Revolutionäre Mikrolinsen-Kamera bricht Geschwindigkeits- und Lichtempfindlichkeits-Rekorde

Wir Menschen sind unter allen Lebewesen nicht gerade für unsere Reaktionsschnelligkeit oder unsere Nachtsichtfähigkeiten bekannt. Ganz anders sieht es bei vielen Insekten aus: Ihre Facettenaugen sind Meisterwerke der Evolution, die ihnen selbst bei widrigsten Lichtverhältnissen und in rasanter Bewegung eine präzise Orientierung und blitzschnelle Reaktionen ermöglichen. Genau diese biologischen Prinzipien dienten nun als Inspiration für eine Mikrolinsen-Kamera, die am Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) entwickelt wurde und das Potenzial birgt, etablierte Konzepte der Hochgeschwindigkeitsfotografie grundlegend zu verändern.
Biologische Blaupause für technische Brillanz
Die neu konzipierte „High-Speed and High-Sensitive Microlens Array Camera“ (HS-MAC) fußt auf drei clever kombinierten Ansätzen, die direkt dem Sehapparat nacht- und dämmerungsaktiver Insekten entlehnt sind: der Kanalfragmentierung zur Steigerung der Aufnahmefrequenz, der zeitlichen Summierung zur Erhöhung der Lichtempfindlichkeit und der kompressiven Bildrekonstruktion zur effizienten Datenverarbeitung. Das Resultat dieser biomimetischen Ingenieurskunst ist eine ultraflache Kamera – mit einer Dicke von weniger als einem Millimeter kaum mehr als ein Plättchen – die Bildsequenzen mit beeindruckenden 9.120 Bildern pro Sekunde aufzuzeichnen vermag. Und dies selbst unter Lichtbedingungen, die bis zu 40-mal dunkler sein dürfen als jene, die für konventionelle Hochgeschwindigkeitskameras als Mindestmaß gelten.
(A) Sehen bei einem schnelläugigen Insekt. Reflektiertes Licht von sich schnell bewegenden Objekten stimuliert die Photorezeptoren entlang der einzelnen optischen Kanäle, die Ommatidien genannt werden, deren visuelle Signale separat und parallel über die Lamina und Medulla verarbeitet werden. Jede neuronale Antwort wird zeitlich summiert, um die visuellen Signale zu verstärken. Die parallele Verarbeitung und die zeitliche Summierung ermöglichen eine schnelle und lichtarme Bildgebung bei schwachem Licht. (B) Hochgeschwindigkeit und HS-MAC. HS-MAC umfasst Kanalfragmentierung, zeitliche Summierung und komprimierte Bildrekonstruktion. oMLAs projizieren sich schnell bewegende Objekte über entsprechende optische Kanäle auf einen CMOS-Bildsensor mit Rolling Shutter. Die zeilenweise Belichtung fragmentiert die Kanäle horizontal in fragmentierte Arrays. Die zeitliche Summierung jedes fragmentierten Arrays verbessert den SNR bei schlechten Lichtverhältnissen und führt zu einer Überlappung der zeitlichen Informationen in benachbarten Bildern. Die Bildkomponenten eines einzelnen fragmentierten Array-Bildes werden zu einem einzigen unscharfen Bild zusammengesetzt, das anschließend durch komprimierende Bildrekonstruktion entschärft wird.
Während herkömmliche Systeme für hohe Bildraten oft durch ihre Baugröße, Komplexität und nicht zuletzt ihren Preis abschrecken, besticht die HS-MAC durch einen eleganten und ressourcenschonenden Aufbau. Das Herzstück bilden versetzt angeordnete Mikrolinsen-Arrays, die direkt auf einem einzelnen CMOS-Bildsensor mit Rolling-Shutter-Architektur appliziert sind. Diese präzise geometrische Anordnung der Mikrolinsen erlaubt eine effektive Fragmentierung des Sensors in viele Sub-Kanäle, wodurch die Auslesegeschwindigkeit und somit die Bildrate dramatisch gesteigert werden kann, ohne auf multiple, synchronisierte Sensoren oder komplexe optische Systeme zurückgreifen zu müssen.
Überragende Performanz im Miniaturformat
Die im Labor demonstrierten Leistungsdaten der HS-MAC Mikrolinsen-Kamera sprechen für sich: Die Forscher konnten die Rotationsgeschwindigkeit einer farbigen Scheibe, die sich mit 1950 Umdrehungen pro Minute drehte, präzise erfassen. Dabei wurden Bildsequenzen mit den vollen 9.120 Bildern pro Sekunde bei einer erstaunlich geringen Rauschäquivalenzbestrahlung aufgezeichnet. Zum direkten Vergleich: Eine herkömmliche Kamera mit einem vergleichbar aufgebauten Sensor ohne die oMLA-Technologie erreicht unter identischen Bedingungen gerade einmal 480 Bilder pro Sekunde. Die HS-MAC ist somit um den Faktor 19 überlegen.
Besonders hervorzuheben ist die Fähigkeit der Kamera, auch in extrem lichtschwachen Szenarien zu operieren. Den Entwicklern gelang es, den dynamischen Prozess des Abreißens einer winzigen Poolfeuerflamme bei Beleuchtungsstärken von unter einem Tausendstel Lux (0,001 lx) zu visualisieren – eine Lichtintensität, die weit unterhalb der Arbeitsgrenze gängiger Hochgeschwindigkeitskameras liegt und eher dem Sternenlicht ohne Mond entspricht.
