KI-Manifeste: Was uns die neuen Glaubensbekenntnisse wirklich bringen

Es ist nicht da erste seiner Art. Nein, in letzter Zeit scheinen sich viele, die mit der zu KI arbeiten berufen zu fühlen, die Zukunft in Worte zu fassen. Aktuell macht mal wieder ein neues KI-Manifest die Runde: Es trägt den Titel „AI-Generated Art: A Futurist Manifesto“ und liest sich, als hätte ein Visionär die Feder geführt. Einmal mehr wird nicht weniger als eine Revolution ganzer Arbeitsbereiche versprochen: KI als kreativer Partner, als Präzisionswerkzeug, das menschliche Fehler ausmerzt, und als großer Gleichmacher, der bisherige Hürden überwindet. Das Credo: Während die einen noch die Qualität bestehender Techniken verteidigen, hat der Algorithmus längst neue Fakten geschaffen.
Solche Proklamationen sind keine Seltenheit. Von den großen Technologiekonzernen bis hin zu agilen Künstlerkollektiven – Visionen zur Künstlichen Intelligenz werden mit dem Gestus historischer Aufrufe formuliert. Sie klingen mal nach Ethik-Leitfaden, mal nach Zukunftsvision. Ihr gemeinsamer Nenner: Sie erheben den Anspruch, die Spielregeln für das Miteinander von Mensch und Maschine neu zu schreiben. Doch was verbirgt sich hinter dem Pathos dieser Texte, und welchen praktischen Nutzwert bieten sie, wenn der Glanz der Vision auf die alltägliche Realität trifft?
Der Pakt mit der Maschine: Eine Analyse der Versprechen
Liest man sich durch diese neuen Bekenntnisse, kristallisiert sich eine zentrale Erzählung heraus: Die Technologie soll die Arbeit erleichtern, Kreativität beflügeln und dabei fair und nachvollziehbar agieren. Das hier zitierte futuristische Manifest zur KI-generierten Kunst treibt diese Vision auf die Spitze. Es feiert die „mathematische Perfektion“ des Algorithmus, die eine „verborgene Harmonie in den Daten“ aufdeckt und zu völlig neuen ästhetischen Maßstäben führt. Es proklamiert die „Befreiung von der Nostalgie“ und das Ende der Subjektivität, indem der Künstler zum „Programmierer“ und die KI zum „kreativen Kollaborateur“ wird. Die Vision ist die einer Kunst als Maschine – präzise, fehlerfrei und unendlich skalierbar.
Andere, eher von der Industrie geprägte Papiere, schlagen einen nüchterneren Ton an. Sie betonen Sicherheit, Verantwortlichkeit und die Vermeidung von systemischen Fehlern. Doch auch hier schwingt die große Hoffnung mit: Mit den richtigen Leitplanken wird die KI zum verlässlichen Partner für eine bessere Zukunft. Die Gemeinsamkeit liegt im Gestus des Aufbruchs, im Versprechen, alte Fesseln – seien es tradierte Arbeitsweisen oder menschliche Unzulänglichkeit – abzustreifen. Für jeden, der die Folgen von neuen Werkzeugen abwägen muss, sind dies verlockende Aussichten.
Die Anatomie der Überzeugung: Mehr Glaube als Argument
Für jeden, der Texte nicht nur liest, sondern kritisch bewertet, wird schnell klar: Manifeste sind keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Ihre Kraft schöpfen sie nicht aus einer lückenlosen Beweisführung, die Gegenargumente sorgfältig prüft, sondern aus der rhetorischen Wucht ihrer Thesen. Sie appellieren an eine vermeintlich unaufhaltsame Entwicklung, deren Nichtbeachtung einem kreativen oder beruflichen Nachteil gleichkäme. Eine kritische Prüfung der Annahmen, wie sie für jede fundierte Auseinandersetzung grundlegend wäre, fehlt naturgemäß.
