BlogKI

Der Thron wackelt: Warum ByteDance mit Seedream 4 die KI-Bildwelt neu aufmischt

Kaum hatten wir uns an den Gedanken gewöhnt, dass Google mit Nano Banana die Spielregeln der Bildgenerierung neu schreibt, da donnert bereits der nächste Herausforderer auf die Bühne. Und auch dieser kommt nicht aus einem beschaulichen Forschungslabor, sondern aus der hyperdynamischen Welt von TikTok. Mit Seedream 4 zeigt ByteDance, dass die Revolution von gestern heute schon wieder alter Kaffee ist.

Es fühlt sich an wie ein Déjà-vu in Zeitraffer. Eben noch haben wir mit einer Mischung aus Faszination und professioneller Skepsis die Fähigkeiten von Googles Nano Banana seziert – die Konversation mit der KI, die Bearbeitung per natürlicher Sprache und die atemberaubende Geschwindigkeit. Wir begannen gerade, die Implikationen für unsere Arbeit als Fotografen und Bildbearbeiter zu verdauen. Doch in der Welt der generativen KI entspricht ein Quartal gefühlt einer geologischen Epoche. Was gestern noch als Gipfel der Entwicklung galt, wird heute von einem neuen Konkurrenten nicht nur eingeholt, sondern überholt.

Der neue Name, den sich jeder Bildschaffende merken muss, lautet Seedream 4. Dahinter steckt ByteDance, der chinesische Tech-Gigant, der mit TikTok bereits bewiesen hat, wie man die globale Kultur im Sturm erobert. Und Seedream 4 ist keine zaghafte Antwort, sondern eine Kampfansage. Die technischen Daten lesen sich wie eine Wunschliste für jeden Kreativen: Die Generierung eines hochaufgelösten 2K-Bildes in wenigen Sekunden. Eine Architektur, die Texterzeugung und Bildbearbeitung in einem einzigen, nahtlosen Modell vereint. Und eine Qualität, die bis in den 4K-Bereich skaliert und dabei eine beeindruckende Klarheit und Detailfülle verspricht. Damit greift ByteDance nicht nur Google, sondern auch etablierte Größen wie Midjourney und Open AIs neues Modell GPT-Image 1 frontal an.

Vom Werkzeug zur Kommandozentrale

Die wahre Disruption von Modellen wie Seedream 4 liegt jedoch tiefer als in reinen Geschwindigkeits- und Auflösungsrekorden. Sie liegt in der fundamentalen Neudefinition des kreativen Arbeitsablaufs. Bisher war unser Prozess fragmentiert: Ideenfindung im Kopf, Moodboard-Recherche im Netz, Generierung in einem Tool, Bearbeitung und Feinschliff in einem anderen, etwa Photoshop. Seedream 4 bricht diese Kette auf, indem es alles in einer einzigen Architektur zusammenführt. Stellen Sie sich vor: Sie beschreiben eine Szene.

A Baywatch lifeguard on a beach in a bikini on a quad bike.
A Baywatch lifeguard on a beach in a bikini on a quad bike.

Die KI liefert einen ersten Entwurf. Sie sagen: „Ändere die Farbe des Quad in rot.“ Die KI passt das Bild an, ohne dass Sie eine Maske aufziehen oder eine Einstellungsebene bemühen müssen.

Waber es geht noch mehr: Sie fügen ein Referenzbild für einen bestimmten Lichtstil hinzu und die KI überträgt die Anmutung auf Ihre Komposition. Sie benötigen zehn Varianten für eine Kampagne mit demselben Model? Die Funktion zur Charakterkonsistenz sorgt dafür, dass die Person über alle Bilder hinweg wiedererkennbar bleibt. Das ist nicht mehr nur Bildbearbeitung oder Bilderzeugung. Das ist die Orchestrierung visueller Welten aus einer einzigen Kommandozentrale heraus.

Man kann auf diese Weise inzwischen recht konsistente Geschichten erzählen, sollte dabei aber nicht allzu sehr auf das Weltwissen der KI vertrauen.
Man kann auf diese Weise inzwischen recht konsistente Geschichten erzählen, sollte dabei aber nicht allzu sehr auf das Weltwissen der KI vertrauen.

