Volles Rohr – Super-Telezooms
Super-Telezooms wie das Sigma 150–600 mm F5–6,3 DG OS HSM sind die Art von Objektiven, die man bei Sport-Events am Spielfeldrand sieht, und die aus den Tarnzelten von Wildlife-Fotografen ragen. Bei solchen „langen Tüten“ richtet sich das Augenmerk des Fotografen nicht nur auf deren optische Qualität; auch ein trotz des hohen Gewichts bequemes Handling und ein wirksamer Schutz gegen widrige Umweltbedingungen sind wichtig. Michael J. Hußmann hat das neue Objektiv aus Sigmas Sports-Produktlinie auf die Probe gestellt.
Super-Telezooms – Der Wunsch, Fernes nahe heran zu holen
Der Sinn eines Super-Telezooms oder auch extrem langer Festbrennweiten ist oft nicht so sehr eine spezielle Bildgestaltung; im Vordergrund steht der Wunsch, Fernes nahe heran zu holen. Das Sigma Sports 150–600 mm ist für den Bildkreis des Kleinbilds gerechnet; an einer Vollformatkamera vergrößert es zwischen 3- und 12-fach. Für APS-C-Modelle von Canon, Nikon und Sigma eignet sich das Super-Telezoom aber ebenso. Mit einem optionalen Telekonverter lässt sich die maximale Brennweite noch auf 840 oder 1200 mm verlängern, was mit einem Lichtverlust um eine beziehungsweise zwei Blendenstufen erkauft wird. Die Naheinstellgrenze ist erst bei 260 cm und einem Abbildungsmaßstab von 1:5 erreicht, so dass Sie bei einem Fußballspiel Details am Spielfeldrand ebenso wie Ereignisse mitten auf dem Platz erfassen können.
Eine Vergrößerung ist nur etwas wert, wenn die Schärfe nicht darunter leidet, setzt also eine hohe Korrektur der Abbildungsfehler voraus. Unter den 24 Elementen des Objektivs sind fünf FLD- und SLD-Linsen mit besonders geringer Dispersion, die für eine Reduzierung des sogenannten sekundären Spektrums sorgen. Das sind die Farbfehler, die nach einer achromatischen Korrektur der chromatischen Aberration für zwei Wellenlängen bleiben. Zur Qualitätskontrolle während der Fertigung hat Sigma ein eigenes Messinstrument auf Basis des Foveon-Dreifarbsensors entwickelt, der mit jedem Pixel alle drei Grundfarben registriert und daher den Mikrokontrast bei sehr feinen Strukturen ermitteln kann.
Super-Telezooms – Bildstabilisierung
Auch eine Verwacklung würde die Bildschärfe beeinträchtigen, und es ist nicht so einfach, ein 2860 g schweres Objektiv über längere Zeit ruhig zu halten. Die Verwendung eines Ein- oder Dreibeinstativs ist bei einem Super-Telezoom der Regelfall, aber mit dem integrierten Bildstabilisator gelangen mir auch in der Dämmerung noch unverwackelte Aufnahmen aus der Hand, ohne weit mit dem ISO-Wert heraufgehen zu müssen. Je nach gewähltem Modus erlaubt der Stabilisator das Mitziehen der Kamera, seit dem Firmware-Update auf Version 1.02 in jeder Richtung: Beschleunigungssensoren erkennen die gewollte Bewegung, die dann unkorrigiert bleibt.
Super-Telezooms – Den Elementen trotzen
Weder Sport- noch Wildlife-Fotografen können auf schönes Wetter warten, was allein schon Anforderungen an die Witterungsbeständigkeit der Ausrüstung stellt – umso mehr, wenn im Einsatz Wasser und Dreck spritzen. Beim Sports 150–600 mm sind die Bedienelemente mit Dichtungen gegen das Eindringen von Fremdkörpern geschützt. Während alle Linsen eine Vergütung zur Unterdrückung von kontrastminderndem Streulicht haben, ist die Front- wie die Hinterlinse zusätzlich mit einer wasser- und fettabweisenden Beschichtung versehen – Öl perlt ab und Wasser lässt sich einfach abwischen. „Schutzfilter“ sind damit überflüssig. Auch wegen des Filterdurchmessers von 105 mm sollten Sie sich auf Filter beschränken, die wie ein Polfilter einen optischen Nutzen bringen.
Super-Telezooms – Mitgedacht
Im praktischen Einsatz zeigen sich etliche pfiffige Details, die das Handling des Objektivs vereinfachen. Die drehbare Stativschelle rastet in 90-Grad-Schritten ein, was den schnellen Wechsel zwischen Hoch- und Querformat einfach und präzise macht. Die als Zubehör erhältliche Schelle TS-81 schnappt in Stativköpfe des Arca-Swiss-Systems ein und kann als Handgriff dienen.
