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KI-Zukunft: Wie künstliche Intelligenz unseren Alltag verändert

KI, also künstliche Intelligenz, scheint das Buzzword dieses Sommers zu sein. Alle Medien berichten davon, dass die KI unser Leben bereichern, vernichten, verändern und unsere Arbeit revolutionieren oder zerstören wird. Man sieht dazu Bilder von Industrierobotern, 3D-Druckern oder selbstfahrenden Autos, die ohne jeden menschlichen Eingriff ihr Tagwerk verrichten. Dazu hört man Geschichten von Google-Assistenten, die in menschlichem Plauderton einen Tisch im Restaurant reservieren.
Der eine ist fasziniert, dem anderen macht die Entwicklung Angst. Aber kaum jemand ahnt, wie sich die künstliche Intelligenz auf unseren Alltag auswirken wird. Eine gute Gelegenheit also, sich ein paar Gedanken zu machen, in welcher Weise eine solche Technologie den (Arbeits-)Alltag von Medienprofis wie Journalisten und Fotografen in fünf Jahren verändert haben könnte.
Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz im Arbeitszimmer – farblich integriert.

Sommer 2023, gegen 8 Uhr morgens


Die Schlafzimmer-KI weckt mich mit leichter Musik. Anhand weniger ausgesuchter Messkennziffern, werde ich informiert, wie gut ich geschlafen habe, wie mein Biorhythmus auf das Wetter reagieren wird und was bisher für mich auf dem Terminkalender steht. Derart gebrieft gehe ich ins Bad, wo ich etwas Zeit auf meinem sensorisch hochgerüsteten Tiefspüler-Thron verbringe, bevor es an die Rest-Toilette geht.

Während dieser Verrichtungen analysieren Sensoren meine Ausscheidungen, messen mein Körpergewicht, scannen meine Augen, dokumentieren mein Hautbild und verschaffen sich so einen Überblick über meinen Gesundheitszustand. Ich könnte ihn mir im Spiegeldisplay anzeigen lassen, aber da ich inzwischen weit über 50 bin, rauche, trinke und Übergewicht habe, will ich die Details gar nicht so genau wissen. Das brachte mich auf die Idee, die Badezimer-KI an einen Open-Source Medicaredata-Interpretor zu koppeln, der dann seine Ergebnisse direkt an meine Küchen-KI weiterleitet.

Der Hack hat mich zweit Tage gekostet, aber dafür kann ich nun auch alle Körper-Daten auf meinen eigenen Server im Keller verarbeiten lassen und muss sie nicht mit den großen Digitalkonsortien teilen. Im Bad versorgt mich die Medien-KI über einen Audiostream mit einer Mischung aus den wichtigsten Nachrichten des Weltgeschehens, der Kultur, der Wirtschaft, der Technik und der Kreativbranche – also ein Radioprogramm, das ganz an meine Interessen angepasst ist.


Künstliche Intelligenz – 08:30 Uhr – Start in den Tag


Mein Frühstück bereite ich zum Teil noch selber zu. Das ist ungefähr so angesagt wie vor ein paar Jahren Vinylschallplatten oder Sofortbildfotografie. Irgendwie ein Zeichen echter Freigeistigkeit. Allerdings sind diese Bemühungen ziemlich abgespeckt: Das Essen verarbeitet die KI autonom, weil das Finetuning der Bausteine für den Ernährungplan zu komplex ist. Ich koche nur noch den Kaffee mit einer altmodischen Siebträgermaschine.

Im Grunde fülle ich da aber auch nur den Espresso in den Siebträger, setze den in die Maschine ein und lege einen Schalter um. Den Mahlgrad der Bohnen, die Pulver- und die Wassermenge kontrolliert die Küchen-KI. Wenn ich nach Gusto selbst kochen würde wie früher, ist das kontraproduktiv zum Ernährungskonzept, das mir 10 Jahre mehr aktive Lebens- und vor allem Arbeitszeit ermöglichen wird. Die ist übrigens kein Luxus, sondern absolut notwendig, denn mit Fotografie und Journalismus kann man seit 2019 auch als Vollprofi kaum noch Geld verdienen.
Der Kaffee schmeckt überraschend dünn. Ein Blick in die Müslischale bestätigt meine Befürchtungen: Sie ist halbvoll mit Trockenpflaumen. Scheinbar liefert einer der Sensoren des Tiefspüler-Throns falsche Messwerte, denn ich kann keinerlei Verdauungsprobleme feststellen. Da muss ich wohl mal ran und jedes Bauteil einzeln nachmessen … Inzwischen hat die Medien-KI von Audio-News auf das Esstisch-Tablet umgeschaltet und zeigt mir rund um die Müslischale die Nachrichten, die man besser liest oder als Video anschaut. Dort sehe ich dann auch, was auf den sozialen Kanälen meiner etwa 2000 persönlichen „Freunde“ gerade los ist.

