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Die Linkshänderkamera – mehr als ein Aprilscherz?

Kamera Express hatte in diesem Jahr keinen Aufwand gescheut, um am 1. April eine Sensation vorzustellen: Sonys erste Systemkamera für Linkshänder, die Alpha 7L V. Das war natürlich ein Aprilscherz – in den Sony anscheinend eingeweiht war –, und die in einem YouTube-Video vorgeführte Linkshänderkamera war eine täuschend echte Attrappe aus dem 3D-Drucker. Aber wäre so etwas nicht wirklich sinnvoll, um linkshändige Fotografen nicht länger zu diskriminieren?

Die Linkshänderkamera – mehr als ein Aprilscherz?
Kamera Express stellte am 1. April 2023 eine vermeintliche Linkshänderkamera vor, die Sony Alpha 7L V

Rund 10 Prozent aller Menschen sind Linkshänder, bevorzugen also im Zweifelsfall ihre linke Hand, wenn es um anspruchsvolle, die Feinmotorik herausfordernde Aufgaben geht. Kameras sind aber stets für die Mehrheit der 90 Prozent Rechtshänder optimiert – Auslöser, Rändelräder, Mini-Joysticks und die meisten Tasten sind so angeordnet, dass sie für die Finger der rechten Hand gut erreichbar sind. Ganz so einfach und ganz so einseitig ist es allerdings nicht, denn zum Fotografieren brauchen wir ja beide Hände: Die linke Hand stützt die Kamera-Objektiv-Kombination unter ihrem gemeinsamen Schwerpunkt, trägt also die größte Last. Außerdem ist die Linke dafür zuständig, den Zoomring, den Fokusring und bei manchen Objektiven auch den Blendenring zu drehen. Es geht also nicht darum, welche Hand wir benutzen, sondern welche Aufgaben jede Hand übernimmt.

Die Sache ist tatsächlich noch komplizierter, weil unsere Hände nicht die einzigen in doppelter Ausführung vorhandenen Körperteile sind, bei denen jeweils eine Seite dominant ist. Für Fotografen ist es naturgemäß relevant, welches Auge dominiert, aber auch bei den Ohren und den Füßen gibt es eine Bevorzugung einer Seite. (Fun fact: Unsere Nasenlöcher teilen sich dagegen die Arbeit gerecht auf und wechseln regelmäßig ihre Rolle.) Immerhin rund 30 Prozent aller Menschen sind linksäugig, und diese viel größere Minderheit als die der Linkshänder wird ebenfalls diskriminiert: Das Sucherokular liegt meist links der Mitte, so dass Rechtsäugige bequem hindurch schauen können, ohne dass sich ihre Nasenspitze am Display platt drückt. Linksäugige Fotografen müssen entweder das rechte Auge nutzen oder sich mit einer unbequemen Kamerahaltung arrangieren. Da naturgemäß nicht alle Linksäugigen auch Linkshänder sind und auch nicht alle Linkshänder linksäugig, müsste ein Kamerahersteller, der alle Kunden gleichermaßen glücklich machen will, vier Varianten jedes Modells auflegen, um alle Kombinationen von Händigkeit und Äugigkeit abzudecken.

Die Linkshänderkamera – mehr als ein Aprilscherz?
Die Pseudo-A7L V: Der Griff, das Bajonett und die Bedienelemente sind gespiegelt.

Die Konstruktion solcher Varianten wäre alles andere als trivial. Natürlich könnte man das Design einer Kamera spiegeln. Schwieriger wäre es, auch das Innere der Kamera entsprechend anzupassen. Der Platz ist durchweg knapp, und es erfordert einiges Geschick der Ingenieure, die Bedienelemente, den Akku, die Kartensteckplätze und die diversen Anschlüsse unterzubringen, ohne die Abmessungen allzu stark wachsen zu lassen. Ein typisches Beispiel ist die Entwicklung von Fujis X-T-Reihe, deren Modelle von der X-T1 bis zur X-T4 immer größer wurden; erst mit der X-T5 gelang es dann, das Kameragehäuse wieder fast auf die Dimensionen der X-T1 schrumpfen zu lassen, obwohl ein größerer Akku verbaut wurde. Wenn man um jeden Millimeter kämpfen muss, wäre es keine gute Idee, in einer Linkshänderkamera Verbindungen kreuz und quer durch das Gehäuse zu verlegen, um die gespiegelten Komponenten mit den entsprechenden Anschlüssen einer unveränderten Hauptplatine zu verbinden. Das wäre überflüssig, wenn man auch die Platine spiegelte, was aber nicht vollständig möglich ist, denn der Prozessor und andere Chips lassen sich nicht spiegeln. Eine Anpassung wäre wohl möglich, aber der Aufwand hoch.

Linkshänder müssten diesen Mehraufwand teuer bezahlen, und wenn sie deshalb doch mit einer Rechtshänderkamera vorlieb nähmen, wären die Verkaufszahlen der Linkshänderkamera noch geringer und diese Modelle müssten entsprechend noch teurer werden.

Und lohnt sich das überhaupt? Unsere nicht dominante Hand ist zwar nicht ganz so geschickt, aber den Auslöser, Rändelräder oder Tasten zu betätigen, stellt keine so übermäßigen Anforderungen an die Feinmotorik, als dass es nicht mit beiden Händen möglich wäre. Da wir ohnehin auch die linke Hand für einige Einstellungen benötigen, wobei Linkshänder bevorteiligt sind, wäre eine Linkshänderkamera nicht einmal in jeder Hinsicht die bessere Lösung. Das gilt erst recht für rechtsäugige Linkshänder, für die die Nachteile eines gespiegelten Designs überwiegen. Linkshänderkameras werden vermutlich auch in Zukunft das Material für Aprilscherze bleiben.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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