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Entwackeln mit piccure

Verwacklungsunschärfe war früher Grund genug, ein Bild ohne langes Überlegen schon beim Sichten zu löschen. Heute gibt es Mittel, die verwackelten Details zu rekonstruieren, und piccure ist eine solche Lösung für Photoshop und Photoshop Elements.

Es ist nicht schwer, ein ursprünglich scharfes Bild weichzuzeichnen; Photoshop hält diverse Werkzeuge dafür bereit. Den umgekehrten Weg zurück zu einem scharfen Bild zu gehen, ist sehr viel anspruchsvoller, und insbesondere die Verwacklungsunschärfe entzog sich lange allen Nachschärfungsbemühungen. Intelligent Imaging Solutions, ein 2011 als Spin-off eines Max-Planck-Instituts gegründetes deutsches Unternehmen, hat nun piccure auf den Markt gebracht, ein Plug-in zur scharfen Rekonstruktion verwackelter Bilder (www.piccure.de). An einer solchen Technologie hatte auch schon Adobe seit Jahren geforscht und implementierte sie erstmals in Photoshop CC; piccure lässt sich dagegen in allen Photoshop-Versionen ab CS4 verwenden und ist auch in einer Version für Photoshop Elements (Version 7 oder neuer) verfügbar. Wir haben uns die erste finale, noch nicht deutsch lokalisierte Version des Plug-ins angeschaut.
Intelligent Imaging Solutions setzt sich aus Professoren, Doktoranden und Studenten zusammen, die in der Grundlagenforschung an Verfahren zur Bildverbesserung gearbeitet haben und ihre Ergebnisse nun auf den Massenmarkt bringen. Piccure, das bislang einzige Produkt der noch jungen Start-up-Firma, wird für 69 (Photoshop) beziehungsweise 49 Euro (Photoshop Elements) angeboten; der Preisunterschied erklärt sich daraus, dass der Elements-Version die Multi-Prozessor-Unterstützung und einige Einstellungsmöglichkeiten fehlen.

Verwackeln rückgängig machen
Verwacklungsunschärfe ist eine Art der Unschärfe, bei der klassische Verfahren wie »Unscharf maskieren« versagen. Wenn man ein Bild durch Kamerabewegungen verwackelt, werden feine Bilddetails über mehrere Pixel verschmiert – in einem Muster, das man dann überall im Bild als Wischspuren wiederfindet. Um diese Verschmierung wieder rückgängig zu machen, muss eine Software die auf verschiedene Pixel verteilten Farb- und Helligkeits­informationen wieder an ihren Ursprungsort zurück befördern. Dazu muss zunächst der Verlauf der Verwacklung erkannt werden, also wie weit und in welcher Richtung sich die Kamera während der Belichtung verschoben hat. Auch mit diesem Wissen bleibt die Rekonstruktion knifflig: Man weiß nun zwar genau, wie aus dem scharfen Bild ein unscharfes entstanden ist, muss aber von diesem zurück zum unbekannten scharfen Bild gelangen. Gesucht ist ein scharfes Bild, das, wenn man es auf die gleiche Weise verwischt, wie die vorliegende Aufnahme verwischt worden ist, eben dieses unscharfe Bild ergibt. Eine gute Lösung dieser Aufgabe zu finden, setzt Wissen über typische Bilder voraus, und piccure greift auf umfangreiche Statistiken scharfer Bilder zurück, um die wahrscheinlichste Rekonstruktion verwackelter Details zu finden.
Dies gelingt am besten, wenn die Verwacklungsunschärfe der einzige Mangel eines Bildes bleibt. Wenn ein Pixel überbelichtet wurde, ist dessen wahre Helligkeit nicht bekannt und ein Rekonstruktionsversuch kann dann Artefakte erzeugen. Dazu genügt es schon, dass einer der drei RGB-Kanäle überbelichtet ist (siehe DOCMA 50, Seite 74ff.) – eine Gefahr, die bei gesättigten Primärfarben droht. Auch Rauschen kann die Rekonstruktion irritieren und wird verstärkt. Es empfiehlt sich daher, das Rauschen schon im Raw-Konverter zu unterdrücken, bevor Sie das Bild mit piccure bearbeiten.

