BlogKI

Ist KI bloß Zeitverschwendung?

Die künstliche Intelligenz nimmt uns Arbeit ab – oder weg, je nach Standpunkt. Dass das aber gar nicht so uneingeschränkt stimmen muss, legt eine neue Untersuchung zum Einsatz von KI-Assistenten in der Softwareentwicklung nahe.

Lenkt einen der KI-Assistent bei der Softwareentwicklung nur ab, so dass man am Ende mehr Zeit benötigt, als wenn man alles selbst gemacht hätte?

Kennen Sie die Geschichte vom Suppenstein? Ich hatte sie vor vielen Jahren in einer Sammlung irischer Märchen entdeckt, aber tatsächlich gibt es sie in diversen Varianten in ganz Europa. Das Märchen geht ungefähr so: Ein hungriger Landstreicher sehnte sich danach, endlich mal wieder eine nahrhafte und wohlschmeckende Suppe zu essen, nur hatte er kein Geld. Was also tun? Er ging zu einem Bach, suchte sich einen schönen, runden, faustgroßen Stein, wusch ihn gut, bis er glänzte, und steckte ihn in die Tasche. Als er dann beim einem Gehöft vorbei kam, bat er die Bauersfrau, etwas Wasser heiß machen zu dürfen. Sie wunderte sich, stellte aber einen Kessel mit Wasser für ihn auf das Feuer. Er legte mit etwas Brimborium seinen Stein hinein, und nun fragte sich die Frau ernsthaft, was er da eigentlich machte. Das sei ein Suppenstein; damit könne er sich jederzeit eine leckere Suppe kochen. Sie sei auch schon fast fertig – er probierte –, aber noch etwas nüchtern; ob er vielleicht eine Prise Salz haben könne? Die Bauersfrau gab ihm das Salz. Mit etwas mehr Sämigkeit wäre sie natürlich noch besser – die Frau reichte ihm das Mehl. Der Knochen da sei doch bestimmt für den Hund gedacht, aber in seiner Suppe auch gut aufgehoben – er bekam ihn. Er schälte noch ein paar Kartoffeln, warf sie hinein, und wenn jetzt noch eine Zwiebel hinzu käme, wäre die Suppe perfekt. Die Bauersfrau durfte probieren, und was sollte sie sagen: Die Suppe vom Suppenstein war wirklich sehr lecker. So einen Suppenstein hätte sie gar zu gern gehabt, und der Landstreicher war so großzügig, ihr seinen zu schenken. Da wollte sie sich nicht beschämen lassen und ließ ihn erst wieder ziehen, nachdem sie ihm einen reichhaltigen Reiseproviant mitgegeben hatte. Seitdem hat die Bauersfrau immer mit dem Suppenstein gekocht, und da sie sich dabei an das Rezept des Landstreichers hielt, war das Ergebnis stets vorzüglich.

Was für die Bauersfrau der Suppenstein war, ist für uns möglicherweise die künstliche Intelligenz: Sie lässt uns Ziele erreichen, die uns ohne sie unzugänglich blieben, und sie macht uns produktiver. Oder jedenfalls erscheint es uns so. Aber könnte das nicht eine Illusion sein? Vielleicht ist der Anteil der KI an unseren Ergebnissen gar nicht so entscheidend, und wer weiß: Vielleicht wären wir sogar besser dran, müssten wir uns nicht mit einem KI-Assistenten herumplagen, der ja längst nicht immer alles richtig macht. Das widerspricht unserer Intuition, aber dass wir die Bedeutung der KI zumindest in manchen Fällen völlig falsch einschätzen, zeigt eine aktuelle Studie von METR („Model Evaluation & Threat Research“).

Die Versuchspersonen in dieser Untersuchung waren 16 erfahrene Open-Source-Entwickler, und die ausgewerteten Entwicklungsaufgaben betrafen deren eigenen Code, an dem sie jeweils schon seit Jahren arbeiteten. Sie bekamen eine Reihe von Aufgaben, bei denen sie nach dem Zufallsprinzip teilweise einen KI-Assistenten (durchweg Cursor Pro mit Claude 3.5/3.7 Sonnet) hinzuziehen durften und zum anderen Teil ohne Hilfe programmieren mussten. Eine Befragung der Entwickler vor dem Versuch ergab, dass sie eine Produktivitätssteigerung um durchschnittlich 24 Prozent erwarteten, wenn sie die KI-Unterstützung nutzen durften. Nach der Erledigung aller Aufgaben korrigierten sie ihre Einschätzung leicht; sie waren nun davon überzeugt, bei den Aufgaben mit KI-Hilfe immerhin 20 Prozent produktiver gewesen zu sein. Eine objektive Auswertung der benötigten Zeit ergab dann allerdings ein ernüchterndes Resultat: Tatsächlich hatte die Entwicklung mit der KI sogar 19 Prozent länger gedauert – die Produktivität war gesunken.

