EMOP 2025: Beobachtungen zur Fotokultur

Im März 2025 sind über 100 Ausstellungen im Rahmen des „European Month of Photography“, kurz EMOP, in Berlin zu sehen. Allein am Startwochenende gab es fast 50 Vernissagen, durch die man tingeln konnte. Damit ist der EMOP Deutschlands größtes Fotofestival.
Was zwischen uns steht
Die am EMOP teilnehmenden Museen, Ausstellungshäuser, kommunalen und privaten Galerien, Projekträume und Kunsthochschulen waren aufgerufen, Projekte zum Leitmotiv „Was zwischen uns steht“ einzubringen, „die Beobachtungen, Erfahrungen, Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen zu unterschiedlichen Konfliktlagen“ Raum geben und „mit Bildern den anhaltenden Mechanismen der Polarisierung das Dialogische entgegen (setzen)“.
Das Spektrum und die Essenz
Auch wenn das Leitmotiv in vielen Ausstellungen kaum erkennbar bleibt, ist es doch zumindest an einem Ort Programm: In der Akademie der Künste. Als fast schon symptomatisch für die extreme Bandbreite und die Qualität des Gebotenen dieses EMOPs erweist sich die Ausstellung im Festivalzentrum, das dieses Mal im Hanseatenweg beheimatet ist. Dort finden sich Arbeiten von über 20 Künstlern in den Räumen des Obergeschosses, wobei das Projekt „Das Dorf“ von Werner und Ute Mahler und Ludwig Schirmer das Herzstück bildet.
Die drei haben den Alltag im Dorf Berka in Thüringen über 70 Jahre in vier Arbeitsabschnitten zwischen 1950 und 2022 mit Schwarzweiß-Aufnahmen dokumentiert. Ein Langzeitprojekt, das auf besondere Weise Aspekte von Zeit und Wandel deutlich werden lässt. Inhaltlich wie formal ist es ein großer Genuss die Bilder zu betrachten. Und das gilt sicher nicht nur für Freunde der Dokumentarfotografie.
In den Räumen daneben arbeiten sich die anderen ausstellenden Künstler programmatisch daran ab, den Kreislauf der permanenten Selbstvergewisserung in den „Stories“ der sozialen Medien zu unterbrechen. Sie tun das „nicht als alles übertönende Lautsprecher, sondern in der Reflexion darüber, wie jenseits von Vereindeutigung differenziert und, ja, zart erzählt werden kann. So stellt die Ausstellung gesellschaftliche Realitäten heraus und bringt sie zumeist in (Mikro-) Erzählungen zum Sprechen.“
Was den Betrachtern in der Ausstellung „mikro“-erzählt wird, lässt sich oft nicht entschlüsseln. Vielleicht ist es ja einfach zu klein.
Ein von mir dazu befragter Künstler der jungen Generation erklärt das folgendermaßen: „Es kommt nicht darauf an, was man sieht, oder auf irgendeine handwerkliche Qualität. Es geht nur um die Idee und die Herausarbeitung ihrer Essenz. Auch die Präsentation sollte keinen Konventionen entsprechen“.
Die Reaktionen des Vernissage-Publikums zumindest schienen die Wahrnehmung des Autors zu bestätigen: Neben den Arbeiten der jungen Künstler stand man abgewandt herum und unterhielt sich miteinander. Vor den Arbeiten der Familie Mahler dagegen bildeten sich Menschentrauben, um die Bilder intensiv und andächtig zu betrachten.
Nun mag man einwenden, die Verdichtung von über 100 Ausstellungen auf eine einzige, wenn auch die zentrale, wäre womöglich etwas unfair. Das will ich nicht in Zweifel ziehen und muss zugestehen, ich habe bei diesem EMOP bisher nur rund 15 Ausstellungen besucht. Aber genau das ist das Problem mit der „Essenz“. Sie verdichtet und trifft Aussagen, ohne sich um die Details zu scheren. Die Frage ist dann nur: Auf Basis von wieviel Substanz ist die Aussage entstanden? Manchmal kann man das sofort erkennen, manchmal nur ahnen und oft ist die Substanz mehr zugeschrieben als vorhanden. Solche Essenz zu beurteilen erfordert also auch einen in hohem Maße kompetenten Konsumenten.
Weltanschauliches
Bleiben wir noch etwas beim Thema Substanz und wechseln den Ausstellungsort. Im c/o Berlin gibt es drei Ausstellungen von denen zwei bemerkenswert sind: Da ist zunächst „A World in Common“. Sie zeigt 23 künstlerische Positionen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora in teils eindrucksvollen Bildern. Dort sollen wir lernen, „die Welt von Afrika aus (zu) denken“ und das westlich geprägte Weltbild zu hinterfragen. Herausgekommen ist eine vielseitige Präsentation, die an mehreren Stellen durch ihre Inhalte zum Eintauchen in die vorgestellten Einzelthemen animiert. Noch besser wäre sie, wenn sich die Texttafeln um eine differenziertere Darstellung der historischen Hintergründe bemühen würden – und nicht nur um die Reproduktion der Essenz zeitgenössischer Kolonialismuskritik.
