
Während die Kreativ-Branche immer noch die unendlich vielfältigen Fähigkeiten von GPT-4 auslotete, hat OpenAI bereits nachgelegt. Leider nicht so erfolgreich, wie sie es sich wohl gewünscht hätten, aber das dürfte nur ein temporärer Rückschlag sein. Die neueste Iteration, ChatGPT-5, ist für erste Nutzergruppen zugänglich und hebt die multimodale Interaktion auf ein fundamental neues Niveau. Es geht nicht mehr nur um das Verstehen und produzieren einzelner Medien, sondern um deren synthetische Interpretation in einem einzigen, durchgehenden Prozess. Diese Entwicklung könnte nebenbei den Grundstein für eine Zukunft legen, in der die Grenzen zwischen Dateiformaten für den Anwender irrelevant werden.
Der Abschied vom modalen Stückwerk
Bisher glich die Arbeit mit multimodalen KI-Systemen oft einem digitalen Flickenteppich. GPT-4 konnte zwar Text und Bilder verarbeiten, doch für Audio- oder Videoanalysen waren meist separate Modelle wie Whisper oder spezialisierte APIs von Drittanbietern nötig. Dasselbe galt für die Produktion von Videos: Mit etwas Glück und viel Geld konnte man dazu Sora einsetzen. Dieser umständliche Wechsel zwischen verschiedenen Werkzeugen bremste den kreativen Fluss erheblich.
ChatGPT-5 räumt mit diesem Stückwerk auf. Das System verarbeitet Text, Bilder, Audio und Video nativ in einem einzigen, integrierten Workflow. Die Liste der unterstützten Formate ist dabei eine klare Ansage: Gängige Bildformate wie JPEG, PNG, WebP und statische GIFs werden ebenso verstanden wie eine breite Palette an Audioformaten, darunter MP3, WAV und FLAC. Die entscheidende Neuerung ist jedoch die Fähigkeit, auch Videodateien wie MP4 oder WEBM nicht nur zu akzeptieren, sondern deren Inhalt semantisch zu analysieren.
Besonders interessant für den professionellen Einsatz: Das erweiterte Verständnis schließt auch komplexe Dokumentenformate wie PDF ein. ChatGPT-5 kann aus einem PDF nicht nur den reinen Text extrahieren, sondern auch das Layout, die Struktur und die eingebetteten Bilder analysieren und in Beziehung zueinander setzen. Ein Geschäftsbericht kann so als Ganzes verstanden werden, anstatt nur als eine lose Sammlung von Text und Bildern.
Das Ende des Modell-Hopsens
Die vielleicht wichtigste Veränderung für den Arbeitsalltag ist die interne Unifikation der Modelle. Der Anwender muss nicht mehr strategisch zwischen verschiedenen Systemen wechseln. GPT-5 entscheidet im Hintergrund autonom, welche Art der Verarbeitung für eine bestimmte Anfrage am besten geeignet ist. Ob eine schnelle, heuristische Antwort genügt oder ein komplexer, mehrschrittiger Logikpfad zur Analyse eines Videos notwendig ist, geschieht für den Nutzer unsichtbar. Das ist bequem, wird aber machen Profi ärgern, der weiß (oder zu wissen meint) welche Modelle sich für welche seiner Aufgaben am besten eignen. ChatGPT-5 will in Zukunft eine einheitliche Oberfläche für ein ganzes Orchester spezialisierter Fähigkeiten im Hintergrund bieten.
Verfügbarkeit, Kosten und der Haken an der Sache
Wie bei OpenAI üblich, erfolgt die Einführung von ChatGPT-5 gestaffelt. Seit Anfang August 2025 haben zunächst zahlende Nutzer von „ChatGPT Plus“ und „Team“-Accounts in den USA schrittweise Zugriff erhalten. Entwickler können die neuen Fähigkeiten über die API ansprechen, oft sogar noch vor dem breiten öffentlichen Rollout.
Für eine flächendeckende Verfügbarkeit in Deutschland und Europa gibt es noch keinen offiziellen Zeitplan, erfahrungsgemäß dürfte es sich aber um Wochen, nicht Monate handeln. Man kann davon ausgehen, dass das neue Modell im Spätsommer oder Frühherbst 2025 auch für alle deutschen Plus-Nutzer zur Verfügung steht.
Was den kostenlosen Account betrifft, so wird dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls Zugriff auf GPT-5 erhalten, allerdings mit deutlichen Einschränkungen. Zu erwarten sind stärkere Nutzungslimits, potenziell langsamere Antwortzeiten und vor allem ein reduzierter Funktionsumfang. Anspruchsvolle Aufgaben wie die detaillierte Analyse längerer Videos oder die Verarbeitung großer Dokumenten-Batches werden mit Sicherheit den zahlenden Kunden vorbehalten bleiben. Die kostenlose Version dient als Appetitanreger, während die wirkliche Produktivität im Abo-Modell liegt.
Die Vision vom Einheitsformat
Diese technologische Entwicklung öffnet ein Fenster in eine Zukunft, in der wir nicht mehr in Dateiformaten denken. Wenn eine KI mühelos zwischen den Medientypen übersetzen kann, wird die Frage nach dem richtigen Codec oder der passenden Kompressionsrate zur Nebensache.
Betrachten wir den Workflow eines Fotografen, der eine Serie für Social Media aufbereitet: Statt RAW-Dateien in Lightroom zu entwickeln, als JPEGs zu exportieren, Videoclips in Premiere zu schneiden, farblich anzupassen und als MP4 auszugeben, könnte der Prompt der Zukunft lauten: „Wähle aus diesem Ordner die fünf Porträts mit dem stärksten Ausdruck. Entwickle sie in meinem bevorzugten warmen, an Analogfilm erinnernden Look, passend zur Stimmung des beiliegenden Videoclips. Schneide daraus eine 15-sekündige Sequenz, die den Moment des Nachdenkens im Blick des Models einfängt. Unterlege sie mit einer unaufdringlichen Klaviermelodie in Moll. Gib das Ergebnis als fünfteiliges Instagram-Karussell und als separates Reel-Video aus.“
Der Anwender formuliert also nur noch die kreative Absicht. Die KI wird zur ausführenden Instanz. Das Dateiformat verkommt zu einem irrelevanten Transportschicht-Detail.
Fazit: Vom Werkzeug zur Vision
GPT-5 ist vermutlich mehr als nur ein inkrementelles Update. Es ist der Vorbote einer neuen Ära der digitalen Kreation, in der die technischen Hürden zwischen den Medienformen fallen. Die Formatlosigkeit und die mit ihr einhergehende Ent-Technisierung werden vielleicht zur neuen Norm. Die wahre Revolution liegt also nicht in der Unterstützung von mehr Formaten, sondern in deren beginnender Irrelevanz.
Das hat tiefgreifende Konsequenzen für Kreativschaffende. Die Beherrschung von technischen Aufgaben wie den Einsatz von Photoshop-Funktionen oder Premiere-Schnittfolgen wird zur sekundären Tugend. Die entscheidende Fähigkeit der Zukunft ist es, eine kreative Intention so präzise und unmissverständlich zu formulieren, dass eine Maschine sie umsetzen kann. Wer sich jetzt nicht mit der Kunst der präzisen Anweisung – dem Prompting – auseinandersetzt, wird vom Gestalter zum bloßen Bediener degradiert. GPT-5 ist nicht nur ein vermeintlich bequemeres Werkzeug – es ist ein Ausblick auf unsere zukünftige Arbeitsweise.