Auch bei automatischer Fokussierung können Sie bei aktivierter Override-Funktion noch manuell eingreifen, je nach Modus sogar bei einer kontinuierlichen Fokussierung. Die Ansprechempfindlichkeit, ab der sich der AF Ihren Wünschen beugt, ist einstellbar.
Den bei großen Objektiven üblichen „Zoom-Creep“, also die selbsttätige Brennweitenverstellung durch die am Objektivtubus zerrende Schwerkraft, stoppen Sie mit einem Zoom-Lock-Schieber. Aber auch dieser hat eine Override-Funktion: Sie brauchen den Zoomring nur entschlossen zu drehen, um die Arretierung wieder auszuschalten, verpassen also keine Gelegenheit, nur weil das Zoom blockiert ist. Eine Ausnahme macht das als Transportsicherung gedachte Zoom-Lock bei 150 mm. Und obwohl das Sports 150–600 mm zur Klasse der Drehzooms gehört, dürfen Sie den Tubus für schnelle Brennweitenveränderungen oder radiale Wischeffekte auch schieben.
Super-Telezooms – Angedockt
Im Objektivbau geht es längst nicht mehr nur um Optik und Feinmechanik; die Elektrik und Elektronik spielen eine immer wichtigere Rolle. Der ringförmige Ultraschallmotor für den Autofokus sowie der Bildstabilisator brauchen einen Prozessor, der sie steuert. Dessen Betriebssoftware ist in einem Flash-Speicher abgelegt und kann durch Firmware-Updates aktualisiert und verbessert werden.
Das Verhalten des Objektivs können Sie in weiten Grenzen beeinflussen. Schon mit den Schiebeschaltern am Objektiv selbst ergeben sich 27 unterschiedliche Einstellungen, und dazu kommen noch einmal zwei benutzerdefinierte Modi. Bevor Sie diese aber abrufen können, wollen sie erst definiert sein, wozu das optionale USB-Dock nötig ist. Damit verbinden Sie das Objektiv mit dem Computer und starten dann die Anwendung Sigma Optimization Pro, um die Einstellungen zu konfigurieren. Über diese Verbindung lässt sich die Firmware des Objektivs aktualisieren und der Autofokus für vier verschiedene Brennweiten fein justieren – DSLRs unterstützen solche Korrekturen ebenfalls, speichern aber nur einen Korrekturwert für alle Brennweiten eines Zooms und sind damit also weniger genau.
Auch die Ansprechempfindlichkeit des „Jederzeit-MF“, also der Override-Funktion für den Autofokus, ist in der Anwendung wählbar. Wie alle diese Einstellungen wird die Änderung erst wirksam, nachdem Sie sie auf das Objektiv übertragen haben und sie in dessen Flash-Speicher abgelegt ist. Die benutzerdefinierten Modi C1 und C2, die am Objektiv mit dem Custom-Schieber abrufbar sind, lassen sich mit speziellen Konfigurationen des Autofokus und des Bildstabilisators belegen.
Die Geschwindigkeit der Fokussierung ist ebenso einstellbar wie der Entfernungsbereich – wenn sich Ihre Objektive stets in relativ weiter Entfernung befinden, können Sie den Autofokus anweisen, die langen Verstellwege im Nahbereich gar nicht erst zu durchfahren. Auch die Charakteristik des Bildstabilisators – unter anderem das Ausmaß der Stabilisierung des Sucherbilds – lässt sich beeinflussen.
Super-Telezooms – Sports oder Contemporary?
Das Sigma Sports 150–600 mm F5–6,3 DG OS HSM ist in Versionen für Canon-, Nikon- und Sigma-Kameras erhältlich und kostet rund 2100 Euro. Bei einem Systemwechsel können Sie es auf den neuen Anschluss umrüsten lassen – vorausgesetzt natürlich, dass es in einer Variante für diesen Anschluss angeboten wird.
Als Alternative innerhalb des eigenen Sortiments offeriert Sigma das einfacher aufgebaute Contemporary 150–600 mm F5–6,3 DG OS HSM mit ähnlichen Kenndaten, das optisch fast ebenbürtige Leistungen bringt, aber beispielsweise keinen vollständigen Witterungsschutz aufweist. Es kostet dafür rund 700 Euro weniger und ist etwa ein Kilo leichter.
Ein solches Rohr eignet sich nicht so wirklich für echte Sportfotografie. Alleine die Anfangsöffnung der Blende ist da schon viel zu gering. Objekte (z.B. Fusballer) vor dem Stadionhintergrund freistellen – ein wensentliches Element bei der Sportfotografie – geht damit nur bedingt. Abgesehen davon, dass man dafür auch noch extrem kurze Verschlußzeiten benötigt. Und eine Kompensation durch Erhöhung des ISO-Wertes geht auch gleich mit einem erhöhten Bildrauschen einher.