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Wenn der Slop zum Goldstandard wird: KI und der Kunstmarkt

Es ist eine bittere Pille für jeden, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat: Die Bilderflut, die einst als wertloser „KI-Slop“ belächelt wurde, klopft nicht mehr nur an die Türen der Galerien – ihr wird von Auktionshäusern wie Sotheby’s bereits der rote Teppich ausgerollt. Was bedeutet diese Entwicklung für Bildgestalter, deren Geschäftsmodelle unter der Last der KI-Automatisierung bereits erodieren? Ist der Sprung in den Kunstmarkt die Rettung oder nur der nächste Irrweg?

Die Schmähreden der Maschinenstürmer klingen noch nach: KI könne keine Kunst, hieß es. Wer nicht mit eigener Hand zeichne, male oder fotografiere, sei kein Künstler. Und überhaupt sei die Welt besser gewesen, als Kreativität noch Schweiß, Talent und Tränen bedeutete. Die Ironie der Geschichte ist kaum zu überbieten: Ausgerechnet der abfällig gemeinte Begriff „Slop“ – Synonym für eine massenhafte, seelenlose Bilderproduktion – erfährt eine kulturelle Umdeutung. Eine, wie wir sie zuletzt bei Warhols Suppendosen erlebten. Ist es nun aber wirklich so weit, dass, was gestern noch digitaler Ausschuss war, heute als auktionsfähige Avantgarde geadelt wird?

Vom Massenmarkt zum exklusiven Objekt

Diese Entwicklung vollzieht sich vor einem dramatischen Hintergrund. Während der kommerzielle Markt für kreative Dienstleistungen unter dem Druck der KI-generierten Bilderflut ächzt und Umfragen zufolge über die Hälfte der bildenden Künstler ihre Existenz bedroht sieht, öffnet sich an anderer Stelle ein neues, lukratives Feld. Der Kunstmarkt, stets auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, entdeckt die KI-Ästhetik als sammelwürdiges Kulturgut. Die Prognosen sind schwindelerregend: Bis 2033 soll das Volumen dieses Segments auf über 40 Milliarden Dollar anwachsen.

Eine Perspektive?

Für Kreative, deren angestammte Betätigungsfelder wie die Auftragsfotografie oder die kommerzielle Illustration an wirtschaftlicher Relevanz verlieren, stellt sich die Lage paradox dar. Der Massenmarkt bricht weg, weil jeder mit einem simplen Textbefehl ein technisch passables Bild hervorbringen kann. Gleichzeitig entsteht ein exklusiver Nischenmarkt, der aber nach völlig anderen Regeln funktioniert. Die Frage ist nicht mehr, ob man die perfekte technische Umsetzung beherrscht – das übernimmt zunehmend die Maschine. Die entscheidende Kompetenz verschiebt sich.

Die neue Kunst des Wählens

Die neue Rolle des Kreativen ist die des Kurators, des Dirigenten, des Kenners. Das Orchester – in diesem Fall die KI – mag jedes Instrument perfekt beherrschen, doch ohne die Vision des Dirigenten, der die Partitur interpretiert und die Dynamik vorgibt, entsteht nur Lärm, keine Symphonie. Die Kunst liegt nicht mehr allein im Machen, sondern im souveränen Auswählen, im intelligenten Kombinieren und im bedeutungsvollen Kontextualisieren. Es geht darum, aus dem unendlichen Meer der maschinellen Möglichkeiten genau jene eine Perle zu fischen, die eine Geschichte erzählt, die eine Haltung transportiert, die eine unverwechselbare Handschrift trägt.

