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Sind Kameras rassistisch?

Die Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly vertritt die These, die Kameratechnik sei rassistisch, da die Belichtungsmessung dunkelhäutige Menschen benachteilige. Lässt sich dieser Vorwurf erhärten? Sind Kameras rassistisch?

Zunächst einmal scheint klar, dass die Fotografie bewusst oder unbewusst rassistische Stereotype und Vorurteile bedienen kann, aber das wäre dem Fotografen zuzuschreiben, nicht der vermeintlich neutralen Technik. Kellys These geht aber weiter; sie meint, dass schon die „Belichtungstechnologie … für weiße Haut entwickelt“ wurde, wie sie vor wenigen Monaten in einem Interview dem Tagesspiegel sagte. Diese verblüffende Behauptung wurde dann unter anderem bei Telepolis und der Achse des Guten kontrovers diskutiert.

Auf die Belichtungsmessung bezogen kann man den Rassismusvorwurf zurückweisen. Die klassische Methode der automatischen Belichtung beruht darauf, eine Fläche mittlerer Helligkeit (etwa eine Kodak-Graukarte) anzumessen; die Belichtungsautomatik sorgt dann dafür, dass dieses Motiv im Bild mit derselben mittleren Helligkeit wiedergegeben wird. Alternativ misst die Kamera die Helligkeit im gesamten Bild (wobei meist die Bildmitte höher gewichtet wird) – man geht davon aus, dass die durchschnittliche Helligkeit ebenfalls einer mittleren Helligkeit entspricht. Sowohl bei einer Spot- wie einer Integralmessung besteht die Grundidee darin, dass es genügte, einen mittleren Tonwert richtig wiederzugeben; die Lichter und Schatten würden dann ebenfalls optimal belichtet. Das gilt allerdings nur, so lange der Szenenkontrast nicht den Dynamikumfang der Aufnahme überschreitet, denn andernfalls fressen die Lichter aus und/oder saufen die Schatten ab. Der Dynamikumfang eines Negativfilms ist gerade zu den Schatten hin begrenzt – aus der dann blanken Emulsion lässt sich keine Zeichnung mehr herausholen, und so konnte es tatsächlich passieren, dass sehr dunkelhäutige Personen in einer Gruppenaufnahme als schwarze Scherenschnitte erschienen, während die Gesichter hellhäutiger Personen gut durchgezeichnet waren.

In der Digitalfotografie ist es gerade anders herum; Bildsensoren erlauben es, vermeintlich abgesoffene Schatten noch zu retten, während Überbelichtungen nur in sehr begrenztem Maße korrigierbar sind. Zudem ist der Dynamikumfang deutlich gestiegen und auch eine Matrixmessung, die einzelne Bildteile getrennt anmessen und die Belichtung auf den so ermittelten Kontrast anpassen kann, hilft, hellen wie dunklen Motiven Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Sind Kameras rassistisch
Eine Shirley-Card, mit der Kodaks Entwicklungslabore die Farb- und Tonwertwiedergabe testeten. Jahrzehntelang galten ausschließlich hellhäutige Models als Referenz.

Es lässt sich allerdings nicht leugnen, dass die optimale Wiedergabe dunkler Hauttöne lange vernachlässigt wurde – nicht so sehr von den Kameraherstellern, sondern von den Entwicklungslaboren. Kodak stellte seit den 50er Jahren sogenannte „Shirley Cards“ als Referenz bereit, benannt nach einer Kodak-Mitarbeiterin, die als erstes Model auf einer solchen Testkarte abgebildet war. Anhand dieser Karten wurde die Entwicklung der Filme und Fotopapiere abgestimmt. Jahrzehntelang zeigten die Shirley-Cards ausschließlich hellhäutige Amerikanerinnen europäischer Herkunft, also eines Typus, der in den USA als „caucasian“ bezeichnet wird. Hierzulande spricht man schon lange nicht mehr von einer „kaukasischen Rasse“, obwohl es der deutsche Anthropologe Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) war, der den Begriff eingeführt hat. Das Konzept menschlicher Rassen ist in der Wissenschaft längst diskreditiert.

Sind Kameras rassistisch
1995 führte Kodak eine multi-ethnische Shirley-Card ein, die Models asiatischer, europäischer und afrikanischer Herkunft abbildete.

