Das neue Passbild-Regime: Digitale Gängelung oder Sicherheitsfortschritt?

Seit dem 1. Mai 2025 ist es also so weit: Das Passbild, wie wir es kannten und vielleicht sogar ein wenig liebgewonnen hatten, wird zu Grabe getragen. An seine Stelle tritt das digitale, biometrische Lichtbild, das entweder direkt im Bürgeramt oder von einem zertifizierten Fotografen angefertigt und auf gesichertem Wege in eine Cloud des Bundes hochgeladen werden muss. Das Bundesinnenministerium begründet diesen Schritt vornehmlich mit der Abwehr der sogenannten Morphing-Gefahr, bei der mehrere Gesichtsbilder zu einem einzigen verschmolzen werden, um so die Identitätsfeststellung zu unterlaufen. Ein hehres Ziel, gewiss. Doch bei genauerer Betrachtung drängt sich die Frage auf, ob hier nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird und wer die Zeche für diesen vermeintlichen Sicherheitsgewinn zahlt.
Die behördliche Metamorphose des Fotografenhandwerks
Für professionelle Fotografen, für die Passbilder oft eine verlässliche Einnahmequelle darstellten, bedeutet die Neuregelung zunächst einmal Investitionsbedarf. Sie müssen sich zertifizierte Systeme anschaffen, um die Bilder verschlüsselt in die besagte Bundes-Cloud zu übertragen. Die Kosten hierfür können, je nach System, durchaus einige Tausend Euro betragen – eine Summe, die manch kleines Studio in existenzielle Nöte stürzen dürfte.
Die Kunden erhalten dann einen QR-Code, den sie im Bürgeramt vorzeigen, damit der Sachbearbeiter das Bild aus der Cloud fischen kann.
Pikant wird es, wenn man bedenkt, dass die Behörden selbst nun auch die Möglichkeit anbieten, die Passbilder vor Ort anzufertigen. Für eine Gebühr von sechs Euro, sofern die PointID-Systeme der Bundesdruckerei zum Einsatz kommen, wird der Bürger direkt im Amt abgelichtet. Zwar betont der Centralverband Deutscher Berufsfotografen, man sei froh, überhaupt noch Teil des Systems sein zu können, nachdem ursprüngliche Pläne vorsahen, die Fotoherstellung ausschließlich den Ämtern zu überlassen. Dennoch schmeckt die direkte Konkurrenz durch staatlich subventionierte Angebote, die zudem kostenfrei für die Kommunen sind, vielen Studios nicht. Es ist ein „Dorn im Auge vieler Studios“, wie es der Verband ebenso diplomatisch wie untertreibend formuliert. Man könnte auch von einer subtilen Aushöhlung eines Berufsstandes sprechen, der ohnehin schon mit zahlreichen Herausforderungen zu kämpfen hat.
Der Bürger: Mehr Sicherheit, weniger Auswahl, neue Umwege
Und der Bürger? Dem wird suggeriert, er bekomme nun ein Höchstmaß an Sicherheit. Dafür darf er sich entscheiden, ob er den (potenziell teureren) Weg zum zertifizierten Fotografen wählt, um dann mit einem QR-Code bewaffnet zum Amt zu pilgern, oder ob er sich gleich in die Obhut der behördlichen Fotostation begibt. Die Zeiten, in denen man schnell ein paar Passbilder aus dem Automaten im Einkaufszentrum ziehen konnte, sind ab Mai 2025 definitiv vorbei. Selbstgemachte Fotos oder Bilder aus Foto-Apps waren ohnehin schon länger kritisch beäugt worden, nun sind sie gänzlich unzulässig.
Interessant ist auch die Übergangsregelung: Bis August 2025 soll die Auslieferung von 10.000 Erfassungssystemen an die Behörden abgeschlossen sein. Bis dahin und bei technischen Anlaufschwierigkeiten, wie sie etwa das Landesamt für Einwanderung Berlin bereits vorsorglich einräumt, sollen Bürger weiterhin ein aktuelles biometrisches Passfoto mitbringen. Man fragt sich fast unweigerlich, wie viele Bürgerämter, insbesondere in kleineren Kommunen, tatsächlich pünktlich und flächendeckend mit der neuen Technik ausgestattet sein werden oder ob hier nicht ein organisatorisches Nadelöhr vorprogrammiert ist.
Einige kleinere Kommunen überlegen dem Vernehmen nach sogar, aus Rücksicht auf lokale Fotogeschäfte auf eigene Geräte zu verzichten – ein löblicher Gedanke, der aber die Frage nach der Einheitlichkeit und Verbindlichkeit der neuen Sicherheitsarchitektur aufwirft. Das digitale Deutschland: ein Flickenteppich aus Zuständigkeiten und Umsetzungen, bei dem am Ende jedes Amt sein eigenes Süppchen kocht.
