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Sind Edelkompakte reine Luxusobjekte oder die Zukunft der Kamera-Fotografie?

Hinter glänzendem Metall und handschmeichelnder Belederung verbirgt sich mehr als nur ein Aufnahmegerät: Die Edelkompaktkamera ein kulturelles Statement, ein soziologisches Phänomen und die paradoxe Renaissance eines scheinbar überholten Konzepts.

Neulich stand ich in einem Berliner Café, als ein Mann mit grauem Bart und schwarzem Rollkragenpullover seine Leica Q3 auf den Holztisch legte. Er tat das nicht diskret oder beiläufig, sondern mit der Präzision eines Juweliers, der einen Diamanten präsentiert. Dieser kleine Moment der Inszenierung war eine soziale Choreografie, die ich seither in unseren Kreisen dutzende Male beobachtet habe. Die Kamera als Requisit in einem kulturellen Schauspiel, bei dem der Besitzer nicht nur fotografiert, sondern auch fotografiert wird – im übertragenen Sinne, vom Blick der anderen.

Das Phänomen der Edelkompaktkamera ist eigentlich ein Paradoxon unserer Zeit. Während unsere Smartphones mit jedem Update bessere Fotos machen, die perfekt ausgeleuchtet, automatisch bearbeitet und sofort geteilt werden können, erleben Kameras mit fester Brennweite und gerne auch mal hoch vierstelligen Preisschildern einen erstaunlichen Boom. Die Leica Q, inzwischen in der dritten Generation und sogar mit zwei verschiedenen Objektiven erhältlich, hat den Weg geebnet und gezeigt, dass Menschen bereit sind, den Preis eines gebrauchten Kleinwagens für eine Kamera zu zahlen, die – rein funktional betrachtet – weniger kann als die Kameramodule in ihrem Telefon.

Auch Fujifilm hat diesen Trend erkannt und ist mit seiner klassischen X100-Serie, aktuell in Version sechs, in die gehobene Preisregion nachgezogen. Was als charmante Retro-Alternative begann, hat sich hier inzwischen auch preislich in Richtung Luxussegment entwickelt. Dieses Jahr haben sie dann auch die nächste Zutat zum Edelkompakt-Cocktail geliefert: Ein Mittelformat-Modell mit 100 Megapixel Auflösung und mit Blende f/4 als bescheidener Anfangsöffnung beim Objektiv. Wie die neue Sony RX1R in der dritten Version mit 61-Megapixel-Auflösung verzichtet sie erstaunlicherweise auf einen Bildstabilisator. Das erinnert mich ein wenig an einen Onkel, der sich in den 80ern einen Porsche kaufte, aber am ABS sparte.

Doch warum geben Fotografen für solche optischen Schmuckstücke so viel Geld aus? Warum muss es eine Leica Q3 für über 6.000 Euro sein, wenn die Fuji X100VI für ein Drittel zu haben ist? Und warum diese, wenn das meist fotografisch schon hochgerüstete Smartphone in unserer Tasche für mehr als 80 Prozent der Bilder völlig ausreicht?

Die Antwort liegt vielleicht in der Soziologie des Konsums. In seinem Werk „Die feinen Unterschiede“ beschrieb Pierre Bourdieu, wie kulturelle Praktiken und Konsumentscheidungen als Mittel der sozialen Abgrenzung dienen. Die Edelkompaktkamera ist vielleicht nicht nur ein Werkzeug zur Bilderzeugung, sondern ein kulturelles Kapital, das Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe signalisiert. Der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen hätte von „demonstrativem Konsum“ gesprochen – dem Erwerb von Gütern nicht primär wegen ihres Nutzens, sondern um Wohlstand und Status zu signalisieren.

Dabei ist die Ironie, dass diese teuren Kameras in gewisser Weise eine Einschränkung darstellen. Eine feste Brennweite? Ein nicht wechselbares Objektiv? Der Verzicht auf Bildstabiliserung? Das klingt nach Beschränkungen, die wir in anderen Bereichen nicht akzeptieren würden. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Auto, bei dem sich die Sitzposition nicht verstellen lässt, oder ein Smartphone, das nur eine App ausführen kann – aber dafür besonders stilvoll.