Künstliche Intelligenz – 9:00 Uhr: Arbeitsbeginn


Die Stunde der sozialen Medien. Endlich sind die kein Zeitfresser mehr. Zumindest für mich. Die SM-KI, so nenne ich den kleinen Nervtöter gerne, hat für mich die Trends des Tages für alle Kanäle ermittelt, aus meinem Archiv bereits passende Fotos herausgesucht sowie Bildunterschriften verfasst. Sie zeigt sie mir auf dem Monitor meines Arbeitszimmers. Für eine Maschine sind das ganz brauchbare Texte. Ich muss jetzt nur noch die Listen mit den Posts für die zwölf sozialen Plattformen absegnen, auf denen meine Kunden und Follower so zuhause sind. Jede Plattform hat über den Tag eine Postfrequenz zwischen einem und sechs Posts, da kommen schnell mal 30 Posts täglich zusammen. Jeden Tag.

Aber die KI macht es erträglich. Im Gegensatz zu vielen Kollegen texte ich die meisten Vorgaben um. Ist wahrscheinlich ein chronisches Problem von Journalisten, die nach der Einstellung fast aller Bezahlmedien um 2020 zu anderen Erwerbsmodellen gewechselt sind. Aber vielleicht liegt das auch an meiner Open Source-Lösung. Ich sollte mal eines von den High-End-Tools ausprobieren. Wenn das in der ersten Gratis-Woche so gut ist wie meine Freeware nach zwei Jahren des Anlernens würde sich der Invest lohnen.

9:30 Uhr Wir wechseln den Schauplatz für die Videoaufnahmen. Mein robotischer Diener verfügt über Styling-Modul und kann mir innerhalb von drei Minuten ein Makeup auflegen, die Tränensäcke wegschminken und irgendetwas in die Augen träufeln, damit ich total präsent aussehe. Um lange Diskussionen über meinen Kleidungsstil mit ihm zu vermeiden, habe mich schnell auf komplett schwarze Klamotten einer bestimmten Richtung und wenige, dafür aber auffällige Accessoires festgelegt. Am liebsten hätte ich natürlich einen 3D-Avatar und müsste nur noch Text einsprechen, aber das kostet bei meinen Qualitätsvorstellungen noch zu viel. Außerdem ist ja Authentizität immer noch so wichtig.

Also gehen mein Robo-Diener, der auch ein zertifiziertes Dronen-Modul hat, und ich in den nahegelegenen Park für ein paar Clips. Wie früher im Rethorik-Seminar an der Uni halte ich Kurzvorträge aus dem Stegreif. Nur dass mir jetzt die SM-KI die Themen vorgibt und mich Kameras umschwirren. Bei schlechtem Wetter machen wir die Aufnahmen im Studio mit Greenscreen. 

10:30 Uhr Wir sind zurück im Wohn-Office, die KI hat das Video-Material geschnitten, den Ton optimiert, passende Musik unterlegt, ein paar grafische Spielereien eingebaut, die zu meiner Social-Media-Identität passen, und daraus tatsächlich 15 präsentable Filmschnipsel gemacht. Ich hätte jetzt gerne einen Kaffee, aber die Küchen-KI weigert sich (wohl wegen der Messfehler der Badezimmer-KI heute morgen) einen zu produzieren, und so muss ich mit Wasser Vorlieb nehmen.

