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GPT-5: Die universelle KI zwischen Versprechen und Wirklichkeit

Wie GPT-5 die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine neu definiert – und welche Qualitätsfragen sich dabei stellen.

Sommernächte 2025: Während die meisten Menschen die lauen Abende genießen, bereitet OpenAI die nächste Revolution in der Geschichte der Mensch-Maschine-Kommunikation vor. GPT-5 steht in den Startlöchern – ein System, das nicht nur Texte schreibt, Bilder analysiert und Videos erzeugt, sondern alle diese Fähigkeiten in einer nahtlosen, scheinbar organischen Einheit verbindet. Es ist, als hätte jemand den Turm zu Babel rückwärts gebaut: Statt Sprachverwirrung zu stiften, verspricht GPT-5 die digitale Einheitssprache, die alle Kommunikationsbarrieren niederreißt.

Die technischen Eckdaten sind beeindruckend: Der Kontext-Speicher soll tatsächlich über eine Million Token umfassen – genug, um ein ganzes Buchprojekt zu verarbeiten. Was die Parameter-Zahl angeht, gehen Expertenschätzungen von mindestens einer Billion aus, wobei in fortgeschrittenen Architekturen deutlich höhere Werte möglich sind. Aber was bedeuten diese Zahlen für die Qualität des Outputs?

Der Mythos der perfekten Integration

Wenn ich mir die letzten Jahre der KI-Entwicklung ansehe, erinnere ich mich an die frühen Tage der Smartphones. Damals pries man uns „Alleskönner“ an, die in Wahrheit weder ordentliche Fotos machen noch vernünftig telefonieren konnten. Mit KI-Systemen erleben wir einen ähnlichen Hype-Zyklus: Jedes neue Modell soll alles können – und scheitert dann doch an den Feinheiten.

Die zentrale Herausforderung bei multimodalen Systemen wie GPT-5 ist nicht das reine Verarbeiten verschiedener Datentypen, sondern deren sinnvolle Integration. Experten nennen das „Data Fusion“ – und hier trennt sich die KI-Spreu vom KI-Weizen.

Das Problem beginnt bereits bei der Synchronisierung zeitabhängiger Daten. Wenn Sie je einen schlecht synchronisierten Film gesehen haben, kennen Sie den irritierenden Effekt, wenn Mund und Stimme nicht zusammenpassen. Bei multimodalen KI-Systemen kann dies auf weitaus subtilere Weise passieren – etwa wenn die visuellen und textlichen Interpretationen eines Bildes nicht korrekt aufeinander abgestimmt sind. Der Unterschied: Während wir bei einem Film die Lippensynchronisation sofort bemerken, bleiben solche Inkonsistenzen bei KI-Outputs oft unter dem Radar – bis sie zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Der Preis der Vielseitigkeit

„Wer alles kann, kann nichts richtig“ – diese alte Weisheit scheint auch für KI zu gelten. Bei GPT-5 verspricht OpenAI aber genau das: Ein System, das nicht nur verschiedene Medientypen verstehen und erzeugen kann, sondern sie auch kontextbezogen miteinander verknüpft.

Denken Sie an einen Spitzenkoch, der nicht nur hervorragend kochen kann, sondern gleichzeitig die Weinkarte zusammenstellt, das Restaurant dekoriert und die Gäste unterhält. Ein solcher Universalkünstler ist selten – und wenn, dann nach jahrzehntelanger Erfahrung in allen Einzeldisziplinen. Bei KI-Systemen versuchen wir, diesen Prozess zu beschleunigen, indem wir spezialisierte Modelle verschmelzen. Doch dabei entstehen neue Herausforderungen:

Der Ressourcenhunger dieser Systeme ist gigantisch. Die Verarbeitung mehrerer Modalitäten gleichzeitig erhöht den Rechenaufwand exponentiell . Es ist wie bei einem Sportwagen mit Luxusausstattung und Geländetauglichkeit: Jede zusätzliche Funktion erhöht das Gewicht und verringert die Effizienz. OpenAI nutzt für das Training von GPT-5 Microsofts neueste KI-Supercomputer und NVIDIAs fortschrittlichste GPUs – Hardware, die für die meisten Unternehmen unerschwinglich ist. Wir bewegen uns auf eine digitale Zweiklassengesellschaft zu, in der nur wenige Konzerne die Mittel haben, an der Spitze mitzuspielen.