Künstlerinnen wie Sofia Crespo demonstrieren diesen Wandel eindrucksvoll als Konvergenz von künstlicher Intelligenz und biologischen Systemen. Sie nutzt KI nicht als Ersatz, sondern als Erweiterung ihrer traditionellen Fähigkeiten. Ihr Erfolg beweist: Die tiefgreifende Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte, Kompositionslehre und kulturellen Codes wird nicht obsolet, sondern zur entscheidenden Grundlage, um die Maschine meisterhaft zu führen. Wer nur Prompts tippen kann, bleibt Handlanger der Maschine. Wer aber eine Vision hat, macht die Maschine zu seinem Werkzeug.
Ein anderes Beispiel ist Jacob Adler, der Gewinner des Grand Prix beim AIFF 2025 für seinen 9-Minuten Film „Total Pixel Space“ – aus dem auch unser Aufmacher-Bild stammt.

Die Konsequenz für den ambitionierten Bildgestalter ist ein radikaler Rollenwechsel. Es geht nicht mehr nur darum, die Maschine zu bedienen, sondern darum, eine unverwechselbare kuratorische Handschrift zu entwickeln, die in der schieren Masse sichtbar bleibt. Dies manifestiert sich in der Spezialisierung auf die Schnittstelle zwischen traditioneller Kunstfertigkeit und KI, in der Entwicklung einer eigenen, wiedererkennbaren visuellen Sprache und in der Bereitschaft zur interdisziplinären Kollaboration. Der Wert liegt in der menschlichen Entscheidung, nicht im maschinellen Prozess.

Die Grenzen des neuen Goldrauschs

Bei aller Euphorie über die neuen Möglichkeiten darf man jedoch nicht naiv sein. Der Kunstmarkt ist und bleibt ein hochselektives, von wenigen Gatekeepern bestimmtes System. Der Ritterschlag durch ein Auktionshaus macht aus digitalem Schutt nicht automatisch Gold. Die Skepsis, auch unter Sammlern, ist nach wie vor groß. Nur eine Minderheit glaubt, dass KI-generierte Werke jemals die Preisniveaus traditioneller Kunst erreichen werden.

Zudem schweben die großen ethischen und rechtlichen Fragen wie ein Damoklesschwert über dem Feld. Die Debatte um die mit urheberrechtlich geschützten Werken trainierten Modelle ist in vollem Gange, und die Forderung von über 90 Prozent der Künstler nach einer Kompensation für die Nutzung ihrer Arbeiten ist unüberhörbar.

Am Ende steht für jeden Kreativen eine fundamentale Entscheidung. Klammert man sich an ein erodierendes Berufsbild oder nimmt man die Herausforderung an, die eigene Rolle neu zu definieren? Der Weg in den Kunstmarkt ist kein einfacher Ausweg, sondern eine anspruchsvolle Disziplin, die mehr verlangt als technisches Geschick. Sie verlangt Haltung, Wissen und eine klare künstlerische Vision. Für jene, die bereit sind, diesen Weg zu gehen, könnte sich die vermeintliche Bedrohung durch die KI als die größte Chance ihrer kreativen Laufbahn erweisen. Es ist die Chance, vom reinen Bildproduzenten zum wirklichen Bildautor aufzusteigen.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. „Der Kunstmarkt, stets auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, entdeckt die KI-Ästhetik als sammelwürdiges Kulturgut. Die Prognosen sind schwindelerregend: Bis 2033 soll das Volumen dieses Segments auf über 40 Milliarden Dollar anwachsen.“

    Ich traue solchen Prognosen nicht. Ich traue generell keinen solchen Hypes. Wir haben es ja schon bei der NFT-Welle erlebt, die zum größten Teil auch aus Slop bestand – wie die Bored Apes. Und es ist wie bei allen gehypten Anlagetipps: Wenn darüber erst in allen Medien berichtet wird, ist es zu spät, noch in das Pilotenspiel einzusteigen. Man macht damit nur andere Leute reich und wird niemals selbst im Pilotensitz Platz nehmen. Läppische Filmchen wie „Total Pixel Space“ wird man in wenigen Jahren auch nur noch putzig finden und sich über die früher oft beobachteten Fehler generativer KI-Systeme amüsieren, die das Video schon heute veraltet wirken lassen.

