten Ordnungen zusammengestellt. Auffällig ist dabei übrigens, dass die Reihenfolge der Näpfchen im Wasserfarbenkasten nicht der des Regenbogens entspricht: Da beginnt es mit Rot, das Grün folgt nach dem Gelb, erst dann kommt Blau und am Ende Violett. Ocker und Braun kommen dort nicht vor, Schwarz und Weiß gibt’s ohnehin nicht. Farben lassen sich also in bestimmte Reihenfolgen bringen, und das betrifft nicht nur die Farbtöne, hinzu kommen ihre Helligkeit und Sättigung.

 

1978 sang Nina Hagen „Alles so schön bunt hier“. Doch noch sechs Jahre später, als ich 1984 mit den Vorstufen zu digitaler Bildbearbeitung begann, passte eher das Zitat des amerikanischen Autofabrikanten Henry Ford: „Jeder Käufer kann ein Auto in jeder Farbe haben, die er möchte, vorausgesetzt es ist schwarz.“ Denn es gab damals lediglich schwarze und weiße Pixel. Es war schon ein Fortschritt, als zur Darstellung von 32 unterschiedlichen „Graustufen“ vorgefertigte Pixelraster angeboten wurden, und ein gewaltiger Sprung, als einige Jahre später echte Graustufen verfügbar wurden und es dafür sogar Monitore gab, die das darstellen konnten. Von Farben wagte man damals gar nicht erst zu träumen. Aber auch die wurden schließlich verfügbar – erst nur ein paar, mit Pixelrastern zu ein paar mehr mischbar, bis hin zu den heute vertrauten 16 Millionen oder gar 281 Billionen.

Dass wir heute mühelos auf so viele Farben zugreifen können, haben wir am Monitor der Digitaltechnik zu verdanken, beim Anstreichen oder Färben vor allem der Chemie des 19. Jahrhunderts. (Na ja, zu „verdanken“ … So haben etwa viele strahlend grüne Bucheinbände aus dem 19. Jahrhundert in meiner Bibliothek ihre schöne Farbe vom giftigen Arsen.)

Wer als Maler zuvor die sichtbaren Farben der Welt auf seiner Leinwand wiedergeben wollte, musste sich erst einmal die passenden Pigmente dafür besorgen. Das war bei Erdfarben – seit der Steinzeit – problemlos, sah aber etwa bei Blau- und Grüntönen ganz anders aus. Gemälde waren daher nicht nur als Kunstwerke wertvoll, sondern auch wegen der dafür verwendeten Farbmaterialien wie etwa Ultramarinblau. Von der Giftigkeit mal ganz abgesehen. Zudem führte die – subtraktive – Farbmischung der Pigmente stets zu dunkleren und weniger gesättigten Farben.

 

Sieht man einmal vom Streit um die Bedeutsamkeit der Künste ab, der nicht nur darum geführt wurde, ob nun die Malerei höherwertig einzustufen sei als die Bildhauerei, die Musik oder die Dichtung, sondern auch die Frage betraf, ob Zeichnung und Kontur wichtiger seien als Farbe oder umgekehrt, so hatte das Nachdenken über Farbe nicht nur ästhetische Ursachen, sondern eben auch ganz praktische, etwa ihre Lichtbeständigkeit. Und es ging um die Ordnung der Farben, zum Teil von denen des Regenbogens vorgegeben, um ihre Wirkungen auf Betrachter, um ihre individuelle und vergleichbare Benennung.

„The Book of Colour Concepts“, die zweibändige Zusammenstellung solcher Überlegungen von Alexandra Laske und Sarah Lowengard, widmet sich auf 850 großformatigen Seiten diesen Fragen der Farbkonzepte in ihrer historischen Entwicklung und stellt in Auszügen 67 wichtige Publikationen zwischen 1686 und 1963 vor.

Dabei werden aus jedem Buch relevante Seiten und vor allem Abbildungen vorgestellt und ausführlich kommentiert (viersprachig: englisch, deutsch, französisch und spanisch). Die Texte zu den einzelnen Publikationen sind kompetent geschrieben, gut lesbar und auch ohne eingehendes Vorwissen verständlich.