Wenn das „Futurist Manifesto“ beispielsweise das „Ende des künstlerischen Elitismus“ ausruft, weil die Werkzeuge für jeden zugänglich seien, ist das eine kühne Behauptung. Es ignoriert nicht nur Joseph Boys „Jeder Mensch ist ein Künstler”-Proklamation von 1985, sondern auch die neuen Eliten, die sich aus denjenigen zusammensetzen, die über die teuersten Modelle, die größte Rechenleistung und das tiefste Wissen im Prompt-Engineering verfügen. Die Behauptung, KI eliminiere den menschlichen Fehler, ist philosophisch reizvoll, aber technisch naiv. Sie ersetzt im Grunde lediglich eine Fehlerquelle durch eine andere. Die Argumentationsketten sind oft eher auf emotionale Überzeugung ausgelegt als auf eine rationale, belastbare Grundlage.
Die Konfrontation mit der Realität: Von der Vision zur Anwendung
Der wahre Wert dieser Visionen bemisst sich daran, wie ihre Ziele in der Praxis aussehen. Und hier offenbart sich eine Kluft, die jeden nachdenklich stimmen sollte. Es erinnert an die Erwartungen an das Internet in den 1990er Jahren. Während die einen von der Demokratisierung der Kreativität schwärmen, entstehen kommerzielle Dienstleistungen, die eine ganz andere Sprache sprechen. Zu erwarten ist eine neue Variante von vermeintlich schöpferischer Disruption, die sich nur noch weit heftiger auf unseren Alltag auswirken könnte, als die letzte.
Letztlich sind die KI-Manifeste wertvolle Dokumente unserer Zeit. Sie sind Seismografen, die unsere Hoffnungen und Ängste im Angesicht einer transformativen Technologie aufzeichnen. Sie liefern die Narrative für eine Debatte, die wir dringend führen müssen. Doch sie sind keine Landkarten für die Zukunft, sondern eher Leuchtfeuer in einem dichten Nebel. Sie markieren eine mögliche Richtung, aber den Weg müssen wir selbst finden – mit kritischer Distanz, technischer Expertise und einem geschärften Bewusstsein für den Unterschied zwischen einer verlockenden Vision und ihrer oft widersprüchlichen Realität. Die eigentliche Arbeit beginnt dort, wo die Manifeste enden.
Buchempfehlung: Wenn Sie bis hier gekommen sind…
„Die Propheten von gestern sind die Deppen von heute“, das meint zumindest Richard David Precht in seinem Buch JÄGER, HIRTEN, KRITIKER von 2018, in dem er sich höchst reflektiert mit der Zukunft unserer Arbeitsgesellschaft auseinandersetzt – auch wenn generative KI damals noch nicht so dominant war wie heute. Aus meiner Sicht sehr zu empfehlen, auch wenn sich auf den fast 300 Buchseiten mit Sicherheit manch kontrovers diskutierbare Äußerungen, wie etwa die zum bedingungslosen Grundeinkommen finden. Wer nicht so gerne liest, kann den Titel auch als 8-Stunden-Hörbuch konsumieren.






Als ich Ivan Paduanos „Futuristisches Manifest“ zu KI und Kunst las, war ich mir nicht sicher, ob es nicht als Scherz gedacht ist, denn es ist keineswegs visionär, sondern ein unsinniges und repetitives Geschwalle. Als Redakteur hätte ich erst einmal zwei Drittel der Adjektive gestrichen, was den Text etwas lesbarer gemacht hätte.
Ivan Paduano scheint ein Hans Dampf in allen Gassen zu sein, der in seinem Leben eine Unzahl kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse mit diversen Unternehmen und Institutionen eingegangen ist. Manchmal stilisiert er sich als Professor an der Sapienza in Rom, aber eine Professur hat er dort nicht, sondern ist als befristet angestellter Dozent tätig.
Das Manifest hat er möglicherweise gar nicht selbst geschrieben. Ich tippe darauf, dass es von einer KI verfasst ist, denn wer sich zwingt, seitenweise solches Wortgeklingel zu schreiben, läuft Gefahr, dass sein Gehirn fristlos kündigt und durch die Zirbeldrüse zu entkommen versucht.