Die subtile Kunst der Fehlererkennung

Als Fotografen kennen wir das: Ein Bild kann technisch perfekt sein und dennoch „nicht stimmen“. Ein winziger Fehler in der Komposition, ein unpassender Farbton, eine unmerkliche Verzerrung – Details, die Laien oft übersehen, die aber den Unterschied zwischen gut und außergewöhnlich ausmachen.

Bei multimodalen KI-Systemen verhält es sich ähnlich. Die schwierigsten Fehler zu erkennen sind jene, die an den Schnittstellen der verschiedenen Modalitäten entstehen. Ein Text mag perfekt sein, ein Bild ebenfalls – doch passen sie wirklich zueinander? Versteht das System die kulturellen Codes, die visuelle und textliche Information verbinden?

Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie bitten GPT-5 um eine Illustration zum Thema „Freiheit“ für einen amerikanischen Markt. Das System könnte ein technisch makelloses Bild eines Adlers produzieren – kulturell absolut passend. Dieselbe Anfrage für den deutschen Markt sollte jedoch andere Symbole bevorzugen, da der Adler hier andere historische Bedeutung besitzt. Diese kulturellen Feinheiten sind eine der größten Herausforderungen für multimodale Systeme – und einer der Bereiche, in denen menschliche Kreativschaffende noch lange einen Vorsprung haben werden.

Wenn die KI zum Dirigenten wird

Mit GPT-5 soll sich die Rolle der KI grundlegend verändern: vom spezialisierten Werkzeug zum universellen Dirigenten. Sam Altman hat angekündigt, dass GPT-5 die Modellauswahl überflüssig macht – das System soll selbstständig erkennen, welche Fähigkeiten für eine Aufgabe benötigt werden. Es ist, als würde man nicht mehr einzelne Musiker engagieren, sondern einen Maestro, der das ganze Orchester leitet.

Für uns Kreativschaffende bedeutet das einen fundamentalen Wandel in der Arbeitsweise. Statt zwischen spezialisierter Software zu wechseln, könnten wir künftig einem einzigen System sagen: „Entwickle eine Kampagne für das neue Produkt X, mit passender Bildsprache, Headlines und einem 30-Sekunden-Videoteaser.“ Die kreative Konzeption bleibt menschlich, aber die Ausführung wird zunehmend zur Domäne intelligenter Systeme.

Diese Entwicklung erinnert mich an den Übergang von der Analogfotografie zur digitalen Bildbearbeitung. Wer einmal Bilder in einer Dunkelkammer entwickelt hat, weiß, welche handwerklichen Fähigkeiten dafür nötig waren. Heute kann jeder Smartphone-Nutzer mit einem Fingertipp Effekte erzielen, für die früher jahrelange Erfahrung nötig war. Die technische Hürde sinkt, während die kreative Hürde steigt – ein Muster, das sich mit GPT-5 fortsetzen dürfte.

Die Qualitätsfrage – mehr als nur technische Perfektion

Wenn wir über die Qualität von GPT-5 oder ähnlichen Systemen sprechen, denken viele zuerst an technische Metriken: Wie genau sind die Antworten? Wie natürlich wirkt generierter Text? Wie realistisch sind die Bilder? Diese Fragen sind wichtig, aber sie greifen zu kurz.

Wahre Qualität in einem multimodalen System zeigt sich in der Kohärenz zwischen den Modalitäten, in der Konsistenz über längere Interaktionen und in der Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche kulturelle Kontexte. OpenAI hat angekündigt, dass GPT-5 über ein integriertes Gedächtnis verfügen soll, um Nutzerpreferenzen und Projekthistorien zu speichern. Dies könnte einen wichtigen Schritt in Richtung echter Kohärenz darstellen.

Ein Qualitätsmerkmal, das oft übersehen wird, ist die Transparenz des Systems. Weiß ich als Nutzer, warum GPT-5 eine bestimmte Entscheidung getroffen hat? Kann ich nachvollziehen, wie ein Bild generiert wurde oder woher eine Information stammt? Diese Fragen werden mit zunehmender Integration immer wichtiger – und schwieriger zu beantworten.

Ich denke manchmal an alte Handwerksmeister, die jedes Detail ihres Prozesses kannten und kontrollierten. Im Gegensatz dazu arbeiten wir mit KI-Systemen, deren innere Funktionsweise für uns weitgehend eine Black Box bleibt. Es ist, als würde man ein Orchester dirigieren, ohne die Noten lesen zu können – man hört das Ergebnis, versteht aber nicht wirklich, wie es zustande kommt.

