Der unsichtbare Assistent: Was die Nutzung von ChatGPT wirklich kostet

Wenn wir über Fachkräftemangel klagen, könnte ein digitaler Assistent die Antwort sein – zumindest suggerieren das seine Entwickler. Die erste wirtschaftswissenschaftliche Studie mit internen ChatGPT-Daten zeichnet jedoch ein ambivalentes Bild: Der wahre Wert liegt nicht im Ersetzen, sondern im Unterstützen menschlicher Entscheidungsprozesse. Doch diese Unterstützung hat einen Preis, der nicht in Euro und Cent zu bemessen ist.
Stellen Sie sich den Wirtschaftsanalysten vor seinem Bildschirm vor. Die Tabellen flimmern, die Zahlenkolonnen wollen sich nicht zu schlüssigen Mustern fügen. Es ist kurz vor Abgabe des Quartalsberichts. Früher hätte er jetzt einen erfahrenen Kollegen konsultiert oder sich durch Fachliteratur gewühlt. Heute formuliert er seine Frage an einen unsichtbaren Assistenten und lässt diesen den ersten Analyseschritt ausführen. ChatGPT springt ein, wo das eigene Denken ins Stocken gerät oder an Grenzen stößt. Ein Szenario, das sich täglich vermutlich tausendfach abspielt. Es ist der Ausgangspunkt einer neuen wirtschaftswissenschaftlichen Studie von OpenAI. Als erste Forschungsarbeit, die auf internen Nutzungsdaten basiert, versucht sie zu ergründen, wie Menschen dieses Werkzeug tatsächlich einsetzen und welchen ökonomischen Wert es stiftet. Die vordergründige Botschaft: ChatGPT brilliert vor allem als Entscheidungshelfer in wissensintensiven Berufen. Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich die Risiken und Nebenwirkungen dieser neuen Form der Kollaboration.
Werkzeug oder Krücke? Die trügerische Produktivität der KI
Die Furcht, künstliche Intelligenz könnte uns die Arbeit nehmen, ist ein alter Hut. Mit jedem technologischen Fortschritt folgt die bange Frage: Wer wird überflüssig? Doch wie so oft in der Technikgeschichte zeigt sich auch hier ein differenzierteres Bild. Statt den Menschen zu ersetzen, ergänzt ChatGPT menschliche Fähigkeiten dort, wo sie an ihre Grenzen stoßen – beim schnellen Sichten von Wissensbeständen, beim Strukturieren komplexer Informationen, beim Formulieren erster Textbausteine.
Die aktuelle Forschung deutet auf ein symbiotisches Verhältnis hin, dessen Nutzen jedoch überraschend gering ausfällt. In Dänemark durchgeführte Umfragen zeigen, dass die Einführung von KI-Chatbots bislang kaum messbare Auswirkungen auf Löhne oder Arbeitszeiten hatte. Die Produktivitätsgewinne, die man sich erhofft hatte, sind ernüchternd bescheiden. Die Revolution frisst ihre Kinder also nicht – sie füttert sie eher mit kleinen, kaum sättigenden Häppchen.
Besonders aufschlussreich ist jedoch, wem diese Häppchen zugutekommen. Die Nutzungsmuster folgen präzise den bekannten sozioökonomischen Gräben. Studierende aus wohlhabenden Ländern und urbanen Zentren nutzen ChatGPT signifikant häufiger als ihre Kommilitonen aus ärmeren Regionen. Die digitale Kluft, die wir aus anderen Technologiebereichen kennen, wird hier nicht überbrückt, sondern zementiert. Wer bereits privilegiert ist, profitiert auch von den neuesten Werkzeugen am stärksten. Die Verheißung einer Demokratisierung des Wissens verkehrt sich in ihr Gegenteil: eine Verstärkung bestehender Ungleichheiten. Aber das liegt natürlich nicht an der KI an sich, sondern in erster Linie am Nutzungsverhalten der Beteiligten. Wer das will, kann für den Gegenwert eines Kinobesuchs einen Monat lang seine KI-Fähigkeiten nach Belieben erweitern.
Die Erosion des Denkens: Eine Kritik der Bequemlichkeit
Erinnern Sie sich noch, als man Tabellenkalkulationsprogramme für Jobkiller hielt? Jede bedeutende Technologie durchläuft diesen Zyklus übertriebener Hoffnungen und Befürchtungen. Doch die Analogie trägt tiefer: So wie Excel das Kopfrechnen bei vielen verkümmern ließ, birgt ChatGPT die Gefahr, fundamentalere geistige Fähigkeiten zu untergraben. Die wahre Stärke – und damit auch die größte Gefahr – von ChatGPT liegt nicht im Automatisieren ganzer Berufsfelder, sondern im Beschleunigen kleiner Arbeitsschritte, die zusammengenommen den Denkprozess ausmachen.
Anton Korinek vom Journal of Economic Literature kategorisiert die Anwendungsfälle in sechs Bereiche: Ideenfindung, Schreiben, Recherche, Datenanalyse, Programmierung und mathematische Ableitungen. Dies sind die Kernkompetenzen jedes Wissensarbeiters. Wenn wir diese Tätigkeiten zunehmend an eine Maschine auslagern, die bekanntermaßen zu „Halluzinationen“ neigt und deren Informationsquellen oft im Dunkeln liegen, was geschieht dann mit unserer eigenen Fähigkeit zur kritischen Synthese?
