Technik

NXTPAPER 4.0: Displays für eine papiernahe Bildbetrachtung

Die Kluft zwischen der Darstellung am Bildschirm und dem finalen Druckerzeugnis ist eine der ewigen Herausforderungen in der digitalen Fotografie und Bildbearbeitung. Während Kalibrierung und Softproofing etablierte Methoden sind, um diese Lücke zu verkleinern, verfolgt der Technologiekonzern TCL mit seiner NXTPAPER-Technologie einen grundlegend anderen Ansatz.

Diese soll nicht nur die Augen schonen, sondern auch die Farbwiedergabe für professionelle Ansprüche auf ein neues Niveau heben. Kernstück ist dabei die innovative CPL-Technologie (Circularly Polarized Light) die in Kombination mit weiteren Optimierungen eine Darstellung verspricht, die dem Eindruck von bedrucktem Papier erstaunlich nahekommen soll. Doch hält diese Technologie, was sie verspricht, und kann sie für Fotografen und Bildbearbeiter eine ernsthafte Alternative zu etablierten Monitorlösungen darstellen, oder bleibt es ein Nischenprodukt für spezifische Anwendungen?

Die Grundidee, digitale Bilder auf einem Bildschirm zu betrachten, der dem haptischen und visuellen Eindruck von Papier nahekommt, ist für jeden Kreativen, der regelmäßig den Abgleich zwischen Monitor und Print sucht, verlockend. TCL positioniert seine NXTPAPER-Technologie, die bereits in Geräten wie dem Tablet TCL NXTPAPER 11 Plus und dem Smartphone TCL 60 XE NXTPAPER zum Einsatz kam, zunehmend auch als Werkzeug für visuell Schaffende. Die neueste Generation 4.0 soll hier signifikante Fortschritte bringen.

Die Technik hinter der Papier-Illusion

Herzstück der auf der CES 2025 präsentierten NXTPAPER 4.0 Technologie ist ein mehrschichtiger Aufbau, der auf einem LCD-Panel basiert. Eine wesentliche Neuerung ist die Integration der CPL-Technologie (Circularly Polarized Light). Diese Schaltung simuliert den Pfad des natürlichen Lichts – Emission, Reflexion und Brechung – und soll so einen visuellen Eindruck erzeugen, der dem von Papier sehr nahekommt Das Ziel ist eine Reduzierung der typischen Nachteile selbstleuchtender Displays, wie Überstrahlung und harter Kontraste, zugunsten einer weicheren, natürlicheren Anmutung.

Ergänzt wird dies durch eine Nanomaterial-basierte Oberflächenätzung. Diese sorgt für eine ausgeprägt matte Textur, die nicht nur haptisch an Papier erinnert, sondern auch Reflexionen von Umgebungslicht signifikant minimiert. Diese Eigenschaft wird durch eine TÜV Rheinland Reflection Free-Zertifizierung untermauert Weiterhin setzt TCL bei NXTPAPER 4.0 auf DC Dimming, um ein für die Augen angenehmeres, flimmerfreies Seherlebnis zu gewährleisten – ein Aspekt, der ebenfalls vom TÜV Rheinland mit dem „Flicker Free“-Siegel bestätigt wird Ein spezieller Filter reduziert zudem den Anteil des schädlichen Blaulichts auf Hardware-Ebene, und zwar so, dass die Farbtemperatur des Bildes nicht sichtbar in Richtung eines Gelb- oder Bernsteinstichs verfälscht wird. Auch hierfür liegt eine TÜV Rheinland Low Blue Light-Zertifizierung vor.

Diese Kombination aus verschiedenen technologischen Ansätzen soll nicht nur die Augenbelastung bei längerer Nutzung signifikant reduzieren, sondern auch eine präzisere Farbwahrnehmung auf einer papierähnlichen Oberfläche ermöglichen. Die Helligkeit der aktuellen Implementierungen bleibt mit rund 450 Nits jedoch hinter der Leuchtkraft vieler High-End-Displays zurück, was in sehr hellen Arbeitsumgebungen oder bei der Beurteilung feinster Tonwertdifferenzen in den Lichtern bedacht werden muss.

Farbverbindlichkeit und Bildqualität im Detail

Für professionelle Anwender in Fotografie und Bildbearbeitung ist die Farbgenauigkeit das A und O. TCL gibt für NXTPAPER 4.0 eine vollständige Abdeckung des sRGB-Farbraums an. Dies stellt eine solide Basis für viele Workflows dar, insbesondere wenn die finale Ausgabe für das Web oder auf Druckern mit sRGB-nahem Gamut erfolgt. Die versprochene durchschnittliche Farbabweichung (Delta E) von unter eins würde bedeuten, dass die dargestellten Farben für das menschliche Auge kaum vom Idealwert abweichen – ein Wert, der auch bei vielen dedizierten Grafikmonitoren angestrebt wird.

