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Verhunzte Tattoos

Verhunzte Tattoos

Im Rahmen einer KI-Gruppenausstellung beim Fotofestival Horizonte Zingst zum Thema „Flora“ hat sich die Hamburger Fotografin Leoni Marie Hübner mit einem sehr speziellen Blumenthema auseinandergesetzt. | Christoph Künne

Verhunzte Tattoos

Was wohl entsteht, wenn Fotografen mit KI-Bildideen das ­Festivalthema „Flora“ interpretieren, fragte sich Edda Fahrenhorst, die ­Kuratorin des Zingster Fotofestivals. Ihr künstlerisches Experiment führte Foto-Kreative verschiedener Generationen zusammen, die in unterschiedlichen Genres zu Hause sind.

Mit dabei: die Hamburger Fotografin Leoni Marie Hübner. Für ihre KI-Bilder wollte sie ein witziges Thema wählen, merkte aber schon nach kurzer Testphase: Mit Humor tut sich die KI noch schwerer als mit der richtigen Anzahl von Fingern oder Beinen. Doch nur lustig war ihr nicht genug. Ihre geplanten KI-Bilder sollten auch zu ihrer bisherigen Arbeit als Fotografin passen. Für Marie war das schwierig, denn es sollten Blumen sein, obwohl sie am liebsten Menschen fotografiert. Ihre Lösung des Problems: misslungene Blumentattoos. Ein Alltagsphänomen, das viele Menschen betrifft, die heute solche Jugendsünden bedauern. Wir haben Marie in Hamburg getroffen um herauszufinden, welche Herausforderungen sich bei der praktischen Umsetzung eines solchen Projekts stellen und wie sie ­gemeistert werden können.

DOCMA: Wie hast Du Deine – durchaus speziellen – Bildwünsche einer KI wie Midjourney erklärt, die ja eher den Massengeschmack ­bedienen soll?

Marie: Das war schon eine größere Herausforderung. Einfach nur Menschen, Blumen und Tattoos als Begriffe im Prompt zu mischen, führte zu ziemlich seltsamen Ergebnissen. Da wuchsen alten Damen Rosen aus dem Arm, und wenn mal ein brauchbares Blumen-Tattoo in der Auswahl war, konnte ich die Blumensorte erst mal nicht ­kontrollieren.

DOCMA: Was machst Du dann?

Marie: Recherchieren hilft. Ich habe im Internet nach Tattoo-­Künstlern gesucht, die mit KI arbeiten, und mir deren Prompts angesehen. Außerdem habe ich mir viele YouTube-Videos für diese Zielgruppe durchgeschaut. Leider ist die Entwicklung so schnell und die Vielfalt der KI-Tools so groß, dass man immer nur Bruchstücke der Strategien mit der eigenen neuesten Version des bevorzugten Dienstes nutzen kann. Irgendwann hatte ich eine Art Hierarchie für meine Prompt-Formulierungen entwickelt: Tattoo­design, Körperstelle, Motiv, Kleidung und die Definition dessen, was im Fokus stehen sollte. Dann habe ich versucht, die richtige Länge für die Prompts zu finden: Wenn sie zu lang sind, werden viele Elemente übersprungen, aber man erhält mehr Details. Wenn sie zu kurz sind, bleiben die Ergebnisse eher zufällig.

DOCMA: Das klingt nach einer Menge Zeit.

Marie: Ja, ich musste mich erst warmlaufen. Für das ­eigentliche Projekt hatte ich dann nur vier Stunden Zeit. Ich war aber sehr froh, dass ich vorher viel recherchiert und geübt hatte. Die Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu kennen, hat auch die Entscheidungen erleichtert, was man am Ende in der Ausstellung zeigen sollte.

DOCMA: Was ist aus der Idee geworden, verunstaltende Tattoos zu ­produzieren?

Marie: Ärgerlich war, dass die KI keine fehlerhaften Tattoos erzeugt hat. Das hat die eigentliche Grundidee meines Plans fast über den Haufen geworfen. Bis auf die Textelemente natürlich. Aber auch da waren keine Rechtschreibfehler möglich, sondern es kamen immer nur völlig unsinnige Wörter heraus. Außerdem produziert die KI keine kleinen einzelnen Tattoos, wenn man sie explizit dazu auffordert. Die entstehen eher zufällig und aus dem Kontext gesellschaftlicher Vorurteile gegenüber bestimmten Personengruppen. Anscheinend hat für die KI niemand mehr ein einzelnes ­Tattoo, sondern alle sind gleich komplett zutätowiert. Tattoo-Patzer wie im echten Leben sind bei KI-Tattoos nicht zu sehen. KI-Patzer natürlich schon, aber dritte Beine, zusätzliche Arme oder mehr als die natürliche Anzahl an Fingern fallen oft erst bei genauerem Hinsehen auf. Die ­Bilder bei Midjourney sind mittlerweile – ich spreche hier von Version 5 – ­visuell so perfekt und gefällig, dass man sie auf den ersten Blick inhaltlich kaum in Frage stellt.

DOCMA: Gab es noch andere unerwartete Probleme, die Du lösen musstest?

Marie: Am meisten haben mich die sozialen Vorurteile der KI gestört: Ich wollte eine alte Schwarze Frau (Anm. d. Red: Leonie Marie Hübner ­bestand darauf, das Adjektiv schwarz in diesem Kontext mit großem „S“ zu schreiben.) mit Tätowierungen darstellen. Aber ich bekam lange Zeit nur Figuren, die wie sozial stark benachteiligte Drogenopfer aussahen. Es war ein langer Prozess, bis auf dem Bild endlich eine anmutige Frau zu sehen war. Geholfen hat, sie in einer höheren Gesellschaftsschicht zu verorten. Um die KI dazu zu motivieren, ein Bild zu liefern, das meinen diesbezüglichen Vorstellungen entspricht, musste ich ihr ziemlich genau erklären, was die Frau tragen soll und wie ich mir die Umgebung vorstelle. Aber gerade dieses Ringen mit der KI, war ein sehr lehrreiches Experimentierfeld, das zwischen Frustration und gespannter Erwartung angesiedelt war. Erstaunlich wenig Probleme hatte ich beim Thema Tattoo mit der sonst so ­restriktiv unterdrückten Nacktheit. Midjourney produzierte ständig Bilder von Frauen mit nackten Brüsten, obwohl ich das nicht wollte und es in den meisten Fällen auch gar nicht zur Adaption des Tattoo-­Themas passte.

DOCMA: Was war Deine persönliche Quintessenz aus diesem Projekt?

Marie: Die Probleme, die ich mir vorher ausgemalt hatte, sind gar nicht aufgetaucht. Stattdessen tauchten ganz andere auf. Insgesamt war das Projekt für mich als Fotografin sehr abenteuerlich.

DOCMA: Marie, danke für die ­spannenden Einblicke.

Prompts und Zusatzinfos finden Sie unter www.docma.info/22841


Leoni Marie Hübner

Nach einer Jugend, die sie der klassischen Gitarre und dem Tanz gewidmet hat, wollte sie ihren Lebensinhalt nicht zum Beruf machen. Sie entschied sich nach einigen Semestern ­Französische Literatur und Musikwissen­schaften für das Studium der Fotografie und des Kommunikationsdesigns in Kiel und Paris. Nach ihrem Master arbeitete Leoni Marie Hübner als Studioleiterin bei ­Esther Haase.

Mehr Arbeiten: www.leonimariehuebner.com


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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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