Für den Bildbearbeiter und Fotografen ist die Parallele offensichtlich. Es ist der Unterschied zwischen der bewussten Anwendung eines Scharfzeichnungsfilters und dem blinden Klick auf eine „Auto-Verbessern“-Schaltfläche. Das eine ist die erfahrungsbasierte Beherrschung eines Werkzeugs, das andere die Kapitulation vor der Bequemlichkeit. Die Einführung von KI-Werkzeugen in die Wirtschaftsforschung erinnert an die Schmähreden der Film-und-Fixierbadfraktion gegen die Digitalfotografie. Doch der Vergleich hinkt. Ein digitales Foto ist immer noch das Ergebnis einer bewussten Komposition und Lichtführung. Ein blind übernommener KI-Text hingegen ist im schlimmsten Fall eine eloquente Lüge. Die Gefahr liegt in der schleichenden Erosion der geistigen Souveränität, im Verlust der Fähigkeit, eine Information selbst zu prüfen, einzuordnen und zu bewerten.
Die unsichtbare Hand des Algorithmus
Adam Smith hätte seine Freude – oder sein Grauen: Sein Konzept der „unsichtbaren Hand“ des Marktes erhält im Zeitalter der KI eine neue, beunruhigende Dimension. ChatGPT wirkt im Hintergrund, lenkt unsere Aufmerksamkeit, beeinflusst unsere Denkmuster und verändert subtil, wie wir Wissen verarbeiten. Die ökonomischen Auswirkungen dieser unsichtbaren algorithmischen Kuratierung werden erst allmählich sichtbar.
Was man positiv als „transformatives Potenzial“ bezeichnet, könnte sich als trojanisches Pferd für die Forschung erweisen. Die KI wird nicht nur zum Werkzeug, sondern zum unsichtbaren Kollaborateur, der unsere blinden Flecken nicht aufdeckt, sondern sie mit plausibel klingendem Unsinn füllt. Die Ökonomie selbst wird zum Forschungsgegenstand und zum Anwendungsfeld zugleich, in einem potenziell gefährlichen Rückkopplungskreislauf.
Die entscheidende Frage, die die Studie von OpenAI unbeantwortet lässt, ist die nach dem Preis der intellektuellen Bequemlichkeit. Wieviel Autonomie wollen und können wir abgeben, bevor die Unterstützung zur Abhängigkeit wird? Die wirtschaftliche Analyse von ChatGPT führt uns unweigerlich zu einer fundamentalen Frage über das Verhältnis von Mensch und Maschine.
Und während wir darüber nachdenken, sitzt irgendwo ein Analyst vor seinem Bildschirm und formuliert seine nächste Anfrage. Er erhält nicht nur eine Antwort, er geht einen Pakt ein. Ein Pakt, der ihm Zeit spart, ihn aber vielleicht die Fähigkeit kostet, die nächste Frage ohne den unsichtbaren Assistenten überhaupt noch stellen zu können.






Sehr geehrter Herr Künne,
Sie haben recht, die KI ist nicht der Weisheit letzter Schluß, zumindest nicht mit der Leistungsfähigkeit die sie heute bietet. Ich habe mehrere Versuche gestartet mit ChatGPT zu arbeiten. Ich habe mich mit Excel’s speziellen Funktionen beschäftigt und versucht mir Erklärungen und Hilfe zu holen, ohne dicke Bücher wälzen zu müssen. Leider habe ich Antworten erhalten, die mit Fehlern nur so gespickt waren. Selbst bei einfachen Fragen bekam ich fehlerhafte Formeln vorgesetzt. Ebenso im Zusammenhang mit Access. Allerdings hat mir die KI zum Verständnis mancher Zusammenhänge geholfen. Nervig finde ich ja die scheibchenweise Vorgehensweise. Nach jeder Antwort bietet die KI noch einen weiteren Schritt zur Verbesserung an. Was bleib,t ist auf Grund der fehlerhaften Antworten ein großen Mißtrauen.
Somit ist für mich die KI nur eine Information mit Fragezeichen. Kann stimmen oder auch nicht. Da sich meine Fragen meist in einem technischen Kontext bewegen ist der Wert der Antworten deshalb meist sehr gering und die Antworten müssen nachgeprüft werden. Da kann man gleich andere Quellen benutzen. Unterstützung ist das nur sehr bedingt.
Als Hilfe für ein Geburtstagsgedicht ist die Ki gut geeignet. Das rechtfertigt aber nicht den ungeheuren Aufwand zum Betrieb einer KI. Anlügen kann ich mich auch selbst.
Rudolf Weinzierl
Ich bin eigentlich ganz froh, dass die KI Fehler macht, denn sonst wären wir als Spezialisten für unsere Themen noch schneller Opfer der alle Bereiche durchdringenden Disruption, die langfristig mit KI einhergehen wird.