    Wenn irgendein Werk einen dauerhaften Wert haben soll, muss es rar und schwer zu erlangen sein; das ist entscheidender als die Frage, ob es einige Sammler oder der allgemeine Konsensus für große Kunst halten. Das ist beim AI Slop praktisch ausgeschlossen, da es per definitionem zu viel davon gibt und sich jeder, auch ohne nennenswertes Talent, seine eigene KI-Kunst produzieren kann.

    Nachdem Warhol mit den Campbell’s Suppendosen und Brillo Boxen Erfolg hatte und seine Pop Art zu hohen Preisen gehandelt wurde, stiegen Tomatensuppen und Putzschwämme in ihrer Originalverpackung ja nicht ebenfalls im Preis. Massenhaft verfügbare Produkte in Supermarktregalen unterliegen nun mal nicht einer Wertbildung wie auf dem Kunstmarkt. Auf den ersten Blick mochten sich die industriell hergestellten Waren nicht von Warhols Mock-ups unterscheiden, doch nur Warhols Werke hatten einen Wert – und haben ihn bis heute –, der um Größenordnungen über dem Preisschild im Supermarkt liegt.

    Dabei hatte Warhol dem Verpackungsdesign der Werbegrafiker nichts hinzugefügt, und er hatte nicht einmal eine besondere Auswahl getroffen – ein Mitarbeiter sollte ihm einfach ein paar typische Massenprodukte aus dem Supermarkt mitbringen, die er dann als Vorlagen nutzte. Aber nur eine von Warhol – oder jedenfalls in seiner Werkstatt – entstandene Brillo Box wurde zu einer lohnenden Anlage, nicht die Originalkartons, die James Harvey, ein Maler und nur zum Broterwerb auch Werbegrafiker, gestaltet hatte (hier kann man Harveys Geschichte nachlesen: https://www.printmag.com/design-resources/shadow_boxer/).

    Dass allein Warhols Signatur oder die Anerkennung der Authentizität durch das The Andy Warhol Authentication Board einem Werk einen hohen monetären Wert verleiht (es kursieren eine Unzahl von Fälschungen, siehe https://andipaeditions.com/blog/151-how-to-authenticate-warhol-prints/), bedarf natürlich seinerseits einer Rechtfertigung. So lange eine Kunstrichtung wie Warhols Spielart der Pop Art von der Kunstkritik und von Sammlern noch nicht allgemein anerkannt war, war es ein Fall von fake it till you make it: Dass es sich bei den Werken um Kunst handelte, war zunächst eine mit der nötigen Frechheit vorgetragene Behauptung, die mit etwas Glück und dem Gespür für den richtigen Moment schließlich allgemeine Akzeptanz fand. Danach konnte man diese Kuh – wie es Warhol getan hat – noch lange weiter melken, falls man sich nicht – wie Duchamp mit seinen Ready-mades – nach einem erfolgreichen Coup anderen Themen zuwandte.

    Die beiden genannten Faktoren, das Gespür für den richtigen Moment und schlichtes Glück, dürften hier entscheidender sein als irgendeine Art von künstlerischem Talent. Es ist eher die Ausnahme, dass jemand bereits als Künstler anerkannt ist und es dann schafft, das Publikum bei der Hinwendung zu neuen Spielarten der Kunst mitzunehmen. Picasso ist das mehrfach gelungen, aber meist tauchen die Vertreter eines vermeintlichen Hypes, der sich dann zu einer beständigen Kunstrichtung entwickelt – beständig nicht nur in Bezug auf den Wert der Werke auf dem Kunsthandel, sondern auch, so weit es deren Ausstrahlung auf die Kunstgeschichte insgesamt betrifft –, wie aus dem Nichts auf. Warhol und Beuys sind typische Beispiele.

    Wer meint, allein kraft seines künstlerischen Talents besser prompten zu können als der Rest und daher die Welle zu reiten statt darunter zu ertrinken, wird aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern, fürchte ich.

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