Die Autoren der Studie betonen selbst, dass sich ihre Ergebnisse nicht unbedingt generalisieren lassen. Es mag Entwicklungsaufgaben geben, bei denen ein KI-Assistent nützlicher ist, und die ausgewählten Entwickler sind möglicherweise nicht hinreichend repräsentativ für Softwareentwickler insgesamt. Zudem hat die künstliche Intelligenz in den letzten Jahren bereits große Fortschritte gemacht und es könnte sein, dass die Ergebnisse im nächsten Jahr schon ganz anders aussehen werden. Aber selbst dann bliebe eine Erkenntnis bestehen: Wer sich von einem KI-Assistenten unter die Arme greifen lässt, kann offenbar nicht immer zuverlässig einschätzen, was ihm diese Unterstützung tatsächlich bringt.

Vielleicht spielt die KI im Bereich der Softwareentwicklung – wo deren Aufgaben von der Fehlersuche im selbst geschriebenen Code über dessen Optimierung bis zum eigenständigen Programmieren durch den Assistenten reichen – aber auch eine ganz andere Rolle als auf den Gebieten, die DOCMA-Lesern meist näher liegen. Man stellt sich gemeinhin vor, dass KI-Systeme Aufgaben erfüllen, die beim Menschen Intelligenz erfordern würden (tatsächlich ist das eine oft genannte Definition künstlicher Intelligenz), aber für manches, das heutzutage unter dem Label „KI“ läuft, trifft das gar nicht zu. Nehmen wir beispielsweise das Demosaicing und Entrauschen von Raw-Aufnahmen: Es ist ja nicht so, als ob wir früher jedes Bildpixel mittels unserer eigenen Intelligenz aus den Rohdaten interpoliert und den enthaltenen Rauschanteil eliminiert hätten. Das geschah schon immer mit automatisierten Rechenverfahren, und die früher üblichen Demosaicing- und Rauschunterdrückungsalgorithmen werden jetzt lediglich durch qualitativ bessere Rechenverfahren auf der Basis neuronaler Netze ersetzt. Hier gibt es keinen Produktivitätszuwachs – eher im Gegenteil, weil die KI-Verfahren rechenaufwendiger sind –, sondern einen Qualitätssprung.

Die Bildgenerierung per KI hat das Potential, die Produktivität zu steigern, etwa wenn es darum geht, Bildteile zu entfernen und die dadurch entstehenden Löcher wieder zur Umgebung passend zu stopfen. Das könnte man mit viel Mühe selbst erledigen, aber die KI ist vielfach schneller, selbst wenn sie mehrere Anläufe braucht, bis das Ergebnis halbwegs passt. Die Generierung eigenständiger Bilder zu Prompts dagegen ist meist ein anderer Fall. Wenn ich beispielsweise ein Aufmacherbild für einen Blog-Beitrag brauche, könnte ich mir eines malen, was aber bloße Theorie bleibt – ich kann nicht malen. Ich könnte mir auch irgendeine Szenerie arrangieren und fotografieren, aber das machte zu viel Mühe und kostete zu viel Zeit und kommt daher nicht in Frage. Am Ende ist ein KI-generiertes Bild dann ein Ersatz für ein im eigenen Archiv gefundenes Bild oder ein Stockfoto, und es sieht im Ergebnis besser aus; ein Produktivitätsgewinn ist damit damit jedoch nicht verbunden. Hier geht es nicht um Produktivität, sondern um künstlerisches Talent, Zeit und Geld – oder um den Mangel an allem oder einigem davon. Auch Intelligenz ist kein Faktor: Technisch gesehen ist künstliche Intelligenz am Werk, aber sie übernimmt keine Aufgaben, für die wir sonst vor allem unsere eigene Intelligenz eingesetzt hätten.

Vor 30 Jahren war es im Printbereich noch nicht ungewöhnlich, für die Aufmacher wichtiger Artikel aufwendige Fotoproduktionen in Auftrag zu geben, aber schon wenige Jahre später, nachdem die Dot-Com-Blase geplatzt war, hatte kaum noch eine Redaktion ein Budget dafür. Man musste sich mit billigen Behelfslösungen abfinden und die Magazine wirkten damit weniger hochwertig, was aber von ihren Lesern klaglos akzeptiert wurde. Für den Niedergang der Printmedien waren solche Sparmaßnahmen wohl nicht verantwortlich, wenngleich sie dazu beitrugen, dass man irgendwann nicht mehr wusste, was an den Magazinen mal erhaltenswert gewesen war. Heute kann man sich ein auf den ersten Blick beeindruckendes Aufmacherbild generieren lassen, aber das erscheint dann auch recht beliebig – schließlich kann jeder von uns so etwas produzieren (lassen), und die Ästhetik bleibt oft in Klischees stecken.