Was wir hier erleben, ist eine kulturgeschichtliche Parallele zur Transformation des Pferdes nach der Erfindung des Automobils. Als das Pferd seine Rolle als unverzichtbares Transportmittel verlor, wandelte es sich zum Luxusobjekt. Die praktische Notwendigkeit wich der symbolischen Bedeutung. Das Pferd wurde zum Zeichen von Freizeit, Wohlstand und einem bestimmten Lebensstil. Genauso verhält es sich mit der Edelkompaktkamera im Zeitalter der Smartphone-Fotografie.

Fotografieren mit einer Leica Q oder Fuji GRX 100RF ist heute ein bewusstes Statement gegen die Allgegenwart des Digitalen. Es ist das Äquivalent zum Vinyl in der Musikwelt, zum Fountain Pen in der Welt der Kugelschreiber, zur mechanischen Uhr in Zeiten von Apple Watch und Fitbit. Es ist ein Akt der Entschleunigung, eine Rückkehr zum Handwerklichen, eine Abkehr vom algorithmischen Automatismus unserer Zeit.

Der Kult um diese Kameras hat etwas fast Religiöses. Die rituelle Handhabung, die Haptik der Drehräder, das sanfte Klicken des Verschlusses – all das schafft eine sinnliche Erfahrung, die in einer zunehmend virtuellen Welt an Wert gewinnt. Der französische Philosoph Jean Baudrillard hätte darin die „Sehnsucht nach dem Realen“ in einer Welt der Simulationen gesehen.

Auch Hersteller wie Sigma (erst kürzlich) und Hasselblad (schon länger) haben diesen Markt für sich entdeckt und bieten kleine Edelkameras an, allerdings mit Wechselobjektiven. Das tut Leica natürlich mit seiner M-Modellreihe sogar schon seit vielen Jahrzehnten, sogar mit Verzicht auf Autofokusfunktionalität und damit mit einem ganz großen Plus im Sinne der kreativen Beschränkung. Die Konzepte versprechen das Beste beider Welten: die Haptik und Exklusivität der Edelkompakten mit der Flexibilität wechselbarer Objektive. Ob dies dem puristischen Gedanken der Beschränkung widerspricht oder ihn klug ergänzt, bleibt eine philosophische Frage für ausgiebige Diskussionen in Hipster-Cafés.

Preisfüchse könnten zu APS-C-Modellen wie der Fuji X100 oder zur Rico GR greifen, doch auch hier sind die Preise seit den ersten Versionen deutlich gestiegen. Wer erinnert sich noch an die ersten Fuji X100-Modelle, die für unter 1.000 Euro zu haben waren? Diese Zeiten sind lange vorbei, denn der Markt hat erkannt: Die Bereitschaft, für diese Form der Fotografie tief in die Tasche zu greifen, ist enorm.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Zukunft der Fotografie? Vielleicht stehen wir vor einer Teilung: Auf der einen Seite die algorithmische, KI-gestützte Alltagsfotografie mit dem Smartphone – demokratisch, allgegenwärtig und mühelos. Auf der anderen Seite die bewusste Entscheidung für ein Werkzeug, das uns Grenzen setzt und dadurch Kreativität fordert. Die Edelkompaktkamera wird zum Symbol dieser zweiten Welt – einer Welt, in der Beschränkung als Luxus gilt und die bewusste Entscheidung für eine bestimmte Art des Sehens getroffen wird.

Ich muss zugeben, dass ich selbst nicht immun gegen diesen Reiz bin. Als ich kürzlich eine Fuji GRX 100RF in den Händen hielt, spürte ich dieses irrationale Verlangen, dieses „haben wollen“, das sich jeder logischen Kosten-Nutzen-Analyse entzieht. War es die Haptik? Die Ästhetik des Objektivs? Oder doch die Aussicht, mit diesem Gerät zu einem exklusiven Kreis zu gehören, der die Welt durch einen festgelegten Bildwinkel betrachtet?

