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Wie steht es mit der AGI?

Unter Artificial General Intelligence, kurz AGI, versteht man eine künstliche Intelligenz, die der Intelligenz des Menschen gleichkommt. Steht dieser Schritt kurz bevor oder ist er vielleicht schon erreicht?

Schwer zu sagen, schon weil es keine Einigkeit darüber gibt, was unter AGI zu verstehen sei. Bei OpenAI meinte man mal, das Äquivalent zur durchschnittlichen Intelligenz einen Menschen, den man als Mitarbeiter einstellen würde, würde dazu ausreichen. Später erklärte Sam Altman, der CEO von OpenAI, eine KI auf AGI-Level müsse einem Menschen bei den meisten Aufgaben überlegen sein. Gerade für OpenAI ist die AGI-Definition ein wichtiges Kriterium, denn Microsoft, die viel Geld in das Start-up investiert haben, verlören vertragsgemäß den Zugriff auf OpenAI-Produkte, sobald diese ein AGI-Niveau erreicht hätten. Mit dieser Klausel soll der Anspruch von OpenAI gewahrt bleiben, zum Wohle der Menschheit statt für den Gewinn zu arbeiten. Neuerdings hat man sich darauf geeinigt, dass AGI erst erreicht wäre, wenn OpenAI einen Gewinn von 100 Milliarden Dollar erzielt hätte – was wohl in weiter Ferne liegt, denn bislang kann man ihnen mangels Gewinn tatsächlich keine Gewinnerzielungsabsicht unterstellen.

Auch Roboter tun sich schwer bei Intelligenztests. (Illustration: SD XL 1.0)

Deutlich seriöser als der Rückgriff auf den Unternehmensgewinn erscheint immer noch der Intelligenzquotient (IQ), den der Psychologe William Stern (1871– 1938), einer der Gründer der Universität Hamburg, 1912 entwickelt hatte. Der IQ setzt das mit einem Intelligenztest ermittelte Intelligenzalter zum Lebensalter in Beziehung. Auch wenn Spötter einwenden, Intelligenztests mäßen nur die Fähigkeit, in Intelligenztests gut abzuschneiden, sind sie durchaus aussagekräftig, wenn es um die allgemeine Problemlösungskompetenz geht. Prinzipiell kann man auch eine KI so testen – nur das Lebensalter als Referenz müsste wegfallen, denn eine KI kommt bereits fertig ausgebildet auf die Welt und lernt danach nichts mehr hinzu.

Allerdings ist eine allgemeine Problemlösungskompetenz nicht alles, was uns im Alltag befähigt, anstehende Aufgaben zu bewältigen. Für Intelligenztestaufgaben ist es charakteristisch, dass sie sich uns im Alltag – zumindest in dieser Form – kaum stellen und ihre Lösung keine speziellen Fachkenntnisse voraussetzt. In der Praxis sind Kenntnisse und Fertigkeiten aber oft wichtiger als eine unspezifische Fähigkeit, Probleme zu lösen.

Würde beispielsweise jetzt, mitten im Winter, meine Heizung ausfallen, dann würde ich ohne zu zögern jemanden anrufen, der sich damit auskennt. Einen Handwerker, dessen IQ vielleicht gar nicht so weit über 100 liegt (ein IQ von 100 ist definitionsgemäß der Median, das heißt es gibt ebenso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren IQ), der sich aber mit der Funktionsweise von Heizungen auskennt und kompetent mit den Werkzeugen umgehen kann, die zu ihrer Reparatur nötig sind. Das ist ja das, was uns alle in unseren jeweiligen Jobs auszeichnet: Wir kennen uns mit dem aus, was wir tun, und kommen daher ohne langes Herumprobieren zum Ziel. Nicht nur Handwerker, auch Ärzte, Juristen und Vertreter vieler anderer Professionen müssen ein umfangreiches Wissen erwerben und dessen Anwendung üben, bevor wir uns ihnen anvertrauen.

Eine allgemeine Problemlösungskompetenz bleibt gleichwohl nützlich. Sie hilft uns, wenn wir uns einem ungewöhnlichen Phänomen gegenüber sehen, mit dem wir keine Erfahrung haben. Vermutlich erleichtert sie auch den Erwerb von Fachwissen, aber bis ein extrem intelligenter Mensch einem erfahrenen Fachmann mit durchschnittlicher Intelligenz überlegen ist, wird einige Zeit vergehen.

Was bedeutet das nun für die künstliche Intelligenz der Maschinen? Wenn LLMs (Large Language Models) wie ChatGPT oder DeepSeek darauf getestet werden, ob sie AGI-Niveau erreicht hätten, geht es kaum um ihre Intelligenz, wie sie der Intelligenzquotient misst, also eine allgemeine Problemlösungskompetenz. Stattdessen konfrontiert man sie mit einem breiten Spektrum komplexer Aufgaben, für deren Bewältigung sie weniger allgemeine Fähigkeiten benötigen als solide Kenntnisse in einer Vielzahl einzelner Fachgebiete. Zu eben diesen Kenntnissen hat ihnen ihr Training verholfen, in dem sie mit einem breiten Spektrum an Texten umzugehen gelernt hatten. (Übrigens kann man auch typische Intelligenztestaufgaben als Fachgebiet ansehen, auf das sich eine KI trainieren lässt. Wie gesagt: Intelligenztests messen die Fähigkeit, Intelligenztests zu bestehen.)

Wenn es ausdrücklich darum geht, unvertraute Situationen zu analysieren, sich in solchen Situationen zu behaupten und daraus zu lernen, sind LLMs wohl ohnehin der falsche Ansatz. Sie sind ja nur darauf trainiert, Texte Wort für Wort so fortzusetzen, dass sie einem menschlichen Leser sinnvoll erscheinen – aber nicht darauf, zu verstehen, was eigentlich dahinter steht. Sie lernen auch nicht aus Erfahrung und werden weder schlauer, nachdem sie mit einem fehlgeleiteten Ansatz gescheitert sind, noch nachdem sie eine Herausforderung mit großem Aufwand erfolgreich bewältigt haben und beim nächsten, ähnlich gelegenen Problem die Lösung eigentlich schneller finden könnten.

Wohlgemerkt: LLMs sind uns schon seit geraumer Zeit darin überlegen, Fragen aus den verschiedensten Themenbereichen auf einem passabel hohen Niveau zu beantworten. Auf unseren Spezialgebieten würden wir das Duell mit einem LLM zwar gewinnen, aber in der Breite seiner Kenntnisse ist es unschlagbar. Wenn es in der Quantenphysik nicht mithalten kann, punktet es eben in Geschichte oder mit seinem Wissen über die Popkultur. Mit menschlicher Intelligenz hat das dennoch nichts zu tun, und mit einer maschinellen Superintelligenz ist auch nicht so bald zu rechnen. Was manche bedauern mögen, weil sie sich von dieser die Lösung all unserer Probleme erhoffen, während sie andere fürchten, da die Menschheit von superintelligenten Maschinen ausgelöscht werden könnte. Beides ist jedoch nicht sehr realistisch, zumal wir längst selbst so etwas wie eine Superintelligenz erreicht haben.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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