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CAISPAR – Caspar David Friedrich trifft KI

CAISPAR – Caspar David Friedrich trifft KI

Ob KI auch Kunst sein kann, haben wir schon aus mehreren Perspektiven erörtert. Um dem Thema auch eine praktische Seite hinzuzufügen, gibt es nun das erste offizielle DOCMA-KI-Kunstprojekt. | Christoph Künne

Als mich der Anruf im Sommer 2023 erreichte, saß ich bei einem Interview in einem Münchner Biergarten. Am Telefon meldete sich der Greifswalder Galerist Peter Konschake. Er erklärte mir in kurzen Worten, er würde gerne ein Kunstprojekt bei mir in Auftrag geben. Hintergrund sei der 250. Geburtstag Caspar David Friedrichs. Weil der in Greifswald geboren wurde, wolle seine Galerie, die eigentlich auf Fotokunst spezialisiert ist, das Festjahr 2024 mit einer ungewöhnlichen Ausstellung einläuten. Einer, die technisch auf der Höhe der Zeit ist und KI-Kunst zeigt.

Etwas abgelenkt und im ­ersten Moment verwundert, sagte ich doch zu, darüber nachzudenken und mich in den nächsten Tagen zu melden. Auf meine abschließende Frage, ob er bestimmte Vorstellungen habe, entgegnete der Galerist trocken: Nein – du bist doch der Künstler.

CAISPAR – Caspar David Friedrich trifft KI

Kunst machen

Künstler sein, das ist eine Frage des Wahrgenommenwerdens, hatte mir vor einigen Jahren ein befreundeter Galerist erklärt. Stellt sich nun also die Frage, wie wird KI zur Kunst? In der heutigen Zeit gibt es im Grunde nur zwei Wege Kunst zu machen: Der erste besteht darin, dass ein ausgebildeter Künstler etwas schafft und es kraft seiner Profession zur Kunst erklärt. Der zweite erfordert ein Konzept mit einer Struktur, die den Gepflogenheiten des Kunstfeldes und/oder des Kunstmarktes entspricht. Mangels formaler Künstlerausbildung wählte ich den Weg des Konzepts und stellte mir die Frage: Wie würde Caspar David Friedrich die Möglichkeiten generativer KI heute wohl nutzen?

Mein Ansatz bestand zunächst darin, Caspar David 200 Jahre später auf die Welt kommen zu lassen. Statt ihn im Jahr 1794 in Kopenhagen auf die Kunstakademie zu schicken, sollte er 1994 an die Düsseldorfer Fotoschule gehen und dort in die berühmte Becher-Klasse, wo er im Einflussbereich von Ruff, Struth, Gursky, Höfer, Sasse und Hütte seine Bildsprache entwickelt. Caspars romantische Weltsicht deutete ich um in eine zeittypische Haltung, geprägt durch Geschlechter-Gerechtigkeit, Minder­heiten-Themen und Umwelt­bewusstsein. Heraus kamen Bilder von Transmenschen vor überdimensionalen Windrädern, anheimelnde ­Meeresansichten mit ­Starkstromleitungen,

Frauen in regenbogenfarbenen ­Burkas vor Kreidefelsen, gleich­geschlechtliche Paare, das Meer betrachtend, Ruinen der Konsum­gesellschaft oder Jahreszeit- und Tageslichtstimmungen in Wind- und Solarparks. Jetzt brauchte das Projekt nur noch einen Namen. Etwas mit KI oder AI. Vielleicht einen der Vornamen des Vorbilds verfremden? Also CAISPAR oder DAIVID oder CASPAIR. Die Entscheidung war bald gefallen.

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Kunstkritik

Nachdem ich über Wochen rund 50 Arbeiten dieser Art gepromptet hatte, zeigte ich das Konvolut einem befreundeten Medienkünstler. Seine Kritik war zwar sehr ­rücksichtsvoll formuliert, lautete aber auf den Punkt gebracht: zu verkopft im Ansatz und zu gefällig im Ergebnis. Auf die Frage, wie ich das Projekt retten könnte, hatte er eine einfache Antwort: Warum lässt Du nicht Bildbeschreibungen der Motive von der KI neu interpretieren? Auf diese Idee war ich auch schon gekommen. Ganz zu Anfang, und ich hatte sie verworfen. Mir gefielen die Ergebnisse damals überhaupt nicht.

Wir saßen bei unserem Treffen in einem Berliner Café, und ich konnte meine gruseligen Ergebnisse auf die Schnelle nicht finden, um ihm zu zeigen, wie wenig erfreulich das ausgesehen hatte. Also schlug ich vor, die Problematik an einem Beispiel vorzuführen. Ich kopierte dazu die englischsprachige Bildbeschreibung eines bekannten Caspar David Friedrich-Motivs aus der Wikipedia und fügte sie als Prompt in Midjourney ein. Als die Berechnungen fertig waren, musste ich zugeben, dass diese Bilder deutlich ­interessanter aussahen als viele meiner sehr zeitaufwendig geprompteten bisheri­gen Werke. Ein zweiter Test mit einem anderen Bild bestätigte die ­Beobachtung.