Das beste Beispiel für produktivitätssteigernde KI-Assistenzfunktionen im Bereich der Bildbearbeitung dürfte die Freistellung sein. Unzählige DOCMA-Seiten haben wir mit Tipps gefüllt, wie man auch die herausforderndsten Freistellungsaufgaben mit vertretbarem Aufwand bewältigen kann, aber die KI hat vieles davon überflüssig gemacht.

Hier zeigt sich aber auch, welchen hohen Standard eine Assistenzfunktion erreichen muss, damit sie einem mehr Zeit spart als es kostet, die verbliebenen Fehler wieder auszubügeln. Gut möglich, dass die Assistenten für die Softwareentwicklung dieses Leistungsniveau oft noch nicht erreichen und man dann viel Mühe darauf verwendet, die von der KI eingebauten Bugs zu beheben. Es macht schon wenig Spaß, im eigenen Code nach Fehlern zu suchen, und es wird nicht leichter, wenn man erst einmal nachvollziehen muss, was sich ein anderer Programmierer – in diesem Fall eine KI – gedacht hat. Die hier eingesetzten LLMs neigen auch – wie aus anderen Anwendungsszenarien bekannt – zum Halluzinieren und schreiben Programmiersprachen oder APIs dann Funktionen zu, die sie gar nicht haben, die aber vom KI-generierten Code genutzt werden. Wer sich auf den Assistenten verlässt, weil er sich mit der Programmiersprache, der Aufgabenstellung oder beidem gar nicht auskennt, gerät dann ins Schwimmen.

Fazit

Die richtige KI, richtig eingesetzt, kann Ihrer Produktivität einen zusätzlichen Schub geben und/oder die Ergebnisse Ihrer Arbeit verbessern. Aber auch wenn der Claim „jetzt mit KI“ derzeit den Verkaufserfolg jeglichen Produkts zu garantieren scheint: Lassen Sie sich keinen Suppenstein andrehen. Und wenn Ihnen eine KI das Arbeitsleben gar zu einfach macht: Lehnen Sie sich nicht zurück, sondern achten Sie darauf, was hinter Ihrem Rücken geschieht.


Im DOCMAshop finden Sie alle Infos zum aktuellen Heft:
Das ausführliche Inhaltsverzeichnis sowie einige Seiten als Kostprobe.

Das DOCMA-Magazin können Sie als Print-Ausgabe und als E-Paper kaufen oder abonnieren. Alternativ bieten wir die Inhalte der jeweils aktuellsten DOCMA-Ausgabe auch im Abo in Form der DOCMA2go als wöchentliche E-Mails an (verteilt über 13 Wochen).

Zu den Print-Abos | Zu den Digital-Abos

Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

Ähnliche Artikel

3 Kommentare

  1. KI – bis auf weiteres ist sie durch die Bank noch zu dämlich, um von Nutzen zu sein . Zu inkompetent. Zu dumm. zu unfähig. Siehe z.B. die bei Desinformationskampagnen erfundenen „echten“ Bilder/Filme. Sowas hat man früher hündisch mit Photoshop in z.T. tagelangen Sitzungen erstellt – AAAAABER mit Leuten mit 5 Fingern (nicht 4 oder 6), mit Gliedmaßen an der anatomisch richtigen Stelle in der anatomisch korrekten Position und Anzahl.

    „Von Nutzen“ ist sie allerdings NUR für kriminelle Absichten!

    So ein frei erfundenes Bild erlügt sich mit den derzeitigen Generatoren halt sehr viel schneller (aber bald durch die Bank immer noch grottenfalsch). Ich kann mir nach wie vor keine legale Anwendungsmöglichkeit für solche Generatoren vorstellen! Sie taugen ausschließlich zum Betrügen!
    Amen.
    Setzen.

  2. „Am Ende ist ein KI-generiertes Bild dann … und es sieht im Ergebnis besser aus; ein Produktivitätsgewinn ist damit damit jedoch nicht verbunden“

    Die Aussage ignoriert die Qualität und Wirksamkeit dieses Outputs. Wenn ein Werkzeug es mir ermöglicht, ein qualitativ besseres Ergebnis mit gleichem oder weniger Aufwand zu erzielen, ist das ein eindeutiger Produktivitätsgewinn.

Schreibe einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"