Authentizität aus der Dose – Wenn Adobe definiert, was echt ist

Weil ihre KI-Systeme in Sekundenschnelle verblüffend gute Bilder erzeugen, definiert Adobe plötzlich neu, was „authentisch“ bedeutet. Ein Widerspruch? Vielleicht. Eine geschickte Marketingstrategie? Ganz sicher. Adobe, der Softwareriese, dessen Produkte seit Jahrzehnten die digitale Kreativlandschaft dominieren, unternimmt einen bemerkenswerten Versuch, den Begriff der Authentizität neu zu besetzen. Was früher bedeutete, gegen den Strom zu schwimmen und etwas Eigenes zu schaffen, wird nun in die Firmenphilosophie eines Milliardenkonzerns eingegossen. Ich kann mir das triumphierende Gelächter der Marketingabteilung förmlich vorstellen, als jemand vorschlug, den Widerspruch zwischen standardisierter Softwareumgebung und individueller Kreativität einfach wegzudefinieren.
Die Ironie dieser Situation erinnert mich an die alten Debatten zwischen Analogfotografie-Puristen und Digitalfotografen. Nur dass der Konflikt jetzt eine neue Dimension erreicht hat. Damals ging es um Silber versus Silizium. Heute geht es um menschliche Kreativität versus Algorithmen, die in Sekunden können, wofür Menschen Jahre der Übung benötigen.
Der authentische Knopfdruck
Die Vergangenheit hat uns gelehrt, wie rasch sich die Grenzen des Akzeptablen verschieben. Was heute noch als Sakrileg gilt, wird morgen Industriestandard. Als Photoshop anfing, Werkzeuge anzubieten, die früher nur Meisterretuscheuren beherrschten, hörte man ähnliche Klagen wie heute über KI-Bildgeneratoren. Der große Unterschied: Photoshop war ein Werkzeug, das half, eigene Ideen umzusetzen. Moderne KI-Systeme liefern dir die Ideen und ihre Umsetzung gleich mit.
In den Büros der Adobe-Manager dürften die Gespräche interessant gewesen sein. Die Software-Schmiede steht vor einem Dilemma: Einerseits müssen sie auf den KI-Zug aufspringen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Andererseits leben sie vom Verkauf von Werkzeugen an kreative Profis – genau jene Menschen, deren Fähigkeiten durch KI potentiell entwertet werden. Die Lösung? Man erklärt kurzerhand den KI-Einsatz zur neuen Form der Authentizität: „A Creative’s Manifesto for 2025“.
Das erinnert mich an die Musikindustrie der 1990er, als plötzlich Sampling und digitale Produktionsmethoden die Frage aufwarfen, was ein „echter“ Musiker sei. Die Antwort war nicht schwarz-weiß, sondern lag im Nuancenreichtum der kreativen Entscheidungen. Ein DJ, der fremde Musikschnipsel zu etwas Neuem komponiert, schafft zweifellos eine Form von Kunst – aber eine andere als der Gitarrist, der jeden Ton selbst spielt.
Das Urheberrechts-Dilemma
Die zentrale Frage bleibt: Wie authentisch ist ein Werk, das zu großen Teilen von einer KI stammt? Kann ein Knopfdruck wirklich die gleiche kreative Leistung darstellen wie monatelange Arbeit? Und vor allem: Wem gehören eigentlich die Rechte an einem Bild, das auf den Schultern von Millionen anderer Bilder steht?
Das deutsche Urheberrecht kennt hier eine klare Linie: Schutzwürdig ist nur, was eine ausreichende Schöpfungshöhe aufweist. Ein Werk muss also ein Mindestmaß an Individualität und kreativer Leistung zeigen. Ob der Prompter, der mit KI-Systemen arbeitet, diese Schwelle überschreitet, werden wohl erst Gerichte endgültig klären.