Während die Technologie Features wie einen „Adaptive Color Temperature Mode“ beinhaltet, der die Farbtemperatur des Displays dynamisch an das Umgebungslicht anpasst, oder einen dedizierten „Reading Mode“ für optimiertes Lesen von Texten ist für farbkritische Arbeiten der Standardmodus ohne diese automatischen Anpassungen entscheidend. Hier muss sich zeigen, wie konsistent die Werkskalibrierung über verschiedene Geräte und Produktionschargen hinweg ausfällt. Die bereits erwähnten TÜV-Zertifizierungen für Flimmerfreiheit und geringe Blaulichtemission tragen zwar maßgeblich zum Sehkomfort bei langen Bearbeitungssessions bei, sind aber keine direkten Indikatoren für die absolute Farbpräzision und Homogenität im professionellen Sinne. Die papierähnliche, matte Oberfläche könnte zudem die subjektive Wahrnehmung von Kontrast und Sättigung beeinflussen, was bei der Beurteilung von Bildern für den Druck auf glänzenden Medien berücksichtigt werden müsste.

Potenzial und Fallstricke für Kreativprofis

Die Aussicht, digitale Bilder auf einem Display zu beurteilen, das dem Eindruck von mattem Fotopapier so nahekommt, ist zweifellos faszinierend. Insbesondere für die Simulation der Wirkung von Bildern auf ungestrichenen oder matten Substraten könnte NXTPAPER 4.0 einen echten Mehrwert bieten. Die Unterstützung eines Eingabestifts, wie beim NXTPAPER 11 Plus Tablet, deutet darauf hin, dass TCL die Bildbearbeitung als einen relevanten Anwendungsfall sieht.

Die entscheidende Frage für den professionellen Einsatz bleibt jedoch, ob die versprochene Farbgenauigkeit ohne die Möglichkeit einer Hardware-Kalibrierung durch den Anwender wirklich verlässlich genug ist. Professionelle Workflows basieren auf einer durchgängig kalibrierten Kette vom Input bis zum Output. Solange TCL keine Schnittstellen oder Software-Unterstützung für gängige Kalibrierungssensoren anbietet, bleibt eine gewisse Unsicherheit. Man verlässt sich auf die Güte der Werkskalibrierung und die Stabilität der Darstellung über die Zeit.

Ein weiterer Punkt ist die Integration der Technologie in Geräte, die auch sonst den Anforderungen von Profis genügen. Hohe Rechenleistung, großzügiger Arbeitsspeicher und schnelle Schnittstellen sind für anspruchsvolle Bildbearbeitung unerlässlich. Die bisherigen Geräte mit NXTPAPER-Technologie bewegten sich eher im Mittelklasse-Segment. Es bleibt abzuwarten, ob TCL oder Lizenznehmer die NXTPAPER 4.0-Technologie auch in leistungsstärkeren Laptops oder dedizierten Monitoren für Kreativprofis anbieten werden. Gegenüber einfachen matten Displayschutzfolien, die oft mit Einbußen bei Schärfe und Farbbrillanz einhergehen, bietet der integrierte, mehrschichtige Aufbau von NXTPAPER mit seiner spezifischen Texturierung und den Hardware-basierten Filtern klare konzeptionelle Vorteile.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass TCLs NXTPAPER 4.0 eine technologisch spannende Entwicklung darstellt. Die Kombination aus verbesserter sRGB-Farbgenauigkeit, der einzigartigen papierähnlichen Anmutung durch CPL-Technologie und den zertifizierten Augenschutzfunktionen macht neugierig. Für bestimmte Nischen, wie die Vorvisualisierung von Druckerzeugnissen auf matten Papieren oder für Anwender, die extrem empfindlich auf herkömmliche Displays reagieren, könnte es schon jetzt eine interessante Option sein. Für den breiten Einsatz im farbkritischen professionellen Alltag müssen jedoch noch Fragen hinsichtlich Kalibrierbarkeit, maximaler Helligkeit und der Verfügbarkeit in entsprechend potenten Endgeräten geklärt werden. Es ist eine Technologie, deren Entwicklung man mit Interesse weiterverfolgen sollte.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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