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Adobes KI-Odyssee: Zwischen Börsenfrust und kreativer Revolution

Adobe, der Titan der Kreativsoftware, scheint in einem paradoxen Sturm zu segeln. Während die hauseigene KI-Familie Firefly beeindruckende Zuwächse bei der Nutzerakzeptanz und der Generierung von Inhalten verzeichnet – über 6,5 Milliarden Assets wurden bereits mit den Firefly-Modellen hervorgebracht –, reagiert die Börse mit unerwarteter Kühle. Trotz eines Rekordumsatzes von 5,18 Milliarden US-Dollar im ersten Quartal 2024, was einem soliden Wachstum von elf Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, musste die Aktie des Software-Riesen nach einen Hoch im Januar einen empfindlichen Dämpfer von rund 20 Prozent hinnehmen. Der Grund für diese Diskrepanz zwischen technologischem Elan und finanzmarktlicher Skepsis liegt vornehmlich in der langsamer als erhofften Monetarisierung der neuen KI-Funktionen. Die Anleger zeigen sich ungeduldig, und der Druck auf Adobe wächst, die Früchte seiner KI-Investitionen schneller zu ernten.

Die Zahlen sprechen, der Markt zweifelt

Die Leistungsfähigkeit von Firefly ist unbestritten, wenn auch nicht auf Höhe anderer Anbieten wie Midjourney. Internatinal agierende Unternehmen wie IBM demonstrieren eindrücklich das Potenzial: Mit Firefly wurden für den IT-Konzern 200 Kampagnen-Assets und über 1.000 Marketing-Variationen produziert, die eine um das 26-fache höhere Interaktionsrate erzielten als der etablierte Benchmark. Solche Erfolgsgeschichten unterstreichen die technologische Reife und den praktischen Nutzen der in Photoshop, Illustrator und Premiere Pro integrierten KI-Werkzeuge. Doch ist ein Teil dieser Erfolgsgeschichte in der Rechtssicherheit der Adobe-KI-Produkte begründet. Die Wall Street lässt sich davon auch nur bedingt beeindrucken. Analysten von TD Cowen und KeyBanc Capital Markets monieren übereinstimmend das gemächliche Tempo, mit dem Adobe die KI-gestützten Neuerungen in zahlende Abonnements umwandelt. Die Erwartungshaltung war offensichtlich eine andere, und die Geduld der Investoren scheint endlich.

Im Schatten der agilen Konkurrenz

Das Zögern der Anleger wird zusätzlich durch einen sich rasant wandelnden Markt befeuert. Während Adobe seine KI als „kommerziell sicher“ positioniert, da sie ausschließlich mit lizenzierten Inhalten und Adobe Stock trainiert wurde, drängen Wettbewerber mit aggressiven Strategien und teils disruptiven Ansätzen auf das Spielfeld. Canva, einst als Einsteiger-Tool belächelt, hat sich mit 220 Millionen monatlichen Nutzern und einem Jahresumsatz von 2,7 Milliarden Dollar zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten entwickelt, der besonders im Segment der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Adobes Vormachtstellung angreift. Plattformen wie Midjourney faszinieren mit hochstilisierten Bilderwelten und einer agilen Entwicklungsgeschwindigkeit, während Stability AI mit anpassbaren Open-Source-Modellen punktet und eine andere Nische bedient. Diese dynamische Wettbewerbslandschaft erhöht den Druck auf Adobe, nicht nur technologisch, sondern auch kommerziell Schritt zu halten. Adobes Strategie, ähnlich dem Vorgehen bei der Einführung des PDF-Formats, zunächst eine breite Nutzerbasis aufzubauen und erst dann die Monetarisierungsschraube anzuziehen, mag historisch erfolgreich gewesen sein – doch die heutigen Märkte agieren mit einer deutlich geringeren Latenztoleranz.

