
Die Zahlen, die die erste KI-Urheberrecht-Plattformen vermill.io zutage fördert, sind weniger erschreckend als vielmehr entlarvend. Wenn etwa ein KI-generiertes Video zu 87 Prozent den neuronalen Fingerabdruck des Originals von Doctor Who aufweist, sprechen wir nicht mehr von Inspiration, sondern von einer digitalen Blaupause. Und wenn PetaPixel die Liste der 200 am häufigsten in Midjourney-Prompts genannten Fotografen veröffentlicht, wird eine unbequeme Wahrheit sichtbar: Die neue Ästhetik der KI-Kunst speist sich nicht aus dem luftleeren Raum, sondern gezielt aus den Portfolios lebender Künstler. Die Empörung in der Kreativszene ist groß. Doch ist sie auch gänzlich berechtigt?
Die eigentliche Provokation liegt möglicherweise nicht in der Technologie selbst, sondern in dem Spiegel, den sie uns vorhält. Denn die Liste der meistgenutzten Fotografen ist kein Protokoll eines maschinellen Raubzugs, sondern das Logbuch menschlicher Absichten. Es sind Kreative, Bildgestalter und Amateure, die gezielt die Namen von Kollegen wie Annie Leibovitz, Tim Walker oder Gregory Crewdson in die Eingabezeile tippen, um deren unverwechselbare Bildsprache für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Wir sind also nicht nur Opfer, sondern oft auch Täter in einem System, dessen Regeln wir gerade erst zu verstehen beginnen.
Der Zyklus der Disruption
Erinnern wir uns an die Debatten, die vor kaum zwei Jahrzehnten mit ähnlicher Inbrunst geführt wurden. Damals verteidigten die Verfechter der analogen Fotografie ihr Handwerk gegen die aufkommende Digitaltechnik. Ein „echtes“ Bild, so der Tenor, entstehe in der Dunkelkammer, nicht am Rechner. Während die Puristen noch über die Seele des Silberhalogenids philosophierten, begann bereits die nächste Generation von Bildgestaltern, die digitale Fotografie nicht als Abbild der Wirklichkeit, sondern als Rohmaterial für Montagen, Collagen und malerische Experimente zu begreifen. Die heilige Dreifaltigkeit von Ort, Zeit und Geschehen wurde aufgelöst.
Was damals als Befreiung und Demokratisierung der Bildbearbeitung gefeiert wurde, erleben wir heute in potenzierter Form. KI-Generatoren demokratisieren nicht mehr nur die Manipulation, sondern den Akt der Schöpfung selbst. Und genau wie die Analog-Verfechter von einst stehen heute etablierte Digital-Künstler vor der Frage, ob sie die neue Welle bekämpfen oder auf ihr reiten sollen. Die Empörung über die KI-Prompter, die Stile kopieren, wirkt vor diesem Hintergrund zumindest ein wenig scheinheilig. Denn wer hat in den letzten Jahren nicht selbst mit Presets, Filtern, Texturen oder Stock-Material gearbeitet und damit auf der Vorarbeit anderer aufgebaut? Der Unterschied ist einer des Maßstabs und der Effizienz, nicht des Prinzips.
Das Urheberrecht als stumpfes Schwert
Die aktuelle Debatte verharrt in einer unfruchtbaren Konfrontation. Auf der einen Seite stehen jene, die das traditionelle Urheberrecht mit Klagen und Verboten verteidigen wollen. Das ähnelt einem Versuch, eine Flut mit einem Sieb aufzuhalten. Auf der anderen Seite proklamieren Technik-Evangelisten eine neue Ära des radikalen Remix, in der alle Inhalte als Gemeingut betrachtet werden. Beide Positionen ignorieren die komplexen Realitäten.