Ein Fortschritt im Kampf gegen Rolling-Shutter-Artefakte
Ein weiterer signifikanter Vorteil der HS-MAC-Architektur ist die deutliche Reduktion von Bildverzerrungen, die typischerweise bei Sensoren mit Rolling-Shutter-Ausleseverfahren auftreten, wenn schnelle Bewegungen aufgenommen werden. Bei Testaufnahmen eines fallenden Balles zeigte die HS-MAC eine Verzerrung von lediglich vier Prozent. Eine vergleichbare Kamera ohne die versetzten Mikrolinsen wies hingegen eine zehnprozentige Verzerrung auf – eine Verbesserung von über 50 Prozent zugunsten der Neuentwicklung.
Das Verfahren bricht zudem mit dem althergebrachten Kompromiss zwischen maximaler Bildrate und der für jeden einzelnen Frame zur Verfügung stehenden Belichtungszeit. Während konventionelle Hochgeschwindigkeitskameras ihre Belichtungszeit pro Bild auf den Kehrwert der Bildrate limitieren müssen (z.B. 1/1000s bei 1000 fps), erlaubt die HS-MAC durch eine geschickte zeitliche Überlappung der Belichtungsphasen in den sequenziell ausgelesenen Sub-Kanälen eine deutlich längere effektive Belichtungszeit pro rekonstruiertem Bild. Dies trägt maßgeblich zur hohen Lichtempfindlichkeit bei.
Neue Horizonte für professionelle Bildschaffende
Für professionelle Fotografen, Videografen und Bildbearbeitungsspezialisten eröffnet diese Technologie in Zukunft möglicherweise faszinierende neue Perspektiven. Die außergewöhnliche Melange aus extrem hoher Bildfrequenz, bemerkenswerter Lichtempfindlichkeit und der ultrakompakten Bauweise prädestiniert die HS-MAC für eine Vielzahl spezialisierter Aufnahmeszenarien, in denen traditionelle Kamerasysteme an ihre physikalischen oder praktischen Grenzen stoßen.
Ob und wann diese Technologie den Weg in kommerziell verfügbare Produkte finden wird, bleibt abzuwarten. Angesichts der überzeugenden Leistungsmerkmale, des innovativen Ansatzes und des inhärenten Potenzials für eine kosteneffiziente Fertigung dürfte das Interesse seitens der Industrie jedoch beträchtlich sein.
Danke das wir daran teilhaben Können!
Gute heutige Kameras sind schon nahe an der Perfektion für die üblichen Aufnahmen. Lediglich die Licht-Empfindlichkeit ist noch etwas gering.
Auch Fotografen beherrschen heutige Top-Kameras nur teilweise. Vom optimalen Einsatz sind die meisten Benutzer noch entfernt. Allerdings bezieht sich das auf die meisten heutigen Produkte 🙁
Auch die Lichtempfindlichkeit ließe sich kaum noch steigern. Das größte verbleibende Hindernis sind die Farbfilter, die rund die Hälfte (die Grünfilter) und teilweise noch mehr Licht (die Rot- und Blaufilter) schlucken. Deshalb haben monochrome Sensoren, die ohne Farbfilter auskommen, eine etwa doppelt so große Grundempfindlichkeit wie RGB-Sensoren. Dieser Vorteil geht allerdings wieder verloren, wenn man mit Farbfiltern vor dem Objektiv fotografiert, wie es in der Schwarzweißfotografie ja üblich ist. Foveons Sensoren, die in jedem Sensorpixel alle Farben registrieren, könnten die Lichtempfindlichkeit theoretisch verbessern, aber in der Praxis geht auch bei diesen viel Licht verloren, so dass sie keinen Vorteil bieten. Letztendlich ist das aber auch gar nicht so wichtig, denn man kann heute mit höheren ISO-Werten qualitativ bessere Fotos aufnehmen, als das mit dem Silberhalogenidfilm jemals möglich gewesen war.
Wäre es für eine höhere Lichtempfindlichkeit da nicht eine gute Idee, einen monochromen Sensor zu entwickeln, der als Farbaufnehmer nur einzelne eingestreute Sensoren mit Filter enthält und den Rest der Bildfarben von einer KI extrapolieren zu lassen? So wären die Kolorierung zumindest nicht komplett von einer KI erfunden. 😉
Aber den Produktionsprozess solcher Chips stelle ich mir sehr kompliziert vor. Noch komplexer, mit noch mehr nötigen Qualitätskontrollen als jetzt schon.
Man könnte wie im Smartphone einfach zwei Kameramodule kombinieren – ein hochauflösendes, besonders empfindliches mit einem monochromen Sensor und ein niedrig auflösendes mit Farbsensor; die KI erledigt den Rest. Aber ob der moderate Gewinn an Empfindlichkeit (und Auflösung, denn ein monochromer Sensor hat ja auch in diesem Bereich Vorteile) die nie ganz vermeidbaren Artefakte aufwiegt, weil sich die KI ein paar Freiheiten nimmt?