Adobe positioniert sich geschickt in diesem Spannungsfeld. Sie versprechen ihren Nutzerinnen und Nutzern, dass KI-generierte Inhalte in ihren Programmen rechtlich abgesichert sind. Gleichzeitig werben sie bei Microstock-Contributoren mit Verdienstmöglichkeiten – auch wenn deren Werke nur als Trainingsdaten für genau jene KIs dienen, die ihnen später Konkurrenz machen.
Vom Handwerk zum Kuratorentum
Die Entwicklung erinnert an die Transformation der Fotografie im digitalen Zeitalter. Als die ersten digitalen Kameras aufkamen, definierte sich fotografisches Können noch über technische Beherrschung: Belichtung, Schärfe, Perspektive. Heute, wo selbst Smartphones (KI befeuert) fehlerfreie Bilder machen, hat sich der Wert verlagert – auf die Bildidee, die Geschichte dahinter, die Auswahl aus unzähligen Optionen.
Ähnlich könnte sich die kreative Arbeit mit KI entwickeln. Nicht mehr das Handwerk steht im Vordergrund, sondern die Fähigkeit, unter Millionen möglicher Bilder genau das richtige zu finden oder zu verfeinern. Der Kreative wird vom Schöpfer zum Kurator, vom Handwerker zum Dirigenten einer KI-Bildsymphonie.
Das wirft natürlich Fragen auf, die tiefer gehen als Adobe in seiner Authentizitäts-Kampagne zugeben möchte. Wenn plötzlich jeder mit ein paar Worten beeindruckende Bilder generieren kann – was unterscheidet dann noch den Profi vom Laien? Und wenn die Werkzeuge die kreative Schwerstarbeit übernehmen – was ist dann noch meine persönliche Leistung?
Der Markt entscheidet
Am Ende wird – wie so oft – der Markt entscheiden, welche Art von Authentizität sich durchsetzt. Adobe versucht, beide Welten zu bedienen: traditionelle Kreative mit ihren etablierten Werkzeugen und KI-begeisterte Promptdesigner mit neuen Funktionen. Das ist aus Unternehmenssicht verständlich, hinterlässt aber einen zwiespältigen Nachgeschmack.
Die Geschichte lehrt uns, dass technologische Revolutionen selten die Kunst beenden – sie definieren sie nur neu. Als die Fotografie aufkam, fürchteten Maler um ihre Existenz. Was geschah? Die Malerei befreite sich vom Zwang der realistischen Abbildung und entwickelte völlig neue Ausdrucksformen. Vielleicht erleben wir Ähnliches mit der KI: Eine Befreiung des menschlichen Kreativen vom technischen Ballast, eine Konzentration auf das wirklich oder vermeintlich Wesentliche.
Doch bis dahin werden wir eine Phase der Verunsicherung durchleben. Adobe macht es sich zu leicht, wenn es einfach erklärt, KI-gestütztes Arbeiten sei die neue Authentizität. Authentizität entsteht nicht durch Marketingkampagnen, sondern durch ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen kreativen Fähigkeiten und Grenzen.
Wer langfristig von seinen kreativen Ergebnissen leben will, sollte sich daher nicht blind auf Adobes Neuinterpretation von Authentizität verlassen, sondern seinen eigenen Weg zwischen Tradition und Innovation finden. Denn eines ist sicher: Die KI-Revolution wird nicht die letzte technische Umwälzung sein, die die Kreativbranche erlebt. Und wahre Authentizität zeigt sich vielleicht gerade darin, wie wir mit solchen Umbrüchen umgehen – jenseits von Marketingparolen und Zukunftsangst.






Lieber Christoph,
vielen Dank für deinen differenzierten Beitrag und das Aufgreifen des Themas „Authentizität“ im Kontext KI und Kreativität aus deinem Artikel. Ich schätze den kritischen Diskurs dazu sehr! (Für alle Leser: Christoph und ich kennen uns schon über 15 Jahre und haben ein gutes freundschaftliches Verhältnis).