Immersive Präsentation
Eine Etage höher im selben Gebäude ist Sam Youkilis Bewegtbildinstallation „Under the Sun“ zu sehen. Er fängt „die Sehnsüchte und Verheißungen des Reisens sowie die Schönheit des Alltäglichen ein“. Interessant ist hier vor allem die Präsentation der kurzen, oft kitschig-bunten Videos. In dunklen Räumen sind auf mannshohen Hochkantmonitoren kurze, parallel ablaufende Videosequenzen zu sehen, die sich immer um ein Thema drehen. Die Stilistik erinnert an Creator Content auf Social-Media-Kanälen, die Monitore an überdimensionale Smartphones und die Parallelität der Darstellungen verweist auf die schnelllebige Bildkultur des Doomscrollings. Diese Präsentationsform wird als ein „immersiver Ausstellungsraum“ bezeichnet, in den das c/o Berlin Sam Youkilis visuelles Archiv aus zehntausenden von Aufnahmen in Form von iPhone-Videosequenzen übertragen hat. Hier liegt die Substanz augenscheinlich auch in der Quantität.
Künstlerische Forschung
Eine weitere, eher neue Darbietungsform künstlerischer Arbeiten ist die „künstlerische Forschung“. Als jemand, der diesen Winkel der Kunstproduktion gerade für eigene Projekte wie CAISPAR oder HAIBRIDS entdeckt, war ich natürlich extrem neugierig, wie Projekte aussehen, die in einem Kontext wie dem EMOP ausgestellt werden.
Ich habe am Eröffnungswochenende zwei Beispiele gefunden: Das eine ist ein Projekt, unterstützt vom Berliner Programm Künstlerische Forschung, bei dem es um frauenbewegte und lesbische Frauen in der DDR geht. Das Herz der Ausstellung von Luise Schröder „Immer laut zu sagen, was ist und ich will“ bildet ihr neu erschienenes „Künstlerinnenbuch“ Strömungen in Bewegung.
Das Buch dient als Grundlage für eine fotografische Installation. Trotz vieler Seiten besteht es aus wenig Text, teils nur mit einzelnen Buchstaben auf den Seiten, oft in Form von Zitaten. Dazu gibt es 30 bis 40 Jahre alte körnige schwarzweiße Bildausschnitte, die Frauen beim diskutieren zeigen. Inhaltliche Details bleiben eher im Hintergrund – es geht wohl auch hier wieder mehr um die Essenz. Glücklicherweise kann man die Installation, die neben ein paar an die Wand gepinnten Bildern aus einem Stuhlkreis besteht, zum Sitzen nutzen, während man das Buch in wenigen Minuten durchliest.
Die zweite Forschungsausstellung – zu sehen im Schöneberger Museum – ist ein positiveres Beispiel. Hier geht es um erhaltene Fotoalben jüdischer Familien. Es werden mehrere Familien und ihre Mitglieder vorgestellt und man begleitet sie bildlich durch die Jahre des Nationalsozialismus.
Ergänzend dazu ist eine Ausstellung mit Fotografien von Käte Frank zu finden, die als Nebenprodukt einer Dissertation entstand. Die Bilder beginnen im Berlin der Weimarer Republik und spiegeln die Aufbruchsstimmung jener Jahre wider. Als junge Frau findet Käte Frank Anschluss an ein kosmopolitisches Umfeld. Anfang der 1930er Jahre bricht sie mit einer Freundin nach Spanien auf und erlebt in einer politisch linksorientierten Boheme neue Freiräume. 1933 versperrt die Machtübergabe an die Nationalsozialisten ihre Rückkehr nach Deutschland, 1936 bedroht der Spanische Bürgerkrieg auch ihr direktes Umfeld. Im selben Jahr bringt sie ihre Tochter Miriam zur Welt. Aus dem Aufbruch wird ein Leben auf der Flucht: 1938 entkommen Mutter und Kind nach Frankreich, 1941 nach Mexiko und 1948 schließlich nach Neuseeland.
Ihre Bilder hat sie auf diesem Weg stets bei sich. In zehn Alben hält sie ihr bewegtes Leben fest. Sie zeigen eindrücklich, wie private Fotografie in einer Zeit tiefer Erschütterungen zum Gradmesser einer immer fragileren Freiheit wird.
Ausblick
In den Reden zu den Eröffnungen beschwören fast alle Vortragenden die Bedeutung der (Foto)-Kultur für die Aufrechterhaltung der Demokratie und die am Horizont stehende Gefahr, das staatliche Gelder gekürzt werden. Vielleicht ist dieser EMOP 2025 der letzte seiner Art. Eine Übersicht der Ausstellungen finden Sie hier.