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Fotowissen – Großvater, was ist „Kleinbild“?

Ob die Konsumenten von morgen wirklich noch etwas mit Formulierungen wie „entspricht 105 bis 300 mm bei 35 mm“ anfangen können? Was ist denn 35 mm groß, und warum heißt Kleinbild „Kleinbild“? In einem unterhaltsamen Beitrag, der auf prophoto-online zu lesen ist, geht Urs Tillmanns geht der Frage nach.

Die Frage meines Enkels kam aus heiterem Himmel. „Kleinbild? Das ist ein Bildformat in der Fotografie“, begann ich mit der Erklärung. Doch dann begann ich zu grübeln: Wie soll ich dem jungen Mann erklären, dass es das Format heute eigentlich gar nicht mehr gibt, und warum man es immer noch so sagt? Und wie weit muss ich historisch ausholen, damit jemand, der in der digitalen Welt aufwächst und die analoge Fotografie nur von den Erzählungen seines Großvaters her kennt, versteht, welche Bedeutung das Wort „Kleinbild“ heute noch hat und wo es wirklich herkommt.
„Kleinbild …“, so mein zweiter Anlauf, „Kleinbild geht in die Zeit zurück als man noch mit Filmen fotografierte …“
„Und wieso braucht man dann den Ausdruck heute noch?“, unterbrach mich der Kleine. „Jetzt mal langsam, ich bin gerade dabei, Dir dies zu erklären. Früher, als man noch Filme zum Fotografieren brauchte, gab es Kameras mit unterschiedlichen Formaten …“
„Wieso?“
„Weil Kameras mit einem größeren Filmformat bessere Bilder machten, die man stärker vergrößern kann. Eigentlich gab es drei verschiedene Negativformate: das Mittelformat mit 6 × 9 oder 6 × 6 cm Bildformat. Und dann eben den handlichen Kleinbildfilm für Negative im Format 24 × 36 mm.“

„Wieso war das negativ …?“
Mit seiner schnellen Rückfrage wurde mir bewusst, wie sehr ich noch am Anfang meiner Erklärungen stand … „Wenn man auf Film ein Bild belichtet und den Film nachher entwickelt, entsteht zuerst ein Negativ, von dem man danach beliebig viele Abzüge, machen kann. Diese nennt man dann Positive.“ Mein Enkel nickte gutgläubig, obwohl er nicht so aussah, als hätte er die Rolle der Negative sowie deren Bezeichnung wirklich verstanden. „Und dann gab es auch noch Großformatfilme, die bis 20 × 25 cm oder noch größer sein konnten.“
„Die waren dann für die ganz scharfen Fotos“, grinste der Bengel altklug.

„Genau“, pflichtete ich ihm bei, und verkniff mir die Nachfrage, wie er dies genau meine … „Und der Kleinbildfilm war 35 mm breit und hatte beidseitig eine Perforation, damit er in der Kamera von einem Bild zum nächsten weiter transportiert werden konnte …“, erklärte ich weiter.
„35? … aber vorhin hast Du doch 36 gesagt“, wollte mich der Junge korrigieren.
„Da hast Du nicht gut aufgepasst: 24 × 36 mm groß war das Bildformat, aber der Film selbst war 35 mm breit.“ Der Junior nickte gutgläubig.
„Und als Kleinbild bezeichnet man eben dieses Format von 24 × 36 mm“, so hoffte ich die Sache abschließen zu können. Doch weit gefehlt
„Und Vollformat ist ein noch viel größeres Format – deshalb heißt es so!“, sagte mein Enkel folgerichtig.
„Nein, Vollformat ist gleich groß wie das Kleinbildformat“, musste ich ihn korrigieren.
„Wieso bezeichnet man etwas als voll, wenn es in Wirklichkeit klein ist?“, kam die scharfsinnige Gegenfrage. „Das verstehe ich nicht!“
„Ganz logisch ist es auch nicht, da hast Du schon recht“, pflichtete ich ihm bei. „Das sind Begriffe, die sich über die Jahre halt so eingebürgert haben. Aber eigentlich sind sie veraltet und heute ziemlich verwirrend. Muss ich schon zugeben.“
„APS-C habe ich auch schon gehört. Was heißt denn das?“, forderte mich der Junge weiter heraus.
„Das ist Englisch und heißt ‘Advanced Photo System’, aber …“
„Was heißt denn Advanced …?“
„Advanced heißt ‘fortschrittlich’, ‘weiterentwickelt’ …“
„Das ist also noch besser als Kleinbild!“, schoss der Kleine dazwischen.
„Nein, die Negative waren etwa viermal kleiner, denn sie gehen auf ein Bildformat zurück, mit dem die Fotoindustrie vor knapp zwei Jahrzehnten versuchte, der Fotografie mit entsprechend kleineren Apparaten neuen Schub zu geben. War ein Flop, weil die Digitalfotografie schon in den Startblöcken stand und die zu kleinen Negative für gute Bilder nicht ausreichten.“
„Das meine ich nicht“, erwiderte mein Enkel. „Ich meine Sensoren, die APS-C heißen …“
„Ja, der Ausdruck wurde vom früheren Filmformat übernommen, weil die Sensoren etwa gleich groß sind, wie das damals erfolglose Bildformat – und weil den Ingenieuren und den Werbeabteilungen gerade nichts Besseres einfiel“, erklärte ich.
„Und diese APS-Sensoren taugen nichts, weil sie zu klein sind!“, folgerte mein Gegenüber schlüssig. „Nein, ganz im Gegenteil. Sie sind unglaublich gut. Und daher sind die meisten Kameras der Mittelklasse mit Bildsensoren im APS-Format bestückt. Nur die ganz teuren Kameras haben große Vollformat-Sensoren“, erklärte ich, in der Hoffnung, damit den Wissensdurst des Kleinen endgültig gestillt zu haben.
„Darf ich Dich noch was fragen?“, holte mein Vis-à-vis zur nächsten Runde aus.
„Nur immer zu …“
„Wieso heißt es hier bei der Beschreibung dieses Objektivs ‘Brennweite 70 bis 200 mm entspricht 105 × 300 mm bei Kleinbild’? Kann ich denn dieses Objektiv auch auf einer Deiner alten Kameras verwenden?“
„Theoretisch schon, aber so ein Objektiv ist für das APS-Format gerechnet und nicht fürs Kleinbild.“