Ich mag gerne zu Deinem Beitrag etwas zur Klarstellung schreiben: Der Artikel auf meinem persönlichen LinkedIn-Profil ist ausdrücklich kein offizieller Adobe-Artikel (- der sonst auf dem Adobe Blog gepostet worden wäre), sondern meine ganz persönliche Sicht als langjähriger Kreativer und Technologie-Enthusiast im Austausch mit der Community. Es tut mir leid, wenn das an irgendeiner Stelle missverständlich formuliert war – das war nie meine Absicht.
Meine zentrale Aussage im Post ist, dass für mich bei allen kreativen Dingen stets der Mensch im Mittelpunkt stehen muss. Gerade bei neuen Technologien wie KI geht es darum, sie als Werkzeuge verantwortungsvoll einzusetzen. Authentizität bleibt für mich an die Handschrift, Werte und Entscheidungen von Menschen gebunden – unabhängig davon, wie weit sich Algorithmen und Plattformen weiterentwickeln.
Ich freue mich sehr auf die weitere Diskussion, gerne auch kritisch-konstruktiv! Denn nur im offenen Austausch können wir gemeinsam herausfinden, wie Kreativität, Technologietrends und gesellschaftliche Verantwortung künftig sinnvoll zusammenspielen.
Herzliche Grüße
Sven
Der Gedanke, dass sich Kreative das Potential der generativen KI zu eigen machen und KI-Modelle als weiteres Werkzeug ihrer Toolbox hinzufügen sollten, liegt tatsächlich nahe. Es wird auch so sein, dass Menschen, die visuell und anderweitig kreativ sind, zu überzeugenderen Ergebnissen gelangen als ein Gelegenheits-Prompter. Idealerweise auch zu Bildern, die weiterhin ihre Handschrift zeigen, obwohl sie gar nicht mehr selbst Hand an ihr Werk gelegt haben. Das könnte dann sogar für die nötige Schöpfungshöhe sorgen, die einen Urheberrechtsanspruch begründet. (Ein solches Phänomen gab es auch, als die ersten Handys mit noch recht minderwertigen Kameras auf den Markt kamen: Wenn ein erfahrener Fotograf, der wusste was er tat, mit so einem Kamerahandy los zog, brachte er Bilder zurück, die zwar immer noch an ihrer VGA-Auflösung krankten – aber auch so aussehen, als hätte sie jemand fotografiert, der wusste, was er tat.)
Hier gibt es nur ein Problem: Ein kleines, elitäres Publikum wird den Unterschied wahrnehmen und schätzen, aber die übergroße Mehrzahl der Betrachter tut es nicht. In den letzten Jahrzehnten haben wir nicht nur immer leistungsfähigere Werkzeuge an die Hand bekommen, weshalb wir immer weniger handwerkliches Geschick brauchen; gleichzeitig sind auch die Ansprüche des Publikums stetig gesunken. Ich hatte es im Blog schon mal erwähnt: Im vergangenen Jahrhundert haben Magazinverlage noch längere Bildstrecken in Auftrag gegeben, nur um am Ende diese spektakulären Bilder zeigen zu können. Zur Bebilderung von Artikeln wurden Aufträge an renommierte Fotografen, bildende Künstler und Illustratoren vergeben, und dank einer großen Zahl verkaufter Anzeigenseiten war das damals auch noch finanzierbar. Billigproduktionen wie die diversen Goldenen Blätter gab es auch damals schon, aber gleichzeitig eben auch hochwertige Magazine mit teils hoher Auflage.
Heute fehlen einerseits die Budgets für solche Projekte, sei es oldschool im Printbereich oder online, aber andererseits vermisst sie kaum jemand. Daher können sich die Kreativen zwar auch dann noch als solche beweisen, wenn sie für ihre Arbeit KI-Werkzeuge nutzen, nur wird der Unterschied zu einem hingeschluderten, dank KI zumindest auf den ersten Blick ebenso beeindruckenden Bild nicht mehr wahrgenommen. Warum sich Mühe geben (beziehungsweise für die Mühen anderer zahlen), wenn der Leser sowieso innerhalb weniger Sekunden weiterblättert oder -scrollt?
(Ein bisschen Kulturpessimismus muss auch mal sein.)