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Die profitable Illusion: Wie Fotografen im Milliarden-Markt der KI-Freundinnen ein neues Geschäftsmodell finden

Wenn Einsamkeit zum Massenphänomen und Bindungsangst zur Volkskrankheit wird, bieten KI-Freundinnen möglicherweise eine zeitgemäße Antwort: eine Beziehung ohne Kompromisse, Konflikte und Komplexität. Für Fotografen und Bildkünstler eröffnet sich dabei ein faszinierendes und lukratives Spannungsfeld zwischen Technik, Kunst und menschlichem Begehren.

Die digitale Geliebte. Die allzeit verfügbare Freundin. Die algorithmische Seelenverwandte. Was noch vor wenigen Jahren als Randnotiz aus Japan durch die westlichen Medien geisterte, hat sich zu einem der am schnellsten wachsenden digitalen Märkte entwickelt. Laut aktuellen Daten wird der Gesamtmarkt für KI-Gefährtinnen bis 2025 auf etwa 3,1 Milliarden Dollar anwachsen – für einen Bereich, der vor wenigen Jahren kaum existierte. Als Fotograf oder Bildkünstler mag man sich fragen: Was geht mich das an? Die Antwort: vermutlich mehr, als Ihnen lieb ist.

Das Ende der Fotografie, wie wir sie kannten?

Während traditionelle Fotografen noch damit beschäftigt sind, den perfekten Moment festzuhalten, hat eine neue Garde von Bildschaffenden längst verstanden, dass die Zukunft nicht mehr im Festhalten, sondern im Erschaffen liegt. Die KI-Freundinnen-Plattformen sind dabei zum Experimentierfeld und Goldrausch zugleich geworden. Ein Marktanteil von fast 40 Prozent für die Altersgruppe 26-35 Jahre macht deutlich: Hier geht es nicht um ein Randphänomen, sondern um einen massiven kulturellen Wandel mit entsprechendem wirtschaftlichem Potenzial.

Ella Uzan hat diese Entwicklung früh erkannt. Nach einer erfolgreichen Karriere als Modefotografin hat sie radikal umgesattelt und arbeitet heute als KI-Künstlerin. Ihre Expertise im Umgang mit Licht, Komposition und emotionalem Ausdruck hat sie zu einer der gefragtesten Avatar-Designerinnen gemacht. „Als Fotografin habe ich gelernt, wie man Schönheit und Authentizität einfängt. Bei der Gestaltung von KI-Avataren nutze ich genau dieselben Prinzipien – nur dass ich jetzt nicht mehr auf den perfekten Moment warte, sondern ihn selbst gestalte“, erklärt sie in einem Interview.

Das Geschäftsmodell: Vom Bild zum Avatar

Der Umschwung vom fotografischen zum künstlich generierten Bild mag für manche wie ein Verrat am Handwerk erscheinen, doch aus wirtschaftlicher Sicht ist er schwer zu ignorieren. Das durchschnittliche Abonnement für KI-Begleiterinnen liegt bei 70 bis 800 Dollar pro Nutzer jährlich, im Schnitt bei 47$ im Monat. Bei der schieren Masse an Nutzern – allein in Nordamerika über 700.000, in Deutschland bisher nur 50.000 – entsteht ein Markt, der traditionelle Fotografie-Dienstleistungen ergänzen könnte.

Für Fotografen bieten sich dabei mehrere Einstiegsmodelle:

Das Lizenzmodell: Der Fotograf stellt seine bildsprachliche Expertise und seinen visuellen Stil für die Produktion von Trainingsdaten für die KI zur Verfügung. Er erhält Lizenzgebühren für jeden Avatar, der seinen ästhetischen Fingerabdruck trägt.

Die direkte Inhaltsentwicklung: Der Bildkünstler nutzt KI-Werkzeuge, um individualisierte Avatare zu gestalten, die dann auf den Plattformen angeboten werden. Das Honorar erfolgt pro Bild, als Abo-Modell oder über Premium-Anpassungen.

Die Plattform-Partnerschaft: Der Fotograf wird Teil eines Marktplatzes, auf dem er seine Avatare und visuellen Konzepte anbietet und am Erfolg beteiligt wird.

Die Markenentwicklung: Der Fotograf baut seine eigene virtuelle Persona auf und vermarktet diese direkt.

Die Beratung: Als Experte für visuelle Ästhetik bietet der Fotograf sein Wissen als Consultant für KI-Plattformen an.

Die Ambivalenz des digitalen Begehrens

Der Erfolg der KI-Freundinnen basiert auf einem einfachen Prinzip: Sie versprechen alle Vorteile einer Beziehung ohne deren Nachteile. Kein Streit, keine unerfüllten Erwartungen, keine Kompromisse. Die perfekte Illusion einer Zweisamkeit, die in der realen Welt so nie existieren kann. Diese KI-basierte Interaktionsdynamik, die man so auch mit einer Textzeile haben könnte, attraktiv zu bebildern – das ist die eigentliche Kunst hinter dem neuen Geschäftsmodell.