Erst 1995 berücksichtigte Kodak die multi-ethnische Zusammensetzung bereits der Bevölkerung der USA, von der Weltbevölkerung ganz zu schweigen, und legte eine Shirley-Card mit drei Models unterschiedlicher Ethnizität auf. Interessanterweise hat darin auch das hellhäutige Model einen leicht gebräunten Teint – die bevorzugte Hautfarbe ist auch Moden unterworfen und eine „vornehme Blässe“ war nicht länger erstrebenswert.

Auch die Entwicklungstechnologie machte Fortschritte. So baute beispielsweise Fujifilm schon frühzeitig eine Gesichtserkennung in seine Mini-Labs ein, noch bevor diese Technologie in Digitalkameras einzog. Eine automatische Optimierung der Abzüge erlaubte daher eine gute, das heißt den Kundenwünschen entsprechende Wiedergabe der Hauttöne. Die Marktforschung hatte ergeben, dass sich Europäer und US-Amerikaner lieber leicht gebräunt statt allzu bleich abgebildet sahen; Afrikaner zogen dagegen eine etwas hellere Haut vor, während Asiaten einen rosa Teint liebten. Mit anderen Worten: Alle wünschten sich einen anderen Hautton als den, den sie tatsächlich hatten, aber inzwischen war die Technologie in der Lage, solchen Kundenwünschen zu entsprechen.

Auch darin sehen manche Rassismus, aber die Industrie folgt lediglich Kundenwünschen; sie schreibt den Kunden nicht vor, was sie sich entsprechend irgendeines Ideals wünschen sollten. Da man sowohl mit einer Gleichbehandlung wie mit einer angepassten Behandlung aller Hauttöne nicht vor einem Rassismusvorwurf gefeit ist, hat die Technik kaum eine Chance, eine politisch korrekte Linie zu verfolgen.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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7 Kommentare

  1. Es ist schon ein wenig schräg, wenn Künstler ganze Stadtteile vereinnahmen wollen. Ebenso schräg ist allerdings auch, von Fotografierverbot zu faseln. Denn ein solches kann sich nur dann ergeben, wenn das Werk als solches unverfälscht im Ganzen kommerziell ausgeschlachtet werden sollte.

    Es handelt sich wohl mehr um einen auf vorauseilende Obrigkeitshörigkeit beruhenden Versuch von Sensationsmache. Denn mit einigermaßen gesunden Menschenverstand kann das Ganze einfach ignoriert werden, solange es nicht das Hauptmotiv des eigenen Bildes ausmacht und es sich folglich lediglich um unwesentlichen Beiwerk handelt. Werden nur Teile des anderen Werkes in das eigene Werk einbezogen und zudem zum Beispiel durch Schärfe und Perspektive verändert, ist das im Sinne eines Zitates zulässig. Das wissen allerdings Fotografen, die im Beruf stehen – und die es nicht wissen, stehen nicht im Beruf und dürfen insofern gern abgefettet werden.

    Sicher, den Begriff des „gesunden Menschenverstandes“ kann es nur deshalb geben, weil er eben nicht überall vorhanden ist. Was erfahrungsgemäß insbesondere auf das Landes- und Oberlandesgericht Hamburg sowie auf Leute, die sich auf den Schlips getreten fühlen, zutrifft. Gnade ist denen noch lange nicht zuzubilligen. Vielmehr müssen die mit vermeintlichen Rechtsverletzungen so zugeschüttet werden, dass sie unter der Last ihres Dilettantismus von selbst zusammenbrechen. Gibt es Berufsverbände und Interessengruppen nicht auch dazu, um perverse Dinge zu thematisieren und in das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen?

  2. Guter, sehr differenzierter und unaufgeregter Beitrag! Man hätte der Kommunikationswissenschaftlerin Ihre – politisch überkorrekte und eher schon opportunistische, dazu weitgehend unbegründete – These ja auch etwas heftiger um die Ohren hauen können. Danke!

  3. Oha, da fällt mir ein…das Gehäuse meiner Kamera ist…SCHWARZ!
    Ist das nicht auch rassistisch?? Werde wohl mal bei Leica nachfragen, ob eine halbseitige Umlackierung in WEISS möglich ist.
    Oder, vielleicht noch besser, das ganze Gehäuse in der Farbe meiner
    GRAUkarte…sicher ist sicher.

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