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Die Leica Q2, Capture One und eine merkwürdige Pixelvermehrung

Wie viele Pixel stecken in einer Raw-Datei? Dass diese Frage nicht immer so einfach zu beantworten ist, zeigt sich, wenn man DNG-Dateien der Leica Q2 in Capture One entwickelt.

Schon wenn man in die Datenblätter von Kameras schaut, entdeckt man meist zwei oder drei verschiedene Pixelzahlen – die Gesamtzahl der Sensorpixel, die effektive Pixelzahl und die davon oft noch verschiedene Zahl der Pixel einer Aufnahme mit maximaler Auflösung. Diese Abweichungen gehen darauf zurück, dass manche Sensorpixel gegen Lichteinfall geschützt sind und nur als Referenz dienen, und andere Pixel jenseits des eigentlichen Bildrands lediglich über die Interpolation der RGB-Werte in die Bilddaten eingehen. Die Unterschiede zwischen diesen Pixelzahlen sind aber meist gering.

Wie man in Capture One sieht, scheinen Aufnahmen mit der Leica Q2 mehr Pixel zu enthalten, als man nach dem üblichen Beschnitt auf 8368 mal 5584 Pixel erhält.

Vish Vishvanath, ein Londoner Fotograf mit einer Leica Q2, machte mich nun aber kürzlich auf ein seltsames Phänomen aufmerksam, das sich bei der Entwicklung von Aufnahmen mit der Leica Q2 in Capture One zeigt (nicht aber in Lightroom, obwohl dort, wie wir sehen werden, dasselbe passiert). Die Leica Q2 wird mit einer Auflösung von 47,3 Megapixeln beworben. Die Bilder in höchster Auflösung messen 8368 mal 5584 Pixel, was 46,7 Megapixeln entspricht. So weit sind diese Zahlen ganz normal.

Als Vish Vishvanath nun aber die DNG-Dateien in Capture One importierte, zeigte der Raw-Konverter zwar ebenfalls eine Größe von 8368 mal 5584 Pixeln an, aber nachdem er mit einem Klick auf das Zuschneiden-Symbol einen Beschnittrahmen eingeblendet hatte, wurde insbesondere links und rechts ein recht breiter Rahmen mit zusätzlichen Bildpixeln sichtbar – das Bild war offenbar deutlich größer als gedacht. Wenn man den Rahmen so weit wie möglich aufzieht, ergibt sich eine Bildgröße von 9026 mal 5720 Pixeln, also 51,6 Megapixeln! Wo kamen diese zusätzlichen Pixel her? Ich wollte es einmal selbst ausprobieren und öffnete ein Foto, das ich im vergangenen Jahr mit der Q2 aufgenommen hatte, in Capture One.

Zieht man den Rahmen auf seine maximale Größe, so erhält man ein Bild mit 9026 mal 5720 Pixeln, also 51,6 Megapixel.

Man kann es sogar noch weiter treiben, wenn man im Panel der Objektivkorrekturen statt des in die DNG-Datei eingebetteten Profils ein generisches Profil wählt. Dann lässt sich der Rahmen bis auf eine Größe von 9356 mal 5822 Pixeln ziehen, was 54,5 Megapixeln entspräche. Kann es sein, dass Leica seine Kamera unter Wert verkauft? (Kleiner Scherz – sie kostet rund 5000 Euro.)

Mit der Auswahl eines generischen Korrekturprofils lässt sich die Auflösung bis auf fabelhafte 54,5 Megapixel treiben.
Objektivkorrekturen und Beschnitt in Capture One

Darauf, dass hier irgendetwas nicht stimmen kann, weist schon die Tatsache hin, dass die Objektivkorrektur eine Rolle zu spielen scheint. Laut den DNG-Metadaten enthalten die Raw-Bilder 5632 Reihen von je 8424 Pixeln (47,4 Megapixel), aus denen ein Bild mit 8368 mal 5584 Pixeln auszuschneiden ist. Die Metadaten können schlecht lügen, denn schließlich sind sie alles, woran sich ein Raw-Konverter halten kann, der aus den Rohdaten ein Bild entwickeln soll. Folglich gibt es keine 51,6 oder gar 54,5 Megapixel.

Aber vielleicht sind die Extra-Megapixel ja ein Artefakt der Objektivkorrektur? In DNG-Dateien der Q2 sind zwei Serien von „Opcodes“ für Bildkorrekturen eingebettet. Die eine dient der Entfernung defekter Pixel und wirkt sich auf die Bildgröße nicht aus, aber die zweite korrigiert die tonnenförmige Verzeichnung des 28-mm-Objektivs. Der Effekt ist in Capture One gut zu sehen, wenn man die Option »Verzerrung verbergen« abschaltet, wie ich es auch bei den hier gezeigten Beispiel-Screenshots getan habe: Die Bildecken werden zur Verzeichnungskorrektur nach außen gezogen und abgeschnitten.

Im Zuge der Verzeichnungskorrektur wird das Bild aber gleichzeitig größer, denn würde man das größtmögliche Rechteck ausschneiden, wäre dieses, wie oben gesagt,  9026 mal 5720 Pixel groß. Tatsächlich beschneidet Capture One aber im Normalfall stärker, so dass nur noch die nominellen 8368 mal 5584 Pixel übrig bleiben. Der Sinn der Sache ist wohl, die geringe verbliebene Vignettierung abzuschneiden; vielleicht genügen die Randpixel auch nicht Leicas Ansprüchen an die Bildschärfe. Lightroom tut dasselbe, nur zeigt es weder die zur Korrektur aus dem Rahmen gezogenen Pixel an, noch lässt es eine Wahl bei der Anwendung des Korrekturprofils: Lightroom wendet zwangsweise die eingebettete Korrektur an.

So sieht ein Bild der Q2 ohne eine Verzeichnungskorrektur und ohne Beschnitt aus.

In Capture One lässt sich nicht nur ein alternatives Korrekturprofil wählen; man kann die Verzeichnungskorrektur auch gänzlich deaktivieren, indem man den Regler »Verzeichnung« von 100 auf auf 0 zieht. Dabei wird das Bild immer kleiner, bis es bei 0 nur noch die nominelle Größe von 8368 mal 5584 Pixeln hat und sich der Beschnittrahmen auch nicht mehr weiter aufziehen lässt. Allerdings ist die Verzeichnung dann deutlich sichtbar; zudem zeigt sich eine Vignettierung in den Bildecken. Und damit wäre dann auch der schöne Traum geplatzt, die Q2 hätte eine höhere Auflösung als selbst vom Hersteller versprochen. In das korrigierte Bild gehen nicht mehr Sensorpixel ein, sondern weniger: Da das Bild erst über die Sensorauflösung hinaus vergrößert und dann beschnitten wird, sind es letztendlich nur etwa 7758 mal 5451 Pixel oder 42,3 Megapixel des Sensors, aus denen schließlich ein Bild mit 46,7 Megapixeln berechnet wird.

Wohlgemerkt: Solche Effekte sind nicht spezifisch für die Q2 oder für Leica; mit anderen Kameramodellen anderer Hersteller würde man Ähnliches erleben. Wir müssen uns von der vereinfachenden Vorstellung verabschieden, dass es eine direkte Entsprechung von Sensorpixeln und Bildpixeln gäbe.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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