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Prompt Engineer: Totgesagte leben länger?

Prompt Engineer

War das Hype-Gewitter um den „Prompt Engineer“ nur ein kurzes Sommergewitter? Kaum war der Begriff in aller Munde und galt als der heißeste Job der KI-Ära, verkünden nun renommierte Medien wie das Wall Street Journal seinen nahenden Tod. Angeblich werden Prompt-Spezialisten, jene Flüsterer, die den KIs die richtigen Befehle für optimale Ergebnisse eingeben, schon bald nicht mehr gebraucht. Doch ist das wirklich das Ende einer kurzen Karriere oder nur die nächste Stufe einer rasanten Entwicklung? Für Kreative in Fotografie und Bildbearbeitung, die zunehmend auf KI-Werkzeuge setzen, ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Müssen wir uns von der Idee verabschieden, die KI durch geschickte Wortwahl zu meistern, oder verschiebt sich das Spielfeld nur?

Der Abgesang: Warum der Prompt Engineer überflüssig sein soll

Die Argumentation der Kritiker klingt zunächst plausibel. Die neuesten Generationen von KI-Modellen, allen voran OpenAIs GPT Versionen o3 und o4 sowie Anthropics Claude-Familie, sind deutlich intuitiver geworden. Sie verstehen natürliche Sprache besser und können den Kontext einer Anfrage oft auch ohne ausgefeilte, bis ins Detail optimierte Prompts erfassen. Wo man früher lange Befehlsketten und spezifische Schlüsselwörter benötigte, um brauchbare Resultate zu erzielen, reicht heute oft eine einfache Anweisung. Die KI, so die These, wird zunehmend selbstständiger und benötigt den menschlichen „Einpauker“ immer weniger. Das Wall Street Journal spricht davon, dass die KI die Absichten der Nutzer besser „erahnt“, Golem.de sieht die ursprüngliche Nachfrage als überschätzt an Die Konsequenz: Der spezialisierte Prompt Engineer, der nichts anderes tut, als Befehle zu formulieren, verliert an Bedeutung.

Die Realität: Markt und Nachfrage sprechen eine andere Sprache

Doch ein Blick auf aktuelle Marktdaten und Expertenmeinungen zeichnet ein differenzierteres Bild. Weit davon entfernt, obsolet zu werden, scheint sich das Feld eher neu zu formieren und sogar zu wachsen. Polaris Market Research prognostiziert für den globalen Prompt-Engineering-Markt ein explosives Wachstum: Von geschätzten 380 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf über 6,5 Billionen US-Dollar bis 2034.

Auch die Jobbörsen signalisieren anhaltenden Bedarf. LinkedIn meldete einen Anstieg der Stellenausschreibungen für Prompt Engineers um 434%, und das Weltwirtschaftsforum erwartet bis 2030 einen Zuwachs von 40% bei KI- und Machine-Learning-Spezialisten, wozu auch Prompt Engineers gezählt werden. Diese Zahlen widersprechen klar der These vom Aussterben des Berufsfeldes. Sie deuten vielmehr darauf hin, dass sich die Anforderungen verschieben.

Evolution statt Revolution: Die neue Rolle des KI-Verstehers

Was wir erleben, ist weniger ein Verschwinden als eine Transformation. Die reine, oft repetitive Tätigkeit des Prompt-Bastelns für einfache Aufgaben mag an Bedeutung verlieren, da die KIs dies zunehmend selbst übernehmen oder weniger Anleitung benötigen. Stattdessen entwickeln sich neue, anspruchsvollere Rollenbilder. Gefragt sind nun Experten, die nicht nur einzelne Modelle bedienen, sondern ganze KI-Systeme verstehen, integrieren und strategisch einsetzen können.

Die Aufgaben verschieben sich hin zur Optimierung komplexer Workflows, zur Entwicklung von Strategien für den KI-Einsatz in Unternehmen und zur Sicherstellung der Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit von KI-Anwendungen. Es geht um das Verständnis der Prinzipien der KI-Interaktion, um das Wissen, welches Modell für welche Aufgabe geeignet ist, und wie man die Werkzeuge optimal in bestehende Prozesse – etwa in der Bildbearbeitung oder im Fotografie-Workflow – einbindet. Neue Trends wie Mega-Prompts, adaptives Prompting oder multimodale Prompts (die Text, Bild und andere Datenarten kombinieren) erfordern ebenfalls tief gehendes Know-how.

Was bedeutet das für Kreative in Fotografie und Bildbearbeitung?

Für Profis im visuellen Bereich ist diese Entwicklung keine Bedrohung, sondern eine Chance. Die Notwendigkeit, sich intensiv mit Prompting als isolierter Fähigkeit zu beschäftigen, mag abnehmen. Doch das grundlegende Verständnis dafür, wie man mit einer KI kommuniziert, um die gewünschten visuellen Ergebnisse zu erzielen, bleibt essenziell. Mehr noch: Da KI-Werkzeuge immer leistungsfähiger und stärker in Software wie Photoshop oder spezialisierte Foto-Apps integriert werden, wird die Fähigkeit, diese intelligent zu steuern, zum Wettbewerbsvorteil.

Es geht nicht mehr nur darum, den perfekten Prompt für ein Bild zu finden, sondern darum, KI als integralen Bestandteil des kreativen Prozesses zu begreifen und zu nutzen. Das Wissen um Bildkomposition, Farbtheorie, Lichtsetzung und fotografische Techniken – also die Domänenexpertise – wird in Kombination mit KI-Verständnis noch wertvoller. Wer versteht, wie die KI „denkt“ und wie man sie präzise anleitet, kann sie effektiver für Retusche, Bildgenerierung, Stiltransfer oder komplexe Composings nutzen. Die „Kunst des Befehls“ weicht der „Kunst der intelligenten Kollaboration“ mit der Maschine.

Fazit:

Der Hype um den reinen „Prompt Engineer“ mag abklingen, doch die Bedeutung des Verständnisses für die Interaktion mit KI-Systemen wächst. Für Fotografen und Bildbearbeiter bedeutet dies: Weiterbildung und Anpassung sind gefragt. Nicht das Auswendiglernen von Prompt-Formeln, sondern das strategische Verständnis und die kreative Anwendung von KI-Werkzeugen werden entscheidend sein. Die Zukunft gehört jenen Kreativen, die ihre fachliche Expertise mit KI-Kompetenz verbinden.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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