Kreativprofis im KI-Spannungsfeld: Effizienz versus Existenzangst

Die Integration von KI-Werkzeugen in den kreativen Workflow ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Eine Adobe-Umfrage unter Kreativprofis ergab, dass bereits 83 Prozent generative KI in ihrer Arbeit nutzen und 66 Prozent dadurch eine Verbesserung der Content-Qualität feststellen. Doch diese Zahlen spiegeln nur eine Seite der Medaille wider. Gleichzeitig äußern 56 Prozent der Kreativschaffenden die Befürchtung, KI könnte eine Bedrohung für ihre berufliche Existenz darstellen. Ein zentraler Punkt der Verunsicherung ist die Frage der Urheberschaft und des geistigen Eigentums, weshalb 91 Prozent der Befragten Werkzeuge für eine nachverfolgbare Urheberschaft fordern.

Adobes Marketing-Slogan „Skip the Photoshoot“ hat in der Fotografen-Community für erhebliche Irritationen gesorgt und wird von vielen als Geringschätzung ihrer professionellen Leistung empfunden. Die Sorge wächst, dass Kunden vermehrt auf „gut genug“ KI-generierte Bilder setzen könnten, anstatt in hochwertige, professionelle Shootings zu investieren. Diese Entwicklung führt zu einer spürbaren Ambivalenz: Einerseits werden zeitsparende Funktionen wie „Generatives Füllen“ oder das inhaltsbasierte Entfernen in Photoshop geschätzt, andererseits wächst die Furcht vor einer Dequalifizierung der eigenen Expertise. Selbst innerhalb von Adobe gibt es Stimmen, die Bedenken äußern, dass Werkzeuge wie Firefly Grafikdesigner zu reinen „Kuratoren“ oder „Nachbearbeitern“ von KI-generiertem Material degradieren könnten.

Adobes strategische Antworten und der Blick nach vorn

Adobe begegnet diesen Herausforderungen mit einer fortlaufenden Innovationsstrategie. Das kürzlich vorgestellte Firefly Video Model, das aus Textbeschreibungen oder Referenzbildern bis zu fünf Sekunden lange Videoclips in 1080p-Auflösung und verschiedenen Seitenverhältnissen generieren kann, ist ein Beispiel dafür. Funktionen wie „Generative Extend“ in Premiere Pro, die Timeline-Lücken intelligent auffüllt, oder „Text-to-Vector“ für die direkte Anfertigung editierbarer Vektorgrafiken aus Texteingaben, zielen darauf ab, den professionellen Workflow weiter zu optimieren. Mit den Firefly Boards wird zudem ein kollaboratives Werkzeug für das Brainstorming und die gemeinsame Ideenfindung im Team angeboten.

Ein bemerkenswerter strategischer Schritt ist die Öffnung der Adobe-Plattformen für KI-Modelle von Drittanbietern. Anwender haben nun die Wahl, neben Adobes eigenen Firefly-Modellen auch auf Alternativen wie Google Imagen3 oder die Modelle von OpenAI zuzugreifen. Diese Flexibilität könnte sich als kluger Schachzug erweisen, um die Attraktivität der Creative Cloud langfristig zu sichern.

Die Kernfrage bleibt jedoch, ob diese technologischen Fortschritte und strategischen Anpassungen ausreichen, um sowohl die skeptischen Anleger zu überzeugen als auch die tiefgreifenden Bedenken der Kreativbranche zu adressieren. Adobes Betonung der „kommerziell sicheren“ KI, die auf einem ethisch und rechtlich unbedenklichen Trainingsdatensatz basiert, ist ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. Ob dies jedoch im Angesicht einer agilen und oft kostengünstigeren Konkurrenz als nachhaltiger Wettbewerbsvorteil Bestand haben wird, müssen die kommenden Quartalszahlen und die weitere Marktentwicklung zeigen. Adobe balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Innovationsführerschaft und den komplexen Anforderungen eines sich fundamental wandelnden Marktes.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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