Anwendung
Wenn Sie nach der Installation des Plug-ins den Filter aufrufen, zeigt piccure das Original und die entwackelte Version des Bildes, wahlweise als geteiltes Bild oder umschaltbar zwischen den Versionen. Zur Kontrolle der Wirkung sollten Sie wenigstens eine 50?%-Darstellung wählen. Die Photoshop-Version des Plug-ins bietet »Advanced settings«, in denen Sie den Regler »Speed vs. Quality« am besten an den qualitätsseitigen Anschlag schieben; aktuelle Computer sind mit dem erforderlichen Rechenaufwand meist nicht überfordert, und die längere Wartezeit lohnt sich. Mit »Camera shake intensity« teilen Sie dem Filter mit, wie stark die zu korrigierende Verwacklung ist; hier sollten Sie die Einstellung nicht zu weit nach rechts schieben, um Artefakte zu vermeiden.
Die Option »Micro« zur Beschränkung der Korrektur auf mini­male Verwacklungen ist nützlicher, als man zunächst denken würde: Die immer höhere Auflösung der Sensoren lässt Kamera­bewegungen sichtbar werden, die früher keinen Unterschied gemacht hätten, und wenn Sie den vollen Nutzen aus 24 oder 36 Megapixeln ziehen wollen, müssten Sie die Kamera auf ein Stativ montieren oder mit sehr kurzen Verschlusszeiten arbeiten. Oder Sie eliminieren die geringe, aber durchaus sichtbare Verwacklungsunschärfe per Software, und eben dafür ist die »Micro«-Einstellung der Verwacklungsstärke gedacht. Das Ergebnis sind sauber nachgeschärfte Bilder mit einem Minimum an Artefakten.
Nachdem Sie die Einstellungen geändert haben, klicken Sie auf »Apply to view«, um die Neuberechnung für den angezeigten Ausschnitt, oder auf »Reduce camera shake«, um sie auf das gesamte Bild anzuwenden. Mit »OK« übernehmen Sie die korrigierte Version.
Im Test erwies sich die Verwacklungskorrektur als wirksam. Auch wenn eine starke Verwacklung nicht vollständig zum Verschwinden zu bringen ist, treten doch die Details wieder klar und scharf hervor. Die größten Probleme bereiten verrauschte Bilder; das Rauschen wird hervorgehoben, und wenn das Rauschen sehr stark ist, arbeitet das Rekonstruktionsverfahren fehlerhaft und produziert Überschwingungsartefakte, also vervielfachte Konturen.

Gegenanzeigen

Piccure ist eine spezialisierte Lösung für die nachträgliche Korrektur einer Verwacklung, aber kein Allheilmittel gegen Unschärfe generell. Wenn sich ein Motiv außerhalb der Schärfenzone befindet, kann es auch piccure nicht erfolgreich nachschärfen, denn diese Art der Unschärfe widersetzt sich einer Rekonstruktion. Die Bildanalyse in piccure geht davon aus, dass die Unschärfe im Bild durch eine einheitliche Bewegung verursacht wird, wie es für Verwacklungsunschärfe typisch ist. Hat sich dagegen nicht die Kamera, sondern das Motiv bewegt, oder überlagern sich Kamera- und Motivbewegungen, kann das Plug-in nur wenig ausrichten. Wenn ein einmaliges Foto aber nur dadurch ruiniert scheint, dass man eine verwacklungsträchtige lange Verschlusszeit gewählt hatte, kann piccure oft das Bild retten.

Diesen und weitere Artikel, Tipps, Tricks und Workshops finden Sie im DOCMA-Heft Nr 54 (5-2013). Mehr Infos zum Heft gibt es hier. Wer keine Lust hat zum Kiosk zu gehen, kann sich diese Ausgabe (und ältere) bequem bei uns im Webshop bestellen.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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3 Kommentare

  1. Gehe ich richtig in der Annahme, dass das Programm davon ausgeht, das ganze Bild sei verwackelt?
    In der Presse-Fotografie kommt es jedoch oft vor, dass man in dunklem Umfeld eine relativ lange Belichtungszeit von 1/10 s wählte und die Anvisierten sich kaum bewegten. Dann kann es vorkommen, dass Hintergrund und Personen keine Bewegungsunschärfe zeigen – ausser der wichtigsten Person, die bei der Auslösung eine schnelle Bewegung machte.
    Was macht wohl Piccure in so einem Fall?

    1. Die Software ging (wenn ich mich richtig erinnere) von einer einheitlichen Verwacklungsbewegung aus, wie sie bei Kipp- und Schwenkbewegungen entsteht. Aber dieser Artikel ist nunmehr acht Jahre alt und die Software ebenfalls …

  2. Der Hinweis, es handle sich letztlich um veraltete Software, tröstet mich ein wenig. Beim letzten neu-aufsetzen meines Computers hatte ich nicht – auch noch ! – an piccure gedacht, mit dem Resultat, dass ich jetzt „keine“ Lizenz mehr habe – weil nicht nach Vorschrift der (mittlerweile offenbar bankrotten) Firma zuerst sauber abgemeldet …
    Die ganze HP existiert ja noch, aber „piccure+ can currently not be purchased“ (seit Jahren …), und „New installers for Photoshop CC2017“ werden angepriesen.

    Dann wäre also etwa Topaz Sharpen AI deutlich besser ? die haben ja neu sogar eine Automatik eingebaut, die einem einen Vorschlag macht, welche Korrekturmethode man wählen soll

    Hat übrigens niemand ‚piccure‘ in einen Allgemein-Gebrauch mit universellem Schlüssel übernehmen können ?

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