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Naiv betrachtet

Regelmäßige DOCMA-Leser bemerken sofort: Hier fehlt was! Stimmt, auf unsere übliche Bewertung nach den drei Kriterien „Tiefgang“, „Lesbarkeit“ und „Bildästhetik“ verzichte ich in diesem Fall. Mich interessieren hier nur die in den Bänden gezeigten Bilder, vor allem ihre technischen Aspekte.

Natürlich ist es unfair, die inhaltliche, letztlich viel wichtigere Seite einfach auszublenden. Darf man das? Klar, wenn man es deutlich mitteilt. Mit den Texten zu Bildern zeitgenössischer Künstler kann ich meist ohnehin nichts anfangen; die halte ich oft für inhaltsleeren Wortschaum und pseudointellektuelle Wichtigtuerei. Daher lese ich sie erst gar nicht, dann muss ich sie auch nicht kritisieren.

Interessant bei diesen drei Malern finde ich das – ganz unterschiedliche – Verhältnis von dargestellter Szene zu Naturtreue beziehungsweise Abstraktion. Gottfried Helnwein ist seit Jahrzehnten für seine verstörenden Gemälde bekannt. Von Jia Aili und Sven Kroner hatte ich bisher nichts gesehen.

Ein weiterer unfairer Aspekt meiner Betrachtung ist der Vergleich von fotografischen, digital bearbeiteten oder kreierten und gemalten Bildern. Die digitalen kommen hier gar nicht vor, aber sie sind mein Bezugspunkt. Ich gebe es zu: Bei vielen Abbildungen suche ich zunächst die verwendete Technik in der Bildunterschrift. Habe ich richtig geraten? (Viel mehr als raten kann man ja heute kaum noch.)

Aili und Kroner sind Maler, da ist alles klar. Dennoch, würde ich in einem Bildband auf sie treffen, der auch Werke von Digital Artists präsentiert, vor allem von Concept Artists, würde ich nicht selten ins ­Zweifeln geraten: Öl und Acryl – oder Photoshop, Painter und ArtRage? Bei Helnwein ist das besonders schwierig: Der malt nicht nur, sondern fotografiert auch. Und neben seinen porengenauen Porträts gibt es andere, die nicht ihrer Detailtreue wegen, sondern dank ihrer generellen Anmutung und Farbgebung auf Fotografien verweisen. Hinzu kommt, dass Bildtitel und verwendete Technik bei ihm im Anhang aufgelistet sind, so dass die naive Betrachterfrage „gemalt oder fotografiert“ erst nach gezielter Suche beantwortet wird.

Oft genug habe ich daneben gelegen, in der einen oder anderen Richtung. Es sei eingestanden, dass diese Herangehensweise unangemessen und naiv ist, so in dem Sinne: Boah ey! Kann der malen, sieht aus wie’n Foto! Bei Helnwein ist das schnell geklärt, er kann. Aber Aili und Kroner malen mit breitem Pinsel, vielleicht sogar Spachtel. Von detailgetreuer Abbildung kann da keine Rede sein. Aber dennoch – und darum geht es mir hier – entstehen die nicht gesehenen Details, wenn schon nicht im Auge, so doch im Gehirn des Betrachters. Aus einigen Schritten Entfernung könnten das Fotos sein (wenn auch mitunter solche von Nicht-Fotografierbarem).

Und da schließt sich der Kreis zu unserem Thema der digitalen Bildbearbeitung und digitalen Bilder: Wie naturalistisch muss ein Bild sein, um uns einen Wirklichkeitsausschnitt visuell vorzuführen? Aus Helnweins verwischten Fotogemälden oder den Arbeiten von Aili und Kroner ist zu lernen: Gelingt es, den Eindruck des Abgebildeten beim Betrachter überzeugend entstehen zu lassen, sind Details verzichtbar.

Wie das funktioniert – und wiederum spreche ich nur von der technischen Ebene – führen diese drei Bände vor. Wer sich also die Frage stellt, wie derlei für die eigene Arbeit zu erreichen ist, findet hier Anregungen für spannende Studien; auch dann, wenn das sicherlich keine Tutorials sind.

 

Naiv betrachtet

Jia Aili. Stardust Hermit
herausgegeben von Fabian Fryns
gebunden, 220 Seiten
Verlag Hatje Cantz 2017
60,00 Euro


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Naiv betrachtet

Gottfried Helnwein. Kind
herausgegeben von Harald Scheicher
gebunden, 240 Seiten
Hirmer Verlag 2017
39,90 Euro

 


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Naiv betrachtet

Sven Kroner
herausgegeben von Oliver Zybok
gebunden, 160 Seiten
Verlag Hatje Cantz 2017
35,00 Euro

 


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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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