Morphing: Die Hydra der Passbildmanipulation?
Die gesamte Reform fußt auf der Notwendigkeit, Manipulationen, insbesondere durch Morphing, zu verhindern. Zweifellos ist Morphing eine existente Technik, die eine Bedrohung für die Integrität von Ausweisdokumenten darstellen kann. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat mit der Technischen Richtlinie BSI TR-03170 eigens einen Standard für die sichere elektronische Übermittlung geschaffen, der strenger ist als die Verschlüsselungsrichtlinien mancher Geheimdienste.
Doch wie virulent ist diese Gefahr tatsächlich im Alltag des durchschnittlichen Bürgers, der einen neuen Personalausweis oder Reisepass benötigt? Steht der Aufwand – technische Aufrüstung bei Fotografen und Behörden, neue Prozessabläufe, potenzielle Mehrkosten und Unannehmlichkeiten für die Bürger – in einem angemessenen Verhältnis zum erzielten Sicherheitsgewinn? Oder verbrennen wir hier Unmengen an Ressourcen, um eine theoretische Gefahr zu bannen, die in der Praxis selten auftritt?
Es beschleicht einen das Gefühl, dass hier ein weiteres Mal unter dem Banner der „Sicherheit“ eine umfassende Digitalisierung und Zentralisierung vorangetrieben wird, deren praktische Notwendigkeit für den Massenmarkt zumindest diskussionswürdig erscheint. Die digitale Erfassung und Übermittlung mag Medienbrüche verhindern, aber sie schafft auch neue Abhängigkeiten und potenzielle Fehlerquellen in komplexen IT-Systemen. Man darf gespannt sein, wie reibungslos die „sichere Cloud“ und die QR-Code-Prozesse in der Praxis funktionieren werden und ob nicht bald die ersten Berichte über verlorene oder nicht abrufbare Digitalbilder die Runde machen.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Besonders dramatisch stellt sich die Situation für kleine Fotostudios in ländlichen Regionen dar. Für viele von ihnen waren Passbilder das tägliche Brot, das bis zu 50 Prozent der Gewinnmarge ausmachte. Mit der neuen Regelung stehen diese nun vor der Wahl: Entweder Geld in Zertifizierung und Technik investieren – was angesichts sinkender Margen einem wirtschaftlichen Harakiri gleichkommen kann – oder dieses Geschäftsfeld gänzlich aufgeben. Die großen Drogeriemärkte und Handelsketten hingegen können die Investition auf viele Filialen verteilen und das Passbild-Geschäft weiterführen. Besonders pikant: Während Fotostudios um ihre Existenz bangen, werden Behörden mit kostenlosen oder stark vergünstigten Terminals ausgestattet – finanziert durch Steuergelder, also auch durch die Abgaben jener Fotografen, die dadurch ihre Kundschaft verlieren.
Fazit: Digitaler Fortschritt oder bürokratischer Ballast?
Die neue Passbild-Regelung mag aus technokratischer Sicht ein logischer Schritt zur Erhöhung der Dokumentensicherheit sein. Für den Bürger und insbesondere für die betroffenen Fotografen könnte sie sich jedoch als ein weiteres Beispiel für gut gemeinte, aber in der Umsetzung umständliche und potenziell kostspielige Bürokratie erweisen. Möglicherweise werden wir zudem auf unseren Passbildern in Zukunft (noch) weniger attraktiv aussehen, weil wir nach Einführung des Passbild-Lächelverbots vor einigen Jahren nun auch noch auf Photoshop-Kosmetik jeder Art verzichten müssen.
Ob das digitale Passbild-Regime tatsächlich den großen Wurf gegen Identitätsdiebstahl darstellt oder eher eine digitale Gängelung mit fragwürdigem Mehrwert ist, wird die Zukunft zeigen. Die Skepsis jedenfalls bleibt – und mit ihr die Frage, ob das nächste „Sicherheitsfeature“ dann vielleicht die DNA-Probe bei der Passbeantragung sein wird. Oder ob jeder Bürger einen digitalen Zwilling bekommt, der an seiner Stelle das Bürgeramt besucht, während er schon längst in einer staatlich zertifizierten VR-Welt lebt.
Ich persönlich wäre froh, wenn es eine einfache Möglichkeit, gibt beim Amt die Bilder digital machen zu lassen. Beim letzten Mal, musste ich zum Fotografen um 4 Bilder zu erhalten mit denen ich sonst weiter nichts anfangen kann. Eines dieser 4 Bilder wurde dann vom Amt eingescannt und ich erhielt es mit Ausgabe des Ausweisdokumentes wieder zurück.
