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Deutschland um 1900 in Photochrom

Als ich dieses Buch auspackte, musste ich fast unvermeidlich an die alte Geschichte des Friesen-Missionars Bonifatius denken, dem seine hartnäckigen Missionsversuche bei den Nordmännern nicht gut bekommen sind: Als sie ihn, am Ende erfolgreich, mit Schwertern bedrängten, versuchte er, die Hiebe mit einer emporgereckten Bibel abzuwehren. Hätte er das voluminöse, im Folgenden vorgestellte Buch zur Hand gehabt – sofern er es überhaupt hätte anheben können –, seine Verteidigungschancen wären deutlich besser gewesen.

Das Buch aus dem Kölner Taschen Verlag hat zwar auch mit deutscher Ge­­schichte zu tun, reicht allerdings nicht bis ins frühe Mittelalter zurück, sondern zeigt mit rund 800 Fotos Deutschland (innerhalb seiner damaligen Grenzen) in der Zeit um 1900.

Auf über 600 Seiten und im beeindruckenden Format von 29 × 40 cm werden Städte und Sehenswürdigkeiten im Bild vorgestellt. Die Reise führt von den Schlössern Ludwigs II. in den bayerischen Alpen bis in die Seebäder an Nord- und Ostsee durch ein Deutschland, das gerade einen Modernisierungsschub vom Agrarstaat hin zum Industriestaat erlebt, aber seinen traditionellen Wurzeln noch stark verhaftet ist. ­Bilder von mittelalterlichen Städten, ländlichem Brauchtum – das leider etwas kurz wegkommt – und als erhaben wahrgenommenen Landschaften stehen so einträchtig neben Darstel­lungen technischer Neuerungen und moderner Gründerzeitboulevards. Es gibt eine deutschsprachige sowie eine englisch-französische Ausgabe.

Für Liebhaber der Fotografie dürfte nicht nur der dokumentarische ­Charakter des Bandes von Interesse sein, sondern auch das Verfahren, mit dem die – wie von diesem Verlag gewohnt, stets hervorragend reproduzierten – farbigen Drucke seinerzeit im Photochrom-Verfahren in großen Auflagen hergestellt wurden. Merkwürdigerweise drückt sich der Text um die klare Aussage herum, dass diese Farben keine aufgenommenen Naturfarben sind (obwohl damals bereits ­Farbfotografien existierten), sondern hier Schwarzweißaufnahmen liebevoll und detailliert manuell koloriert wurden. Die Koloration ist dabei durchaus kein Nachteil; sie verschafft den Aufnahmen einen eigentümlichen Reiz.

Angesichts von etlichen Kilo Buch hat dieses edle Werk natürlich seinen Preis: 150 Euro, die es wert sind.

Deutschland um 1900 in PhotochromDeutschland um 1900
Ein Porträt in Farbe 
Marc Walter und Sabine Arqué (Hrsg.)
612 Seiten, 29 × 40 cm
Taschen Verlag
150 Euro

 


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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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