Sind wir schuld? Wie wir Meta & Co. zu unseren digitalen Hausgöttern machten

Es ist ein stilles, tägliches Bekenntnis, das Milliarden Menschen ablegen. Kein lautes Gelöbnis, sondern ein leises Tippen, Wischen und Klicken. Wir öffnen WhatsApp, um dem Kollegen zu schreiben, scrollen durch den Facebook-Feed, um zu sehen, was aus der alten Schulfreundin wurde, und teilen auf Instagram eine Story vom letzten Urlaub. Wir tun es meist, ohne darüber nachzudenken. Und genau damit haben wir einen Pakt besiegelt, dessen Tragweite einige von uns langsam begreifen. Eine aktuelle Studie der Hochschule Macromedia in Kooperation mit YouGov zeichnet nun ein gestochen scharfes Bild dieser Abhängigkeit: Fast neun von zehn Deutschen nutzen mindestens einen Dienst aus dem Meta-Imperium. Doch die schiere Nutzerzahl ist nur die halbe Wahrheit. Die eigentliche Währung, der wahre Schatz, liegt in unserer Aktivität – und die überlassen wir Meta mit einer Großzügigkeit, die an Selbstaufgabe grenzt.
Der Pakt mit der Bequemlichkeit
Fragt man, warum das so ist, lautet die entwaffnend ehrliche Antwort meist: Weil es einfach ist. Weil alle dort sind. Diese unsichtbare Macht des Netzwerkeffekts ist das Fundament von Metas Dominanz. Die Studie belegt dies mit eindrücklichen Zahlen: 57 Prozent der deutschen Nutzer verbringen mehr Zeit auf den Plattformen von Meta als auf allen anderen sozialen Netzwerken zusammen. Noch erdrückender wird das Bild, wenn man nicht nur die verbrachte Zeit, sondern die tatsächliche Interaktion betrachtet. Bei sage und schreibe 68 Prozent der Nutzer findet der Großteil ihrer digitalen Aktivität – also das Posten von Beiträgen und die Reaktionen darauf – auf Facebook, Instagram oder WhatsApp statt.
Die Konkurrenz, von TikTok über X bis hin zu LinkedIn, muss sich die Krümel teilen, die vom reich gedeckten Tisch des Zuckerberg-Konzerns fallen. Wir haben uns aus reiner Bequemlichkeit in ein digitales Ökosystem begeben, das uns mit seiner scheinbaren Schwerelosigkeit gefangen hält. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes, der uns direkt in die Arme eines der mächtigsten Konzerne der Welt geführt hat. Wir sind hier keine Geiseln, wir sind komfortsuchende Komplizen.
Die Daten-Goldgräber und ihre willigen Helfer
Diese unermüdliche Aktivität ist weit mehr als nur soziales Geplänkel. Sie ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Jeder Like, jeder Kommentar, jedes geteilte Bild und jede Nachricht ist ein wertvoller Datensatz, der Metas Algorithmen füttert und seine KI-Modelle trainiert. Die Studie formuliert es treffend: Wir sind eine „Daten-Goldmine“. Während wir unseren Alltag digital abbilden, schürft Meta nach dem Gold, das seine Werbemaschinerie antreibt und seine künstliche Intelligenz immer schlauer macht.
Besonders WhatsApp, der scheinbar harmlose Messenger, entpuppt sich dabei als das Herzstück der Aktivität. Über alle Generationen hinweg ist es der Dienst, auf dem der Löwenanteil der täglichen digitalen Interaktionen stattfindet. Nur bei der Gen Z kann Instagram noch mithalten. Die Migration von der SMS zu WhatsApp war daher nicht nur eine technologische Verschiebung, sondern die Übergabe eines gigantischen Datenschatzes von den Telekommunikationsanbietern an einen einzigen amerikanischen Konzern. Meta nutzt bereits heute öffentliche Inhalte von Facebook und Instagram in Europa für das Training seiner KI. Unsere freiwillig zur Verfügung gestellten Inhalte werden zur Grundlage für die nächste technologische Entwicklungsstufe des Konzerns. Wir liefern das Material für die Architektur unserer eigenen, algorithmisch kuratierten Zukunft.
Regulierung als stumpfes Schwert
Und die Politik? Sie versucht zu regulieren, doch ihre Instrumente wirken oft wie stumpfe Schwerter. Gesetze wie der Digital Services Act orientieren sich primär an Nutzerzahlen, um die Marktmacht eines Unternehmens zu bewerten. Die Studie legt den Finger präzise in die Wunde: Dieser Ansatz greift zu kurz. Die wahre Dominanz bemisst sich nicht in der Zahl der registrierten Konten, sondern in der Intensität der Nutzung und der Frequenz der Interaktionen. Solange die Regulierungsbehörden Köpfe zählen, während Meta die Klicks, die Verweildauer und die Emotionen misst, wird der Konzern immer einen Schritt voraus sein.
Wir haben es zugelassen, dass ein privates Unternehmen eine quasi-öffentliche Kommunikationsinfrastruktur betreibt, und wundern uns nun über dessen Machtfülle. Die Schuld allein bei Meta oder einer zögerlichen Politik zu suchen, ist zu einfach. Der Blick in den Spiegel offenbart den entscheidenden Akteur in diesem Spiel: uns selbst. Wir haben die Götter, die wir heute fürchten, mit unseren eigenen Daten großgezogen. Und wir füttern sie weiter. Jeden Tag.