Künstliche Intelligenz – 10:45 Uhr: Kommunikation


Zurück am Monitor listet mir die Büro-KI den Stand meiner Faktura auf. gemeinsam erledigen wir – das heißt, ich treffe Entscheidungen und die KI setzt um – Anfragen, Angebote und Rechnungen. Danach wird telefoniert. Seit die KIs den größten Teil der Vorabsprachen und Detailklärungen selbst regeln, bekomme ich nur noch kurze Briefings und bespreche letzte Feinheiten mit den Verantwortlichen auf der anderen Seite. So dauern die täglich rund zehn Telefonate gerade mal eine gute Stunde und ich erhalte alle wesentlichen Infos zu Vorgang und Gesprächspartner „just in Time“ während des Telefonats auf dem Monitor angezeigt. Da ich hier mal nicht gespart habe, ist auch ein Taktik-Modul installiert. Das wertet Gespräche in Real-Time aus und unterbreitet mir  Argumentationsvorschläge, recherchiert Hintergründe in sozialen Medien, prüft Fakten, findet Ansätze für Zusatzgeschäfte – kurz es funktioniert wie ein kleiner persönlicher Geheimdienst inklusive Supervision. Mit dem Modul konnte ich meine Effektivität im letzten Jahr um 55 Prozent steigern, aber so langsam ziehen die anderen nach und es wird zunehmend schwieriger, die Quote zu halten.

12:00 Uhr Mittagspause. Statt eines normalen Drei-Gänge-Menüs stellt mir der Robo-Diener eine Suppe mit Zwieback auf den Tisch. Wieder eine Konsequenz des morgentlichen Messfehlers. Muss heute unbedingt nochmal aufs Klo, wenn es noch etwas Nahrhaftes zu essen geben soll. Oder vielleicht irgendwo an einer Pommesbude anhalten? Auf das Menü hier habe ich, seit ich zu einem günstigen Krankenkassentarif gewechselt bin, keinen Einfluss mehr, aber die Küchen-KI hat zum Glück keinen Zugriff auf die Auto-KI.


Künstliche Intelligenz – 12:30 Uhr: Fototermin außerhalb


Footrunner Joe, ein junger Fitness-Influencer, der noch nicht viel in KI und Equipment investieren konnte, soll für ein Laufmagazin interviewt werden. Mit der Redaktion habe ich bereits die Bildsprachenvorgaben festgelegt. Genau genommen haben die mir eine Reihe von Fotos geschickt, aus denen meine Foto-KI das Projekt entwickeln konnte: Sie hat eine Location ausfindig gemacht und den Bedarf an Technik errechnet, mir einen Lichtplan gebaut, dem Robo-Diener einen Bedarfs- und Packplan an den Robo übermittelt. 

Die Details werden bis zur letzten Sekunde digital verhandelt. Als ich in den gepackten Van steige, weiß ich noch gar nichts Genaues. Übrigens steige ich auf der Beifahrerseite ein. Nicht weil ich nicht fahren kann oder will, sondern weil ich die Anfahrtszeit zur Vorbereitung brauche, um mir alle Fakten anzuschauen, die unterwegs auf der rechten Seite der Windschutzscheibe eingespielt werden.

Links sitzt Achmet. Ich habe seine Dienste mit dem Fahrzeug geleast, weil es immer noch Bestimmungen gibt, dass auf dem Fahrersitz ein Mensch das Lenkrad kontrollieren muss, auch wenn das Auto völlig autonom fährt. Mit diesem Kunstgriff hat die Autoindustrie eine erheblichen Teil des Problems gelöst, wie man anerkannte Asybewerber in Lohn und Brot bringt. Außerdem habe ich so meist einen menschlichen Helfer dabei, der mir – wie heute – auch mal eine Currywurst an einer Versorgungseinheit am Wegesrand besorgen kann, ohne dass die Küchen KI etwas davon mitbekommt, während ich mit der Foto-KI weiterarbeite.

13:30 Uhr Wir sind vor Ort auf einem stillgelegten Autobahn-Abschnitt (eine Idee der Redakteurin), Achmet macht Pause, der Robo-Diener baut das Set auf und ich habe Gelegenheit, mit dem Influencer zu schwatzen und ihn für das Shooting zu instruieren. Anschließend kann ich meinem Job als Fotograf nachgehen. Das bedeutet, ich suche nach dem richtigen Bildausschnitt, während meine Foto-KI und die Redaktions-KI „Verbesserungsvorschläge“ einbringen.

Klartext: Ich mache, worauf die beiden sich einigen und der Robo-Diener behält alles andere im Blick und unter Kontrolle. Und der Läufer läuft und läuft. Nach dem Shooting baut der Robo die Technik ab und packt ein. Auf dem von Achmed begleiteten Rückweg verhackstücke ich mit den beiden KIs die Retuschen und den finalen Look der Fotos via Windschutzscheiben-Display. 