Der Mensch im Zeitalter der Universalmaschine

Was bleibt für uns Menschen, wenn KI-Systeme wie GPT-5 tatsächlich zu universellen Kommunikatoren werden? Diese Frage beschäftigt mich zunehmend, je leistungsfähiger die Systeme werden. Und ich bin für mich zu einer Antwort gekommen: Je universeller die KI, desto wichtiger wird das spezifisch Menschliche.

Ein System wie GPT-5 mag eine universelle Sprache sprechen, aber es hat keine eigene Botschaft. Es kann Kreativität simulieren, aber nicht authentisch fühlen. Es kann kulturelle Codes reproduzieren, aber nicht durch eigene Erfahrung verstehen. In dieser fundamentalen Begrenzung liegt unsere größte Chance als Kreativschaffende.

Die Fotografie hat einen ähnlichen Wandel durchlaufen: Als die ersten Digitalkameras aufkamen, prophezeiten viele das Ende der „echten“ Fotografie. Heute wissen wir, dass die Technik zwar demokratisiert wurde, die Kunst des Sehens und Erzählens aber nach wie vor menschliche Sensibilität erfordert. Mit KI-Systemen wie GPT-5 könnte es ähnlich laufen: Die technischen Fähigkeiten werden universell verfügbar, während die Kunst des Prompt-Engineerings – oder besser: des KI-Dirigierens – zur neuen kreativen Disziplin wird.

Die Zukunft: Integration oder Spezialisierung?

Steht uns mit GPT-5 nun der endgültige Durchbruch zur universellen KI bevor? Die Antwort ist komplizierter, als es die Marketing-Botschaften vermuten lassen. Während die Integration verschiedener Modalitäten zweifelsohne voranschreitet, zeigen Benchmarks wie MMBench, dass selbst die fortschrittlichsten Systeme noch immer in bestimmten Bereichen schwächeln.

Interessanterweise entwickeln sich parallel zu den All-in-One-Systemen auch hochspezialisierte KI-Modelle weiter – ähnlich wie in der Kamerawelt, wo neben Smartphone-Kameras auch Profi-DSLRs mit Spezialfunktionen existieren. Diese Koexistenz könnte uns noch lange begleiten: Universalsysteme für den Alltag, Spezialsysteme für professionelle Anwendungen.

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass „Universalität“ auch bedeutet, alle Nutzer zu verstehen – unabhängig von Sprache, Kultur oder Behinderung.

Das Fazit: Qualität entsteht im Dialog

Die spannendste Erkenntnis meiner Recherche zu GPT-5 ist vielleicht diese: Wahre Qualität entsteht nicht im System selbst, sondern im Dialog zwischen Mensch und Maschine. OpenAI hat angekündigt, GPT-5 erst zu veröffentlichen, wenn es ihren Standards für Sicherheit, Stabilität und ethische Ausrichtung entspricht. Dies zeigt ein Bewusstsein dafür, dass technische Leistung allein nicht ausreicht.

Als Fotografen wissen wir: Ein Bild wird erst durch den Betrachter vollständig. Ähnlich verhält es sich mit KI-Systemen: Sie werden erst durch den menschlichen Nutzer komplett. In dieser Symbiose – nicht in der einseitigen Dominanz – liegt die Zukunft der Kreativität im KI-Zeitalter.

Vielleicht sollten wir GPT-5 daher nicht als Alleskönner betrachten, sondern als universellen Übersetzer: Ein System, das zwischen verschiedenen Ausdrucksformen vermittelt und dabei hilft, unsere menschlichen Ideen, Emotionen und Geschichten in verschiedenen Medien zum Leben zu erwecken.

Denn am Ende bleibt die entscheidende Frage nicht, was GPT-5 alles kann, sondern was wir damit anfangen werden.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. KI kann nicht fühlen und hat keine Emotion. KI kann also nicht wirklich beurteilen, ob sich dieses Bild, der Text einem emotional berührt, weil es eben eine Maschine ist. Und wir Menschen können das, das wird uns immer einen Vorsprung geben. Was vermeintlich emotional sein soll, sind leere Worthülsen, seelenlose Bilder. Eine Maschine kann eben nicht Gefühle nachempfinden.

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