Interessant sind die unterschiedlichen Ansätze der Autoren und Autorinnen, ebenso wie ihr Bezug aufeinander und die diversen Methoden, die theoretischen Konzepte zu visualisieren. Dies geschieht weit überwiegend in Form von Diagrammen, aber es werden ebenso konkrete Anwendungen auf Gemälde vorgestellt. Auch die Entwicklung der „Diagramme“ ist interessant; sie erscheinen in linearer Form (wie beim Regenbogen), verteilt auf Scheiben, Räder oder Pyramiden, bis hin zu unterschiedlichen Versuchen, alle beteiligter Parameter in dreidimensionaler Form zu repräsentieren. Ein Beispiel dafür lieferte der deutsche Maler Philipp Otto Runge mit seinem Farben-Globus von 1810.

Wie vom Taschen Verlag gewohnt, ist die Qualität der Reproduktionen hervorragend, auf hochwertigem Papier gedruckt und aufwendig als Hardcover gebunden. Da sich Bildbearbeiter tagtäglich mit Farben, ihren Wirkungen, Harmonien, Kontrasten und Variationen befassen und oft gern mehr darüber wissen möchten, sind diese beiden hervorragend bebilderten Bände ein unverzichtbarer Schatz an Hintergrundinformationen und historischen Materialien.

 

Doch wie immer komme ich nicht umhin, auch ein paar kritische Aspekte aufzuzeigen, mal weniger wichtig, mal mehr. Wenn die Autorinnen auch dankenswerterweise darauf verzichten, Gendersprache mit * oder Binnen-I zu verwenden, so ist ihr spezifisches Interesse an der Rolle von Frauen in der Geschichte der Farbkonzepte doch unübersehbar. Dabei stört mich nicht die angemessene Würdigung der Rolle dieser Verfasserinnen, Forscherinnen und Künstlerinnen, sondern die wiederholten Hinweise darauf. Die Publikationen dieser Frauen vorzustellen, hätte ausgereicht, um ihre Bedeutsamkeit zu unterstreichen. Die mehrfachen Betonungen erwecken aber im Gegenteil eher den Anschein, als sei das verwunderlich und man würde es ihnen eigentlich kaum zutrauen.

Nachvollziehbar, aber dennoch schade finde ich die Begrenzung auf den Zeitraum vor 1963. Natürlich wäre bei einer Verfolgung der Konzepte bis in die Gegenwart der Rahmen von 850 Seiten, aufgeteilt auf zwei Bände, gesprengt worden, die schon so ihre 150 Euro zwar zweifellos wert, aber dennoch unterm Strich recht teuer sind. Aber gerade die Farbmodelle im digitalen Umfeld, mit denen wir heute arbeiten und die auf Modellen wie RGB, CMYK, HSB, HSL und wo weiter aufbauen, wären ein sinnvoller – vorläufiger – Abschluss gewesen.

Ein Aspekt, der mich interessiert hätte und der mir mitunter zu kurz kommt, sind die Herstellungsverfahren der Farbwiedergaben in den vorgestellten Publikationen. In der Anfangszeit war das klar, Bilder wurden manuell koloriert oder Farbmuster ebenso manuell aufgemalt, ausgeschnitten und eingeklebt. Auch die späteren Druckverfahren mit autotypischem Raster etwa ab der Jahrhundertwende dürfen als relativ bekannt vorausgesetzt werden. In den Jahrzehnten dazwischen aber bleibt manches offen; Bilder ließen sich zwar als Lithographien durchaus in verschiedenen Farben drucken, aber praktisch nicht in vielen hundert Farbvarianten. Diesem Aspekt hätte etwas mehr Raum gegeben werden können.

Mein letzter Punkt in diesem Zusammenhang – weniger Kritik als Hinweis auf ein Problem, das jedoch ausdrücklicher Erwähnung bedurft hätte – hängt mit den beiden letztgenannten direkt zusammen. Bei den Abbildungen der beiden Bände handelt es sich um Reproduktionen der Originalwerke, die, wie erwähnt, entweder gemalt und eingeklebt oder mit besonderen Druckverfahren produziert wurden. Diese Originale wurden nun für das Buch hochwertig gescannt, die Bilddaten für den Druck in die heute üblichen CMYK-Farben separiert und dann mit diesen vier Grundfarben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz in einem feinen frequenzmodulierten Raster gedruckt.