16:30 Uhr Wir sind wieder zurück und ich begebe mich umgehend auf die Toilette, um wenigstens die Chance auf ein anständiges Abendbrot oder zumindest ein Feierabendbier zu bekommen.


Künstliche Intelligenz – 16:45 Uhr: CGI-Termin inhouse


Der zweite Job des Tages ist auch ein Interview. Nur geht es diesmal um Bella Boob, einen gemeinhin spärlich bekleideten C-Promi aus einer Youtube-Reality-Show. Sie soll in einem Food-Magazin ihr Lieblings-Rezept für irgendeine exotische Insekten-Diät vorstellen. Um ihre Zeit zu sparen, hat ihr Management einen 3D-Avatar aufgezeichnet, mit dem ich für zwei Stunden arbeiten kann. Der Avatar wird in eine von der Redaktion gemietete 3D-Urwald-Küche (muss ja stilecht sein) implementiert und ich habe das kurze Zeitfenster, um den Avatar gekonnt in Szene zu setzen.

Glücklicherweise sind Bewegungsmuster mit erfasst worden, so dass ich wenig Fantasie brauche und den Avatar einfach in der Szene von einer spezialisierten Kochabläufe-KI Handlungen vornehmen lassen kann. Nach einer halben Stunde sind wir fertig und die Verhandlung-KIs haben die Ergebnisse abgesegnet. Das gibt Bonus-Punkte, die sich am Jahresende in ein hübsches Zusatzhonorar umwandeln lassen – falls bei den kommenden Jobs nichts schiefläuft.

17:15 Uhr Ich versuche, mir nochmal einen Kaffee zu kochen und die Küchen-KI stoppt mich nicht. Diesmal haben die Sensoren wohl keine Fehler erzeugt. Es gibt sogar einen Keks dazu. Dafür wird das Abendbrot gestrichen – wegen Disziplinmangel an der Pommensbude. Woher das Daten-Leak wohl kommt? Da muss ich den Server wohl mal wieder auf unautorisierte Fremdsoftware checken. 15 Minuten Verschnaufspause.


Künstliche Intelligenz – 17:30 Uhr: Statistik


Statt den frühen Abend wie gewöhnlich für noch einen Job, eine Video-Tutorial-Aufzeichnung oder eine Stock-Produktion zu nutzen, miete ich mir heute eine Marketing-KI und arbeite mit ihr die Zahlen der Woche durch: Wir haben sich die Followerzahlen entwickelt? Welche Posts waren erfolgreich, welche nicht, ging etwas viral, und wenn warum? Wie erfolgreich war ich im Hinblick auf meine Kommunikationsziele, wie entwickelt sich der Umsatz bei Aufträgen und im Webshop, was kann ich zur Optimierung der Steuergestaltung tun, was wäre gut für die Rente? Wo gerate ich mit rechtlichen Fragen in Konflikt, wie kann ich mein Profil weiter schärfen, welche technischen Neuerungen sollte ich zusätzlich implementieren, wo muss ich mich einarbeiten, um neue Trends mit Produkten bedienen zu können?

So eine Marketing-KI ist wie eine Mischung aus Verkaufsförderung, PR-Agentur, Wirtschaftsprüfung und Rechtsberatung – und sie wird pro Minute abgerechnet. Daher müssen alle anderen von mir selbst gehosteten KIs mit ihren Daten und Auswertungen Gewehr bei Fuß stehen. Im Grunde ist der Marketing-KI-Abend wie ein Konzern-Meeting in der Chef-Etage. Ich bin dabei der Chef und muss die Entscheiungen treffen. Aber ich habe keine Ahnung, wie die zugrunde liegenden Informationen genau zustande gekommen sind.

19:30 Uhr Zwei Stunden hat das KI-Meeting gedauert, ich habe jetzt zwar wieder mehr Überblick über alle Aspekte meines geschäftlichen Daseins, aber im Grunde kommt nie etwas anders heraus als das: Technisch aufrüsten und die Schlagzahl erhöhen!
Mir reicht es für heute, ich gehe mit ein paar Freunden ins Kino. Da gibt es einen neuen Film mit längst verstorbenen Schauspielern, die als KIs wieder auferstanden sind. Meine Freunde kommen alle aus anderen Branchen und es wird bestimmt wieder lustig, beim anschließenden Bier zu erfahren, was sie mit ihren KIs in der letzten Zeit so alles erlebt haben.

Munter bleiben!

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Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

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