Wo ist das Problem wenn sie vier Bilder bekommen, kann man ja wegwerfen. Der Fotograf nutzt ja nur den Platz auf dem Papier.
Ja, letztendlich zahlt man für die Dienstleistung, und ein einziges Passbild als physischer Print wäre nicht billiger als vier. Bei einer digitalen Übermittlung an die Behörde bleibt die Frage, ob der Kunde ebenfalls ein Digitalbild bekommt, oder bestenfalls ein paar Prints und schlechtestenfalls eben nur einen QR-Code. Fotografen geben die digitalen Bilddaten ja nicht so gerne aus der Hand. Andererseits: Wer mag schon sein Passbild …
Das Argument vom Schutz vor Morphing ist nur ein vorgeschobenes.
Die Herren träumen von chinesischen Möglichkeiten.
Zentralisiert erfasste „definitive“, biometrische Bilder ermöglichen/verbessern die automatisierte Massenüberwachung.
Darum gehts – wie auch bei der Forcierung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.
Genau das ist auch meine Vermutung.
Ist es nicht eine Schande, dass man „von denen da oben“ überhaupt nichts Gutes mehr erwartet, sondern immer nur neue Zumutungen?
– Bis man aufgibt und sich mit Schaudern abwendet vom Heimatland, das keines mehr ist.
Angefangen hat alles im August 2021 mit der „Fingerabdruckpflicht“ beim Personalausweis
Durch die gespeicherten Fingerabdrücke hat sich die Morphing-Problematik im Grunde erledigt, denn die Fingerabdrücke werden ja von der Behörde abgenommen und können nicht „gemorpht“ werden. Manipulationen des Passbilds würden sofort auffliegen, wenn man die Fingerabdrücke überprüft.
Andererseits: In den fünf Jahren, die ich meinen aktuellen Personalausweis besitze, bin ich noch nie um meine Fingerabdrücke gebeten worden; dieses Sicherheitsmerkmal wurde also noch nie genutzt.
Unter Datenschutzaspekten sind Passbild und Fingerabdrücke nicht vergleichbar. Wenn man ein aktuelles Foto einer Person hat, kann man theoretisch mit Hilfe von Überwachungskameras ein Bewegungsprofil dieser Person erstellen. Für die Zwecke der Fahndung taugt das zwar nicht, wie vor Jahren ein Test durch die Bundespolizei in einem Berliner Bahnhof gezeigt hat; die Zahl der false positives ist zu hoch. Aber für ein ungefähres Bild davon, wo sich jemand häufiger aufhält, könnte es ausreichen, wenn man akzeptiert, dass die Person öfter nicht und manchmal fälschlich erkannt wird. Mit dem Fingerabdruck wäre so etwas kaum möglich: Wir hinterlassen zwar überall Fingerabdrücke, wenn wir irgendwelche glatten Oberflächen anfassen, aber diese zu sammeln wäre kaum praktikabel. Man müsste schon Fingerabdruckleser in jede Türklinke etc. einbauen, und wenn ich bedenke, wie lange es dauerte, bis der Fingerabdruckleser der Behörde meine Zeigefinger zuverlässig erkannt hatte, wäre das auch kein zuverlässiges Verfahren. Und dann müsste man zum Vergleich ja noch die Fingerabdruckdaten aus dem Personalausweis auslesen, was aber wegen der verwendeten RFID-Technik nur auf kurze Distanz funktioniert, und auch das lässt sich mit einer handelsüblichen abschirmenden Kartenhülle unterbinden. Um zu ermitteln, wo jemand ist oder war, sind die gespeicherten Fingerabdrücke daher nutzlos; sie dienen ja auch nur dazu, zu beweisen, dass man wirklich derjenige ist, der man vorgibt zu sein.
wohl eher bürokratischer Ballast
da in einigen Berliner Amtsstuben die digitalen Devices zur Aufnahme noch nicht funktionieren/ sich Codes nicht scannen lassen, werden dann doch lieber die – glücklicherweise mitgebrachten – Ausdrucke des Passbild eingescannt.
Andernfalls macht man dort z. Zt. mit dem iPhone selbst die Bilder, bei Umgebungslicht und mit improvisiertem Hintergrund, was die Bearbeitungszeit im Amt auf rd. 20min verdoppelt. . . wie sich das mit dem sooo wichtigen Datenschutz verträgt möchte ich gar nicht wissen ?
Beamte sind halt dann doch nicht Fachleute für alles & die Bürokratie überfordert