„Also dann passen die neuen Objektive doch nicht auf die alten Kameras?“, kam es folgerichtig zurück, und Benjamin trat damit eine neue Fragelawine los.
„Teils passen sie, teils eben nicht. Auf jeden Fall darfst Du das nie alleine ausprobieren, weil sonst die schönen alten Kameras oder die teuren Objektive beschädigt werden könnten!“ Mein Enkel nickte. Immerhin hatte er großen Respekt vor meinen seltenen Apparaten in der Vitrine.
„Aber warum setzen sich denn die Kamerahersteller und die Objektivfabrikanten nicht alle an einen Tisch, damit alle Objektive auf alle Kameras passen würden?“
„Weil jeder seine eigenen Objektive und Kameras verkaufen will. Das ist wie Deine Lego- und Playmobil-Spielsachen. Die passen auch nicht so richtig zusammen.“
„Das stimmt …“, grinste der Knirps zurück.
„Aber eigentlich wolltest Du ja wissen, was die Aussage ‘entspricht 105 bis 300 mm bei Kleinbild’ bedeutet.“ Er nickte.
„Also, pass auf. Die Brennweite des Objektivs bezieht sich immer auf das entsprechende Format …“
„Brennweite? Was brennt denn da?“, kam es zurück.
„Dem sagt man halt so“, blockte ich ab.
„Die Angaben für Kleinbildobjektive bezogen sich halt auf 24 × 36 mm, und die meisten Leute mit Fotoapparaten wussten, dass die Brennweite für ein Normalobjektiv bei Kleinbild 50 mm, bei Mittelformat 80 und bei Großformat 150 mm betrug. Mit dem Aufkommen der Digitalfotografie ist alles anders geworden, weil jetzt nicht nur die Brennweite des Objektivs variierte, sondern weil auch die Größe der Sensoren in den Kameras verschieden groß ist. Deshalb nahm man das gute alte Kleinbildformat als Standardgröße, weil sich die meisten Leute darunter noch etwas vorstellen konnten. Eigentlich geht es nur darum, eine Angabe für den effektiven Bildwinkel zu finden.“
„Weshalb nennt man dann nicht gleich den wirklichen Bildwinkel, sondern macht den komplizierten Umweg über das Kleinbild-Dingsbums, wo eh keiner durchblickt …“
Ich staunte ob die Kombinationsgabe meines Enkels, die er zweifelsohne von seinem Großvater geerbt haben musste.
„Ja, klar“, pflichtete ich ihm bei. „Schlauerweise sollte die Fotoindustrie einzig die effektiven Aufnahmewinkel der Objektive angeben, statt sie mit dem Kleinbild zu vergleichen. Das verwirrt nur.“ Bereits die Generation meines Enkels weiß mit „Kleinbild“ nichts mehr anzufangen, noch weniger mit den seltsamen 35 mmn, von denen bei modernen Objektiven für die Digitalfotografie immer noch die Rede ist!
„Großvater…?“
„Ja, was denn?“ Hartnäckig ist er schon, der Knirps. Eigentlich erfreulich, manchmal auch etwas anstrengend. „Habe ich etwas vergessen?“

„Ja! Was ist die Brennweite? Ist die gefährlich? …“
Nun möchten Sie natürlich wissen, ob sich das Gespräch wirklich so zugetragen hat und wie alt denn mein Enkel ist. Nun, den Enkel gibt es wirklich – sogar zwei davon und eine Enkelin. Aber er ist noch viel zu klein, um sich mit Brennweite und Kleinbildbezug auseinander zu setzen. Aber seine Generation und die späteren, werden die Formulierung „entspricht ?? mm bei 35 mm“ garantiert nicht mehr verstehen. Deshalb drängt sich die Angabe des effektiven Bildwinkels anstelle der Brennweite schon heute auf.
Urs Tillmanns
Illustrationen: Johannes Borer
Quelle: prophoto-online.de

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Johannes Wilwerding

Johannes Wilwerding hat bereits Mitte der Achziger Jahre und damit vor dem Siegeszug von Photoshop & Co. Erfahrungen in der Digitalisierung von Fotos und in der elektronischen Bildverarbeitung gesammelt. Seit 2001 ist er freiberuflicher Mediengestalter und seit 2005 tätig für das DOCMA-Magazin.

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