
Die jüngste Herabstufung der Adobe-Aktie durch Morgan Stanley ist mehr als eine finanzielle Randnotiz. Sie ist das Symptom einer tiefgreifenden Zäsur, die den Software-Giganten in seinen Grundfesten erschüttert und die gesamte Kreativbranche zwingt, die eigene Zukunft neu zu verhandeln.
Es gibt Momente, in denen sich die tektonischen Platten einer ganzen Industrie verschieben. Wir erleben gerade einen solchen. Während Analysten von Morgan Stanley die Zukunftsaussichten von Adobe nüchtern nach unten korrigieren und damit die Aktie weiter auf Talfahrt schicken, vollzieht sich auf unseren Bildschirmen eine stille Revolution.

Die Begründung der Banker: Eine existenzielle Bedrohung von Adobes Geschäftsmodell durch künstliche Intelligenz. Das Paradoxe daran ist, dass Adobe mit Werkzeugen wie dem Generative Fill auf Basis von Firefly in Photoshop selbst Teil dieser Revolution ist. Der Konzern, der über Jahrzehnte das Monopol auf die digitale Bildgestaltung besaß, wird nun von den Geistern bedrängt, die er selbst mit aus der Flasche ließ.
Was wir hier beobachten, ist kein einfacher Wettbewerb mehr, bei dem ein neues Programm ein altes herausfordert. Es ist die digitale Inkarnation des klassischen Innovator’s Dilemma: Die Technologien, die Adobe zur Sicherung seiner Vormachtstellung mitentwickelt, haben das Potenzial, das Fundament seines eigenen Geschäftsmodells zu pulverisieren.
Vom Monopolisten zum Getriebenen
Als Photoshop vor über drei Jahrzehnten die Bühne betrat, war dies mehr als nur die Einführung einer neuen Software. Adobe schuf eine neue Grammatik des Visuellen. Retuschen, die zuvor Stunden mühseliger Dunkelkammerarbeit erforderten, wurden zur Sache von Minuten. Der Name des Programms wurde zum Verb, zum Synonym für Bildmanipulation schlechthin. Adobe diktierte die Standards, die Werkzeuge und die Arbeitsabläufe.
Heute, im Zeitalter generativer KI, wirkt der einstige Pionier seltsam behäbig. Während das hauseigene KI-Modell Firefly inzwischen durchaus respektable Ergebnisse liefert, wirkt es im Vergleich zu den agilen und disruptiven Kräften von Midjourney, Bytedances Seedream, Googles Nano Banana oder Runway fast schon defensiv. Die Konkurrenz prescht mit einer Geschwindigkeit voran, die an die frühen Tage des Internets erinnert – ungestüm, unreguliert und mit einer schier unendlichen Innovationsfreude. Adobe hingegen, gefangen in den Strukturen eines globalen Konzerns, muss bei jedem Schritt rechtliche, ethische und kommerzielle Aspekte abwägen. Der Dinosaurier lernt das Tanzen, während um ihn herum flinke Säugetiere bereits neue Ökosysteme erschaffen.
Das goldene Gefängnis des Abonnements
Die Analyse von Morgan Stanley legt den Finger präzise in die Wunde: Adobes Creative Cloud, einst ein genialer Schachzug zur Kundenknebelung und Sicherung wiederkehrender Einnahmen, erweist sich nun als potenzieller Hemmschuh. Ein Preis von rund 60 Euro monatlich ist für Profis und Agenturen eine kalkulierbare Größe. Für die wachsende Masse an semiprofessionellen Kreativen, Teilzeit-Fotografen, Studenten und ambitionierten Amateuren stellt diese Summe jedoch eine erhebliche Hürde dar.
Genau in diese Lücke stoßen neue Anbieter. Plattformen wie Canva oder die KI-Funktionen von Runway bieten zu einem Bruchteil der Kosten – oder gar kostenlos – Werkzeuge an, deren Leistungsfähigkeit vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Die Premium-Positionierung, lange Zeit Adobes stärkstes Argument, verkehrt sich in eine strategische Schwachstelle. Wenn KI-gestützte Funktionen zur Massenware werden, verschiebt sich die entscheidende Frage: Es geht nicht mehr darum, ob eine Software eine Aufgabe bewältigen kann, sondern zu welchem Preis und mit welchem Aufwand.
Firefly: Rechtssicher, aber nicht richtungsweisend
Adobe spielt im KI-Wettlauf eine Karte, die kein anderer in dieser Form im Blatt hat: die der kommerziellen Sicherheit. Das Unternehmen versichert, sein Firefly-Modell ausschließlich mit lizenzierten Inhalten aus dem eigenen Adobe Stock-Portfolio sowie gemeinfreien Werken trainiert zu haben. Für große Unternehmen, die Urheberrechtsklagen fürchten wie der Teufel das Weihwasser, ist dies ein gewichtiges Argument. Adobe geht sogar so weit, eine rechtliche Entschädigung zu versprechen, sollten aus der kommerziellen Nutzung von Firefly-Bildern dennoch Ansprüche Dritter erwachsen.
Doch während die Rechtsabteilung von Adobe für Beruhigung sorgt, findet die eigentliche Innovation oft woanders statt. Die intuitive Verständlichkeit von Chat GPT 5, das simple Anweisungen in verblüffend kohärente Bilder übersetzt, oder die unerreichte ästhetische Qualität von Midjourney setzen Maßstäbe, an denen sich Firefly messen lassen muss. Die Parallele zum Niedergang von Kodak drängt sich auf: Der Fotopionier hielt zu lange am etablierten, hochprofitablen Filmgeschäft fest und unterschätzte die disruptive Kraft der digitalen Fotografie, obwohl er sie selbst mit erfunden hatte. Adobe muss aufpassen, nicht in eine ähnliche Falle zu tappen, indem es die Absicherung des Bestehenden über die radikale Neuausrichtung stellt.
