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Ghibli-Stil: Droht KI-Bildern in Japan das Aus?

Die jüngste Welle an KI-generierten Bildern, die den unverkennbaren Stil des japanischen Animationsstudios Ghibli imitieren, hat nicht nur soziale Netzwerke geflutet, sondern ruft nun auch die Politik auf den Plan. Was als faszinierendes Experiment mit den neuen Bildgenerierungsfähigkeiten von Werkzeugen wie ChatGPT begann, wirft in Japan ernste rechtliche und ethische Fragen auf. Für professionelle Bildschaffende, die sich mit den Möglichkeiten und Grenzen generativer KI auseinandersetzen, ist die Entwicklung in Fernost von hoher Relevanz, könnte sie doch weitreichende Implikationen für den Umgang mit stilistischer Nachahmung durch Algorithmen haben.

Die sogenannte „Ghiblification“, das massenhafte Generieren von Motiven im Stil von Werken wie „Mein Nachbar Totoro“ oder „Chihiros Reise ins Zauberland“, wurde kürzlich zum Thema einer Sitzung des Kabinettsausschusses des japanischen Repräsentantenhauses. Am 16. April konfrontierte der Abgeordnete Masato Imai aus der Präfektur Gifu den Generaldirektor für Bildungs-, Kultur-, Sport-, Wissenschafts- und Technologiestrategie, Hirohiko Nakahara, mit der Frage nach der Legalität dieser Praxis. Imai wollte wissen, ob diese Art der Bildproduktion eine Urheberrechtsverletzung darstelle, insbesondere angesichts der aktuellen Gesetzeslage.

Juristische Gratwanderung: Stil vs. Kopie

Die Antwort Nakaharas offenbarte die juristische Komplexität, die dem Thema innewohnt. Er betonte, dass letztlich Gerichte über Einzelfälle entscheiden müssten. Eine reine Ähnlichkeit im Stil oder die Übernahme von Ideen würde nach aktueller Interpretation nicht zwangsläufig eine Urheberrechtsverletzung begründen. Kritisch werde es jedoch, wenn KI-generierte Inhalte als „ähnlich zu oder abhängig von bereits existierenden urheberrechtlich geschützten Werken“ eingestuft würden. In solchen Fällen bestehe durchaus die Möglichkeit einer Urheberrechtsverletzung. Imai präzisierte später, dass die Nutzung von Stilen und Ideen zwar legal sei, eine Anerkennung des KI-Bildes als „Ghibli selbst“ jedoch gesetzeswidrig wäre.

Diese Unterscheidung ist für alle Kreativen, die mit KI-Werkzeugen arbeiten, von Interesse. Wo endet die Inspiration und stilistische Hommage, und wo beginnt die unzulässige Kopie oder die Verwässerung einer etablierten Marke? Die Debatte in Japan berührt Kernfragen des Urheberrechts im Zeitalter künstlicher Intelligenz. Es geht nicht mehr nur um das direkte Kopieren von Bildinhalten, sondern um die algorithmische Abstraktion und Reproduktion eines charakteristischen visuellen Ausdrucks. Für Fotografen und Bildbearbeiter, die KI zur Inspiration, zur Modifikation eigener Arbeiten oder zur Generierung völlig neuer visueller Welten nutzen, ist diese Abgrenzung essenziell. Die Fähigkeit, einen Stil zu analysieren und nachzuahmen, ist eine der faszinierendsten, aber auch problematischsten Eigenschaften aktueller Bild-KIs. Die japanische Diskussion könnte hier Präzedenzfälle schaffen, die auch die Nutzung von KI-Modellen beeinflussen, die auf europäischen Bilddaten trainiert wurden oder deren Ergebnisse hierzulande genutzt werden.

Miyazakis Abscheu und die Folgen

Dass gerade Studio Ghibli ins Zentrum dieser Debatte rückt, ist kaum verwunderlich. Der unverwechselbare, oft melancholisch-fantastische Stil hat weltweit eine riesige Fangemeinde. Interessanterweise ist die Skepsis gegenüber KI-Technologien im Umfeld des Studios nicht neu. Bereits 2016 reagierte Hayao Miyazaki, einer der Gründer von Studio Ghibli, in einer Dokumentation mit unverhohlenem Abscheu auf eine Präsentation von KI-generierter Animation. „Ich bin zutiefst angewidert“, so Miyazaki damals. „Wenn Sie wirklich gruseliges Zeug machen wollen, können Sie das tun, aber ich würde mir niemals wünschen, diese Technologie in meine Arbeit zu integrieren. Ich habe das starke Gefühl, dass dies eine Beleidigung des Lebens selbst ist“. Diese fundamentale Ablehnung aus künstlerisch-ethischer Sicht verleiht der aktuellen rechtlichen Diskussion eine zusätzliche Dimension. Sie spiegelt eine tiefere Sorge wider, die viele menschliche Kreative teilen: die Angst vor der Entwertung künstlerischer Handschrift und Vision durch maschinelle Reproduktion.

Auch wenn bisher weder konkrete Gesetzesinitiativen vorgeschlagen noch Klagen eingereicht wurden, zeigt die Thematisierung auf höchster politischer Ebene in Japan, wie schnell sich die Schnittstelle von KI und Kreativität entwickelt und welche Brisanz sie birgt. Die Diskussion um die „Ghiblification“ ist nur ein Symptom für die grundlegenden, noch ungeklärten Rechtsfragen rund um künstliche Intelligenz: Wie ist das Training der Algorithmen urheberrechtlich zu bewerten, insbesondere wenn urheberrechtlich geschütztes Material ohne explizite Zustimmung verwendet wird? Wem gehören die Rechte an den generierten Ergebnissen – dem Nutzer, dem KI-Entwickler oder potenziell sogar dem Urheber der Daten, auf denen das Modell trainiert wurde? Die japanische Debatte könnte hier richtungsweisend sein und Signalwirkung für andere Länder und Rechtsräume entfalten.

Die Gratwanderung zwischen kreativer Nutzung und rechtlichen Fallstricken bleibt vorerst bestehen und erfordert ein hohes Maß an Bewusstsein und Vorsicht im Umgang mit generativen Werkzeugen, besonders wenn es um die Nachahmung bekannter Stile geht.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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