
Da liegt er also auf dem digitalen Schreibtisch, der jüngste Bericht der OECD zu den Auswirkungen generativer KI. Ein Konvolut aus Zahlen, Prognosen und volkswirtschaftlichen Heilsversprechen, das uns eine Zukunft ausmalt, die so aufgeräumt und vorhersehbar ist wie eine Zinskurve. Produktivitätssteigerungen von bis zu 40 Prozent, eine Adaptionsrate von 71 Prozent in den Unternehmen – die Botschaft aus Paris ist unmissverständlich: Die Maschine läuft, und sie läuft effizient. Kann ein Algorithmus wirklich kreatives Feuer entfachen, oder bleibt bei aller Effizienz nur Leere?
Als jemand, der die digitale Transformation der Fotografie und der Medien seit den frühen Neunziger Jahren nicht nur begleitet, sondern miterlebt und mitgestaltet hat, lese ich solche Papiere mit einer Mischung aus Faszination und tiefem Unbehagen. Denn die saubere Welt der Ökonomie, in der menschliche Arbeit in Prozentpunkten der Effizienzsteigerung gemessen wird, hat nur sehr wenig mit der unordentlichen, oft widersprüchlichen und zutiefst menschlichen Realität kreativer Prozesse zu tun. Man denke nur an den Homo oeconomicus, der von Wirtschaftswissenschaftlern gerne als Maßstab bemüht, aber nie gelebt wird. Die Zahlen der OECD sind bestimmt nicht falsch. Sie erzählen aber nur die eine, die kalte Hälfte der Geschichte.
Der Trugschluss der reinen Effizienz
Seit Langem spreche und schreibe ich im Kontext der Digitalisierung von der „relativen Verblödung“ – jenem Phänomen, das eintritt, wenn wir kognitive Fähigkeiten, die wir uns über Jahre mühsam antrainiert haben, an vermeintlich intelligente Systeme delegieren. Das bekannteste (und regelmäßig zitierte) Beispiel ist das Navigationssystem, das uns zwar sicher ans Ziel bringt, uns aber gleichzeitig des Sinns für räumliche Orientierung beraubt. Wir kommen an, wissen aber nicht mehr, wo wir sind.
Genau diesen Effekt beobachten wir nun im großen Stil in den kreativen Disziplinen. Wenn die OECD eine Zeitersparnis von 5,4 Prozent pro Woche feiert, weil ein Algorithmus die mühsame Arbeit des Maskierens, des Retuschierens oder der Ideenfindung übernimmt, was misst sie dann eigentlich? Sie misst den Wegfall von Arbeitsschritten, die für den Außenstehenden wie lästige Pflichtübungen aussehen mögen. Für den Praktiker aber sind genau diese Phasen des „langweiligen“ Handwerks oft die Momente, in denen sich unerwartete Ideen formten, in denen der Zufall Regie führt und in denen sich das, was wir Intuition oder visuelles Gespür nennen, schärfen kann.
Die Effizienz, die hier gefeiert wird, ist die Effizienz der Abkürzung. Doch in der Kunst und im anspruchsvollen Handwerk ist die Abkürzung selten der Weg zu einem wirklich originären Ergebnis. Sie ist der Weg zu einem erwartbaren, einem möglicherweise guten, vielleicht sogar einem perfekten, aber fast nie zu einem überraschenden, wirklich kreativen Resultat. Die Maschine optimiert auf das wahrscheinlichste Gelingen, nicht auf den unwahrscheinlichen Geniestreich.
Demokratisierung oder Deprofessionalisierung?
Ein Argument der KI-Befürworter ist die Demokratisierung der Mittel. Jeder kann nun mit wenigen Klicks oder Worten Bildwelten hervorbringen, für die früher ein ganzes Team aus Fotografen, Stylisten, Visagisten und Retuscheuren nötig gewesen wäre. Kleine Teams, so die Verheißung, können nun Ergebnisse auf Hollywood-Niveau realisieren. Das klingt zunächst fantastisch und erinnert an einige inzwischen längst vergangene Euphorien: Die Überwindung der analogen Dunkelkammer durch den digitalen Hellraum am Monitor, die Möglichkeit räumlich unbegrenzt zu publizieren durch Desktop-Publishing und Internet, die Chance auf Freunde in aller Welt durch Foren und Chatrooms oder die Möglichkeit mit Smartphone und Instagram-Account, Millionen als Influenza zu verdienen.
Inzwischen haben wir gelernt, dass diese Form der Demokratisierung eine Kehrseite hat: die Deprofessionalisierung. Wenn jeder alles kann, was ist dann die spezifische Fähigkeit des Profis noch wert? Die Antwort darauf war damals wie heute dieselbe: Der Wert verschiebt sich von der reinen technischen Ausführung hin zur Konzeption, zur Kuration, zur kritischen Einordnung und zur Entwicklung einer unverwechselbaren Handschrift des eigenen Tuns.
Das Problem ist, dass die neuen Werkzeuge diese Handschrift tendenziell einebnen. Die OECD stellt fest, dass besonders „weniger kreative Individuen“ von der KI profitieren. Das ist eine höfliche Umschreibung für die Tatsache, dass die Systeme eine Art ästhetisches Sicherheitsnetz spannen. Sie liefern gefällige, technisch saubere und kompositorisch ausgewogene Ergebnisse, die auf dem riesigen Fundus menschlicher Kreativität basieren, aus dem sie gelernt haben. Das Ergebnis ist eine Flut von Bildern, die alle irgendwie gut, aber auch seltsam seelenlos und austauschbar wirken.
Die Ästhetik der Gleichförmigkeit
Was wir derzeit erleben, ist eine visuelle Gentrifizierung im globalen Maßstab. So wie Innenstädte durch Sanierungen ihren rauen Charme verlieren und sich weltweit anzugleichen beginnen, so führt auch die massenhafte Anwendung von KI-Bildgeneratoren zu einer ästhetischen Konvergenz. Der „Midjourney-Look“ ist bereits ein stehender Begriff für eine bestimmte Art von hyperrealistischer, oft überladener und dramatisch ausgeleuchteter Bildsprache.
Diese Homogenisierung ist systemimmanent. Die Modelle werden mit den gleichen, riesigen Datensätzen trainiert und optimieren ihre Ergebnisse anhand ähnlicher Kriterien. Das führt unweigerlich zu einer Verengung des visuellen Korridors. Die unendlichen Möglichkeiten der Maschine führen paradoxerweise zu einer endlichen, sich wiederholenden Ästhetik. Für uns als Bildschaffende ist das die eigentliche Herausforderung. Wie können wir diese Werkzeuge nutzen, um aus diesem Korridor auszubrechen, anstatt uns bequem darin einzurichten? Wie können wir die Maschine zwingen, unsere Vision umzusetzen, anstatt uns ihrer Vision zu unterwerfen?
Es geht also nicht nur darum, schneller zu werden, sondern vielmehr darum, relevant zu bleiben. Es geht darum, die Rolle des reinen Ausführenden hinter sich zu lassen und endgültig zum Regisseur, zum kritischen Kurator und zum visuellen Philosophen zu werden. Wir müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen – nicht nur an die Maschine, sondern vor allem an uns selbst. Denn die Fähigkeit, eine Vision zu haben, die über das statistische Mittel hinausgeht, kann uns kein Algorithmus abnehmen. Noch nicht.
Munter bleiben!