Was dem Manifest an Sachaussagen entnommen werden kann, ist größtenteils Unsinn. Zum Beispiel:
„AI-generated art reveals its magnificence in the mathematical perfection that characterizes its algorithms. Each artistic creation produced by artificial intelligence reflects an impeccable and sublime mathematical rigour. The algorithmic processes used to generate these works are based on precise mathematical formulas, which allow for aesthetically impeccable and extraordinary results.“
Es stimmt, dass die Anwendung von KI-Modellen einfach nur number crunching ist, also eine Rechenaufgabe. Keine ausgesprochen komplexe Rechenaufgabe, denn es werden nur wenige mathematische Operationen benötigt, aber es sind extrem viele Zahlen im Spiel. Computer können solche Berechnungen sehr präzise ausführen, sieht man mal von seltenen Ausnahmen wie dem Pentium-Bug vor gut 30 Jahren ab. Aber eine hohe Rechengenauigkeit steht in keinem Zusammenhang mit der Fehlerfreiheit der künstlerischen Resultate. Eine KI kann auf noch so präzisen Berechnungen beruhen und generiert trotzdem Hände mit sechs Fingern. Umgekehrt ist eine hohe Rechengenauigkeit gar nicht so wichtig. Deshalb wird sie oft bewusst reduziert: Man nutzt beim Einsatz eines Modells weniger Bits zur Speicherung aller Zahlenwerte als während des Trainings, was die Berechnungen beschleunigt, ohne dass sich die Qualität der Resultate nennenswert verschlechtert.
Die Aussage
„Artificial intelligence operates through rigorous computation, optimization, and manipulation of data, ensuring a precision and regularity that the human artist can only wish to possess. Through artificial intelligence, art reaches a perfect expression that exceeds human capabilities, opening new horizons and surpassing the potential of traditional art.“
ist daher falsch. Der „Visionär“ hat auch nicht wirklich verstanden, was für Algorithmen hier am Werk sind und was sie tun:
„The mathematical beauty of artificial intelligence represents a true creative emancipation, in which the algorithm becomes the very architect of the form, generating works of art that possess an unparalleled and extraordinary harmony.“
Sowohl die beim Training von KI-Modellen verwendeten Algorithmen als auch die Algorithmen, die später, bei der Anwendung, die Berechnungen in einem KI-Modell ausführen, sind prinzipiell immer dieselben. Sie sind nicht an spezifische Inhalte angepasst, also ob ein KI-Modell Text, Bilder oder Musik generiert, oder ob es aus seismologischen Daten Vulkanausbrüche vorhersagt. Wenn ein KI-Modell Kunst generiert, dann steckt alles, was an diesem Modell kunstspezifisch ist, in den Parametern des Modells, also Myriaden von Zahlen, aber nicht im generischen Algorithmus, der mit diesen Zahlen rechnet. Und dieser Wust an Zahlen macht so ein KI-Modell zu einer Black Box, die gerade nicht transparent ist und von der zunächst niemand sagen kann, warum und wie sie tut, was sie tut. Und dass die von einem KI-Modell generierte Kunst immer harmonisch wäre, kann man auch nicht behaupten.
„Data, in all its infinite and intricate complexity, hides an extraordinary harmony that only artificial intelligence, with its astonishing analytical capacity, is able to reveal. The art generated through the use of intelligent algorithms is the tangible manifesto of this hidden harmony, a symphony of shapes and colors that come to life thanks to the mastery of algorithms in interpreting and transforming data.“
Nein, da offenbart sich keine verborgene Harmonie, und wenn das Training des Modells irgendwelche relevanten Analyseergebnisse produziert haben sollte, kann man sie dem Modell nicht ansehen. So etwas herauszufinden ist eine Herausforderung, an der KI-Entwickler oft scheitern. Beispielsweise kämpft OpenAI mit dem vermeintlich trivialen Problem, dass ChatGPT auffällig oft Gedankenstriche verwendet – weit öfter als es ein Mensch täte. Es ist ihnen aber nicht gelungen, die tiefere Ursache dieses kuriosen Verhaltens zu entdecken, und deshalb können sie es auch nicht abstellen. Alles, was sie geschafft haben, ist, dass der Anwender ChatGPT jetzt im Prompt anweisen kann, weniger Gedankenstriche zu produzieren – das heißt, ChatGPT erzeugt noch immer Gedankenstriche, streicht sie dann aber wieder.
Das sind jetzt nur ein paar Beispiele, aber im Grunde ist das ganze Manifest ein Haufen Quatsch. Immerhin: Dank der generativen KI kann man jetzt ohne jegliche Anstrengung blühenden Unsinn in praktisch beliebigem Umfang produzieren.
danke für die lustige Replik zu dem Manifest, ich kannte das Minifest noch nicht und habe es jetzt kurz überflogen, zu mehr taugt es nicht.