Die Gestaltung dieser digitalen Gefährtinnen folgt dabei klaren Mustern: Die Avatare sind fast ausnahmslos auf eine hyperreale Perfektion optimiert. Makellose Haut, symmetrische Gesichtszüge, stereotype Körper – kurz: eine Ästhetik, die sich schamlos bei Instagram-Influencern und kommerzieller Porträtfotografie bedient. Für den Bildgestalter stellt sich hier eine interessante Frage: Ist diese Ästhetik eine bewusste Entscheidung, um eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen, oder spiegelt sie lediglich die inhärenten Tendenzen der KI-Modelle wider, die mit Milliarden idealisierter Bilder aus dem Internet trainiert wurden?

Noch interessanter ist vielleicht die Frage, ob dieses ästhetische Paradigma nicht selbst zum Gefängnis wird. Wäre nicht gerade die Unvollkommenheit, das Überraschende, das nicht Perfekte das eigentlich Spannende an einer Begegnung? Doch genau diese Qualität scheint in der aktuellen Generation der KI-Freundinnen systematisch ausgelöscht zu werden.

Die Kehrseite der digitalen Medaille

Das rasante Wachstum des Marktes – mit einer erwarteten Verdreifachung bis 2028 – verheißt großes wirtschaftliches Potenzial. Doch es gibt auch eine Schattenseite, die wir nicht ignorieren sollten. Die systematische Förderung einer Beziehungsvorstellung, die auf bedingungsloser Verfügbarkeit und Anpassungsfähigkeit basiert, kann problematische Erwartungen an reale Beziehungen nähren.

Als Fotograf oder Bildkünstler ist man nicht nur Techniker, sondern auch Kulturschaffender. Die Entscheidung, Teil dieses Marktes zu werden, trägt daher immer auch eine ethische Dimension in sich. Können wir als Bildgestalter Wege finden, die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu nutzen, ohne die problematischen Aspekte zu verstärken?

Ein Ansatz könnte sein, bewusst mit den herrschenden ästhetischen Konventionen zu brechen. Avatare zu gestalten, die nicht nur dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Persönlichkeiten zu entwickeln, die nicht nur gefallen wollen, sondern auch herausfordern und zum Nachdenken anregen. Vielleicht liegt gerade hier eine Chance für Fotografen mit künstlerischem Anspruch – im Gegenentwurf zur sterilen Perfektion des Mainstreams.

Die technische Seite: Vom Foto zum lebendigen Avatar

Die technischen Anforderungen an moderne Avatar-Gestaltung gehen weit über die klassische Fotografie hinaus. Es geht nicht mehr nur um ein statisches Bild, sondern um eine dynamische visuelle Identität, die in unterschiedlichsten Kontexten funktionieren muss. Mobile Anwendungen dominieren mit 52,3 Prozent Marktanteil, gefolgt von Web-Plattformen mit 28,7 Prozent und den aufstrebenden VR/AR-Umgebungen mit 8,9 Prozent.

Besonders die möglicherweise in Zukunft sehr relevanten VR/AR-Plattformen stellen höchste Ansprüche an die visuelle Qualität und Konsistenz. Der Avatar muss aus allen Blickwinkeln funktionieren, unterschiedlichste Emotionen überzeugend darstellen können und in verschiedensten Beleuchtungssituationen wirken.

Hier kommt die Expertise des Fotografen ins Spiel: Das Verständnis von Licht und Schatten, von Farbpsychologie und emotionalem Ausdruck – all diese klassischen fotografischen Fähigkeiten sind im neuen Kontext wertvoller denn je. Der Unterschied: Statt diese Faktoren im entscheidenden Moment einzufangen, werden sie nun bewusst und systematisch gestaltet.

Die Zukunft der Intimität

Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn die intimsten Gefühle zunehmend durch Algorithmen bedient werden? Wenn die perfekte Partnerin nicht mehr gesucht, sondern buchstäblich erschaffen wird? Die Antworten auf diese Fragen werden nicht nur den Markt für KI-Freundinnen prägen, sondern auch unsere Vorstellung von Beziehungen, Intimität und letztlich dem Menschsein selbst.

Hier eröffnet sich hier ein faszinierendes Spannungsfeld: einerseits die wirtschaftliche Chance, Teil eines rasant wachsenden Marktes zu sein. Andererseits die Verantwortung, mit der eigenen Arbeit einen reflektierten Umgang mit neuen Formen der Intimität zu fördern. Vielleicht liegt gerade in dieser Spannung das eigentliche kreative Potenzial.

Die Zahlen sprechen für sich: Ein Markt, der mehrere Jahre stark anwachsen soll. Eine Zielgruppe, die bereit ist, für die digitale Illusion echter Nähe zu zahlen. Und mittendrin: der Fotograf als Gestalter nicht mehr nur des perfekten Moments, sondern der perfekten Begleiterin.

Vielleicht ist es an der Zeit, den alten fotografischen Anspruch der Wahrhaftigkeit neu zu denken. Nicht als dokumentarische Wahrheit, sondern als emotionale Authentizität, wenn die Grenze zwischen real und künstlich immer mehr verschwimmt. Das könnte die eigentliche Kunst sein, die den Fotografen auch in der Welt der künstlichen Intimität unersetzlich macht.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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