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Reset

Als Konsequenz dieser ­Kunstkritik ersann ich ein alternatives Konzept. Statt auf ein Ergebnis hin zu prompten, sollte nun der Prozess im Vorder­grund stehen. Aber woher nimmt man Bildbeschreibungen, die auf Englisch vorliegen und für möglichst viele von Caspar David Friedrichs Werken verfügbar sind?

Bei der Wikipedia gibt es eine größere Anzahl an Bildbeschreibungen von Werken des Malers. Sie sind aber mal kurz, mal lang, mal deutsch, englisch, griechisch, französisch oder italienisch. Und fast alle von unterschiedlichen Autoren, mit variierenden Schwerpunkten in der Bildbetrachtung. Also selbst schreiben? Aber das ist doch ein KI-Projekt. Die Lösung des Problems brachte eine News-Meldung zu ChatGPT: In der Bezahlversion gab es jetzt die Möglichkeit, mit Medien zu arbeiten. Ich konnte also die Gemäldedateien aus der ­Wikipedia in ChatGPT einlesen und dann mit einem immer gleichen Befehl von der KI beschreiben lassen. Und das auch noch in einer immer ähnlichen, Bildprompt-kompatiblen Textlänge.

Ohne Zusätze eingegeben, kamen trotz medienneutraler Beschreibung und trotz Verzicht auf Nennung des Malers oder des Titels immer Bilder heraus, die eine eher malerische Anmutung aufwiesen und alles andere als zeitgemäß wirkten. Ich entschied mich also, mittels eines Prompt-­Präfixes jedes Motiv als zeitgenössische Kunstfotografie darstellen zu lassen. Um genauer herauszufinden, was Midjourney unter Kunstfotografie versteht, habe ich die KI angewiesen, die Prompts jeweils mit fünf unterschiedlichen Gewichtungen des Präfixes durchzurechnen. So entstanden von jedem der am Ende 56 Motive aus dem Werk des deutschen Romantik-Malers 20 Interpretationen in unterschiedlichen ­Abstraktionsgraden.

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Kuration

1120 Bilder sprengen natürlich jede Galerie-Ausstellung. Also entschied ich, pro Motiv nur einen Abstraktionsgrad auszuwählen, und erhielt so eine etwas übersichtlichere Anzahl von Exponaten. Doch auch 280 Bilder sind noch enorm viele, sofern man nicht die Möglichkeit hat, in größeren Museen auszustellen. Die Lösung des Dilemmas lag für mich als Verleger auf der Hand: ein Buch. Genauer gesagt, ein Ausstellungskatalog, der sehr viel mehr zeigt, als dann später in Greifswald an den Wänden hängen wird.

Eine erste Version des Katalogs schickte ich zu meinem Galeristen, damit er dem Geschmack seines ­Publikums entsprechend auswählen konnte, welche Motive in welchen Größen gedruckt werden sollten.

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Kreatives Skalieren

Nachdem mir die Liste der 60 zu druckenden Arbeiten in den geplanten Größen vorlag, begann ich die ersten Motive mit den inzwischen für solche Fälle als Standards etablierten KI-Werkzeugen von Topaz zu skalieren.

Man muss dabei vor Augen haben, dass aktuelle KI-Bildgeneratoren mehrheitlich Bilder mit maximal ein bis zwei Mega­pixel Größe errechnen. Die lassen sich allerdings relativ hochwertig bis zu Druckgrößen von 60 mal 60 Zentimetern mit den genannten Spezialwerkzeugen skalieren. Allerdings sieht man in diesen Größen auch alle Rechenfehler der generativen KI besonders deutlich. Bei meinen ­Motiven lagen die Ärgernisse schwerpunktmäßig in zwei Bereichen: Darstellungen kleiner Menschen in großräumiger Umgebung wirkten nach der Skalierung vielfach sehr holzschnittartig, und feine Verästelungen von Gewächsen verschmierten zu Strichen.

Aus kunsthistorischer Perspektive ließe sich das schönreden: Caspar David Friedrich tat sich zum einen auch schwer beim ­Menschenmalen, weswegen die Rückenansichten zu seinem Markenzeichen wurden. Zum anderen war er kein Freund ziselierter Details. Ein Umstand, an dem man seine nie signierten Arbeiten recht gut von denen ähnlich malender Künstler aus späterer Zeit unterscheiden kann.

Erneut brachte ein ­News-­Beitrag die Lösung des Problems. Magnific, ein neuer KI-Dienst, rechnet auf Wunsch zusätzliche Details in die Ausgangsbilder. So vorbereitet, ließen sich dann alle Motive unproblematisch bis zu 100 mal 100 Zentimeter Druckgröße „aufblasen“.

Ausstellung und Katalog

60 teils großformatige Bilder des CAISPAR-Projekts sind bis zum 31. März 2024 an zwei Stellen in Greifswald zu sehen. Ein Teil der Ausstellung befindet sich in den Räumen der Galerie STP in der Mühlenstrasse 20, der zweite Part ist in der Caspar David Friedrich Filiale der Sparkasse Vorpommern am Markt 10 ausgestellt. Der Katalog ist bei uns im Webshop erhältlich:

www.docma.info/caispar

Druck der Ausstellungs­exponate und die Vernissage in Greifswald (Fotos: Ina Künne)
Druck der Ausstellungsexponate und die Vernissage in Greifswald (Fotos: Ina Künne)
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