Nun wissen wir aber, dass dieser CMYK-Farbraum recht begrenzt ist und nur einen Teil der sichtbaren Farben wiedergeben kann – ein Problem, das vor allem unerfahrenen Bildbearbeitern vertraut ist, die sich über die schönen Farben an ihrem Monitor freuen und später bitter enttäuscht sind, wenn sie ihre Bilder gedruckt wiedersehen. Nun ist das keineswegs ein besonderes Problem dieses Buches; es betrifft jedes gedruckte Bild. Bei Bildbänden zur Kunst ist die Differenz zu den Gemälden mitunter unübersehbar. Auch Malern werden diese Abweichungen schmerzhaft bewusst, sehen sie ihre Gemälde in Katalogen.

Links ein Foto einiger Blüten (die rotvioletten wurden manuell umgefärbt), wie Sie es hier am Bildschirm im RGB-Farbmodus bewundern können. Im Vierfarbendruck bleiben nur die vergleichsweise matten Farben auf der rechten Seite übrig.

 

Als André Malraux 1947 sein Buch „Das imaginäre Museum“ veröffentlichte, in dem er solche Bildbände feierte, weil sie einem breiten Publikum den Zugang zu den auch in fernen Museen präsentierten Werken ermöglichen, spielte dieser Aspekt noch keine nennenswerte Rolle. Heute haben wir uns daran gewöhnt. Machen Sie mal einen Screenshot von einem farbenprächtigen Gemälde aus dem Web; dann duplizieren Sie die geöffnete RGB-Datei und wandeln sie in CMYK um. Es gibt fast nie einen Unterschied – wir sehen also keine verlässlichen Reproduktionen im imaginären Museum, sondern nur ihre vergleichsweise matte Wiedergabe im Vierfarbendruck.

Als in den 90er-Jahren der Hexachrome-Druck entwickelt wurde, nahm ich (zu) optimistisch an, er würde den CMYK-Druck bald ersetzen, zumindest für hochwertige Produkte. (Hexachrome arbeitet neben modifizierten CMYK-Farben zusätzlich mit einem Grün- und einem Orangeton und hat damit einen wesentlich erweiterten Farbraum.) Bedauerlicherweise habe ich mich geirrt; das Verfahren ist wohl zu teuer und in der Herstellung zu anspruchsvoll.

In über 1000-facher Vergrößerung sieht eine hellgraue und eine etwas dunklere Fläche aus einem der Farbdiagramme in zwei Vergrößerungsstufen so aus. Man erkennt die einzelnen Punkte des frequenzmodulierten Rasters in den Farben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz, in der Mitte eine „scharf begrenzte, tiefschwarze” Trennlinie.

 

Alexandra Laske geht in ihrem lesenswerten Vorwort leider auf diese Einschränkung der Druckwiedergabe nicht ein. Sie schreibt zwar (Seite 33): „Die Praxis der Handkolorierung setzte sich bis weit ins 19. Jahrhundert fort und wurde bisweilen erst im 20. Jahrhundert durch mechanische Farbreproduktionsverfahren ersetzt.“

Die Beschneidung des Farbraums beeinträchtigt zwar weder den ästhetischen Genuss dieses schönen und lehrreichen Werkes noch seinen wissenschaftlichen Wert – wäre jedoch gerade in einem Buch zur Theorie der Farbe zumindest erwähnenswert gewesen (das Farbkonzepte ja nicht nur vorstellt, sondern eben auch selbst ein Buch zu diesem Thema ist).

 

Zum Abschluss noch ein schönes Zitat zum Thema Farbe von Ernst Ferstl, das zwar nicht zum Buch passt, das ich Ihnen aber trotzdem nicht vorenthalten möchte: „Wenn ein Schwarz-Weiß-Denker Farbe bekennen muss, sieht er normalerweise rot.“

 

 

Alexandra Loske, Sarah Lowengard
The Book of Colour Concepts
Taschen Verlag 2024
Großformat 25 x 31 cm, gebunden, 850 Seiten in zwei Bänden
Viersprachig: englisch, deutsch, französisch, spanisch
150 Euro

 

Einen ganz schnellen Überblick über den Inhalt vermittelt Ihnen dieses Video:
https://www.taschen.com/en/about-us/blog/video-the-book-of-colour-concepts

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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