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Das gefälschte Russland: Carl De Keyzers KI-Vision von Putins Traumreich

Was geschieht, wenn ein renommierter Dokumentarfotograf, der für seine unantastbare Abbildung der Wirklichkeit bekannt ist, plötzlich beginnt, Bilder zu erfinden? Der Magnum-Fotograf Carl De Keyzer liefert mit seinem Projekt „Putin’s Dream“ eine ebenso brillante wie verstörende Antwort. Als ihm eine geplante Reise nach Russland durch die politischen Umstände verwehrt wurde, verharrte er nicht in Resignation, sondern griff zur künstlichen Intelligenz – und schuf ein Russland, das realer wirkt als die Wirklichkeit und gerade dadurch die Propaganda entlarvt.

Vom Dokumentaristen zum Bildregisseur

Carl De Keyzer, seit 1994 Vollmitglied der legendären Agentur Magnum Photos, hat sich über Jahrzehnte einen Namen als Meister der inszeniert wirkenden Realität gemacht. Seine mit Groß- und Mittelformatkameras und einem charakteristischen Blitzeinsatz aufgenommenen Bilder aus der Sowjetunion, den USA oder Sibirien erinnern an die Kompositionen alter Meister. Sie sind stets Dokumente, unmanipuliert und echt. Bis jetzt. Für „Putin’s Dream“ brach De Keyzer radikal mit seinem eigenen Dogma. Er fütterte den Bildgenerator Midjourney nicht mit beliebigen Befehlen, sondern mit Bildern aus seinem visuellen Archiv. Die KI lernte seine Bildsprache, seine Lichtsetzung, seine Farbwelt. Das Ergebnis (von Anfang 2024) ist eine verblüffende Symbiose: Bilder, die unverkennbar die Handschrift De Keyzers tragen, aber Szenen zeigen, die nie stattgefunden haben.

Ein Diktator-Traum in Hyperrealität

Die generierten Bilder zeigen ein Russland, wie es im Kopf eines Autokraten existieren mag. Ein Reich der Perfektion, bevölkert von makellosen Menschen in makellosen Umgebungen. Wir sehen Oligarchen auf Yachten, Soldaten in perfekter Formation und Kinder auf blitzsauberen Moskauer Straßen. Es ist die visuelle Umsetzung einer staatlich verordneten Erzählung, die das Land als Hort konservativer Werte gegen einen dekadenten Westen positioniert. Diese Ästhetik der Stärke und des Wohlstands dient als Fassade für ein System, das sich durch Gewalt und Verbrechen an der Macht hält und im Inneren mit Schwächen kämpft. De Keyzers fiktive Bilder spiegeln damit exakt die Methode der staatlichen Propaganda wider, die in stundenlangen Fernsehauftritten eine alternative Realität konstruiert und jede Abweichung unterdrückt.

Die Wahrheit der Fiktion

Die Veröffentlichung des Projekts löste erwartungsgemäß eine heftige Debatte aus. Der Vorwurf, ein Dokumentarist würde „falsche“ Bilder produzieren und damit das Vertrauen in die Fotografie untergraben, stand im Raum. Doch diese Kritik greift zu kurz. De Keyzer geht transparent mit seiner Methode um und nutzt die Fiktion, um eine tiefere Wahrheit aufzudecken. Sein Vorgehen ist ein konzeptioneller Kommentar zur Propaganda selbst. Indem er die Mechanismen der Bilderzeugung offenlegt, entlarvt er die Mechanismen der politischen Manipulation.

Das Projekt wirft dabei fundamentale Fragen für alle Bildschaffenden auf: Es verschiebt die Rolle des Fotografen vom Zeugen zum Regisseur, vom Finder zum Erfinder. Die entscheidende Fähigkeit ist nicht mehr nur das Erfassen des Moments, sondern die Entwicklung eines visuellen Konzepts und die Beherrschung der Werkzeuge, die es umsetzen. De Keyzers Arbeit ist damit weniger ein Angriff auf die Dokumentarfotografie als vielmehr eine Erweiterung ihrer Möglichkeiten. Er zeigt, dass ein bewusst konstruiertes Bild, das seine Künstlichkeit nicht verbirgt, mehr über die Wirklichkeit aussagen kann als manches vermeintlich authentische Foto. Wenn die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge politisch instrumentalisiert werden, ist „Putin’s Dream“ ein notwendiger und mutiger Beitrag zur visuellen Medienkompetenz. Es ist die Lüge, die uns die Wahrheit über die Lügen der Macht zeigt. Schade nur, dass die günstige Version des Buchs zum Projekt vergriffen ist. Es gibt nur noch wenige Exemplare der „Limited Edition“.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

8 Kommentare

        1. Russland ist nicht böse; das Putin-Regime, das dieses Land seit einem Vierteljahrhundert beherrscht, ist es schon, denn es bedroht Leben und Freiheit seiner eigenen Bürger und seiner Nachbarn.

