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Copyright auf das Gesicht: Dänemarks Kampf gegen Deepfakes und die drohenden Kollateralschäden

deepfakes

Das neue dänische Urheberrecht ist in seiner Radikalität entwaffnend. Es verlangt für die Abbildung einer Person deren explizite Zustimmung. Das klingt zunächst vernünftig. Doch das Gesetz unterscheidet nicht zwischen echten Deepfakes, also böswillig manipulierten Videos und der flüchtigen Momentaufnahme eines Straßenfotografen. Es trifft den Maler, der ein fantasievolles Porträt anfertigt, ebenso wie den KI-Enthusiasten, der mit Worten Porträt-Bilder formt. Jeder, der sich auf einem Bild wiederzuerkennen glaubt, könnte potenziell auf Unterlassung und Entschädigung klagen. Was als gezielter Schlag gegen Kriminelle gedacht ist, könnte als juristischer Flächenbrand die gesamte visuelle Kreativlandschaft in Schutt und Asche legen.

Ein Schutzwall mit fundamentalen Rissen

Die Logik des dänischen Gesetzes ist bestechend einfach: Wem das eigene Gesicht „gehört“, der kann über dessen Abbildung und digitale Vervielfältigung bestimmen. Dies soll es Opfern von Deepfakes erleichtern, gegen die unautorisierte Nutzung ihrer Identität vorzugehen. Doch der Teufel steckt, wie so oft, im Detail der Umsetzung. Die Regelung trifft eben nicht nur jene, die in böser Absicht das Antlitz von Politikern in kompromittierende Videos montieren oder aus Rache gefälschte Nacktbilder von Ex-Partnern in Umlauf bringen. Sie trifft potenziell jeden Fotografen, jeden KI-Künstler und jeden Illustrator.

Die entscheidende Krux liegt in der Frage der Erkennbarkeit. Das Gesetz schützt nicht vor der exakten Kopie, sondern vor der digitalen Imitation, in der sich eine Person erkennt. Damit verlagert sich die Beweislast und die Deutungshoheit auf die subjektive Wahrnehmung des angeblich Abgebildeten. Ein Fotograf, der auf den Straßen Kopenhagens eine Szene einfängt, müsste demnach von jeder Person, die sich später auf dem Bild wieder erkennt, eine Genehmigung einholen. Ein KI-Künstler, der ein Porträt einer fiktiven Person generiert, sieht sich plötzlich der Gefahr ausgesetzt, dass irgendwo auf der Welt jemand eine Ähnlichkeit mit sich selbst feststellt und auf Unterlassung oder Schadenersatz klagt. Die rechtliche Unsicherheit, die hieraus erwächst, ist für professionelle Bildproduzenten kaum kalkulierbar und könnte eine verheerende abschreckende Wirkung entfalten.

Die Büchse der Pandora: Doppelgänger und die Klageindustrie

Das Problem potenziert sich durch ein Phänomen, das bisher eher Stoff für Anekdoten war: die Existenz von Doppelgängern. Es heißt, jeder Mensch habe statistisch gesehen rund sieben Doppelgänger auf der Welt. In vordigitalen Zeiten war die Wahrscheinlichkeit, einem von ihnen zu begegnen, verschwindend gering. Im Zeitalter von Social Media, globaler Vernetzung und reverser Bildersuchen bei Google ändert sich das dramatisch. Die Möglichkeit, dass eine zufällig generierte oder fotografierte Person einem realen Menschen zum Verwechseln ähnlich sieht, ist nicht mehr nur theoretischer Natur.

Wenn nun ein Gesetz finanzielle Anreize für Klagen schafft, könnte dies eine regelrechte Industrie befeuern. Man stelle sich vor: Ein kommerziell erfolgreiches Werbefoto zeigt ein Model, das durch ein Casting ausgewählt wurde. Irgendwo in der dänischen Provinz erkennt eine Person eine verblüffende Ähnlichkeit mit sich selbst und wittert die Chance auf Entschädigung. Wie soll der Fotograf oder die Agentur beweisen, dass die Ähnlichkeit nur zufällig ist? Und hätte das überhaupt Relevanz? Die Konsequenz wäre eine massive Zurückhaltung bei der Abbildung von Menschen. Kreative könnten aus Furcht vor unkalkulierbaren juristischen Auseinandersetzungen dazu übergehen, Menschen aus ihren Arbeiten zu verbannen. Es droht eine Entwicklung, die an die Debatte um das Gendern in Texten erinnert: So wie manche Autoren aus Angst vor Unlesbarkeit der texte oder moralinsauren Angriffen wegen der Verwendung des generischen Maskulinums lieber umständlich um handelnde Personen herumformulieren, könnten Bildschaffende bald nur noch Landschaften, Architektur und Stillleben zeigen.

Ausnahmen und offene Fragen: Kunst, Satire und die Presse

Zwar sieht der dänische Entwurf gegen Deepfakes dem Vernehmen nach Ausnahmen für Kunst und Satire vor. Doch auch hier tun sich Abgründe an Interpretationsspielraum auf. Was genau ist Kunst und wer definiert die Grenzen zur kommerziellen Nutzung? Ist eine künstlerisch anmutende Modefotografie noch Kunst oder schon Werbung? Darf ein Karikaturist ein Gesicht verfremden, ein KI-Künstler aber nicht?

Völlig ungeklärt scheint zudem die Rolle der Pressefotografie und der dokumentarischen Arbeit. Fällt eine Reportage über eine Demonstration unter die Kunstfreiheit? Oder muss der Fotograf künftig durch die Menge gehen und sich von jedem Teilnehmer eine Einwilligung für die Abbildung seines Gesichts holen? Sollten solche Ausnahmen nicht klar geregelt sein, droht eine visuelle Verödung der Medien. Nachrichtensendungen und Zeitungsartikel könnten bald nur noch Symbolbilder von Gegenständen zeigen, weil die Abbildung von realen Menschen in realen Situationen zu einem unkalkulierbaren Rechtsrisiko geworden ist.

Letztlich ist der dänische Vorstoß gegen Deepfakes ein ambitionierter Versuch, ein relevantes Problem zu lösen. Doch er droht an den Klippen der kreativen und gesellschaftlichen Realität mit großem Getöse zu zerschellen. Das einzig Gute an diesem Alleingang: Die Welt kann nun auf einem begrenzten Spielfeld beobachten, welche Konsequenzen eine solch radikale Idee in der Praxis hat. Es ist ein Experiment am offenen Herzen der Bildkultur – und der Rest Europas hat einen Platz in der ersten Reihe, um daraus zu lernen.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. „Das Gesetz schützt nicht vor der exakten Kopie, sondern vor der digitalen Imitation, in der sich eine Person erkennt. Damit verlagert sich die Beweislast und die Deutungshoheit auf die subjektive Wahrnehmung des angeblich Abgebildeten.“ Es gab ja schon mal den Fall, dass sich ein Hipster in einem Foto wiederzuerkennen meinte, das die Aussage des Artikels illustrierte, alle Hipster sähen gleich aus. Seine Klage scheiterte jedoch, da das Hipsterfoto von einem Stockfoto-Anbieter lizenziert war und nachweisbar einen anderen Hipster zeigte. Womit aber natürlich noch einmal unterstrichen worden war, dass Hipster wirklich alle gleich aussehen …

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