Die Neuvermessung der Kreativität
Weit über die betriebswirtschaftlichen Fragen hinaus berührt die KI-Revolution jedoch einen fundamentaleren Aspekt: die Definition von Kreativität selbst. Was ist der Wert einer über Jahre erlernten Fähigkeit, wenn ein Algorithmus ein vergleichbares Ergebnis in Sekundenbruchteilen hervorbringt?
Diese Angst ist nicht neu. Als die ersten mechanischen Webstühle aufkamen, sahen die Weber ihre Existenz bedroht. Als die Fotografie im 19. Jahrhundert ihren Siegeszug antrat, beklagte der Dichter Charles Baudelaire das Ende der Kunst. Doch die Geschichte lehrt uns eines: Technologische Umbrüche vernichten selten ein Feld vollständig; sie zwingen es zur Evolution. Die Malerei wandte sich vom reinen Realismus ab und erschloss mit Impressionismus, Expressionismus und Abstraktion völlig neue Ausdrucksformen.
Die KI könnte einen ähnlichen Katalysatoreffekt haben. Sie zwingt uns, den Fokus vom rein handwerklichen Können auf die konzeptionelle und kuratorische Leistung zu verlagern. Die entscheidende Fähigkeit der Zukunft liegt wahrscheinlich weniger in der perfekten Beherrschung eines Werkzeugs als vielmehr in der Präzision der Vision, der Originalität der Idee und der Fähigkeit, den Algorithmus als intelligenten Partner im kreativen Dialog zu nutzen.
Ausblick: Die Chance im Wandel
Adobe befindet sich in einer Zwickmühle, die für viele etablierte Unternehmen symptomatisch ist. Die Verteidigung des profitablen Kerngeschäfts steht im Konflikt mit der Notwendigkeit, sich radikal neu zu erfinden – mit dem Risiko der Selbstkannibalisierung.
Für uns als Kreativschaffende ist diese Phase der Unsicherheit jedoch vor allem eine Phase der Möglichkeiten. Die Demokratisierung der Werkzeuge senkt die Einstiegshürden und könnte einer neuen Generation von Talenten den Weg ebnen. Gleichzeitig steigt der Anspruch an die Originalität der Idee. Wo jeder alles generieren kann, wird die einzigartige Vision zur härtesten Währung.
Die Herausforderung besteht also nicht darin, mit der Technologie Schritt zu halten, sondern ihr gedanklich einen Schritt voraus zu sein. Es geht nicht mehr nur darum zu fragen, was die KI kann, sondern was sie für unsere Arbeit und unser Selbstverständnis bedeutet. Adobes aktuelles Dilemma ist somit nicht nur eine Warnung an einen Konzern, sondern ein Weckruf für uns alle: Die Werkzeuge ändern sich. Die Notwendigkeit für eine starke, unverwechselbare kreative Stimme aber bleibt. Und möglicherweise wird sie in Zukunft wichtiger sein als je zuvor.






Lieber Christoph!
Wie hatten ja uns schon mal in Berlin im Sommer auf der Sigma-Party in der Galerie kennengelernt !
Ich schätze Deine Artikel sehr !!!! Wirklich auf den Punkt gebracht mit einzigartigem Fachwissen!
Würde mich gerne in Berlin mal zu einem intensiven Fach-Plausch treffen!
Viele Grüße!
Jens Koenig
mail@jenskoenigphoto.com
Hallo Herr Koenig, vielen Dank für die netten Worte zu meinen Artikeln – das freut mich wirklich sehr!
Ihren Vorschlag zu einem intensiven Fach-Plausch bekomme ich in absehbarer Zukunft aber nicht in meinen eng getakteten Zeitplan. Beste Grüße Christoph Künne
Hallo Herr Kühne,
Ein sehr lesenswerter Artikel, vielen Dank. Er hat mir noch deutlicher gemacht, dass die Herausforderungen, denen sich etablierte, vielleicht auch zu traditionell orientierte Unternehmen gegenübersehen, wirklich branchenübergreifend sind. Die Art und das Ausmaß, wie sich Probleme für Adobe entwickeln, trifft erstaunlich exakt auch auf z.B. die Fahrzeugindustrie inklusive Zulieferern zu. Für Kreative im allgemeinen und Photographen im speziellen mag es die KI sein, dort ist es die E-Mobilität, die unvorhersehbar neue Player, Tools und Prozesse erscheinen lässt und eine Abkehr von gewachsenen Strukturen erfordert. Wir sollten, schon aus sozialen Aspekten, nur hoffen, dass dabei nicht zu viele abgehängt werden.
Beste Grüße, Jakob Bosch
Jahrelang war ich Adobe-Kunde und habe auf Mac wie Windows vierstellige Summen investiert. Mit der Komplettumstellung auf die Creative Cloud 2013 – und ohne Kaufoption für die Creative Suite – bin ich ausgestiegen. Abo-Zwang? Ohne mich.
Viele zahlen für Funktionen, die sie selten nutzen. Die Signale sind da: Unmut bei Nutzern, juristischer Druck und höhere Preise, etwa für KI-Features. Ich nutze nur noch Software, die ich einmalig bezahle und auch nicht bedrängt werde online sein zu müssen. Gerade in der heutigen Zeit ist das ein No-Go. Diese Firmenphilosophie rächt sich jetzt. Ich bin jedenfalls raus, was Adobe angeht.
Gruß
Mario.