Das klassische Urheberrecht ist für das KI-Zeitalter schlicht ungeeignet. Es wurde für eine Welt der diskreten, zählbaren Werke geschaffen. Wie aber soll man den Wertbeitrag von Tausenden von Bildern bemessen, die in die neuronalen Netze eines einzigen KI-Modells eingeflossen sind? Die Transaktionskosten für Millionen individueller Lizenzverhandlungen wären prohibitiv. Bestehende Verwertungsgesellschaften wiederum sind mit ihren starren Verteilungsschlüsseln zu schwerfällig, um die granularen und oft minimalen Einflüsse einzelner Werke auf ein KI-generiertes Bild fair abzubilden. Ein System, das für die Verwertung von Radiomusik konzipiert wurde, kann die Komplexität neuronaler Netze nicht erfassen.
Ein Vorschlag: Das Dynamische Attributionsnetzwerk (DAN)
Statt in alten Schützengräben auszuharren, müssen wir ein System entwerfen, das der vernetzten Natur der digitalen Schöpfung gerecht wird. Ein solches Modell könnte man als „Dynamisches Attributionsnetzwerk“ (DAN) bezeichnen. Es basiert nicht auf Verboten, sondern auf einer transparenten und fairen Wertschöpfungskette.
Die technische Grundlage bilden neuronale Fingerabdrücke, die für jedes Werk eine einzigartige, maschinenlesbare Signatur darstellen. Fließt ein Werk in das Training eines KI-Modells ein, wird dies in einem dezentralen Attributionsregister – etwa auf Blockchain-Basis – unveränderlich dokumentiert. So entsteht eine gläserne Kausalkette vom Original zum KI-generierten Derivat.
Der entscheidende Punkt ist die Vergütung. Statt pauschaler Lizenzgebühren würde eine dynamische Mikro-Vergütung greifen. Der Einfluss eines Werkes auf ein finales KI-Bild wird zur neuen Währung. Je stärker der neuronale Fingerabdruck eines Originals im Ergebnis nachweisbar ist, desto höher fällt die automatische Vergütung für den Urheber aus. Kreative erhielten ein Kontroll-Cockpit, in dem sie in Echtzeit nachverfolgen könnten, wie ihre Werke genutzt werden und welche Einnahmen daraus entstehen. Sie könnten zudem festlegen, ob ihre Arbeiten überhaupt für das Training zur Verfügung stehen oder nur für bestimmte Anwendungsfälle.
Ein solches System schafft Anreize für Qualität statt Masse. Es belohnt jene Künstler, deren Stil so prägnant ist, dass er von anderen gezielt nachgefragt wird. Gleichzeitig bietet es KI-Entwicklern Rechtssicherheit und den Nutzern die Gewissheit, auf ethisch unbedenkliche Weise zu arbeiten. Bleibt nur die – vermutlich unlösbare – Frage, wie man so ein System weltweit ausrollt.
Vom Gegner zum Architekten
Die Geschichte der Medien ist eine Geschichte der Anpassung. Die Musikindustrie hat nach dem Schock durch Napster nicht die MP3-Datei verboten, sondern mit Streaming-Diensten und automatisierten Lizenzmodellen einen neuen, funktionierenden Markt geschaffen. Es ist an der Zeit, dass die visuelle Kreativbranche einen ähnlichen Schritt wagt.
Stellen wir uns eine Zukunft vor, in der Midjourney nicht nur die Namen der populärsten Fotografen anzeigt, sondern diese auch automatisch am kommerziellen Erfolg der Plattform beteiligt. Eine Zukunft, in der ein Fan einen Kurzfilm im Stil seines Lieblingsregisseurs anfertigt und dabei über das DAN-System automatisch Mikro-Lizenzen an den Regisseur, den Kameramann und den Set-Designer entrichtet.
Die Technologie dafür ist in greifbarer Nähe. Was es braucht, ist ein Mentalitätswandel: weg von der reinen Abwehrhaltung, hin zur aktiven Gestaltung der neuen Spielregeln. Wir müssen aufhören, gegen die Windmühlen der technologischen Entwicklung anzukämpfen, und stattdessen beginnen, die Windräder einer fairen, kreativen Ökonomie zu konstruieren. Die Frage ist nicht, ob Maschinen Kunst erschaffen können, sondern ob wir als Menschen klug genug sind, ein System zu bauen, das den Wert der menschlichen Vorarbeit anerkennt und honoriert.





