Wenn KI-Rezepte den Verstand beleidigen

Es gab eine Zeit, da war das größte kulinarische Wagnis die Frage, ob man den Mut für ein Soufflé aufbringt oder ob die selbst gemachte Mayonnaise gelingt. Die Quellen des Wissens waren greifbar: ein zerlesenes Kochbuch wie der Klassiker „Das elektrische Kochen“ der Großmutter, dessen Seiten von Fettflecken und handschriftlichen Notizen zeugten, oder der Rat eines erfahrenen Kochs, der wusste, dass Kochen mehr mit Intuition und Erfahrung als mit exakter Wissenschaft zu tun hat. Heute navigieren wir in einer neuen, bizarreren Realität. Wer Google nach einer simplen Anleitung für eine Pizza fragt, könnte den Ratschlag erhalten, Klebstoff in die Tomatensoße zu mischen, um den Käse besser haften zu lassen oder einen kleinen Stein zum Nachtisch zu knabbern.
Was klingt wie ein schlechter Scherz aus einem Satiremagazin, ist die unappetitliche Realität des „AI-Slop“ – jenes algorithmisch generierten Informationsbreis, der das Internet überschwemmt. Suchmaschinen, allen voran Google mit seinen „AI Overviews“, versuchen, die unendliche Fülle des Netzes in mundgerechte, vermeintlich hilfreiche Zusammenfassungen zu pressen. Das Ergebnis ist oft eine Kakofonie des Absurden. Rezepte werden aus ihrem Kontext gerissen, satirische Beiträge als ernsthafte Anleitungen interpretiert und Mengenangaben zu einem potenziell gesundheitsschädlichen Nonsens neu kombiniert. Die Maschine, die nie einen Löffel abgeschmeckt oder den Duft von frisch gebackenem Brot gerochen hat, fabriziert mit unfehlbarer Selbstsicherheit Anleitungen, die im besten Fall zu ungenießbaren Resultaten und im schlimmsten Fall zu einer Lebensmittelvergiftung führen.
Vom Informationsbrei zur existenziellen Gefahr
Die Komik dieser Küchenkatastrophen sollte uns jedoch nicht über die tiefgreifende Problematik hinwegtäuschen. Was hier im Kleinen passiert, ist ein Symptom für eine weitaus größere digitale Krankheit. Der Mechanismus ist nämlich exakt derselbe, den wir aus der Welt der KI-Bildgenerierung kennen. Ein Algorithmus durchforstet Abermillionen von Datenpunkten – in diesem Fall Rezepte, Blogeinträge und Forendiskussionen – und setzt sie ohne jedes Verständnis für Inhalt, Kontext oder Ironie neu zusammen. Das Resultat ist eine statistisch wahrscheinliche, aber semantisch oft unsinnige Neuschöpfung.
Für den visuellen Kreativen ist das ein bekanntes Phänomen. Es ist die digitale Entsprechung zur Hand mit sechs Fingern, zum schmelzenden Gesicht oder zur unlogischen Perspektive in einem KI-generierten Bild. In der Küche wird dieser Mangel an Weltverständnis nur unmittelbarer und greifbarer. Die Pizza mit Klebstoff ist das kulinarische Äquivalent zum Porträt mit drei Ohren. Die Küche wird so zum unfreiwilligen Testlabor für die Mängel einer Technologie, die darauf trainiert ist, Muster zu imitieren, nicht aber, Bedeutung zu verstehen. Die Gefahr liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in der unkritischen Autorität, die wir ihr beimessen.
Der Verlust der Deutungshoheit
Das eigentliche Problem ist eine schleichende Erosion von Vertrauen und die Entwertung menschlicher Expertise. Jeder Food-Blogger, der Jahre damit verbracht hat, Rezepte zu perfektionieren, jeder Koch, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat, sieht seine Arbeit in einem Meer aus synthetischem Müll untergehen. Die Suchmaschine macht keinen Unterschied mehr zwischen einer sorgfältig kuratierten Quelle und einem von einer Content-Farm ausgespuckten Textfragment. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit belohnt nicht mehr Qualität, sondern die Fähigkeit, den Algorithmus zu bedienen.
Diese Entwicklung stellt eine fundamentale Bedrohung für jede Form von Wissensvermittlung dar. Wenn wir schon bei einem so banalen Thema wie dem Kochen nicht mehr zwischen verlässlicher Information und gefährlichem Unfug unterscheiden können, wie soll uns das dann bei komplexeren Themen wie medizinischen Ratschlägen, historischen Fakten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen gelingen? Die KI schafft eine trügerische Ebene der Abstraktion zwischen dem Nutzer und der ursprünglichen Quelle. Die mühsam erarbeitete Deutungshoheit von Experten wird durch die vermeintliche Objektivität einer Maschine in Frage gestellt oder gar ersetzt, die in Wahrheit nur ein verzerrtes Echo des Internets ist.
Wir opfern die Verlässlichkeit und den Nuancenreichtum menschlicher Erfahrung auf dem Altar der sofortigen, reibungslosen Antwort. Am Ende bleibt nicht die Erleuchtung, sondern die Verunsicherung. Die Fähigkeit, Unsinn als solchen zu erkennen, wird damit zur wichtigsten Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts. Vielleicht ist der beste Ratschlag, den uns die KI geben kann, der, ihr nicht blind zu vertrauen – und stattdessen wieder das alte Kochbuch der Großmutter aus dem Regal zu ziehen. Es ist vielleicht nicht so schnell, aber es wird Ihnen mit Sicherheit nicht empfehlen, Steine zu essen.





