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Der neueste Skill-Shift: Wie sich die Bildkunst immer wieder neu erfindet

„Am Anfang war das Wort“, sagt Johannes, also der Apostel des Evangeliums in der Bibel, nicht unser Layout-Profi Johannes Wilwerding. In Sachen kreativer Bilderzeugung sind wir dank rein beschreibungs- und Chat-basierter Bilderzeugung und -bearbeitung in generativen KI-Modellen wie Gemini Nano Banana, Flux Kontext oder Grokh Imagine heute wieder zu diesem Ursprung zurückgekehrt. Die Sprache ist die vielleicht wichtigste Fähigkeit (neudeutsch: Skill) der Menschheit. Denn mit ihr schaffen wir auch in Schriftform Erinnerungen, Geschichten, Religionen … Alles nur begrenzt durch die menschliche Vorstellungskraft und Kreativität. Was wird wohl der nächste Shift, also die nächste Verschiebung unserer künsterlischen Schaffens? Gedankenkontrolle?

„Am Anfang war das Wort“. Ich liebe ja solch alte überlieferten, Konzepte und Ideen, weil es mich gedanklich  zum einen in die Zeit der schriftkundigen Menschen vor mehr oder weniger 2000 Jahre zurückversetzt und weil es mich meine eigenen Glaubenssätze hinterfragen lässt. Und nein, ich bin kein Theist. Bild: KI-generiert
„Am Anfang war das Wort“. Ich liebe ja solch alte überlieferten, Konzepte und Ideen, weil es mich gedanklich zum einen in die Zeit der schriftkundigen Menschen vor mehr oder weniger 2000 Jahre zurückversetzt und weil es mich meine eigenen Glaubenssätze hinterfragen lässt. Und nein, ich bin kein Theist. Bild: KI-generiert

Malerei

Früher war mehr Farbe unter den Fingernägeln. Wer ein Bild erschaffen wollte, musste nicht nur Ideen haben, sondern auch Pigmente reiben, Leinwände spannen und Pinsel bändigen. Kritzeln konnte jeder – aber malen? Das war ein Handwerk, das sich zwischen Geduld, Handarbeit und alchemistischer Materialkunde abspielte. Wer die passende Farbe nicht hatte, musste sie sich eben herstellen.

Bild: KI-generiert
Bild: KI-generiert

Analoge Fotografie

Dann kam die Fotografie – und mit ihr der erste große Skill-Shift. Plötzlich war Licht das neue Pigment, die Kamera das Werkzeug. Doch das Fotografieren war alles andere als simpel: Glasplatten, Chemikalien, Dunkelkammern, Zeiten, Blenden. Wer wirklich gute Bilder wollte, musste ein halber Chemiker und ein ganzer Tüftler sein. Die Industrie hat diesen Prozess dann Schritt für Schritt, nun ja … industrialisiert – vom selbst gemischten Entwickler bis zum Komplettpaket im Drogeriemarkt. Der Skill verlagerte sich vom chemischen Können zur gestalterischen Kontrolle – bei der man die eher unwichtigen Schritte anderen überlässt.

Bild: KI-generiert
Bild: KI-generiert

Digitale Fotografie und Bearbeitung

Mit dem Einzug der Digitalfotografie und der digitalen Dunkelkammer kam der nächste Sprung. Photoshop, Camera Raw, Ebenen, Masken, Gradationskurven – alles Werkzeuge, die man erst einmal verstehen musste. Plötzlich zählte kein sauber entwickeltes Negativ mehr, sondern der digitale Workflow. „Bildbearbeitung“ war der neue heilige Gral der kreativen Kontrolle – und wer ihn beherrscht(e), kann/konnte Bilder nicht nur verbessern, sondern verwandeln oder gar ganz neue Welten aus fotografischen Versatzstücken erschaffen. Doch auch dieser Skill ist/war nur ein Zwischenstopp auf dem Weg in die nächste Epoche.

Bild: Olaf Giermann, Screenshot von Capture One
Bild: Olaf Giermann, Screenshot von Capture One


Randnotiz: Ich halte die Fähigkeit, manuell – ganz ohne KI & Prompt – Bilder, Korrekturen und sonstige Assets gezielt kombinieren zu können, nach wie vor für essenziell. KI nimmt uns Kreativen auch nicht die Entscheidung ab, was uns gefällt und was nicht – oder was wir konkret als Bild erzeugen wollen. Die größte Gefahr dabei: KI könnte Künstler zu Kuratoren im prinzipbedingt beschränkten Pool KI-generierter Bilder werden lassen. Ein spannendes Thema für einen anderen Blog-Post.

Künstliche Intelligenz

Heute sind wir mitten im nächsten großen Shift: die Ära der Künstlichen Intelligenz. Nicht umsonst wurde „KI-Ära“ zum Wort des Jahres gekürt (mehr dazu).

Jury kürt "KI-Ara" zum Wort des Jahres 2025. © Tagesschau
Jury kürt „KI-Ara“ zum Wort des Jahres 2025. © Tagesschau

Jetzt geht es nicht mehr um das manuelle „Wie“, sondern um das sprachliche „Was“. Die Kunst liegt im Denken, Beschreiben und Präzisieren. Die neuen Pinsel sind Worte, Syntax und Assoziationen. Je klarer und bildhafter der Gedanke, desto ausdrucksstärker und präziser das Resultat.

Statt Pigmente herzustellen, definieren wir heute Stimmungen.

Statt Modelle zu fotografieren, beschreiben wir Licht, Emotion und Atmosphäre.

Unsere Vorstellungskraft

Das Handwerk der Zukunft ist Vorstellungskraft – und eine gewisse Wortgewandtheit schadet auch nicht.

https://www.youtube.com/watch?v=f964Vf5HkWc

Ironischerweise kehren wir damit zum Anfang zurück: Der Kreis schließt sich. Das eigentliche Medium oder Werkzeug ist wieder das Wort. Nur dass dieses Mal kein Papier, keine Leinwand und kein Sensor dazwischenstehen. Nur Worte – und eine Maschine, die versteht, was wir meinen (manchmal besser, manchmal völlig daneben). Und das gilt nicht nur für Bilder, sondern auch für Texte und Musik und vieles mehr.

Randnotiz: Die aktuelle KI schafft nichts Neues, sondern rekombiniert nur Versatzstücke von bisherigen Text- und Bildversatzstücken, die ihr durch maschinelles Lernen bekannt gemacht wurden. Besonders auffällig ist das bei Kurzgeschichten, wie das Paper Echoes in AI: Quantifying lack of plot diversity in LLM outputs zeigt. Bis zum Erreichen der KI-Singularität liegt es also noch an Ihnen selbst, wie neuartig und kreativ Ihre Bildergebnisse ausfallen.

Fazit

Wer heute kreativ bleiben will, sollte nicht Angst haben, dass KI alles übernimmt. Unser Welt- und Sprachwissen hilft dabei, der KI verständlich zu machen, was wir wollen. Denn sonst erzeugt KI irgendetwas anderes und Sie werden zum bloßen Kurator der zufälligen Ergebnisse.

Ich bin gerade sehr gespannt, was wir früher bekommen: die KI-Singularität oder volle Gedankenkontrolle unseres kreativen Prozesses? Zumindest bei letzterem gibt es ja schon erste Erfolge.


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Olaf Giermann

Olaf Giermann gilt heute mit 20 Jahren Photoshop-Erfahrung sprichwörtlich als das »Photoshop-Lexikon« im deutschsprachigen Raum und teilt sein Wissen in DOCMA, in Video­kursen und in Seminaren.

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