        2. Der Wortlaut des Interviews auf den verschwörungstheoretischen „Nachdenkseiten“ macht hinreichend klar, dass der Fotograf als Propagandist beschönigter russischer Verhältnisse aktiv ist. Der Interviewer Ulrich Heyden wiederum war früher für den Propagandasender Russia Today (RT) tätig und ist dafür bekannt, dass er die russische Aggression gegen die Ukraine verteidigt. Aber wohlgemerkt: Für die angebliche „Russophobie“ gibt es keinen Anlass, denn schließlich gibt es auch sehr sympathische Russen: https://blog.wladimirkaminer.de/post/792220822496542720/russendisko-news-schriftsteller-extremisten.

          1. Andreas Franke weiß noch nicht einmal, ob er das Buch über russische Architektur überhaupt auf den Markt bringt – aber Sie wissen schon, dass es Propaganda ist. Respekt!
            Was Ihre anderen „russophoben Anmerkungen“ betrifft, so kann ich nur kopfschüttelnd und mit Unverständnis reagieren.
            Und auch von mir ein Tipp: https://www.youtube.com/watch?v=wzIYpqVKzmQ

  1. Schade, dass Sie, Herr Kühne fern jeglichem Bemühens um kritische Würdigung der KI generierten Bilder, aufzeigen, dass Sie selbst Opfer der staatlichen Propaganda in Deutschland geworden sind.

    Möglicherweise wissen Sie, dass KI diese Bilder kreierte, möglichst im Sinne der Vorgaben, die Carl De Keyzer in den Prompts schrieb? Wenn nicht, schlimm, dass Sie ihre Reichweite nutzen,um den Mainstream in Deutschland kritiklos zu stützen.

    Ich bezweifle, dass Sie im Gegensatz zu mir jemals in der Sowjetunion oder dem heutigen Russland waren!

    Eine kritische Auseinandersetzung mit den Bilder könnte z.B. so aussehen:

    Was wäre, wenn Fotografie nicht länger Zeugin, sondern Schöpferin wäre? Das Projekt „Putin’s Dream“ gibt eine irritierende Antwort: Mit künstlicher Intelligenz erschaffene Bilder, die wie Dokumente aussehen – und doch reine Fiktion sind.

    Der Autokrat als Ikone

    Die Szenen wirken vertraut und fremd zugleich: Ein Präsident, der sich als Erlöser inszeniert. Soldaten in heroischen Momenten. Strandszenen, die den „Russian Dream“ als grellbunte Freizeitidylle verkaufen. Alles scheint real – und ist doch nur KI.

    Das Ergebnis ist ein Russland, wie es im Kopf eines Propagandisten, der Russland nicht kennt oder kennen will, entstehen könnte: makellos, überhöht, von Glanz und Stärke durchdrungen. Eine Welt, die den Riss zwischen Illusion und Wirklichkeit nicht verdeckt, sondern ausstellt.

    Die Ästhetik erinnert an Kriegsplakate, Wahlkampfshows und TV-Bilder: überzeichnet, heroisch, perfekt ausgeleuchtet. Genau darin liegt der Schlag ins Gesicht. Denn reale Politik arbeitet besonders in Teilen Europas längst mit ähnlichen Bildern. Die KI-Bilder sind kein Fremdkörper, sondern bloß die Steigerung eines schon bekannten Systems der Überhöhung.

    Kritiker werfen solchen Projekten vor, das sie Vertrauen in die Fotografie zu zerstören. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Putin’s Dream“ legt offen, wie leicht sich Wirklichkeiten konstruieren lassen – und entlarvt damit die Strategien der Propaganda.

    Die Serie stellt eine unbequeme Frage: Wenn selbst KI-Bilder glaubwürdiger wirken als echte Nachrichtenfotos – wie unterscheiden wir dann noch zwischen Realität und Inszenierung?

    „Putin’s Dream“ ist kein Verrat am Dokumentarischen, sondern seine Erweiterung. Der Fotograf wird nicht mehr nur Zeuge, sondern Regisseur. Nicht das spontane Erfassen des Moments entscheidet, sondern die bewusste Konstruktion.

    Das Projekt zeigt: Auch eine erfundene Lüge kann mehr über die Wahrheit aussagen als ein scheinbar neutrales Foto. Es zwingt uns, Bilder neu zu lesen – und unsere eigene Medienkompetenz zu schärfen. Denn im Ende gilt: Nicht die KI ist die Gefahr. Die Gefahr ist, ihre Mechanismen nicht zu erkennen.

    Meine Conclusion: Die Bilder zeigen nicht die Wirklichkeit, sondern die Wunschwelt der Macht, gleich wo sie ausgeübt wird – makellos, heroisch, unwahr. Gerade darin entlarven sie die Mechanik der Propaganda.

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