
Die Wahrheit, so heißt es, liegt im Licht. Zumindest in der Fotografie. Doch was geschieht mit dieser Wahrheit, wenn das Licht selbst zu einer nachträglichen Variable wird, die Belichtung zu einer formbaren Masse in den Händen des Bildbearbeiters? Wir erleben gerade (mal wieder) nicht weniger als eine Verschiebung im Fundament der Fotografie. Eine neue Technologie, die es erlaubt, die Beleuchtung einer Aufnahme nachträglich in 3D zu modellieren, stellt unsere fundamentalsten Annahmen über das fotografische Abbild infrage. Sie zwingt uns möglicherweise zu einer Neubewertung dessen, was ein Foto ist – und was es sein kann. Dies ist kein bloßes Update bekannter Techniken; es ist die Neudefinition der Lichtregie und vielleicht der Anfang vom Ende der Fotografie, wie wir sie kannten.
Die alte Lüge vom ehrlichen Licht
Um die Tragweite dieser Entwicklung zu ermessen, müssen wir uns von einer romantischen Vorstellung verabschieden: der Idee des reinen, unverfälschten Moments, den die Kamera objektiv einfängt. Die Fotografie war niemals unschuldig. Jeder Fotograf, der bewusst einen Bildausschnitt wählt, eine bestimmte Brennweite nutzt oder sich für Schwarzweiß entscheidet, interpretiert die Wirklichkeit. Die Dunkelkammer war seit jeher ein Ort der Manipulation, nicht der reinen Reproduktion.
Der große Ansel Adams, dessen Landschaftsaufnahmen für viele als Inbegriff der reinen Naturfotografie gelten, war in Wahrheit ein Meister der nachträglichen Inszenierung. Mit akribischem Abwedeln und Nachbelichten malte er Licht und Schatten auf seine Abzüge, um die dramatische Stimmung zu erzeugen, die er in der Szene empfunden hatte – eine emotionale Wahrheit, die oft von der physikalischen Realität abwich. Seine Eingriffe waren analog, ein mühsamer, handwerklicher Prozess, der jahrelange Meisterschaft erforderte. Die neue Technologie zur 3D-Nachbelichtung ist im Grunde nichts anderes als die Demokratisierung und Industrialisierung eben jener Technik. Sie überträgt die Macht, die einst dem Dunkelkammer-Virtuosen vorbehalten war, auf jeden, der eine Maus bedienen kann.
Die algorithmische Sonne
Die nun vorgestellte Software, die noch eher akademische Qualität hat, geht weit über das simple Aufhellen von Schatten oder das Anpassen von Lichtern hinaus. Sie analysiert die in einem zweidimensionalen Bild enthaltenen Informationen, um eine plausible dreidimensionale Geometrie der Szene zu rekonstruieren. Auf Basis dieses 3D-Modells kann der Anwender dann virtuelle Lichtquellen platzieren, verschieben, ihre Farbe, Härte und Intensität verändern. Die Software berechnet in Echtzeit, wie dieses neue Licht auf die Oberflächen treffen, welche Schatten es werfen und welche Reflexionen es erzeugen würde.
Das Ergebnis ist verblüffend. Ein Porträt, aufgenommen im harten, unvorteilhaften Mittagslicht, lässt sich in eine Szene verwandeln, die von einer weichen, schmeichelhaften Abendsonne beschienen wird. Eine triste Innenaufnahme kann durch das Hinzufügen eines dramatischen Lichtstrahls, der durch ein imaginäres Fenster fällt, eine völlig neue emotionale Tiefe erhalten. Das Licht, einst die unveränderliche Prämisse jeder Aufnahme, wird zur dispositiven Größe. Der entscheidende Augenblick Cartier-Bressons wird entkoppelt von der vorhandenen Lichtstimmung.