Vielleicht ist es letztlich eine Frage der Authentizität in einer Welt der endlosen Möglichkeiten. Die feste Brennweite zwingt uns, mit den Füßen zu zoomen, uns körperlich zu bewegen, uns mit dem Raum auseinanderzusetzen. Sie macht Fotografie wieder zu einer physischen Erfahrung statt einer digitalen Manipulation. Und genau diese Erfahrung – die Fotografie als körperliche Praxis – ist es wert, dafür extra zu bezahlen.

So paradox es klingen mag: Die Zukunft der Fotografie könnte in der bewussten Beschränkung liegen, in der Rückkehr zu einer Einfachheit, die im digitalen Überfluss zur Rarität geworden ist. Die Edelkompaktkamera wird nicht die Smartphone-Fotografie ersetzen, aber sie wird als Gegenpol existieren: als Luxusobjekt, als Statussymbol und als Werkzeug für jene, die in der Beschränkung eine Form der Freiheit finden.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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7 Kommentare

  1. Seien Sie aus dem äußersten Westen der Republik gegrüßt, Herr Künne
    Jahrelang bin ich auf Reisen mit einer Nikon und zwei Objektiven unterwegs gewesen.
    Zwei große Probleme: Groß, lästig, schwer, laut. Und wohin damit, wenn man abseits der Touristenpfade unterwegs ist und abends mal in Ruhe ein Bier trinken will.
    Das nächste Problem ist ein kleiner Spiegel. Man hebt die Nikon hoch, löst aus und alle gucken…
    Dann habe ich mir eine Fuji x100t gekauft und kann seit dem in Ruhe fotografieren; man fällt damit kaum auf.
    Mit der Qualität der Bilder (mittlerweile eine „V“) bin ich sehr zufrieden, aber auch der Beschränkungen mit dem 35mm-Objektiv bin ich mit bewusst.
    Das solche Kameras heute ein Statussymbol sind, nehme ich mit einem (überheblichen) Lächeln zur Kenntnis. Ich wollte mir damals die erste Leica Q kaufen, die aber über Monate nicht lieferbar, weil zigfach vorbestellt war.
    Gruß http://www.foto-hamacher.de

  2. Ich kann’s nachvollziehen, Herr Künne:
    Vor vielen Jahren erhielt ich die Chance, den damals im Bau befindlichen Fernsehturm Colonius in Köln zu besteigen. Meine Canon-Ausrüstung mit AE-1, A-1 und diversen Objektiven erschien mir zu schwer, zu klobig, zu umständlich. So lieh ich mir von meinem Cousin seine Rollei 35S. Geladen mit Fujichrome-Diafilm erzielte ich wunderbare Resultate-selbst als die Kamerabatterie des Belichtungsmessers mittendrinschlapp machte gelangen dank „Sonne lacht?-Blende acht“ noch tolle Bilder.
    So angefixt, habe ich eigentlich immer irgendwas kompaktes dabei, wenn es nicht ausdrücklich um ein fotografisches Projekt geht. Fuji, Nikon, Canon. Derzeit meist eine schon angejahrte Canon G15. Reicht für 90% der fotografischen Situationen aus und passt in die Jackentasche.
    Insofern kann ich die Erfahrungen von Herrn Hamacher bestätigen.

  3. Auf jedem Foto-Workshop kann man es erleben. Am ersten Abend in der Vorstellungsrunde werden die Kameras mit dem roten Punkt zelebriert: Seht her, ein Fotograf!
    Wenn dann am nächsten Tag die ersten Fotos gezeigt und „besprochen“ werden, dann zeigt sich, die Korrelation zwischen Kreativität und rotem Punkt geht meistens gegen Null.
    Es bereitet mir stets großes Vergnügen, mit meinem Telefon (kein roter Punkt!) dagegen zu halten.