Die mühsame Handarbeit, das pixelgenaue Freistellen, das manuelle Anpassen von Gradationskurven – all diese Tätigkeiten, die lange Zeit das Kernhandwerk des Bildbearbeiters ausmachten, werden zu einer optionalen, fast schon archaischen Disziplin. Die entscheidende Fähigkeit verlagert sich von der Beherrschung des Werkzeugs zur Formulierung der Vision. Der Wert liegt nicht mehr im „Wie“, sondern im „Was“ und „Warum“.

Ästhetische Monokultur oder kreative Befreiung?

Mit dem Aufstieg mehrerer, extrem leistungsfähiger KI-Modelle verschärft sich jedoch auch eine bereits begonnene Debatte. Wir glaubten, mit diesen Werkzeugen eine Ära unbegrenzter kreativer Freiheit zu betreten. Doch die Realität ist komplexer. Jedes dieser Modelle – sei es von Google, ByteDance oder Midjourney – besitzt eine eigene, durch seine Trainingsdaten und Algorithmen geprägte visuelle Signatur. Es entwickelt einen eigenen ästhetischen Dialekt.

Die Gefahr einer Monokultur weicht nun der Entstehung konkurrierender visueller Ökosysteme. Es ist anzunehmen, dass ein Modell aus dem Hause ByteDance, das mit den Daten und der Dynamik von TikTok gefüttert wurde, eine andere Bildsprache bevorzugt als ein Modell, das aus dem eher datengetriebenen Google-Universum stammt. Wir stehen also vor der Wahl zwischen verschiedenen, in sich geschlossenen ästhetischen Welten. Die Uniform des Instagram-Filters wird abgelöst durch die Uniform der jeweiligen KI-Engine.

Für professionelle Anwender, etwa in Markenagenturen, bietet dies zugleich eine gewaltige Chance. Die Fähigkeit von Seedream 4, visuelle Konsistenz über ganze Kampagnen hinweg zu wahren, ist ein unschätzbarer Vorteil Man kann eine Marken-DNA – Farbpalette, Kompositionsstil, Typografie – definieren und die KI als unermüdlichen, stets markentreuen Mitarbeiter einsetzen, der Hunderte von Assets für verschiedene Kanäle fertigt. Der Kreative wird vom ausführenden Handwerker zum strategischen Hüter der visuellen Identität.

Der Wert der Vision in der Bilderflut

Was bedeutet diese rasante Entwicklung für uns, die wir unser Leben der Fotografie und der sorgfältigen Bildgestaltung gewidmet haben? Resignation wäre die falsche Antwort. Panik ebenso. Die Wahrheit ist: Die technologische Beschleunigung entwertet nicht die menschliche Kreativität, sondern sie verlagert deren Schwerpunkt.

Wenn jeder in Sekunden technisch perfekte Bilder hervorbringen kann, steigt der Wert der Idee, der Vision und der kuratorischen Kompetenz. Die Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen, eine Emotion zu transportieren, eine überraschende visuelle Metapher zu finden – das sind Qualitäten, die sich nicht in einem Prompt-Befehl erschöpfen Die Kunst liegt nicht mehr darin, das Werkzeug virtuos zu bedienen, sondern darin, ihm eine Aufgabe zu geben, die es wert ist, ausgeführt zu werden.

Die wahre Herausforderung in der Bananenrepublik der Bilder, die nun von neuen Herausforderern wie Seedream 4 aufgemischt wird, ist nicht technischer, sondern intellektueller und ethischer Natur. Wir müssen lernen, die Bilderflut zu navigieren, die Spreu vom Weizen zu trennen und unsere eigene visuelle Urteilskraft zu schärfen. Denn wenn in der Bilderwelt alles möglich scheint, wird die bewusste Entscheidung – auch die Entscheidung, ein Bild langsam und mit Bedacht von Hand zu gestalten – zur wichtigsten kreativen Tat von allen. Die Zukunft gehört nicht dem schnellsten Klicker, sondern dem klarsten Denker.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. Könnt ihr Bitte im nächsten Heft die Bildstile im Vergleichen aufzeigen?

    Gerade realistische Kompositionen mit Menschen und viel Details, das sieht dann bei Nano Banana zu perfekt und wiederum künstlich aus und bei Midjourney eben nicht. Da würde mich interessieren wie das Bei Bytedance aussieht.

Schreibe einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"