Vom Lichtfänger zum Lichtarchitekten
Diese Entwicklung verändert die Rolle des Fotografen fundamental. War er bisher primär ein Jäger und Sammler des perfekten Lichts, wird er damit zum nachträglichen Lichtarchitekten. Der Fokus am Set oder vor Ort kann sich stärker auf Komposition, Interaktion und den reinen Moment konzentrieren, in dem Wissen, dass die Lichtstimmung später im stillen Kämmerlein geformt werden kann. Dies birgt eine immense kreative Befreiung. Fotografen können nun Lichtstimmungen ins Bild bringen, die in der Realität unmöglich oder nur mit gewaltigem technischem und finanziellem Aufwand zu bewerkstelligen wären.
Die Fotografie nähert sich damit konzeptionell der Malerei an. Ein Fotograf könnte nun wie ein Caravaggio vorgehen, der seine Figuren aus tiefster Dunkelheit mit dramatischen, künstlichen Lichtquellen herausmodellierte, um eine maximale emotionale Wirkung zu erzielen. Doch diese neue Freiheit fordert auch neue Kompetenzen. Ein tiefes Verständnis für die Physik des Lichts, für Volumen, Textur und die Interaktion von Licht und Materie wird zur Voraussetzung, um die Werkzeuge überzeugend einzusetzen. Wer die Regeln des Lichts nicht kennt, wird bei dem Versuch, sie digital zu brechen, unweigerlich scheitern und künstlich wirkende, unglaubwürdige Bilder hervorbringen.
Die Dialektik der Perfektion
Zwangsläufig stellt sich auch hier die Frage nach der Authentizität. Wenn selbst die Schatten lügen können, woran soll man sich noch halten? Diese Sorge ist berechtigt, doch sie verkennt, dass unsere Beziehung zur fotografischen Wahrheit ohnehin längst erodiert ist. Die neue Technologie macht die Manipulierbarkeit nur radikal sichtbar. Sie ist der letzte Nagel im Sarg der fotografischen Objektivität.
Paradoxerweise könnte diese Entwicklung jedoch zu einer neuen Wertschätzung des Unvollkommenen führen. Wenn jedes Bild potenziell bis zur Perfektion nachbelichtet werden kann, gewinnt das rohe, unbearbeitete Bild an Wert. Die Ästhetik des Zufalls, des „Fehlers“, des authentisch vorgefundenen Lichts könnte zu einem begehrten Gegenpol zur aalglatten Perfektion der algorithmischen Sonne werden. Wir könnten eine Spaltung der Fotografie erleben: auf der einen Seite die hochgradig konstruierte, malerische Lichtinszenierung, auf der anderen Seite eine neue Form des dokumentarischen Realismus, der seine Glaubwürdigkeit gerade aus seiner technischen Imperfektion schöpft.
Letztlich entscheidet nicht das Werkzeug über den Wert eines Bildes, sondern die Vision des Menschen, der es führt. Eine belanglose Komposition wird auch durch das raffinierteste Lichtspiel nicht zu großer Kunst. Die Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen, einen Charakter zu offenbaren oder eine Emotion zu transportieren, bleibt die eigentliche Währung. Die 3D-Nachbelichtung ist ein mächtiges neues Instrument im Orchester der fotografischen Möglichkeiten. Ob damit eine Symphonie oder nur Lärm hervorgebracht wird, liegt allein in der Hand des Dirigenten.






Liebe Lichtfacharbeiter,
mal ganz im ernst, wird ein derartiger Artikel auch von weiteren Personen in Korrketur gelesen?
Abgesehen von den nunmehr ausschließlichen Fotos von krebskranken Personen mit beim OP geöffneten Schädeldecken, die inzwischen das gesamte Docma-Heft durchfluten, ist das hierbei angefügte (wahrscheinlich werbefinanzierte) Video zum Thema „Licht kann später von irgendwo kommen“ derartig dämlich belanglos, daß man sich fragt, was fortschreitend die Aussage ist? Wegführend ist eben nicht zielführend……
Was sollen/ wollen uns die dort angefügten Fotos sagen?
Fotos sind und bleiben Fotos und eben nicht Computer-Kompositionen bei IT-Aldi oder Foto-Penny.
Wenn man diese Artikel liest, möchte man seit geraumer Zeit glauben, daß auch hier KI übernommen hat……
Und vor allem, wozu noch irgendwie durch das Okular schauen, den Rest macht eh die KI.
OH boys