  4. Naja. Ein Statement gegen digitales Bildermachen können diese Kameraas nicht sein: sie sind ja selbst digitale Geräte. Und der Vergleich mit Vinyl hinkt auch, denn dann müssten diese Geräte Filme eingelegt haben …
    Er ist halt schlicht ein kleiner Angeber, das Bild selbst macht Eindruck, wirkt aber doch irgendwie künstlich und inszeniert.

  5. Als langjähriger Besitzer einer Sony RXR1 frage ich mich auch manchmal, warum ich soviele tausend Euro ausgegeben habe. Immerhin war sie damals knapp 1000 Euro billiger als die Leica Q. Aber der Preis ist definitiv zu hoch und bestenfalls nur zu rechtfertigen, wenn man es sich leisten will. Die fototechnische Qualität ist exzellent aber rechtfertigt nicht den Preis. Alles können andere auch und teils besser. Was dann aber doch dafür spricht ist die unaufdringliche Art, in der man mit den Geräten fotografieren kann. Man wird als Fotograf mit den kleinen Geräten kaum wahr oder ernst genommen und das macht den Charme aus. Die Camera ist wegen der Größe und des Gewichts immer dabei und das macht sie besonders. Deshalb wäre es doch schön, wenn andere Hersteller auch eine kompakte Camera anbieten würden, aber billiger. Im Canon Portfolio vermisse ich das sehr.

  6. Aber verfügt denn der „Mann mit grauem Bart und schwarzem Rollkragenpullover“ über ausreichend Gehinzellen, die für „Kreativität“ zuständig wären? Und benutzt er sie auch? Oder ist es möglicherweise eher nur so, daß Besitz und Eigentum UND das krasse Fehlen aller „Kreativität“ hier unter Beweis gestellt wurden?

    Im übrigen lehne ich solche Kameras mit den aufgezählten Nichtkönneriegenschaften UND einem exorbitanten Preis prinzipiell ab. Sicher, wenn eine „Leica“ in Besprechungen auftaucht, sind alle hin und weg. Aber das ist doch nicht der entscheidende Punkt: will jemand mit den technisch bestem Kameras einer Preisklasse einfach nur gute Fotos schießen oder damit angeben? IST denn so eine Kamera um soviel besser (d.h. die damit angetertigten Fotos selbstverfreilich!) als wie das Ding kostet? Außerdem: kann ein Angeber mit Luxuskamera überhaupt „gute“ Fotos machen? Kennt der alle Bedienknöpfe und weiß aus dem effeff, welche Auswirkung(en) ein Verstellen der Knöpfe für das fertige Bild dadurch passieren werden? Wohl Kaumstens: es gibt ja keine!!! Ätsch!
    Also: nach meiner nur für mich geltenden Meinung haben diese sauteuren Nichtskönner keine Daseinsberechtigung.

  7. Warum muss es denn gleich „Edel-“ sein. Ich habe vor vielen Jahren für Canon und später Nikon im Bereich Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet und habe mit Kunden zu tun gehabt, die sich durch solche Cameras angesprochen fühlen. Nicht jeder hatte die Kreativität, die man bei dem „Investor“ einer solche Camera erwarten würde. Wir waren trotzdem auch für diese Kunden dankbar, weil das abgehobene Warten auf Kreative die Cameras unbezahlbar gemacht hätten.
    Für meine Person schätze ich das Gefühl, mit Ruhe zu fotografieren, wie oben beschrieben. Die Menge an Pixeln lässt mich unberührt, weil ich seit langem mit einfacheren Kameras auskomme. Meine Bilder werden max. A2 oder A3+ groß.
    Vielleicht nenne ich das „focussieren“ wenn man nur ein Objektiv dabei hat?
    Also – wenn ich Ruhe und Fotografie verbinde, nehme ich nach Lust und Laune meine Alten mit: Canon G1X, Samsung NX300M mit dem 2.0/30mm. Sogar meine Samsung EX1 macht mir Spaß, wenn ich mit der Familie unterwegs bin. @Bubi – und ja, ich kenne meine Knöpfe.

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